Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Bild

Im kleinen Sitzungsraum des Landesrabbiners Uriel von Rheinland und Westfalen. Ein langer, schwerer Tisch, um ihn hohe Stühle. Auf einem der Stühle sitzt der Rabbi in sich versunken, mit dem Rücken zu der Türe, die zu seiner Privatstube führt. Auf dem Tisch steht der Sabbathleuchter mit brennenden Kerzen. An der Wand hängt ein sehr großes Familienbild seiner Tochter Henriette mit ihrem Gatten und den sämtlichen Kindern: dreiundzwanzig.

Der Rabbi; Ephraim, sein Diener; Arthur Aronymus; Lenchen; der Todesengel.

Ephraim (tritt von der angrenzenden Wohnstube in den kleinen Sitzungsraum. Man sieht, bevor er die Türe schließt, die beiden Kinder zwischen Sitzungsraum und Stube stehen. Ephraim ermahnt sie, zurück in die Stube zu gehen): Großväterlein ist gleich wieder auf der Erden. Esset artig in der Zeit euren Grießbrei! (Er schließt leise die Tür, tritt nah an den Rabbi heran. Er ist sehr erschrocken über des Rabbis Blässe.) Die lange Unterhaltung nach dem Gottesdienste hat den Rabbi angestrengt. (Kleine Pause; Ephraim bemerkt mit Erstaunen eine verschwindende Gestalt.) Ich ließ den Bettler nicht herein. (Ohne die Tür zu öffnen, verschwindet die Gestalt, als ob sie durch das Holz der Tür tritt, aus dem Raum.) Sch'ma.

Rabbi: Er war kein Bettler, Ephraim, er war der Todesbote des Ewigen.

Ephraim (erstarrt): Sch'ma Jisroel –

Er eilt in das Nebengemach des Rabbis, und man hört verschwommen, wie die Kinder fragen.

Die Kinder: Ist Großväterlein schon wieder auf der Erden?

Ephraim tritt wieder in den Sitzungsraum.

Rabbi: Sahst du ihn auch, den Todesboten des Herrn, Ephraim?

Ephraim (benommen): Dein Diener Ephraim – träumte –

Rabbi: Du warst mir mehr wie mein Diener, mein Ephraim mein, und nur aus Schonung für den treuen Freund verheimlichte ich, (er streichelt die Hände Ephraims) was geschah.

Ephraim lauscht ganz hingegeben.

Rabbi (verklärt und stark zu gleicher Zeit): Wir kamen aus dem Parlament, als mir der Ewige den Todesengel sandte.

Ephraim: Frühzeitig verließen wir das weiße, große Haus: der Landesrabbiner von Rheinland und Westfalen und sein Diener.

Rabbi: Und nahmen unser schlichtes Mahl; doch als es dunkelte, hülltest du, mein treuer Freund, liebreich des Rabbis Leib in Feierseide; glättetest der weißen Gewandung fromme Haut.

Ephraim lächelt und küßt den Saum des Gebetstuches des Rabbis.

Rabbi (wiegt den Oberkörper hingebend): Herr Zebaoth forderte von seinem Knecht den Liebling unter seinen Enkeln –

Ephraim (erhebt sich tief erschrocken, öffnet behutsam die Tür zur angrenzenden Stube und sagt zu den Kindern leise): Großväterlein ist gleich wieder auf der Erden.

Rabbi: Mit der geliebtesten, lebendigen Gabe gedachte der Herr seines Knechtes opferwilliges Herz in Israel zu prüfen.

Ephraim hält seine Arme behütend erhoben.

Rabbi: Und all mein Flehen, sich mit seines Knechtes Seele zu begnügen – erbarme dich Zebaoth!! – glitt ab von der Majestät des Herrn wie der Staub von seines dunklen Engels Flügelpaar. (Plötzlich erhebt sich der Rabbi mit gewaltiger Gebärde.) Da betrog ich den Ewigen, unsern Gott! (Ephraim entsetzt.) Ich pries in glühender Ekstase von den Enkeln den Kränklichen dem Heiligen Engel, den Sechsten unter den Dreiundzwanzig, dessen Seele, ein Sommerfädchen, zart geknüpft an unsere Erdenwelt, doch von jedem Wehen in den Lüften angefeindet, dem Dasein schon zu entzittern droht.

Ephraim (angstvoll und schüchtern): Gab sich der Bote des Herrn zufrieden, Rabbi?

Rabbi: Sein schwerer Flügelschlag erschreckte mich, dein Rabbi bebte –

Ephraim (hält beide Hände weit gespreizt von sich): Und?

Rabbi: Er zeihete mich des Betrugs an Adonai!

Ephraim (gläubig): Nur der Teufel wagt es, den Rabbi des Betrugs zu zeihen. Der Teufel wars, auf Engelsfittichen.

Rabbi: Auch du, Ephraim, glaubst an diese unwürdige Macht! (Ephraim küßt reuevoll die Hand des Rabbis.)

Ephraim: Ich kämpfte mit dem greisen Engel in Rätseln den Rest der Nacht.

Ephraim (spricht wie in einer Ballade): Darum bluteten des Rabbis Lippen in der Frühe.

Rabbi (schließt die Augen überwältigt, angedenkens der Stunde): Ich feilschte mit Ihm; – der Rabbi des geschlagenen Israels, ein Menschenhändler mit dem Käufer!: »Genüge dich an meiner Seele, wirf die Gequälte in die Scheol. Doch pflücke die lachende rote Beere, noch unschuldig und ungegoren am Zweige heiter pochend, von meinem Stamme nicht.«

Ephraim: Amen.

Kleine Pause.

Rabbi (flehend): Nimm meinen erstgeborenen Enkel für den Knaben hin, Menachem, den gottesfürchtigen Landmann! Bescheide dich mit Simeon Morderchei! Nimm Julius Ahasveros! Nimm Fanny, die Blume der westfälischen Flur –! Nimm Katharina, ihres Vaters Stolz! Nimm Elise! Berthold, den frischen Jüngling! Nimm Ferdinand! Nimm Dora, die noch halbwüchsige Maid! Augustus! Eleonore! Albert! Bettina! Margarete nimm!! Nimm die Zwillinge, zwei Mandelkerne zum Verwechseln in ihrer goldenen Hülle! Nimm!!! Das sanfte Lenchen, trag es hin zu Gott! Nimm Karl! Max, des Vaters Augapfel! – Bescheide dich mit Meierlein! Ja, nimm von seiner Mutter Schoß das kleinste Kindlein, eben geboren, – (dringender, fast aufschreiend) nur lasse ab von ihm, Arthur Aronymus, dem Liebling meines Herzens! –

Ephraim trocknet die feuchten Augen und Wangen seines Rabbis.

Arthur Aronymus (aus der Nebenstube): Großväterlein!

Er trampelt etwas ungeduldig.

Lenchen: Großväterlein!

Ephraim (beglückt über das plötzliche Aufleuchten seines Rabbis): Die beiden warens, die da schlummerten im Synagogentempel.

Der Todesengel ist für den Rabbi ganz kurz sichtbar. Er beugt sich über ihn, steht hinter seinem Stuhl. Über des Rabbis Antlitz schimmert eine Beseligung, denn der Engel flüsterte dem Rabbi eine selige Botschaft ins Ohr.

Ephraim: Sie werden ihr Großväterlein zerstreuen.

Rabbi (noch trunken von den Worten des Engels): Wie? –

Ephraim: Die Kinder!

Rabbi (lächelt matt, klatscht leise in die Hände, die Kinder springen in den Sitzungsraum, der Rabbi beugt sich sehr ermattet über die Kinder): Wo kommt ihr her?

Arthur Aronymus (im singenden Tone wie der Rabbi): Von Hexengaesecke!

Lenchen (im selben Tone): Von Hexengaesecke!

Rabbi: Und eure liebe Mutter?

Arthur Aronymus (fröhlich): Wir setzten uns mit Hut und Rock, hühott, zum Postillone auf den Bock.

Rabbi (liebkost die Kinder): Ihr kleinen Ausreißer!

Arthur Aronymus: Großväterlein!

Lenchen: Großväterleinlein!

Ephraim setzt die Kinder auf des Rabbis rechtes und linkes Knie.

Rabbi: Und eure liebe Mutter, weiß sie von eurer Reise?

Arthur Aronymus (ausflüchtend): Mutter sagt: Paß auf, auf Lenchen!

Rabbi (zu Ephraim): Frag du die Kinder.

Des Rabbis Kopf sinkt müde in den Sessel zurück.

Ephraim (betonend): Paßt fleißig auf, was euch Ephraim fragt: Weiß euer Mütterlein, daß ihr in der Postkutsche von Gaesecke nach Paderborn gereist seid zum Großväterlein Rabbi?

Arthur Aronymus: Es war so hell!

Rabbi (etwas ungeduldig): Weiß euer Mütterchen davon?

Ephraim: Wer sandte euch?

Rabbi (aufatmend): Der Allmächtige – noch einmal seinen Knecht mit dem Anblick des Knaben zu erfreuen.

Ephraim verneigt sich tief.

Arthur Aronymus (sich aus der ernsten, seltsamen Situation zu befreien, imitiert er seinen Vater): Der Herr Vater sagte zur Mutter: Der Rabbi in Paderborn verdirbt an seiner Erziehung an einem Tage mehr, wie ich mir Mühe gebe, ihn zu einem Menschen zu machen schon acht Jahre lang.

Rabbi und Ephraim lächeln.

Ephraim (zum Rabbi): Er fürchtet, sein Großväterlein sende ihn mit dem Schwesterlein wieder heim nach Gaesecke. Ist es so Arthur Aronymus?

Arthur Aronymus (frisch): Präzise.

Rabbi: Ihr Ausreißer, ihr!

Küßt die beiden Kinder und wiegt sie müde auf den Knien.

Arthur Aronymus (umhalst den Rabbi stürmisch, ebenfalls Lenchen den Großvater): Wir wollten Großväterlein was von der Dora fragen. Ist sie wirklich eine Hexe?

Rabbi (gequält): Wer sagte das euch?

Arthur und Lenchen: Sie soll verbrannt werden.

Rabbi: Sch'ma Jisroel! – Und eure Mutter verheimlichte mir diese ungeheure Gefahr?

Ephraim (zu sich selbst): Es regnet wahrlich Feuer heute auf den Rabbi.

Rabbi (zu Ephraim): Und nun verstehe ich den kleinen mutigen Reisenden, meinen Liebling Arthur Aronymus, was ihn zum Großväterlein drängte.

Arthur Aronymus (sehr drollig): Eigentlich weil et so jemütlich bi deck is, wie beem Vatter Abraham.

Er umarmt wiederum stürmisch den Rabbi. Rabbi und Ephraim lächeln.

Lenchen: Die Dora hat 'nen Veitstanz.

Rabbi (leise zu Ephraim): Eine verbreitete Entwicklungskrankheit.

Arthur Aronymus: Ach, ömmer de Dora!

Ephraim (mißtrauisch): Ob der Wildfang nicht gar versuchte, nur Großväterlein einen kleinen Streich zu spielen mit der Hexerei?

Rabbi: So alt und besonnen ist er doch, bei all seiner Streichlust, um zu wissen, daß diese Schmerzenskunde Großväterleins Herz und Nieren zerreißen könnte!

Arthur Aronymus (fängt laut an zu heulen): Die Hexen sitten alleman op dän Tierhecken in die Neit. Auf dem Kalb sitzt immer eine ganz dicke mit Glotzaugen, ich hab se selber Lenchen gezeigt, wat Lenchen?

Lenchen (nickt bedeutungsvoll): So eine dicke.

Sie zieht einen Kreis in der Luft.

Arthur Aronymus: Und auf dem Hirsch sitten oft zwei bis drei Stück zusammen und fressen sein Blattgeweih auf.

Beide Kinder stürmisch lachend.

Lenchen: Und Großväterleinlein, auf dem großen Hahn aus Rotdorn hat doch in der Früh, als ich mich mit Arthur Aronymus auf den Weg zur Postkutsche machte, eine Hexe gesessen, die hat gewackelt wie unsere Dora.

Rabbi (zu Ephraim): Wie dieser Aberglaube die Phantasie der Kinder vergiftet! (Zu sich selbst) Und Matthias legte der Verirrung keine Bedeutung bei?

Ephraim (seinen Rabbi zu zerstreuen, zu Arthur Aronymus): Aber verbrochen hat der kleine Schelm doch sicher etwas im Gutshause? (Zu Lenchen) Erzähle du's dem Großväterleinlein und dem Ephraim.

Lenchen (blickt fragend auf Arthur Aronymus): Er springt immer mit dem Lehm an den Schuhen in Mutter ihre Stube und plums in ihren Nähkorb, daß die Garne nur so rieseln.

Ephraim: Und was noch?

Lenchen: Und einen Turm für uns beide hat Arthur Aronymus gebaut und ihn auf das Blumenbrett vor seinem Fenster gestellt.

Arthur Aronymus: Denn später will ich Lenchen freien, daß sie nicht an einen gelehrten Mann kommt.

Lenchen: Und als der Herr Vater vorbeikam, fiel ihm ein Klotz hoch von oben auf seinen frisch gebürsteten –

Arthur Aronymus: Schornstein!

Lenchen: Da bekam er von Herrn Vater eine Strafarbeit. Hundertmal sollte er schreiben: »Ich bitte den Herrn Vater um Excüs!« Und das war ihm zu langweilig!

Ephraim: Und da seid ihr beide ausgerückt, ihr zwei Schelme!

Rabbi (zu Ephraim): Es geschah nach dem Willen des Herrn.

Arthur Aronymus: Präzise! Und später wohnen ich und Lenchen in meinem Turm in den Wolken – und regnen immer!

Ephraim: Lasset die Kindlein nicht mehr von Euch fort, Abba.

Hinter dem hohen Stuhl des Rabbi ist der Todesengel für den Rabbi wieder sichtbar. Die Augen des Rabbi stehen plötzlich fern. Er preßt den Knaben an sich und segnet ihn.

Arthur Aronymus (sich aus dem Ernst der Handlung zu befreien, springt in die Mitte des Zimmers auf den Teppich, Lenchen hinter ihm her. Sie fassen sich an die Hände, bilden einen kleinen Kreis, hüpfen und tanzen und singen das Hexenliedchen): Maria, Josef, et läutet so heiß – – usw.

Rabbi bewegt über dieses Lied.

Ephraim im Begriff, die Kinder zu hindern, weiterzusingen.

Rabbi (leise): Störe sie nicht. Auch das Böse dient dem Kinde zur Anmut des Spieles.

Ephraim: Ich lege sie beide in der Wohnstube aufs Kanapee schlafen.

Rabbi: Vorher reiche mir unsere teure Thora.

Ephraim entnimmt einem Fach der Wand die Thora.

Rabbi (lächelnd): Wie meinte Kern? Dem »Urkind« – – – – das ewige Kind. (Der Rabbi umschlingt innig die Thora.) Allmächtiger Gott, so wie ich deine Thora betreue, lasse leuchten dein Angesicht über Arthur Aronymus, meinem Liebling.

Arthur Aronymus bemerkt den Todesengel, den er vorher schon unbewußt beim Spiel hinter dem Stuhl seines Großväterleins erblickte; er reißt sich jäh von der Hand Ephraims los, bleibt gehemmt vor der Türe des Sitzungssaals stehen, mit geöffneten Lippen – –

Ephraim (ahnungslos zu den Kindern, auf den Rabbi weisend, der die Augen geschlossen hält): Nun stört euer Großväterlein nicht in seinem Schlummer!

Alle drei gehen in die Wohnstube.

Rabbi: Herr Zebaoth hat seinen Knecht erhört – – –

Der Rabbi ist gestorben.


 << zurück weiter >>