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Der Pfarrhof

Es war an einem Abend im November, wo die Tage kurz sind und die Nächte niemals ein Ende zu nehmen scheinen.

In der ganzen Umgebung des Pfarrhofs von Algeröd herrschte Ruhe und Stille und ebenso auf dem Pfarrhof selbst. Die Pferde waren von der Arbeit heimgekommen und standen schon im Stall. Die Kühe waren gemolken und die Hühner auf ihre Sitzstangen hinausgeflogen.

Im Brauhaus, oder richtiger gesagt, in der kleinen Kammer innerhalb des Brauhauses, saß an diesem stillen Abend Lotte Hedman bei ihren Berechnungen. Sie hatte die Bibel vor sich samt Feder, Tinte und Papier und stellte gründliche Forschungen in dem ihr so lieben Buch der Offenbarung an.

In der Küche des großen Wohnhauses hatte man das Feuer im Herd ausgehen lassen; die Köchin und das Hausmädchen saßen an der Nähmaschine und versuchten, einer Bluse, die die Näherin verschnitten hatte, doch noch eine ordentliche Form zu geben. In der Gesindestube aber dehnte und streckte sich der Knecht auf einer Bank und wartete auf das Abendessen.

Der Pfarrer selbst saß in seinem Arbeitszimmer, aber nicht am Schreibtisch, sondern in einem Schaukelstuhl, der in einer Ecke stand. Er hatte eine Lampe neben sich und las in einer Zeitung. Wenn er die Augen hob, konnte er ins nächste Zimmer sehen, wo seine Frau sich auf einem kleinen Schemel vor dem Ofen niedergelassen hatte. Sie stützte das Kinn auf die Hände und schaute in das brennende Holzfeuer.

Neben Sigrun saß der kranke Amtsrichter, den die Pfarrleute als Pensionär bei sich aufgenommen hatten, um damit ihrer großen Armut, in die sie seit der Übersiedlung in diese magere Pfarrei im Gebirge geraten waren, etwas abzuhelfen. Der Amtsrichter war ein fünfzigjähriger Mann, der bisher immer nur sein Leben genossen hatte. Jetzt aber war er unter Vormundschaft gestellt und in diese Einöde verbannt worden, damit er das Wenige, was er an Geld und Gesundheit noch übrig hatte, nicht auch noch verschwendete.

Dem Amtsrichter war wohl anzumerken, daß er einmal einen Schlaganfall gehabt hatte, denn sein Gesicht war ein wenig schief, und das linke Augenlid hing übers Auge herab und ging nicht mehr recht in die Höhe; aber dessenungeachtet war der Amtsrichter eine schöne Erscheinung mit strammer Haltung. Er benahm sich äußerst weltgewandt, hatte große Reisen gemacht und war ein kluger, unterhaltender Mann.

Jetzt hatte er sich einen Lehnstuhl ans Feuer gezogen und erzählte Sigrun, wie es in der Fremde, in der weiten Welt, die Sigrun nie gesehen hatte und nie sehen würde, aussah. Ach, sie war ja in einem kleinen, armseligen schwedischen Pfarrhof begraben!

Sigrun war mit ihren eigenen Gedanken und unruhigen Wünschen beschäftigt und ließ den Redestrom über sich hinbrausen. Sie wünschte, sie hätte der Erzählung ordentlich folgen können. Das würde ihre eigene angstvolle Sehnsucht verscheucht haben; aber sie vermochte es nicht.

Der Pfarrer hob mitunter den Kopf und betrachtete die beiden von dem Zimmer aus, wo er saß. Und wenn er aufhorchte, konnte er hören, daß von den großen Städten in den Ländern die Rede war, wo der Krieg jetzt am schlimmsten raste. Und er dachte, Sigrun sei wirklich sehr geduldig, weil sie es fertig brachte, dieses endlose Geschwätz anzuhören.

Draußen im Brauhaus bei Lotta Hedman hatte mittlerweile die Stallmagd die Milchgeschirre mit heißem Wasser ausgespült; damit war ihre Arbeit getan, und da nun das Brauhaus an diesem Tage nicht mehr benutzt wurde, siedelte Lotta mit ihrer Lampe, ihrem Tisch und ihrer Bibel dahin über. Vor den großen, schwarzen Herd mit seinen riesigen eingemauerten Kesseln zog Lotta geblümte Kattunvorhänge, die alles Schwarze und Verräucherte verdeckten, und nun sah das Brauhaus fast aus wie ein Wohnzimmer.

Lotta hatte einen bequemen Korbstuhl für sich, aber sie holte noch einen zweiten aus ihrem Zimmer und stellte ihn neben den Tisch. Denn Lotta war es gewohnt, daß Sigrun zu ihr herauskam und einen Teil des langen Abends mit ihr verplauderte. Mitunter kam auch der im Hause einquartierte Amtsrichter herüber, saß lange bei ihr und brachte sie dazu, von Sigrun zu sprechen, ja manchmal erschien sogar auch der Pfarrer, neckte sie wohl ein wenig und fragte sie, ob sie sich jetzt über das Buch mit den sieben Siegeln und das herrliche tausendjährige Reich klar geworden sei.

Der Pfarrer und seine Frau hatten Lotta Hedman angeboten, bei ihnen zu bleiben und die Hühner und andere kleine Haustiere zu versorgen, hatten ihr indes gleich gesagt, sie müsse sich damit begnügen, im Brauhaus zu wohnen. Lotta war mit Freuden auf diesen Vorschlag eingegangen. Sigrun hatte selbst die Brauhausstube tapeziert und Vorhänge für sie dort aufgesteckt. Lotta hatte ihre Sachen aus Stenbroträsk kommen lassen, sie kochte sich selbst und war dadurch von den anderen Leuten auf dem Hof unabhängig. Abends stand ihr dann das ganze Brauhaus zur Verfügung. Dann dachte sie, nun habe sie wahrhaftig einen richtigen Saal für sich, in dem man sogar tanzen könnte.

Ungefähr zur selben Zeit, als an jenem Abend Lotta aus ihrem Stübchen ins Brauhaus übersiedelte, verließ der Knecht die Gesindestube und ging in die Küche, um mit jemand plaudern zu können. Auch die Stallmagd war dorthin gekommen. Und nun begannen sie in der Küche über die Herrschaft zu sprechen und sich zu fragen, ob der Pfarrer nicht sehe, daß der Amtsrichter in seine Frau verliebt sei.

»Er soll doch früher fürchterlich eifersüchtig gewesen sein,« sagte die Stallmagd, »und er ist nur hierher gezogen, damit sie mit keinem anderen als mit ihm zusammenkommt. Aber daß der Amtsrichter in sie verliebt ist, darum kümmert er sich nicht.«

»Er denkt wohl, es lohne sich nicht,« entgegnete der Knecht. »Ein so alter, vom Schlag getroffener Mann!«

Vor dem Feuer in der guten Stube saß indessen der kranke Amtsrichter wie vorher. Aber er sprach jetzt nicht mehr, sondern hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und saß in Gedanken versunken da.

Er wußte, Sigrun hörte nicht auf das, was er ihr erzählte. Wovon sollte er nur sprechen, um sie zu zwingen, auf ihn zu horchen?

Er hatte mit ihr über das Leben in der großen Welt draußen gesprochen und von der Rolle, die die schönen Frauen dort spielen. Er hatte erklärt, sie seien es, die einen mit dem Dasein aussöhnten. Ja, er hatte behauptet, die Männer würden gut und fügsam, sobald sie der Schönheit in Gestalt eines jungen Weibes begegneten. Und dann hatte er zu Sigrun gesagt, wer dieses Gottesgeschenk der Schönheit habe, müsse es als seine Pflicht betrachten, sie heilend, versöhnend, verbessernd auf die Menschen wirken zu lassen.

Doch er wußte kaum, ob Sigrun überhaupt ein Wort von dem, was er gesagt, gehört hatte.

Wenn ihr Mann anwesend war, fiel es ihm leichter, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dann sprach er nie mit ihr, sondern nur mit ihm.

Und er war überzeugt, daß er sie dann zwang, Vergleiche anzustellen zwischen ihm, dem erfahrenen Weltmann, und dem einfachen Pfarrer, Vergleiche zwischen einem Manne, der wichtige Ereignisse erlebt hatte und mit bedeutenden Menschen zusammengetroffen war, und einem anderen Mann, der sich in einer Einöde vergrub, der nicht studierte, nicht vorwärts strebte, sondern immer mehr auf die Stufe eines gewöhnlichen, einfachen Landpfarrers herabsank.

Der Pfarrer verachtete ihn, das wußte er wohl, denn er wurde von ihm oft spöttisch und unduldsam behandelt. Er ertrug es indes mit großer Geduld, weil er wußte, daß nichts diesen Mann in den Augen seiner Frau mehr heruntersetzte, als wenn er sich taktlos und ohne Zartgefühl benahm.

Nachdem der Amtsrichter einige Minuten still dagesessen hatte, begann er, wie das ja während des Weltkriegs nahe lag, vom Roten Kreuz und seinem Gründer, von dessen Organisation und von den großen Taten der tapferen Krankenpflegerinnen des Roten Kreuzes im Kriege zu sprechen.

Jetzt wurde die schöne Frau neben ihm aufmerksam, das merkte er sofort, jawohl, sie riß sich von ihren eigenen Gedanken los und hörte ihm zu.

Und in demselben Augenblick, wo der Amtsrichter von dem Roten Kreuz zu sprechen anfing, schaute Lotta Hedman von ihrer Bibel auf. Ihre Gedanken waren aufgeregt, und sie konnte sie nicht bei dem Studium festhalten. – »Ich möchte nur wissen, ob Sigrun ihren Mann nicht mehr lieb hat,« dachte sie. »Sie spricht fast nie von ihm. Die Dienstboten sagen, er quäle sie mit seiner Eifersucht. Aber so viel ist sicher, damit tut er ihr unrecht. Denn wenn sie ihn auch nicht mehr liebt, so hat sie gewiß auch keinen anderen lieb.«

Über Lottas sorgenvolles Gesicht flog ein flüchtiges Lächeln.

»Mag dieser alte, kranke Amtsrichter sich noch so sehr an sie heranmachen,« dachte sie, »das tut nichts, denn sie fragt nach niemand. Aber ein Unglück ist's doch, wenn man so schön ist wie Sigrun,« schloß sie. »Da hast du es ruhiger, Lotta.«

Sie richtete den Blick auf die Bibel und versuchte, nicht mehr an Sigrun zu denken. – »Ach, es wird ihr doch nichts zustoßen, weil ich so besorgt bin!« flüsterte sie vor sich hin.

Der Pfarrer saß noch immer in seinem Zimmer und las bei seiner Lampe. Ein Mal ums andere hatte er seinen Blick auf die beiden am Feuer gerichtet und sie mit größter Ruhe und Gleichgültigkeit dort sitzen sehen, und auch die beiden dachten ohne die geringste Sorge daran, daß er sie von seinem Platz aus sehen könnte. Aber plötzlich bemerkte er eine Veränderung. Er hätte unmöglich sagen können, worin diese bestand. Vielleicht hatte die Stimme des Sprechenden einen lauteren, wärmeren Klang bekommen, vielleicht hatte die junge Frau ihre Stellung verändert. Jedenfalls legte der Pfarrer die Zeitung weg, stand auf, und während er alle seine Sinne anspannte, beugte er sich vor und beobachtete die beiden im nächsten Zimmer.

Der Fremde erzählte immer noch von den Krankenpflegerinnen und den Werken der Barmherzigkeit während des Kriegs. Als er eine Weile gesprochen hatte, sah er, wie eine Träne über die Wange der jungen Frau rollte und in ihren Schoß fiel, dort eine Sekunde lang hellglänzend liegen blieb und dann verschwand; und hierauf folgte leise Träne auf Träne.

Noch lange erzählte der Amtsrichter weiter, ohne anscheinend Sigruns Bewegung zu bemerken, doch plötzlich beugte er sich so weit vor, daß er sie fast berührte.

»So, das ist's, was Sie möchten! Das ist's, wonach Sie sich sehnen!« sagte er. »Sie möchten mit da draußen sein.«

Sie faltete die Hände und streckte sie ihm entgegen.

»Sollte ich mich nicht von ganzer Seele danach sehnen?« rief sie. »Ist es nicht entsetzlich, hier so behaglich dahinzuleben und nichts zu tun?«

»Aber Sie könnten sich doch wohl losmachen?«

»Es wäre ja nicht gerade ein Unrecht,« sagte die junge Frau und streckte noch immer die gefalteten Hände dem hin, mit dem sie sprach. »Könnte ich nicht wenigstens eine kurze Zeit frei werden? Ich bin ja doch ein Mensch. Ich muß ein einziges Mal selbst über mich bestimmen können.«

Der kranke Mann ergriff ihre Hände und zog diese an sich. – »Natürlich, Sie haben Ihr Recht auf das Leben genau wie wir anderen!« erwiderte er.

In diesem Augenblick vernahmen sie Schritte hinter sich, sie sahen ein verstörtes Gesicht unter der Tür des Arbeitszimmers und schrieen beide laut auf vor Entsetzen. Der Pfarrer kam auf sie zugestürzt, so fürchterlich erregt, daß jede Möglichkeit einer Erklärung ausgeschlossen war.

Der Amtsrichter schien die Besinnung vollständig zu verlieren. Er kauerte sich in seinem Stuhl zusammen, ohne sich zu rühren, aber Sigrun warf sich ihrem Mann entgegen, um ihn aufzuhalten.

»Laufen Sie so schnell Sie können davon!« rief sie zugleich. Und nun setzte sich der Amtsrichter wirklich in Bewegung, er eilte auf die Tür zu, während sie selbst ihren Mann einen Augenblick festhielt.

»Aber Eduard, was ist denn? Was hast du nur?« fragte sie.

Er gab keine Antwort, sondern schleuderte sie auf die Seite. Sie fiel zu Boden, verletzte sich an einer Tischecke und blieb liegen; aber der Pfarrer stürzte, ohne sich um sie zu kümmern, hinter dem Fliehenden her, hinaus auf den Flur, die Treppe hinab, über den Hof.

Lotta Hedman, die im Brauhaus noch immer vor ihrer Bibel saß, hörte plötzlich lautes Geschrei, Türenzuschlagen und flüchtige Schritte. Sie stand schnell auf, öffnete die Brauhaustür und schaute hinaus. Zwei Männer eilten an ihr vorbei über den Hof und verschwanden im Dunkel der Nacht.

Während Lotta noch ganz entsetzt unter der Brauhaustür stand und auf die verhallenden Schritte lauschte, waren der Knecht und die Mägde in der Küche, die auch das Türenzuschlagen und die lauten Rufe gehört hatten, von ihren Plätzen aufgesprungen. Gleich darauf sahen sie die Pfarrfrau mit zerzausten Haaren, in einem unordentlich sitzenden Kleid und mit einer blutenden Wunde an der Schläfe zu sich hereinwanken. Alle wollten auf sie zueilen, aber sie hielt sie mit einer ungeduldigen Handbewegung zurück.

»Kümmert euch nicht um mich!« befahl sie. »Lauft lieber Eduard und dem anderen nach! Lauft rasch und nehmt euch um sie an, damit nicht einer den anderen totschlägt!«

Und als die vier ruhig stehen blieben, ohne in ihrer Bestürzung zu tun, was sie befohlen hatte, brach sie in ein heftiges Geschrei aus.

»Warum steht ihr noch da und seht mich an! Lauft ihnen doch nach, damit nicht einer den anderen totschlägt!«

Da machte sich der Knecht auf den Weg, und die Stallmagd, die groß und stark war, begleitete ihn; die anderen zwei aber blieben in der Küche zurück, um sich ihrer Herrin anzunehmen.

Sie stellten ihr einen Stuhl hin und baten sie, sich zu setzen, denn sie wankte so heftig, wie wenn der Küchenboden unter ihr schwankte.

Jetzt aber waren ihre Kräfte zu Ende, und sie fing wie ein Kind zu jammern an.

»Bringt mich zu Lotta Hedman!« sagte sie. »Bringt mich zu Lotta Hedman!«

So stützten denn die Mädchen ihre Herrin auf beiden Seiten und führten sie quer über den Hof ins Brauhaus.

Lotta Hedman, die noch unter der Tür des Brauhauses stand, sah sie daherkommen; sie eilte Sigrun entgegen und führte sie zu dem Korbstuhl, der schon den ganzen Abend dagestanden und auf sie gewartet hatte.

»Und ich habe nichts Böses getan, Lotta,« sagte Sigrun, »nicht das geringste Unrecht. Wir plauderten nur ganz ruhig miteinander; er saß im nächsten Zimmer, und dann fiel er über uns her.«

Plötzlich wurde sie totenbleich und verlor beinahe das Bewußtsein; aber Lotta bespritzte sie mit Wasser, und da erholte sie sich rasch.

Dann wusch Lotta Sigruns Wunde aus, und sie sah, daß diese weder tief noch gefährlich war, aber was sie sehr erschreckte, war, daß Sigrun nicht ganz bei Sinnen zu sein schien. Sie sprach unaufhörlich und wiederholte beständig ein und dasselbe. Ihre Stimme war kreischend und hart und ganz und gar nicht sanft wie sonst.

Sie wollte offenbar Lotta erzählen, wie alles zugegangen sei, konnte jedoch nur immer dasselbe wiederholen.

»Und ich habe nichts Böses getan. Wir plauderten nur ganz ruhig miteinander; er saß im nächsten Zimmer, und dann fiel er über uns her.«

Sie zitterte und bebte und schaute mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen von einem zum andern.

»Ich habe nichts Böses getan, Lotta. Wir plauderten nur ganz ruhig miteinander; er saß im nächsten Zimmer, und dann fiel er über uns her.«

»Ach, das weiß ich recht gut, Sigrun, daß du nichts Böses getan hast,« sagte Lotta und duzte sie wie in früheren Tagen.

»Du verstehst doch, Lotta,« begann Sigrun aufs neue. »Ich habe nichts ...«

Lotta versuchte sie zu unterbrechen.

»Ich fürchte, du wirst krank, Sigrun,« sagte sie. »Wir wollen Malin bitten, dein Bett zurechtzumachen, damit du dich niederlegen kannst.«

Als Lotta dies sagte, hörte Sigruns Redestrom plötzlich auf.

»Nein, nicht dort! Ich gehe nie mehr zu ihm zurück,« sagte die Kranke ganz kurz und deutlich.

»Aber liebstes Kind!« entgegnete Lotta. »Das ist doch nicht dein Ernst?«

»Ich will hier bleiben, Lotta,« sagte Sigrun. »Und ich will mich in dein Bett legen. Ich weiß, ich werde krank. Da will ich an einem Platz liegen, wo ich mich geborgen fühle.«

Gleich darauf begann sie wieder mit ihrem:

»Ich habe nichts Böses getan. Wir plauderten nur ganz ruhig miteinander; er saß im nächsten Zimmer, und dann fiel er über uns her.«

Dabei sah sie die anderen mit verstörten Augen an, gleich als wundere sie sich, warum sie nicht mit Teilnahme zuhörten.

Lotta beriet sich leise mit den beiden Dienstmädchen. Sie hielten es für das beste, sich den Wünschen der verängstigten Hausfrau zu fügen. Rasch lief das Hausmädchen in das große Wohnhaus und kam mit Bettüchern, Kissen und Decken zurück. Und nun begann Sigrun sich schnell zu entkleiden. Sie hatten kaum das Bett in Ordnung bringen können, als sie auch schon bereit war, sich hineinzulegen.

Noch während sie ins Bett stieg, schrie sie so laut, daß man es über den ganzen Hof hören mußte: »Ich habe nichts Böses getan. Wir plauderten nur ganz ruhig miteinander; er saß im nächsten Zimmer, und dann fiel er über uns her.«

Als sie sich glücklich niedergelegt hatte, befahl sie Lotta Hedman mit ihrer gewohnten Stimme:

»Du darfst nicht zu Bett gehen, Lotta. Du mußt dort draußen am Tisch sitzen und in deiner Bibel lesen. Und du darfst mich von keinem Menschen auf der ganzen Welt von hier wegholen lassen.«

So geschah es. Lotta setzte sich vor ihre Bibel, und die Köchin und das Hausmädchen gingen ins Haus, um zu sehen, wie es dort stehe.

Gleich darauf kam eine von ihnen zurück und berichtete, es habe sich nichts von alledem ereignet, was man hätte befürchten können. Der Gast sei entkommen, der Pfarrer aber sei während der Verfolgung in einen Graben gestürzt, und man fürchte, er habe ein Bein gebrochen. Das sei schlimm genug, doch längst nicht das schlimmste, was hätte geschehen können.

Sigrun schrie noch immer laut ihre Erklärung; aber nachdem Lotta ihr mehrere Male versichert hatte, daß kein Kampf stattgefunden, schien sie sich zu beruhigen und schlummerte ein.


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