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Dreizehntes Bild

Im Hintergrund die katholische Kirche auf dem Marktplatz. Die sämtlichen Einwohner Gaeseckes und der Umgebung, unter ihnen der Nachtwächter, der Hausierer Lämmle Zilinsky, der Wanderbursche Nathanael Brennessel; der lugt hinter einem noch stehengebliebenen großen Obstkorb vor. Die Kinder der Schule geordnet, hintereinander, wie eine Prozession, von ihren zwei Lehrern begleitet. Der elegante Dr. Faust (Herr Kissingen) in lila Beinkleidern, Herr und Frau Schüler, ihre dreiundzwanzig Kinder mit Menachems Frau und Sohn Oskar, die Mägde und Knechte aller Häuser, auch Schülers Kochmamsell, die Clara, und die anderen Mägde. Der Gärtner, die Melkerinnen, der Imker, Monsieur Filigran, alles in tiefer und schwerer Spannung.

Arthur Aronymus (kommt als letzter gerannt, mit Lenchen an der Hand): Heiliger Strohsack, Lenken, eck hatt so Angst, wir wären zu spät gekommen, wir zwei Hampelmänner.

Lenchen: Verpust dich – sonst merkts der Herr Vater.

Arthur Aronymus: Siehst du se?

Lenchen: Da stehn sie doch – alle zusammen. Die Mutter guckt, Aronymus!

Arthur Aronymus (nickt seiner Mutter zu und trampelt was. Frau Schüler legt den Finger ermahnend an die Lippen. Arthur Aronymus zieht Lenchen näher an sich heran und nickt stark der Mutter zu, brav zu sein, Arthur Aronymus zu Lenchen): Wann kommt denn der Bernard?

Ein fanatischer Katholik (bemerkt zu ein paar Leuten): Was der klenge fiese Judenjunge sich herausnimmt! (Will ihn ohrfeigen. Arthur Aronymus weicht ihm nicht aus.) Ick will dir helfen, unsern Herrn Kaplan – Bernard zu nennen.

Lenchen (ihn verteidigend): Bernard ist doch sein Freund.

Fanatische Frau: Kommt ihr beide nicht aus Moses sein Gutsgarten?

Arthur Aronymus: Nää, ollet goldenes Kalb.

Die Herumstehenden lachen.

Fanatischer Mann: Dat glöb eck, der Moses aus 'em alten Testament hat nicht so viel Geld unredlich gescharrt.

Frau Schüler merkt den Zwischenfall, winkt den Kindern, sich zu ihr zu gesellen.

Arthur Aronymus (zu Lenchen): Wir wollen lieber nicht bei den allen stehen, Lenchen. Aber wenn der Bernard kömmt, rennen wir wacker an de Treppe.

Die Menschen auf dem Marktplatz werden ungeduldig und unruhig, ein Gemurmel vernimmt man, und es kommt zu kleinen Reibereien. Das Geläute hört auf. Der Himmel überzieht sich im Westen pechschwarz.

Elischen (zu Katharina und Fanny): Der Dr. Faust!

Dieser ist im Begriff, sich immer mehr der Familie zu nähern. Er ist sehr elegant angezogen und sein ganzes Benehmen distinguiert. Er macht Halt in kleiner Entfernung hinter den vier jungen Mädchen: Katharina, Elischen, Fanny, Dora.

Kaplan tritt aus der Kirchentür, eine große Rolle in der Hand haltend. Er steht nun auf der obersten Stufe der steinernen Treppe. Die vier ältesten Töchter Schülers halten sich umschlungen. Julius, ihr Bruder, steht hinter ihnen.

Julius: Wahrlich, der kommende Papst.

Fanny bebt vor Erwartung.

Katharina (zu den Schwestern, ungewollt feierlich): Unser Kaplan –

Dora: Sehen mich die Leute auch nicht?

Herr Schüler hebt sein Haupt ermahnend zu den vier Töchtern, aufzupassen. Frau Schüler legt ihren Arm durch Herrn Schülers Arm, die Söhne lüften die Hüte, der Vater den grauen Zylinder, die anderen Kinder stehen nebeneinander artig in Reih und Glied. Die ganze Familie Schüler ist in ihre besten Kleider gekleidet. Der Kaplan deutet auf die immer stärker und finsterer werdende drohende Wolke am westlichen Horizont.

Kaplan (als ob er zu sich selbst spräche, die Menge aber im Auge): Der Himmel hat sich verbündet mit Seiner Gnaden, dem Bischof – – (Er beginnt zu der Menge zu sprechen) Ich grüße euch, meine liebe Gemeinde in Christo, im Namen Seiner Gnaden, des Bischof Matthias zu Paderborn.

Enormer Donnerschlag rollt, wie ein böses Wunder, durch Gaesecke. Es ist Februar. Die Leute erschrecken.

Simeon (zu Julius): Monumental seine Gebärden!

Kaplan (öffnet ruhig und stark die Bulle, entrollt den Inhalt und beginnt zu lesen): Ich grüße euch mit sorgendem Herzen, meine vom Wege geratenen Schafe, und ermahne euch, Vernunft anzunehmen, nicht trotzig zu beharren in eurer Sünde dunklem Aberglauben! Noch ist es Zeit zur Reue und Buße, meine armen Kinderlein, um deren Seelenheil (der Kaplan erhebt den Finger ernst und drohend) ich, so schreibt der Bischof, unablässig schwere Sorge und Verantwortung im Herzen trage. (Kaplan blickt streng über die unzähligen Köpfe der Leute auf dem Marktplatz.) Wehe euch, eure böse Lust zu stillen, wenn auch nur in der Hölle eures Wunsches, am Feuertode unserer guten Schwestern aus dem alten Hause Israels. Vergesset nicht in eurem schwarzen Hasse, daß unser Heiland Jesus Christus selbst ein Jude war, dem Blute Davids entsprossen. Mit tausend Zungen werde ich dem Himmel jedes Frevlers Sünde verkünden, daß seine Seele brate bis zum Jüngsten Tag! Darum, meine armen verirrten Kinder, kehret in euch, waschet euch in der Reue unschuldiger Quelle. – Lasset ab, ihr schwarzgewordenen Schafe!! Lasset ab! Und jetzt zum dritten Male: Lasset ab von eurem Frevel um Jesu Christi willen, unserm Herrn! (Kleine Pause. Kaplan faltet die Hände, im bebenden Ton) »So habt ihr jetzt zwar Trauer, aber ich werde euch wiedersehen, euer Herz wird sich freuen, und eure Freude nimmt niemand von euch.«

»Et vos igitur nunc quidem tristitiam habetis, iterum autem videbo vos, et gaudebit cor vestrum: et gaudium vestrum nemo tollet a vobis!!!«

Es wird plötzlich so hell, daß der ganze katholische Kirchplatz wie im bengalischen Lichte steht, die Leute sinken in die Knie verzückt, weinen, jammern. Frau Schüler weint. Der Vater überwältigt. Er trocknet sich die Tropfen von der Stirn. Seine Kinder weinen alle.

Arthur Aronymus (zu Lenchen): Nu hör schon auf; Bernard hat doch recht, die Dora wollten sie doch braten.

Lenchen: Du hülst ja auch.

Tränen rinnen Arthur Aronymus über die Wange. Kaplan rollt die Urkunde ruhig zusammen und steckt sie in die Bulle; geht ernst, ohne sich umzublicken, streng bis zur Kirchentür und dann durch die Tür in die Kirche zurück. Es schallt zurück im dreifachen Echo, wie er sie zuschließt. Die Glocken läuten wieder. Etliche versuchen ihm vergebens in die Kirche nachzueilen. Nach und nach leert sich der Marktplatz. Ein Wirbelwind pfeift durch Gaesecke, es stürmt nun, Schnee und Hagel fällt, aber gesittet und andächtig ordnet sich die Menge zum Heimweg. Vater und Mutter sieht man mit den Kindern noch eine Weile hinter dem Marktplatz nach Hause schreiten.


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