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Herrestad

Wir freuen uns ganz außerordentlich, wenn wir nach Herrestad fahren und Onkel Noreen und Tante Emilie und Adolf und Hedwig und Arvid und Erika und Emilia besuchen dürfen. Wir auf Mårbacka sind nicht mit den Noreens verwandt, aber diese sind Verwandte unserer Verwandten auf Gårdsjö, und das ist ja fast dasselbe.

Herrestad kommt uns fast ebenso vornehm vor wie Gårdsjö. Denn das Haus ist auch weiß angestrichen, und es hat auch einen Oberstock und ein Schieferdach und einen Salon, wo man spielen und tanzen kann, wenn man Gäste hat. Aber auf Herrestad ist kein Hüttenwerk, es ist nur ein gewöhnliches Gut wie Mårbacka.

Und Herrestad liegt am Frykensee, das finden wir besonders schön. Denn der Frykensee ist ein sehr großer See, ein so großer, daß er sowohl in dem Geographiebuch als auch auf der Karte verzeichnet ist. Der Frykensee ist acht Meilen lang, und zu der Zeit, wo er sprechen konnte, pflegte er zu sagen: »Meßt meine Länge, dann wißt ihr meine Tiefe!« Der Frykensee ist also ein richtiger See.

Auf Herrestad gibt es einen großen Kiefernwald, und es ist sehr vergnüglich, darin umherzugehen. Die Wege sind von den vielen Nadeln, die darauf liegen, überaus glatt. Man glitscht auf ihnen aus wie auf Eis, und das ist sehr lustig. Im Park gibt es auch große kahle Steinblöcke, von denen man furchtbar gut herunterrutschen kann, wie auf einer kleinen Holzrutsche.

Und im Park hat Onkel Noreen einen Pavillon errichten lassen, der richtige Fenster mit Glasscheiben und Tapeten an den Wänden hat. Und wir durften dabei sein, als er eingeweiht wurde. Und er hatte einen überaus schönen Fußboden von schmalen kurzen Brettern, die schräg gegeneinander gelegt waren, man meinte, man wandle auf Wogen hin und her, und man fürchtete sich ordentlich, darauf zu tanzen. Und Onkel Noreen hatte ein Gedicht verfaßt, das er bei der Einweihung vorlas, denn er kann Reden halten und Gedichte machen und Erik XIV. spielen.

Es ist sehr lustig, daß Emilie Noreen, das jüngste von allen Kindern auf Herrestad, auch Erik XIV. spielen kann. Da läuft sie im Kreis herum und schüttelt ihr krauses Haar, denn sie soll ja wahnsinnig sein. »Der Wald ruft meinen Namen!« sagt sie. »Der Wald ruft meinen Namen! Aber woher weiß er ihn?« Und sie sagt es mit ganz dumpfer Stimme, damit wir Angst bekommen. Sie ist aber so klein und so reizend, daß wir nur lachen.

Gewiß hat Onkel Noreen selbst sie Erik XIV. spielen gelehrt, denn er spielt mit seinen Kindern und ist sehr nett mit ihnen, gerade wie unser Vater auch.

Im Park auf Herrestad ist ein Felsenloch, das ganz senkrechte Wände hat und das Bärenloch genannt wird, weil einmal ein Bär da hineingefallen ist und nicht mehr heraufklettern konnte. Wir pflegen uns am Rande des Lochs unter eine große Kiefer zu setzen, und dann tun wir, wie wenn der Bär noch in der Tiefe drunten wäre. Wir hören, wie er brummt und heraufzuklettern versucht, und wie seine Klauen an der Felsenwand kratzen, wenn er wieder herunterrutscht.

Auf Herrestad wachsen die Brombeeren wild, und das ist auch eine Merkwürdigkeit, weil sonst nirgends im ganzen Kirchspiel Brombeeren wachsen. Ich glaube, daß der Bär, der in das Bärenloch hinuntergefallen ist, gerade Brombeeren suchen wollte; denn sie schmecken ganz ausgezeichnet.

Und ich liebe Herrestad, weil dort so viel Merkwürdiges passiert ist.

Einmal wohnte eine alte Frau dort, die niemals auszugehen wagte, weil sie Angst hatte, die Dohlen würden sie auffressen. Und einmal wohnte eine junge Frau da, die war so unglücklich, daß sie viele Stunden lang drunten am Ufer saß und sich das Leben nehmen wollte. Und es gibt ein Zimmer da, das heißt das »Blaue Kabinett«; da drinnen hat einmal ein junges Mädchen am Fenster gesessen und hat da sehen müssen, wie ihr Bräutigam im Frykensee ertrank. Ich stelle mich manchmal an das Fenster und sehe dann immer den Frykensee mit Eis bedeckt, und auf dem Eis kommt ein junger Herr auf Schlittschuhen dahergelaufen, und plötzlich öffnet sich dicht vor ihm ein großer Spalt im Eis. Dann aber wende ich mich ab, denn ich will nichts mehr sehen.

Einmal saßen einige Herren – ich glaube es waren Onkel Schenson und Ingenieur Warberg und Pastor Unger und natürlich auch mein Vater – auf der Veranda in Mårbacka und redeten darüber, welches das beste Gut im Kirchspiel sei, Gårdsjö oder Herrestad.

Mein Vater hörte eine Weile still zu, dann aber fragte er, ob sie denn Mårbacka ganz vergessen hätten. Vielleicht sei Mårbacka, wenn man alles in allem nehme, ebensogut wie die beiden andern.

Die Gäste verstummten und wurden ein wenig verlegen; aber dann sagte Tante Schenson: »Ja, Bruder Erik Gustav, es ist wahr, du hast sehr viel in Mårbacka hineingesteckt, du hast es vergrößert und bewirtschaftest es ausgezeichnet. Aber du begreifst, es kann eben doch nicht verglichen werden mit ...«

»O ja,« erwidert Vater, »Gårdsjö ist ein Hüttenwerk, und Herrestad ist das schönste Besitztum im Frykental, das weiß ich wohl. Aber könnt ihr mir dann erklären, woher es kommt, daß Gårdsjö und auch Herrestad beständig den Besitzer wechseln? So weit ich zurückdenken kann, sind diese beiden Güter immerfort gekauft und verkauft worden. Aber Mårbacka ist von dem Tag an, wo Menschen sich zuerst hier niedergelassen haben, nicht mehr verkauft, sondern nur immer vererbt worden.«

»Ja, Bruder Erik Gustav, mit dem, was du da sagst, hast du nicht so unrecht,« sagte Onkel Schenson. »Es ist wirklich etwas daran. Wenn man nur allein die Behaglichkeit mit in Rechnung ziehen wollte, dann ...«


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