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Viertes Bild

Auf dem katholischen Kirchplatz hinten steht die zweitürmige Kirche. Neben der Kirche ein kleines Gebäude, darin der Kaplan Bernard Michalski wohnt. Tannenbäume für das nahende Weihnachtsfest stehen auf dem Markt, ebenfalls kleine Buden mit Weihnachtsschmuck und allerhand Schulkinder tummeln sich und schlittern über den zugefrorenen Boden des Marktes. Sie tragen Ranzen auf den Rücken. Arme jüdische Männer aus Westfalen, unter ihnen der galizische Hausierer: Lämmle Zilinsky. Seine Hände hängen wie beim aufrechtstehenden Lamm herab. Die drei Jungen: Arthur Aronymus, Willy Himmel und der Caspar werfen ihre Schulranzen vom Rücken, ziehen Kreise und spielen Heuer (Murmeln).

Der Kaplan; der Hausierer: Lämmle Zilinsky aus Galizien; jüdische arme Männer aus Westfalen; der Christbaumverkäufer; Arthur Aronymus; Willy Himmel; Caspar; Fräulein Paderstein.

Willy: Wenn ich heute den dicken gewinne, kriegst du 'n aber nicht wieder, dat sag ich dir!

Caspar: Ob ihn dir die Fanny oder euer Lenchen geschenkt hat?

Arthur Aronymus: Ihr Köllner Hännesken!

Willy: Also wacker ens!

Alle drei stehen tief gebückt über dem Marktboden.

Caspar: Beinahe hätt eck ihn gewonnen –; (zu Willy) wat stößt du mich auch immer?

Willy (zeigt frech auf den armen Hausierer): Hepp! Hepp! Hepp!

Arthur Aronymus: Kiek ens, sinne Nase hat er vergessen zuzudrehn.

Caspar: Na, gibs Lammpfötchen, wacker!

Willy hebt sich vom Boden auf, tut so, als ob er dem Zilinsky einen seiner Heuer schenken will, zieht ihn dann neckend zurück.

Hausierer: Wös wollt ihr mir – lößt mich in Frieden!

Caspar: Hepp! Hepp! Hepp!

Alle: Hepp! Hepp! Hepp!

Willy: Nimm ding Schabbesdeckel vom Kopp!

Alle drei kreischen.

Hausierer: Was stört dich mein Hütle, meines – Du Dorfjüngele?

Die anderen armen Juden aus Westfalen (die dem Hausierer langsam gefolgt sind): Macht, daß ihr miserablen Bengels fortkommt, sonst kriegt ihr Ohrwatschen.

Die drei Jungens springen schnell zur Seite, strecken ihnen ihre Zungen raus, bemerken den Kaplan, der hinter einer Bude alles beobachtet und gehört hat. Sie rennen direkt dem Kaplan in die Arme. Er faßt sie alle drei.

Willy (verlegen): Der Jüd da hat uns doch gehauen, Herr Kaplan.

Kaplan: So?

Arthur Aronymus: Der Caspar wollte ihm nur seinen Heuer schenken.

Kaplan: Ach!! (Heimlich lächelnd) Das ist doch aber sehr undankbar von dem armen Hausierer – oder?

Caspar: Und dabei haben wir ihm guten Tag gewünscht. Er zwinkert seinen Freunden zu.

Kaplan: Also ihr habt ihm guten Tag gewünscht?

Arthur Aronymus: ... so ähnlich wie guten Tag.

Kaplan: Hm – Nun da bin ich aber begierig, was ihr drei ihm Ähnliches gewünscht habt? Nun?

Die Kinder (kleinlaut und verschüchtert): Hepp! Hepp! Hepp!

Kaplan: Allerdings das gab ihm keine Ursache, euch zu schlagen, denn wißt ihr was hepp! hepp! hepp! bedeutet? Er weist auf Arthur Aronymus.

Caspar: Der kann das doch nicht wissen.

Kaplan: Warum denn nicht?

Willy: Der ist selbst ein Jude.

Kaplan: Nun denn antwortet ihr beiden Jungen mir. (Sie sperren den Mund weit auf, wie zwei nichtsnutzige Spatzen.) Hepp! Hepp! Hepp! bedeutet für die Juden eine glückliche Botschaft, und zwar, daß Jerusalem nicht verloren ist.

Alle: Wir werden ihn nie mehr wieder ausschimpfen.

Kaplan: Und wißt ihr, in welchem Lande Jerusalem liegt? (Er wartet.) Im Gelobten Lande.

Alle drei verstellen sich, und zwar, als ob sie mit großem Interesse zuhörten.

Kaplan: Also, was versteht man unter hepp, hepp, Willy?

Willy besinnt sich, verdutzt.

Kaplan: Caspar, sag du es ihnen.

Caspar: Eben habe ich es noch gewußt.

Kaplan (zu Arthur Aronymus): Und du mein Sohn?

Arthur Aronymus (jäh): Gaesecke ist nicht perdu.

Kaplan (lächelt): Wenn ihr erst in meinen Unterricht kommt, dann sprechen wir über manche Dinge, die ihr zu begreifen mir noch zu kleine Taugenichtse scheint. Und nun nach Hause, fix, die Suppe wird sonst kalt.

Willy (leise zu Arthur Aronymus): Da geht ja ding Vatter.

Caspar (leise zu Willy): Und so staatsgemacht.

Arthur Aronymus (zum Kaplan): Unsere Zwillinge, die Metas, haben heute Geburtstag, und da essen wir erst um ein Uhr zu Mittag wegen Menachem.

Kaplan: So? –

Arthur Aronymus: Der kommt mit der Post aus Erwitte circa.

Willy und Caspar (zeigen auf Heinrich Menachem): Der ist sein ältester Bruder aus Schülers Garten und der ist (auf Arthur Aronymus zeigend) der Arthur Aronymus Schüler. Und minne Mutter sagt, ich darf mit ihm verkehren, weil er hellbraune Haare hat und Schrot im Leib.

Kaplan (glättet den Scheitel Arthur Aronymus'): Ich werde deine Mutter in diesen Tagen einmal besuchen, Willy. Sage ihr das, mein Junge.

Willy: Jawohl, Herr Kaplan.

Kaplan: Nun wollen wir mal artig mitsammen die heiligen Bäume anschauen, wer von ihnen der höchste ist? (Der Hausierer hatte sich noch vor dem Ende des Platzes von seinen Begleitern getrennt, um wieder umzukehren. Er erblickt den Kaplan, lüftet schüchtern seinen Hut. Der Kaplan reicht dem Hausierer die Hand. Des Kaplans Blick streift beobachtend die Kinder.) Nun, mein lieber Bruder, fühlst du dich auch wohl in unserem Dorf?

Willy (leise zu den Freunden): Heiliger Strohsack!!

Kaplan (lächelt, denn er hat die Bemerkung gehört): Oder hast du zu leiden durch den Unverstand unserer großen oder – gar kleinen Mitbürger?

Der Hausierer (rührend kindlich): Die Schulbübili, wenn se mich nur in Frieden lassen würden, gütigster Herr Kaplan. Ihre Gendarms meinten schon, wenn ich mer die Lockerl meine unterm Hut stecken tat und den langen Rock (er blickt an ihm herunter) vom Vater selig eintauschen tat für einen neumodischen Frack, dann hätt ich Ruh!

Kaplan: Wenn dir deine Tracht lieb ist, trag sie in Ehren weiter, Lämmle Zilinsky.

Hausierer: Wieso kennen Sie mich?

Kaplan: Ich werde doch (die Kinder im Auge haltend) so einen fleißigen Menschen, wie Sie sind, lieber Zilinsky, mit seinem Namen kennen.

Hausierer (verbirgt seine Rührung über das selten zu hörende Lob, mit niedergeschlagenen Augen): Herr Kaplan, ich muß Ihne sagen, ob Ses hören wollen oder nech, – immer hab ich eine heimliche Freud, wenn ich Sie sehen tu. Und daß Sie mer grad, armen Jid, so'n Lob zuteil werden lassen, hätt sich Zilinsky nech em Traum eingebild.

Mit Tränen in den Augen küßt er die Hand des Kaplans und geht schlicht, wie er gekommen ist, weiter des Weges.

Kaplan: Seht ihr Jungens, wie wenige der Worte es bedarf, einen Menschen zu erheben?

Die Jungens verlegen.

Caspar: Mutter und Vatter gehen jeden Sonntag schon um sechs Uhr in die Kirche.

Kaplan (zu Willy): Und deine liebe Mutter?

Willy (nickt und dann, auf Arthur Aronymus zeigend, etwas schadenfroh): Sein Herr Vater und seine Mutter sind – Semiten.

Kaplan (zu Arthur Aronymus): Du bist also der kleine Arthur Aronymus aus dem weiten Gutsgarten drüben? Und der wievielte zählst du unter den vielen Geschwistern?

Caspar: Der vierundzwanzigste.

Arthur Aronymus: So viel hab ich ja gar nicht!

Kaplan: Nun?

Arthur Aronymus: Der fünfzehnte Geschwister bin ich präzise, Bernard!

Kaplan: Wer hat dir denn verraten, daß der Herr Kaplan Bernard heißt?

Er schickt Willy und Caspar ermahnend nach Hause.

Arthur Aronymus: Meine Schwestern, die rufen immer, wenn Sie vorbeikommen: Kommt schnell!! Bernard kommt, Bernard kommt!!

Kaplan (geschmeichelt, er kann sich das Lachen kaum verbeißen): Das ehrt mich sehr, mein kleiner Arthur Aronymus.

Arthur Aronymus: Die Fanny namentlich. (Er ahmt ihr nach) »Ach warum ist der Kaplan gerade kein Jude?«

Kaplan: Ach!!

Arthur Aronymus (ahmt seiner Schwester Katharina nach): »Welch ein Malheur«, sagte da Katharina.

Kaplan: Ach!!

Arthur Aronymus: Und Elischen sagte, da sie gelehrt ist: »Fanny, wie unlogisch wieder einmal! Ein Jude kann doch kein Kaplan sein und kein Kaplan ein Jude.« Da sagte Fanny: »Schweige!« (Arthur Aronymus besinnt sich und schluckt fortwährend. Der Kaplan bedeckt sein Gesicht, sein Lachen zu verbergen.) »Wißt ihr«, sagte Fanny, »wie der Bernard aussieht?« Und alle sannen. Da sagte Fanny: »Er sieht aus wie der große Kurfürst Conradin von Hohenstaufen.« Da sagte Elischen: »Wie ungebildet, Fanny! Conradin war ein Ritter Kreuz und kein Kurfürst, denn er zog in den heiligen Krieg von 1680 bis 1725. Merke dir das, Schwester!«

Kaplan: Köstlich!

Er streichelt Arthur Aronymus' Scheitel.

Der Baumverkäufer: Die kleine Tanne im Topf (er hebt ihn empor) paßt gerade für des Herrn Kaplans Stübchen. Dem Herrn Kaplan für den hälften Preis?

Kaplan: Gott vergelts Euch, lieber Freund.

Verkäufer: Schülers Aronymus trägt sie Euch in Euer Stübchen. Hat das jüdische Kind am Christbäumchen mal Freud, wenigstens eine Strecke Wegs.

Arthur Aronymus hat es überhört.

Kaplan (nimmt das Tannenbäumchen an sich. Arthur Aronymus aber bemüht sich, ihm die kleine Tanne nach Hause zu tragen): Da steht sie ihm schon auf der Schulter.

Arthur Aronymus: Jetzt spielen wir Dienstmann.

Kaplan: Ist sie auch nicht zu schwer für dich?

Arthur: So een kleng Bömken wie meiner Mutter Gummipappel.

Kaplan im Begriff, Arthur Aronymus eine kleine Münze ins Täschchen zu stecken.

Arthur Aronymus: Nä, dafür nehm eck doch nix!

Kaplan: Ihr habt ja eine Menge Kinder. Hast du auch unter ihnen ein Lieblingsschwesterchen, wie ich eins habe?

Pause.

Arthur Aronymus: Kennen Sie unser Lenchen nicht? (Dem Kaplan anvertrauend) Die is meine Braut. Ich bin ja auch zwei ganze Jahre älter wie unser Lenchen. Lenchen ißt so gerne Marzipan. Darum besuchen wir beide in Lippstadt öfters Frau Sanitätsrat Grünbaum.

Kaplan (vertraulich wie er und im selben Tone): Aber merkt denn die Frau Sanitätsrat Grünbaum nicht, daß ihr beide nur des Marzipans wegen kommt?

Kaplan tut sehr interessiert; sie bleiben öfters stehen.

Arthur Aronymus: Im Gegenteil, sie ruft immer: »Na, das ist schön, daß ihr beide mich wieder besucht«, und dann sagt sie: »Mein Sohn hat mir auch wieder frisches Marzipan aus Königsberg geschickt.« Und wenn wir es aufgegessen haben, dann bleiben wir beide noch etwas stehen, weil ich und Lenchen Durst haben, bis sie sagt (sie imitierend): »Was macht denn eure Mutter?«

Kaplan fragend.

Arthur Aronymus (blickt treuherzig zum Kaplan auf): Kaffee, wenn Leute kommen.

Kaplan: Köstlich!

Fräulein Paderstein bleibt neugierig vor den beiden Nahenden auf dem Markte stehen, betrachtet sie durch ihr Lorgnon. Der Kaplan und Arthur Aronymus sind angelangt vor dem kleinen Kaplanhäuschen neben der Kirche. Seitwärts der Eingang. Der Kaplan hebt den kleinen Baum von Arthur Aronymus' Schulter.

Kaplan: Ein Stück Schokolade nimmst du doch vom Kaplan Bernard?

Arthur Aronymus bläst schrill auf seinem Metallpfeifchen und rennt davon.


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