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Maja Råd

Wir freuen uns immer, wenn Maja Råd bei uns zum Nähen eintrifft, denn das ist sehr unterhaltend.

Zweimal im Jahr bekommen wir neue Kleider. In jedem Frühjahr ein baumwollenes Kleid und in jedem Herbst ein wollenes. Alle unsere baumwollenen Kleider werden aus eigengewobenem Stoff angefertigt, und Mutter ist es, die das Garn und die Farben zugerichtet, die Muster ersonnen und den Webstuhl aufgezogen hat; denn darin ist Mutter ein Meister. Als wir noch klein waren, hat Mutter auch alle unsere Kleider selbst genäht, aber nachdem wir groß geworden sind, getraut sich Mutter das nicht mehr, sondern Maja Råd muß zu uns kommen und helfen.

Maja Råd näht immer in der Küchenstube bei Tante Lovisa drinnen, und das gefällt der Tante sehr gut, denn dann hat sie den ganzen Tag Gesellschaft und vergißt an das zu denken, was widerwärtig ist. Wenn Maja Råd da ist, sitzt auch Mutter in der Küchenstube und hilft nähen, und wir andern, Aline Laurell und Anna und Emma Laurell und Gerda und ich, sitzen dabei. Gerda ist noch so sehr klein, sie näht nur Puppenkleider, aber das macht sie so gut, daß Maja Råd sagt, Gerda werde gewiß eine Meisterin im Nähen werden. Anna ist auch tüchtig im Nähen, aber Emma Laurell und ich, wir sind richtige Stümper, die die rechte und die linke Seite des Stoffs nicht unterscheiden können, und so dürfen wir nur solche Sachen tun, die nicht schwierig sind, wie zum Beispiel Rockbahnen zusammensetzen oder Einfaßlitzen annähen.

Aber Emma und ich finden es doch sehr vergnüglich, wenn Maja Råd da ist, denn dann brauchen wir nicht zu lernen und zu rechnen.

Wenn Maja Råd da ist, wird ein großer Klapptisch in die Küchenstube gestellt; darauf legt Maja Råd die Stoffballen und schneidet zu. Maja Råd schneidet niemals verkehrt oder schief, und sie legt immer die rechte und die linke Seite richtig aufeinander; denn sie ist eine richtige Schneiderin, die bei einem Schneider in die Lehre gegangen ist.

Maja Råd hält sich eine deutsche Modenzeitung, die »Der Bazar« heißt und jeden Monat einmal erscheint. Wir Kinder betrachten diese Zeitung jeden Tag, solange Maja Råd da ist, und wir versuchen es, die allerschönsten Modelle herauszusuchen, nach denen unsere baumwollenen und wollenen Kleider genäht werden sollen. Maja Råd aber meint, wir sollten etwas einfachere Kleider wählen. Sie sagt, man dürfe nicht erwarten, daß ein Kleid, wenn es genäht ist, so schön werde, wie man es in der Zeitung gezeichnet sieht.

Maja Råd kann nicht Deutsch und wir andern ebenfalls nicht, denn Aline Laurell kann nur französisch, und das ist die einzige Sprache, die sie uns gelehrt hat. Wir können natürlich nicht begreifen, wie Maja Råd sich mit dem deutschen Modejournal abfindet, und daß wir das sagen, wir, die wir so gelehrt seien, und jeden einzigen Tag nichts anderes täten als lernen, das gefällt Maja Råd.

Maja Råd ist immer gut angezogen und glatt gekämmt, aber ihr Haar ist so dünn, daß die weiße Kopfhaut zwischen den Haarsträhnen hervorschimmert. Auf der Stirn hat sie lauter kleine Runzeln dicht nebeneinander, und sie hat auch das ganze Jahr hindurch Sommersprossen. Wir haben auch Sommersprossen, die im Frühjahr erscheinen und im Herbst wieder verschwinden, aber die von Maja Råd verschwinden nie. Sie trägt eine Krinoline, obgleich alle andern Menschen die Krinoline abgelegt haben, und ich frage mich, ob es eine besondere Eigenschaft von Maja Råd ist, daß sie sich nie verändern kann. Sie kann sich nie von dem trennen, was sie sich einmal angeschafft hat, sie kann weder die Sommersprossen noch die Krinoline ablegen.

Manchmal, wenn ich Maja Råd betrachte, frage ich mich auch, ob sie nicht aus Holz gemacht ist. Denn sie ist sehr trocken. Ich glaube, wenn sich Maja Råd mit einer Nadel stechen würde, käme kein Blut heraus. Manchmal wünsche ich geradezu, daß sie sich steche, damit ich sehen kann, ob sie nicht aus Holz gemacht ist.

Wir fragen Maja Råd öfters, ob sie sich denn nicht eine Nähmaschine anschaffen wolle; aber sie sagt, das werde sie nie tun. Nein, niemals, so lange sie noch eine Nadel einfädeln könne.

Maja Råd näht nicht mit einem Fingerhut, sondern mit so einem Fingerring, wie die Schneider sie gebrauchen. Es war ja auch ein Schneider, bei dem sie in die Lehre gegangen ist. Sie näht furchtbar schnell, niemand, weder Mutter noch Tante Lovisa noch Aline, können mit Maja Råd um die Wette nähen.

Maja Råd bekommt einen Reichstaler am Tag, und wenn ihr bei den Röcken und Ärmeln tüchtig geholfen wird, kann sie jeden Tag ein Kleid fertig machen. Auf diese Weise bekommen wir unsere Kleider für je einen Reichstaler genäht, und das kommt uns außerordentlich billig vor.

Die Leibchen näht Maja Råd immer selbst, denn das ist das wichtigste Stück. Es muß einen Rücken und zwei Achselstücke und zwei Seitenteile und zwei Vorderteile haben, und auf den Vorderteilen müssen zwei Brustzwickel sein, die so ganz besonders schwierig zu machen sind.

Alle Leibchen müssen ganz glatt und gleichmäßig anliegen, nirgends darf sich eine Falte zeigen. Und das ist gerade das schwierige; aber das kann Maja Råd. Und das ist es auch, was, wie Maja Råd meint, Gerda lernen kann; aber von mir und Emma Laurell sagt sie gerade heraus, sie glaube nun und nimmer, daß wir je ein richtiges Leibchen zustande bringen würden.

Maja Råd steht jeden Morgen um sechs Uhr auf, und sobald sie angezogen ist, setzt sie sich hin und näht. Sie näht den ganzen Tag hindurch bis zum Nachtessen. Nie macht sie einen Spaziergang. Wir versuchen sie zwar zu überreden, mit uns hinauszugehen, aber sie dreht stets eiligst wieder um. Sie sagt, sie wolle für das Geld etwas leisten und nicht auf der Landstraße herumlaufen. Aber wir glauben, sie sagt das nur, weil sie nichts anderes als immerfort nähen mag.

Maja Råd näht auch auf Gårdsjö und bei Noreens und bei Nilssons in Visteberg und bei Pastor Lindegrens. Dort bekommt auch jedes Kind im Frühjahr ein baumwollenes und im Herbst ein wollenes Kleid. Maja Råd hat also vollauf zu tun.

Maja Råd klatscht niemals, und das ist sehr gut. Im Beisein von Maja Råd kann man über die andern Herrschaften im Bezirk sagen, was man will; es wird niemals weitergetragen. Nur das sagt Maja Råd, wenn sie von alldem, was die Herrschaft auf dem einen Gut über die auf dem andern Gut sagt, reden wollte, dann wäre es für alle Zeit aus mit der Freundschaft. Deshalb ist es sehr gut, daß Maja Råd schweigen kann.

Wenn Maja Råd auf Mårbacka ist, bringt die Haushälterin jeden Tag um elf Uhr Kaffee für die Großen. Wir Kinder trinken keinen Kaffee, sondern jedes bekommt ein Butterbrot.

Und während Maja Råd Kaffee trinkt, berichtet sie Neuigkeiten. Denn Maja Råd weiß alles, und solche Dinge, die keinen Schaden anrichten, erzählt sie gerne. Sie erzählt, wer sich verheiratet und wer eine Gesellschaft halten wird und wer gestorben ist und wer nach Amerika auswandern will.

Und wenn Maja Råd so lange bei uns gewesen ist, daß alle Gesprächsgegenstände erschöpft sind, holt Gerda ihr »Buch der hundert Rätsel«, das sie zu Weihnachten bekommen hat, und dann gibt sie Maja Råd und uns andern Rätsel auf.

»Maja Råd, weißt du, wer geht und geht und doch niemals die Tür erreicht?«

Und das weiß Maja Råd natürlich ebensogut wie wir andern alle, aber sie sagt immer, sie wisse es nicht, damit Gerda glücklich ist. Niemals kann sie auch nur ein einziges von Gerdas Rätseln erraten, obgleich sie die Lösung zweimal im Jahr hört, und in der Küchenstube wird aus vollem Halse gelacht, weil Maja Råd so dumm ist.

Maja Råd hat uns auch von sich erzählt. Als sie noch klein war, wußte sie nicht, wie sie das Kleidernähen erlernen könnte. Aber das war ihr einziger heißer Wunsch. Sie wollte nicht wie ihre andern Geschwister das Vieh hüten, und sie wollte auch nicht kochen oder Fußböden scheuern oder Butter rühren oder Brot backen, sie wollte nur nähen.

Als sie dann erwachsen war, hatte sie keine Lust, auf den Tanzboden zu gehen oder sich zu verheiraten, und sie wollte auch keine Kinder haben. Sie wünschte sich nichts weiter, als das Kleidernähen zu lernen, damit sie Näherin werden könnte.

Sie bat ihre Mutter, doch mit ihr zu den Mamsellen Myrin zu gehen, die neben der Kirche wohnten und in allen Arten von Handarbeiten sehr geschickt waren. Aber als Maja Råd zu diesen kam, sagten sie, es sei ganz unmöglich, daß ein armes Kätnerkind etwas so Schweres und Großartiges wie Kleidernähen erlernen könnte.

Da mußte Maja Råd es machen wie alle andern auch. Sie mußte als Hirtin auf die Weide hinaus, sie mußte in der Dunggrube stehen und Dung aufladen, sie mußte Essen kochen, und sie mußte mit dem Vieh auf die Alm steigen.

Aber gerade, als Maja Råd alle Hoffnung aufgegeben hatte, je eine Kleidernäherin zu werden, geschah etwas Merkwürdiges. Maja Råds Schwester heiratete einen Korporal, der Schneider war. Und als der Schwager hörte, daß es Maja Råds höchster Wunsch war, eine Näherin zu werden, da erbot er sich, sie in die Lehre zu nehmen. Er zeigte ihr, wie sie Maß nehmen und wie sie Muster auswählen und zuschneiden, wie sie anprobieren und wie sie Knopflöcher machen müsse; und alles andere, was sie noch wissen mußte, sagte er ihr auch.

Und als Maja Råd bei ihrem Schwager ausgelernt hatte, nähte sie zuerst Kleider für Kinder und junge Bauernmädchen, denn bei diesen nahm man es nicht so genau, obgleich Maja Råd sich immer alle Mühe gab, alles so gut wie möglich zu machen.

Und vom ersten Augenblick an ging alles gut für sie, und schließlich war sie so berühmt, daß das Stubenmädchen von Mårbacka zu ihr kam und ein Kleid für sich bei ihr bestellte. Dieses Kleid nähte Maja Råd so schön, wie es ihr nur möglich war. Glücklicherweise sah dann unsere Mutter dieses Kleid, und darauf bestellte sie Maja Råd zu uns nach Mårbacka. Und von Mårbacka kam sie nach Gårdsjö, und von Gårdsjö nach Herrestad, und von Herrestad nach Visteberg und nach Halla. Und nicht ohne guten Grund wird sie auch von den Herrschaften in Sunne sowie von denen in Ransäter aufgefordert, zu ihnen zum Nähen zu kommen.

Mir gefällt es besonders gut, wenn Maja Råd erzählt, wie sie endlich nach einer so langen Wartezeit das Nähen lernen durfte, und dadurch befreit wurde, Wasser zu tragen und Fußböden zu scheuern und Dung aufzuladen. Jetzt braucht Maja Råd nie mehr etwas anderes zu tun, als das, was ihr am meisten Freude macht.

Ich lese auch sehr gerne die Geschichte von Christina Nilsson, die einstmals mit der Geige auf den Jahrmärkten herumwanderte und den Leuten aufspielte, später aber in der Großen Oper in Paris singen durfte.

Erst kürzlich hab' ich gelesen, wie die Studenten in Neuyork die Pferde von ihrem Wagen ausspannten und die große Sängerin selbst nach ihrem Hotel zurückfuhren. Darüber wurde ich so gerührt, daß mir die Tränen in die Augen traten.

Ich werde immer tief gerührt, wenn ich von solchen höre, die es schwer gehabt haben, denen es aber später gut gegangen ist.


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