Joseph von Lauff
Marie Verwahnen
Joseph von Lauff

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VII.

Rudibumbumbum

Und das Fieber war in ihm. – – – – – – –

.

Die zweite Flasche kam – die Zweite Flasche Forster-Traminer. Wie in einem Zauberspiegel war alles meinen inneren Blicken vorübergezogen. Die unerwarteten, packenden und fesselnden Beziehungen, die sich mir hier entrollten, die Schicksale zweier Menschenleben, die mir hier in geheimnisvoller Eigenart entgegentraten, nahmen mein ganzes Denken und Fühlen in Anspruch – und was mir mein Freund in tiefer Wehmut, im wilden Schmerz und mit zerrissener Seele in der Ich-Erzählung klarlegte, gestaltete sich gleichzeitig in meinem Geiste genau so, wie ich es nach ungefähr Monatsfrist und im Angedenken an den Bedauernswerten in dieser Fassung und Form, wenn auch in etwas freier Bearbeitung, den Blättern dieses Buches anvertraute –

Schweigend stießen wir mit den Gläsern an.

Doktor Johannes van Melle ergriff wieder die Geige. Instrument und Bogen waren nicht zu unterscheiden, nur die weiße, gespenstische Hand des Spielers leuchtete aus dem Dunkel hervor. Wie eine Geisterhand schwebte sie auf und nieder, und Klänge wurden lebendig, die mit einem Zauberschlage mich der gegenwärtigen Situation entrückten und in den lachenden, klingenden Frühling versetzten. Das waren Töne, die sich liebend umarmten, sich wieder ließen und wie bunte Falter ob den grünen Fluren schwebten. Unter ihren blitzenden Flügeln streckte sich Gräschen bei Gräschen, mit seinen Spitzen drängten sie sich aus dem warmen Erdreich empor, die Weiden verstäubten ihre silbernen Kätzchen, Wiesen und Deiche blümten sich schwefelgelb, und aus dem nahen Schilf und Geröhr zogen die scharfen und lockenden Rufe der Rohrdrossel über die weite Ebene. Alles Flimmer und Licht und Sonnenschein! – und dennoch: durch den erwachenden Frühling zitterte es plötzlich in wehmütigen Klängen. Im tiefen Westen stand das Abendrot. Alle Heiterkeit war der reizvollen Landschaft genommen. Und das Abendrot wuchs zusehends, während die übrige Beleuchtung des Himmels an Helligkeit abnahm. Kalt, unwirtlich und leichenfahl legte es sich auf die keimende Erde. Schwarze Vögel flogen in die unheimliche Färbung hinein . . . und überall das wehmütige Klagen, das Weinen und Schluchzen durch den niederrheinischen Frühling. Die schmelzenden Töne waren wie mit den Ranken und den violetten Blütenkelchen der Passionsblume umsponnen.

Jetzt verstummte die Geige.– – – – – – –


Palmsonntag! –

Wie sich das alles geändert hatte in den wenigen Wochen! – Die roten Ziegeldächer, die hellangestrichenen Fensterläden, die weißgekalkten Giebelfronten leuchteten im Sonnenlicht, und der Rhein flutete so ruhig und freundlich in seinem Bett, als hätte er noch niemals Sturm gegen die haushohen Dämme gelaufen. Kähne und Schiffe hatten wieder ihre Stromfahrt aufgenommen. Dickbauchige Ruhrorter Schleppboote prusteten und fauchten durch das friedliche Wasser. Im Hafen der kleinen Stadt standen buntbewimpelte Masten, frischgeteerte Nachen stellten den Verkehr mit dem jenseitigen Ufer her, und melancholisch tönte der gleichförmige Ruf »Holüber!« von Zeit zu Zeit durch den sonnigen Morgen. Hier roch und duftete es nach Werg und Teeren – und die Männer standen in Velvetjacken und sonntäglichen Sammethosen am Ufer, schoben ein Priemchen hinter die Backe oder bliesen ihren Varinaskanaster aus kurzen Tonpfeifen über das Wasser hinaus.

Palmsonntag! –

Und weiter da draußen – auf Dämmen und Deichen und im sonnigen Flachland: da lag alles wie ein safrangelber Teppich gebreitet. Wohin das Auge sah – leuchtende Streifen, mächtige Bänder, endlose Flächen wie pures Gold, gleißend und glänzend. Und dieser funkelnde Glast überkroch die Wiesen und Weiden, legte sich auf die Flanken der Dämme, wandte sich die schmalen Pfade entlang und lief mit den blinkenden Wasserläufen, die silbern aus den Weidenbüschen hervorsahen. Dicht zusammengerückt, sich mit den saftigen Stielen und den nierenförmigen Blättern berührend, die butterfarbigen Blütensterne aus dem Grase hervorhebend, stand Butterblume bei Butterblume – ein gelber Farbenrausch, wie ihn nur das erste Frühjahr am Niederrhein zu geben vermag. Mit einem Schlage war alles hervorgezaubert worden. Schwarzbraun- und rotgefleckte Kühe standen oder lagen im Grase, wiederkäuten und blinzelten stumpfsinnig über die saftigen Halme. »Muhu!« – und in der Ferne lag ein kobaltartiger Hauch, kaum merklich und schleierhaft wie der bläuliche Schimmer auf einer vollreifen Zwetsche.

Palmsonntag! –

Auch in die schmale, verschrumpfelte Gasse, die sich vom Großen Markt dem Rhein zuwandte, fiel ein kleines Stück dieses wonnigen Frühlingsmorgens hinein, über einer niedrigen Tür, die etwas aus dem Senkel gerückt war, vergoldete die liebe Sonne ein langgestrecktes Firmenschild, auf dem in lateinischen Buchstaben zu lesen stand: ›Leinenhandlung von Moses Herzlieb‹ – und sie fiel durch das mit Schirting verhangene Fenster der kleinen Stube, wo der ehrliche Herzlieb damit beschäftigt war, sich in die Morgentoilette zu werfen. Kurz vorher hatte er mit seiner Frau Giddel und seinem kleinen Sohn Schlaume das Dankgebet gesprochen und einige davidische Psalmen gesungen. Dann war Giddel in den Laden gegangen, wo sie Leinewandpäckchen, Wollstrümpfe, gehäkelte Sachen und seidene Bänder auf der Theke zurechtlegte und sich an dem winzigen Ladenfenster zu schaffen machte, während der kleine Schlaume in der Stube blieb, sich an den gescheuerten Tisch setzte und mit abgegriffenen Rechenpfennigen merkantile Erwägungen und Betrachtungen anstellte. Schlaume, ein prächtiges Judenjüngelchen mit Korkzieherlöckchen, Sommersprossen und etwas abgeknabberten Fingernägeln, war der einzige Sprößling des Herzliebschen Ehepaares. Er besuchte die lateinische Schule, die ein Aufsteigen bis zur Quarta gewährleistete, und quälte sich zurzeit mit den Deponentien herum. Obgleich der lateinische Wust nicht nach seiner Mütze war und er am liebsten sofort in das väterliche Geschäft eingesprungen wäre, so bestand Moses Herzlieb dennoch auf einer humanistischen Bildung, die er im Interesse Schlaumes bis zur Erwerbung des Zeugnisses für den Einjährig-Freiwilligen-Dienst in der benachbarten Kreisstadt bei seinem Sohne aufzuspeichern gedachte. Das genügte! – »Soll er doch werden ein gelernter Mann mit feine Qualitäten,« pflegte Moses bei seinen Bekannten zu sagen, wenn sie seine gelehrten Neigungen bespöttelten. »Lernt er was – nü, so braucht er nich laufen wie ich mit's Päckchen bei die ländlichen Bauern und sein Brot verdienen im Schweiße seines Angesichtes. Bin ich meschugge! – Lernt er was – nü, kann er doch schreien Kikeriki! wie'n Hahn, denn er kann die Hennen betreten, daß sie ihm legen goldene Eier ins Nest. Nü, un wenn er hat goldene Eier, kann er werden Kommerzialrat in Preußen. Und wenn er is geworden Kommerzialrat in Preußen, kann er auch trinken Schepanger, der Schlaume, un kann sich halten 'ne eigene Schabbesgoie gegen Beßahlung, um for zu löschen die Lichter am Sabbat.« – Bei jeder Gelegenheit brachte Herzlieb diese schlagenden Argumente vor und führte zuletzt ein triumphierendes »Kikeriki!« ins Treffen, was lediglich sagen sollte: die goldenen Eier sind sicher. –

Also – der junge Schlaume Herzlieb saß an diesem sonnigen Frühlingstage in der elterlichen Behausung am Tisch, schlenkerte mit den krummen Beinchen und zählte die schmierigen Rechenpfennige zusammen, während sein Vater sich mit der Morgentoilette beschäftigte.

Moses Herzlieb stand hemdärmelig vor einem schmalen Spiegel, hinter dem eine stattliche Pfauenfeder hervorsah. Die Prozedur des Rasierens war glücklich zu Ende geführt. Jetzt kamen die Kleisterlöckchen an die Reihe. Noch hingen sie betrüblich zu beiden Seiten der Schläfen herab. Dem wurde bald abgeholfen. Mit beiden Zeigefingern, wie er es bei jeder Festlichkeit zu tun pflegte, griff er in ein Näpfchen hinein, in welchem sich eine klebrige Auflösung von Quittenkernen befand. Hierauf fuhr er sich an die Schläfen, manipulierte mit Zeigefinger und Daumen an den Haarschwänzchen herum, bis sie sich rundeten, spiralförmig drehten und schließlich die lustige Form von frischen Hobelspänen annahmen. Mit einer schnellen Bewegung schlenkerte er hierauf die überflüssige Klebefeuchte von den Fingern, trat einen Schritt vom Spiegel zurück, musterte sich selbstgefällig in der blanken Fläche, spuckte in die flachen Hände und strich mit diesen improvisierten Haarbürsten beiderseitig vom Scheitel bis zu den Schläfepartien herunter, mit welcher Einbalsamierung Moses Herzlieb seine Coiffüre gewöhnlich als vollendet ansah. Hierauf wandte er sich an Schlaume: »Schlaume, hol' mir's Schamieschen.«

»Ich derf nich.«

»Wer will's nich haben?«

»Die Memme.«

»Worum nich?«

»Heut is christlicher Jontef – un da will's die Memme nich haben.«

»Ich sage Dir, Schlaume – hol' mir's Schamieschen, aber ein feines, sonst gibt's ein Schlamassel.«

Moses Herzlieb hatte mit Energie und allem Nachdruck gesprochen. Das ging nun nicht anders: der kleine Schlaume holte das Verlangte aus der Kommode im Nebenzimmer, übergab es dem Vater, und dieser legte das gesteifte und sauber gebügelte Leinenstück mit einer gewissen Feierlichkeit über das buntgestreifte Flanellhemd. Hierauf knüpfte er ein Halstuch um den niedrigen Kragen, steckte die Hände in die Taschen, sah in den Spiegel, drehte und wandte sich, spitzte die Lippen und nickte zufrieden: »Nu – Schlaume, den Schabbesrock.«

Allein der Kleine tat, als ob er nicht hörte, baumelte mit den krummen Beinchen, häufelte die Rechenpfennige und zählte: »Oleph, bes, gimel . . .«

»Schlaume, bist Du meschugge – sind wir alle meschugge?!«

Wieder klapperten die Münzen: »Doleth, he, vuv . . .«

»Ich sage Dir, Schlaume – den Schabbesrock!«

»Un ich sag' es der Memme!«

»Gehst Du kapores – den Schabbesrock, Schlaume!«

Der kleine Judenbengel sprang vom Stuhle: »Ich ruf' die Memme. – Memme . . .

»Ruf' Du die Memme – ich will haben den Schabbesrock, Schlaume.«

»Memme . . .

Frau Giddel Herzlieb trat aus dem Laden ins Zimmer. Beide Hände in die Seiten gestemmt, eine prächtige Fladuse auf dem Kopf, goldene Gehänge in den Ohren, stellte sie sich fragend und herausfordernd vor ihren Mann hin.

»Giddelchen,« sagte Herzlieb, so recht mit treuherzigem Tone, »der Friede sei mit Dir, un der Malach Hamoves bleibe Dir fern.«

»Worum schreit der Schlaume nach mir?«

Moses Herzlieb lächelte sanft und suchte nach Worten, allein sein Söhnchen kam ihm zuvor und sagte: »Memme, er will den Schabbesrock anziehn auf christlichen Jontef.«

»Püh!« machte Frau Herzlieb.

»Giddelchen,« erwiderte Moses, »ich habe Geschäften. Ich will dem Herrn Pater Bonaventura entgegen triumphieren mit die übrigen Herrens. Heute kommt der Herr Pater Bonaventura nach hier. Er is ein lieber Mann un ein wundertätiger Mann. Hab' ich ihn doch gehört in die Kirche von Calcar. Un wie ließ er sich hören! – Gott, was hat der Mann doch für schöne Gefühle!«

Er hatte mit fetter Gutturalstimme gesprochen.

Frau Herzlieb trat einen Schritt näher.

»Du bist ein Behemeh,« versetzte sie mit keifendem Tone.

»Giddelchen,« begütigte Herzlieb, »bleib' bei 'ner Besinnung. Bin ich behemeh – will ich auch sein ein Behemeh; aber ich bin keiner. Ich will machen Geschäften durch den Herrn Pater Bonaventura.«

»Ich sag' es dem Rabbi,« trumpfte Frau Giddel auf, »daß Du willst machen gemeinsame Sache mit die Gojim. Püh! – es stinkt.«

»Giddelchen, als wir haben Hochzeit gemacht un sind unter die Chuppe gestanden, hat's da auch gestunken nach Gojim? – Im kunträren Gegenteil, Giddel: es hat gerochen nach Kalmus un Schalet un seine Rosinen – un es war doch Herr Perdje Puhl auf die Hochzeit un die Hille Verwahnen. – Stinken denn auch die christlichen Leinwandstücke un die christlichen Halbzeuge mit Kette von Flachsgarn un Einschlag von Hedegarn? – Giddel, sei liebreich.«

»Un ich sag' es dennoch dem Rabbi.«

»Sag' es dem Rabbi,« patzte Herzlieb auf, »un der Rabbi wird sagen: Herr Herzlieb is ein gescheuter Mann un ein ehrlicher Mann, wenn er macht Massematten mit dem Herrn Pater Bonaventura. – Worum auch nich?! – Sind denn die christlichen Talers aus dem Abtritt geßogen? – Ich will machen 'ne geschäftliche Niederkunft mit dem Herrn Bonaventura. – Hofier' ich ihn mit's Schamieschen un den Schabbesrock, un triumphier' ich ihm bei seinem Einzug entgegen – nü, so hofier' ich auch die übrigen Herrens, un dann gibt's 'ne Rebellionierung in die ganze Kaufmannschaft, un sie kaufen alle bei uns, un wir werden mehr noch wie reicher.«

»Moses . . .

»Laß mir aussprechen, Giddel. – Un ich bekomm' die größten Posten in Kummischon von die feinsten Häuser, un wenn ich dann gehe, um sie ßu besuchen, dann sagen die Herrens: Nehmen Sie 'nen Stuhl, Herr Herzlieb. Kriegst du den Dalles, Giddel! – nein, sie werden sagen: Nehmen Sie ßwei Stühle, Herr Herzlieb. – Nü – un das Ende?! – Ich werde Kommerzialrat, un Du . . . Was siehst Du mir an?! – Worum soll ich nich werden Kommerzialrat, ebensogut wie Aron Hirschkuh un der Chef vons große Haus Simon Löwenthaler in Frankfurt?!«

Moses Herzlieb hatte begeistert auf sie eingeredet. Im Überschwange seiner beseligenden Gefühle breitete er die Arme, ging etliche Schritte auf seine Frau zu und sagte: »Giddel, mein Täubchen, gib mir ein Küßchen.«

Giddel stand sprachlos – denn da draußen ging das: »Rudibumbumbum! Rudibumbumbum!«

Moses Herzlieb fuhr auf wie von einer Tarantel gestochen, während der kleine Schlaume sich bereits in richtiger Auffassung der Situation krumm- aber fixbeinig an die Haustür begeben hatte und sich dort, in Erwartung des Schauspiels, das da kommen sollte, postierte.

»Rudibumbumbum!«

Dumpfe, aber trefflich geschlagene Trommelwirbel liefen straßauf und straßab.

»Das is der Perdje,« rief Moses, »der gewaltige Perdje! – Is er doch der Vorläufer vom Herrn Bonaventura! – Den Schabbesrock, Giddel!«

»As Du bist meschugge!« schrie Frau Herzlieb und gedachte, ihrem Mann den Weg zu vertreten. Aber dieser war bereits in die Nebenkammer und in den Schabbesrock gefahren. Klopfenden Herzens stellte er sich an die Seite Schlaumes.

Giddel warf sich auf einen Stuhl, faltete ergeben die Hände und sah dem Abtrünnigen nach, wie ein Gerbermeister den davonschwimmenden Fellen nachsieht.

»Un er is doch ein Behemeh!« sagte sie tonlos.

»Rudibumbumbum!«

Draußen war Leben. Jung und alt, groß und klein, Männlein und Weiblein – alles hatte sich auf die Straßen begeben, durch welche sich Herr Perdje Puhl in seiner Eigenschaft als Kassenwart und Trommelschläger der Sankt Sebastians-Bruderschaft hindurchtrommeln mußte.

Perdje war der bestgefeierte Mann des Ortes geworden, hatte er doch in Kraft seines energischen Auftretens entschieden dazu beigetragen, das wütige Stauwasser in Schranken zu halten, und man wunderte sich allgemein, daß ihm noch nicht von Amts und Staats wegen die Rettungsmedaille am Bande verliehen sei. Aber dieser Racker von Staat hatte nur Verständnis für liberale Gesinnung, und so ein Mann wie Perdje, der doch offenbar als der unmittelbare Urheber des getätigten Wunders anzusehen war, wurde von ihm hundsmiserabel behandelt.

Allein was scherte dies Perdje?!

Mit einer unnachahmlichen Würde, den Düffelrock um den hageren Oberkörper geschlagen, die antiquierte Trommel aus der Franzosenzeit an einem schweren Lederbandelier von der rechten zur linken Schulter gehängt, mit beiden Händen die Schlägel rührend, einen grandiosen Zug um den Mund, die Augen verschleiert, mit einem brausenden Gefolge von Jungen und Mädchen und in seiner ganzen gloriosen Küsterherrlichkeit waltete Perdje Puhl seines Amtes.

»Gott, wie erhaben!« lispelte Herzlieb. »Schlaume, verstehst Du: Un Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm eine Pauke in ihre Hand, und alle folgten ihr nach mit Pauken am Reigen.«

»Tateleben,« fragte der kleine Schlaume mit so einem recht dreipatzigen Judenbengelgesicht, »is der Herr Perdje Puhl 'ne jüdische Jungfrau?«

»Neun,« sagte Moses.

»Tateleben, is er 'ne prophetische Jungfrau?«

»Neun,« sagte Moses.

»Nü,« bestätigte Schlaume, »so kann er nich sein Aarons Schwester – die Mirjam.«

»Weuß ich,« erwiderte Moses, »aber wie trommelt der Mann!«

Und Moses Herzlieb hatte recht. Was da unter den behenden Schlägeln und aus dem hallenden Kalbsfell hervordrang, klang wie ein Raketenfeuer, das knatternd in den Lüften verpuffte; es waren getrommelte Jauchzer, Hosiannarufe, Hallelujasänge – und dazwischen flogen und purzelten pausbackige Engel mit frommen Lilienstengeln in den dicken Patschhändchen, und die niedlichen Putten schrien »Hurra!« und »Vivat!«

»Gott, wie trommelt der Mann!« lächelte Herzlieb.

Und dann . . .! – Herr Perdje Puhl, der sich bis in die Nähe von Moses und Schlaume herangetrommelt hatte, machte plötzlich ein Gesicht, als wäre ein Aschenregen darüber gefallen, als hätte der liebe Herrgott ernste Trauerflore darüber gezogen, als stände in den trostlosen Zügen geschrieben: Tu es pulvis et ad pulverem reverteris. Diesem Gesicht entsprach auch das Verhalten der Trommel. Es schien, als sei die ganze misanthropische Seele des plötzlich umgewandelten Mannes in das klagende Kalbsfell gefahren. Es waren Trauertöne, Lamentationen, getrommelte Stationen der irdischen Leidenspilgerschaft. – Miserere! – Miserere!

»Bum – bum – bum . . .

Hierauf pausierte die Trommel, und Perdje Puhl steckte die beiden Schlägel unter den linken Arm, streckte den rechten empor, plinkte Herzlieb zu und schlug die wässerigen Augen gen Himmel – dann begann er: »Er kommt! – Er kommt für alle Christen und alle übrigen Menschen. Der hochwürdige Herr Bonaventura von der Regel der Benediktiner wird uns beehren in heilsamer Mission. Er spricht in Engelszungen, und seine Rede ist süße! – Drum, ihr Christenmenschen und ihr übrigen Menschen: Jubilate!«

Und der Küster brachte wieder die Schlägel an Ort und schlug einen feurigen Wirbel – und wieder begann er: »Aber er kommt auch als strafender Mann. Er wird Euch ein Kirchenlicht aufstecken von wegen Eurer Sünden auf Erden, denn die Karwoche steht vor der Tür. – Und Buße sollt Ihr tun in Sack und Asche – und darum: Miserere! – Miserere!«

Perdje schlug dabei so schaurige Kadenzen, daß Moses Herzlieb sich weidlich entsetzte.

»Aber das macht nichts!« schrie der Küster durch die Trauerwirbel hindurch. »Heut ist Palmsonntag – und wir wollen daher dem hochwürdigen Herrn Schlag Klock zwölf vor dem Rheintor entgegenziehen mit Kirchenfahnen und Lichtern und mit Palm und mit weißgekleideten Mädchens. Jubilate! – Jubilate!«

Die Trommel verstummte.

»Erhaben!« sagte Moses Herzlieb und schüttelte Perdje Puhl die Hand, der inzwischen freundschaftlichst, aber doch unter Wahrung einer gewissen Formalität auf ihn zutrat.

»Gott will es,« meinte der Küster.

»Herr Perdje,« sagte Moses mit Ostentation, denn er wollte doch gerne haben, daß alle es hörten, wie familiär er mit dieser gewichtigen Standesperson stände, »Herr Perdje, wo rührend! – Wo haben Sie rührend gesprochen. – Sie müssen 'ne Fetierung haben, Herr Perdje. – Sie müssen in die Sozietö wie die übrigen Herrens, denn Sie sind doch auch so gut wie der Herr Lehrer.«

»Bin ich,« erwiderte Perdje.

Und Herzlieb deutete auf Perdje und sagte zu Schlaume: »Mußt auch so'n Mann werden wie der da; der kann was. David und Kredo machen's allein nich – auch die menschliche Bildung . . . Er is auf die lateinische Schule, Herr Perdje.«

»Schön!« sagte Perdje und legte dem kleinen Schlaume mit wohlwollender Gönnermiene die Hand auf den Kopf: »Wollen mal fühlen. – Wie heißt der Abelativus von ecclesia, Schlaume?«

»Ecclesiam,« versetzte prompt der Gefragte, und das mit dem dämlichsten Gesicht von der Welt.

»Der wird,« sagte Perdje, nahm wieder die Schlägel zur Hand und ging wirbelnd davon, um an einer anderen Stelle dieselbe Rede zu halten wie vorhin.

»Was e Mann – was e Mann!« begeisterte sich Moses Herzlieb, und dann, ohne sich weiter um Schlaume, Giddel und seinen Laden zu kümmern, trabte er durch die Menschenmenge dem Rheintor zu.

»Rudibumbumbum!«

Allmählich verhallte die Trommel Perdje Puhls in der Ferne.

»Memme – un er is doch im Schabbesrock un ins weiße Schamieschen dem Herrn Bonaventura entgegen!«

Frau Herzlieb schlug die Hände zusammen: »Laß ihn, Schlaume. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sei mit ihm! – Aber er bleibt doch ein Behemeh.«

Dann schluchzte sie auf, und mit denselben Worten, wie sie kurz vorher Herzlieb an sie gerichtet hatte, sagte sie mit tränenerstickter Stimme: »Jetzt bist Du mein alles! – Schlaume, gib mir ein Küßchen.«

Das tat nun Schlaume; dann begab er sich in den Stall hinter dem Hause, wo er einen stattlichen Ziegenbock beherbergte, der sich ›Isidor‹ nannte.

 


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