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Achtes Bild

Mittags. Vor dem Kaplanhause steht Fanny an der Hecke des Gärtchens, auf den Kaplan wartend. Der Eingang des Hauses liegt seitwärts. Vis-à-vis: Prelis großer Weingarten zur Seite des Platzes. Der Kaplan kommt gerade aus der Kirche; seine Gemeinde sieht man andächtig über den Platz schreiten. Man hört noch etwas Musik der Orgel. Der Wanderbursche Nathanael Brennessel streicht um das Kaplanhaus herum. Warme Wintersonne scheint.

Fanny; der Kaplan; Brennessel.

Nathanael Brennessel (sagt, für den Kaplan vernehmbar, mit dem Gedanken, von dem mitfühlenden Kaplan eine kleine Gabe zu bekommen): Der Fuchs hat seinen Bau, der Vogel sein Nest, nur der Wanderbursch hat kein Ruhekissen, wo er sein Haupt legen kann, – sagte auch Herr Jesus. (Er sieht Fanny.) Ja, ja, ja. (Im Flötenton) Nur der Nathanael Brennessel hat kein Himmelbettchen, wo er süß drin schlummern tat.

Kaplan (überhört die letzten Worte mit Absicht, freundlich): Nur war der Heiland kein Wanderbursch, aber eben der Heiland.

Brennessel: Streifte er etwa nicht durch die Lande, mit Fürlaub?

Kaplan (erkennt die verlegene Fanny und tritt an sie heran): Jungfer Fanny, (etwas erschrocken) meinem kleinen Freund Arthur Aronymus ist doch nichts zugestoßen?

Fanny: Darum erlaubte ich mir, auf Sie zu warten, Herr Kaplan.

Kaplan: Um Himmelswillen!

Brennessel: Er stand doch eben noch im Fensterrahmen, quietschvergnügt, und wieherte mit einem Pferdchen in die Landschaft.

Fanny: Im Gegenteil, er weint, seitdem er gestern abend heimkam.

Kaplan: Um Himmelswillen. (Er öffnet die Haustür.) Wollen Jungfer Fanny mir nicht in meiner Behausung Näheres mitteilen? Zwar verlebt meine Hausfrau bei ihrer Tochter die Christtage.

Brennessel (für sich): Am Weihnachten stand man sich besser, kein Jud zu sein.

Kaplan (der es gehört hat): Ich wunderte mich schon, lieber Brennessel, da er nie zur Beichte kam.

Er legt ihm ein Geldstück in die Hand.

Brennessel: Da sagt man, die weißen Juden sind schlimmer als die unsrigen!

Fanny: Unser Großvater in Paderborn redete dem Ziegenbock (sie stockt im Sprechen) ein, er sei der Pan. Das hat er sich in den Kopf gesetzt.

Kaplan (ehrerbietig): Wenn ein so gottgefälliger Mensch wie der große Rabbuni also behauptet, wird es wohl stimmen, Jungfer Fanny.

Sie gehen beide ins Haus. Das Fenster ist geöffnet; man hört sie sprechen.

Fanny: Er kann sehr dreist werden, glauben Sie es mir nur, Herr Kaplan.

Kaplan (ironisch lächelnd): Das ist so die Eigenart des Pans – namentlich, wenn er gereizt wird. Er sagt das im Märchenton, wie man einem Kinde etwas erzählt.

Fanny: Sie sind ja himmlisch gut, Herr Kaplan.

Sie will seine Hand küssen.

Kaplan: Jungfer Fanny, wir leben doch nicht im Mittelalter. – Aber wir sind vom eigentlichen Thema abgekommen. (Verwirrt) Was ist mit meinem lieben kleinen Freund los? (Sie treten beide ans offene Fenster.)

Fanny (spricht wie auswendig gelernt): Schon gestern abend kam er nicht wie sonst mutwillig ins Haus die Treppe rauf gesprungen; ja, ganz benommen war er, selbst die Mutter konnte ihn nicht trösten.

Sie tut entsetzt.

Kaplan (dem ein Licht aufgeht): Ach?

Fanny: Nun läßt die Mutter höflichst Herrn Kaplan fragen, ob sich mein kleiner wilder Bruder vielleicht nicht geziemend betragen habe, Herr Kaplan, und im voraus um Excüs bitten.

Kaplan (überschaut klug immer tiefer die Situation und antwortet im gleichen konventionellen Ton): Jungfer Fanny, bestellen Sie Ihrer Frau Mutter gefälligst, mein kleiner Freund habe sich tadellos betragen, und nur in einem Versehen meinerseits könne eventuell die Ursache zu seiner Mißstimmung liegen.

Fanny: Das glaube ich Ihnen nie und nimmer, (plötzlich warm) Herr Kaplan Michalski.

Kaplan (rückt einen Stuhl ans Fenster): Darf ich bitten? Denn die Sonne scheint wie im Mai.

Fanny: Ich möchte Ihre schöne Weihnachtszeit nicht länger in Anspruch nehmen.

Kaplan: Aber den geschmückten Baum muß sich die verehrte Jungfer Fanny doch vorerst betrachten.

Fanny (wendet ihr Gesicht der Stube zu): Und wie er duftet!

Der Kaplan geht vom Fenster zurück, pflückt vom Baum ein Körbchen aus Schokolade und überreicht es Fanny.

Kaplan: Und die Freude meiner kleinen lieben Gäste, gestern abend. Warum haben Sie nicht Ihr mir so liebes Brüderchen begleitet, Jungfer Fanny?

Fanny wird sentimental. Draußen beginnt ein Orgelmann am Weg vor dem Platze das Hexenliedchen zu spielen: »Maria, Joseph, et läutet so heiß.« Der Kaplan lauscht erschrocken.

Fanny (halb für sich): Selbst heute –

Kaplan: Unfug! Ich werde den Mann zurechtweisen.

Er eilt aus der Stube über den Platz mit einer Geschwindigkeit wie ein großer Schuljunge. Fanny erhebt sich und blickt dem dahinsausenden Kaplan, weit aus dem Fenster gelehnt, nach. Der Orgelmann nimmt seine Orgel auf den Rücken und verschwindet in ein naheliegendes Haus. Der Kaplan kehrt lächelnd in die Stube zurück.

Kaplan: Excüs, Jungfer Fanny, hier heißt es ebenso schnell wie energisch handeln!

Fanny: Der Gendarmsergeant antwortete kürzlich dem Herrn Vater, der sich wegen des sträflichen Liedes beklagte: »Da müßten wir viele Kehlen umstimmen.«

Kaplan (Fanny beruhigend): Die verirrten Leute werden ihren Weg hoffentlich bald wiederfinden.

Fanny: Um unsere erkrankte Schwester ängstigen wir uns jeder heimlich im Hause, keiner wagts dem anderen zu gestehen. Und wir können Dorachen nur durch Zureden bewegen, im Garten spazieren zu gehen. Ich führe sie meist. Gestern rief so 'n Kerl durch die Hecke: »Du Hexken kommst nun auch ran!!«

Kaplan: Diese furchtbaren Rückfälle religiöser Verirrungen des Mittelalters.

Fanny (tut jetzt nur sentimental): Selbst heute, wo die Lichte brennen an den Zweigen.

Fanny wendet zum Weihnachtsbaum ihr Gesicht.

Kaplan: Macht es Ihnen wirklich Freude, ihn brennen zu sehen? Wir wollen das Fenster schließen und die Gardinen zuziehen, um ihn im lauteren Weihnachtsglanz zu schauen.

Fanny (überkommt eine liebende Angst, hält ihn zurück, das Fenster zu schließen): Die Leute werden meinen, – Sie – seien – verreist, – Herr Kaplan.

Kaplan (von Fannys zurückhaltender Mädchenhaftigkeit betroffen. Er bemüht sich, beherrscht zu antworten): Eine Lüge allerdings sollte man auch nicht vortäuschen! Meine Mutter zwar (er zeigt auf ihr Bild) würde sagen: »Der Bernard wird ins Traumland gereist sein.«

Er zündet die Lichte an. Fanny bebt vor Erwartung.

Kaplan (kehrt zur Fanny ans erste Fenster zurück): Jungfer Fanny, (er wendet sich wieder zum Christbaum um, ebenfalls Fanny) selig die, welche ihr Leben hängen an kindliche Freuden. (Fanny begreift nicht recht.) Nun stehen wir vor dem heiligen Licht der Welt, Jungfer Fanny – Sie – Fanny, wie eine Braut Christi.

Fanny verlegen.

Kaplan: Jungfer Fanny (er betastet ihre Hand), das Licht vereinigt – (er stockt) alle Herzen –

Fanny bebt vor Seligkeit.

Kaplan (wieder gefaßt): – wie gestern die pochenden der Kinder sich reihten neben das meine.

Fanny: Sie predigten einmal, Christus sei das Licht der Welt.

Kaplan (gespannt): Kamen Sie mal in meine Predigt, Jungfer Fanny?

Fanny (verlegen): Zum Schluß.

Kaplan: Fürchteten Sie, daß, wenn jemand Sie gesehen hätte, außer unserm Heiland –?

Fanny: Unser Großvater lebte noch –

Kaplan (sie zu überführen gedenkend): Mich dünkt, der große Rabbiner war doch ein toleranter Mensch. Jesus, unser Herr, hätte ihn geliebt.

Fanny (nach einiger Überlegung, rührend): Herr Kaplan, ich habe keinen Wortschatz.

Kaplan (geht wieder ans zweite Fenster, bläst die Lichte aus am Baum. Kehrt dann zu Fanny wieder zurück. Er zeigt auf die Eberesche im Vorgärtchen): Der ist mein ständiger Weihnachtsbaum, der mich beseligt. Noch hängen Dolden von Beeren an seinen Zweigen, Jungfer Fanny. War ich ein Dichter und kein Kaplan, – ich würde Sie vor der lieblichen Eberesche besingen, Jungfer Fanny.

Fanny (überrascht): Davon stehen viele, viele zwischen den Nadelbäumen bei uns. (Sie benutzt die Gelegenheit, den Kaplan einzuladen.) Wollen Sie sie sich nicht einmal ansehen?

Kaplan: Ich habe nur diese einzige Braut. Sehen Sie, Jungfer Fanny, diese Eberesche ist meine Vertraute, ja, meine Geliebte. Unter ihren Zweigen sitze ich noch im späten Herbst und träume (spielend mit Fannys Gefühlen) von der Welt, (Fanny betrachtend) – der ich entsagte.

Fanny: Herr Kaplan –

Kaplan: Betrachten Sie nur im Oktober ihr leuchtendes Korallengeschmeide, Jungfer Fanny.

Fanny weint vor Erregung.

Kaplan (spielt mit ihren Gefühlen, im Grunde, sich zu retten): Um die beneiden Sie doch nicht etwa die liebe Eberesche?

Fanny verblüfft.

Kaplan (fast zärtlich, aber beherrscht): Und dabei blüht sie ganz allein, besitzt gar kein Schwesterlein und Brüderlein, die sie betreuen kann. Wenn ich den großen Gutsgarten passiere in der Abendstunde im Sommer und Sie und die Geschwister alle auf dem weiten Rasen sitzen oder Blindekuh spielen, denke ich mir, welche schöne Aufgabe für die älteren Geschwister, die jüngeren zu betreuen.

Fanny (wieder gefaßt und etwas ärgerlich): Jetzt sprachen Sie wirklich wie mein Vater.

Kaplan (lacht ganz laut): Alter schützt vor Torheit.

Fanny: Daß gerade Ihre Wahl (Fanny ist abgekühlt) auf den wilden Bengel fiel – das begreift der Vater nie und nimmer.

Kaplan: Und die Frau Mutter?

Fanny: Ihr Abgott ist der Junge doch. Ich mag ihn ja auch ganz gern. (Konventionell kokett) Hätt mich doch auch mal jemand lieb. (Pause)

Kaplan: Ach, ich vermutete, die Jungfer Fanny hätts dem Dr. Faust angetan?

Er sieht hinüber seitwärts in den Prellschen Weingarten.

Fanny: Hm – hm, der affige Mensch! – Kennen Sie ihn?

Kaplan: Ich kann doch nicht alle die Doktoren Faust kennen. (Pause) – Im Oktober schon (er deutet wieder träumerisch auf die Eberesche) stand meine liebe Eberesche ganz im Feuerkleid. Sie war meine keusche Göttin, meine fromme, glühende Schwester – und ich warte nun auf des nächsten Jahres scheidenden Monat, der sie wieder für mich schmückt.

Fanny (erhebt sich; sie beugt ihren Kopf vor dem Kaplan, sagt leise zu ihm, indem sie ihm die Hand reicht): Herr Kaplan –

Kaplan: Fanny!


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