Manfred Kyber
Grotesken
Manfred Kyber

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Freundlichkeiten

Man sollte gar nicht glauben, wie leicht man sich unbeliebt machen kann. Ich habe zum Beispiel stets das tiefinnerliche, gar nicht zu unterdrückende Bedürfnis, den Leuten etwas recht Freundliches zu sagen, aber die Menschen erkennen es gar nicht an und verstehen offenbar nicht, wie höflich man gegen sie gewesen ist.

Einmal sitze ich mit einem guten Bekannten von mir im Gasthaus. Mein Bekannter erinnert seelisch an einen Pavian und körperlich an einen Orang-Utang, und zwar beides in einer so unmißverständlichen Weise, daß es wenig aufmerksam wirken würde, Eigenschaften zu übersehen, auf die er bei seiner Geburt doch offenbar großen Wert gelegt hatte.

Ich bewunderte ihn eine Zeitlang und sagte dann: »Wissen Sie, wenn Sie so dasitzen und die Zeitung mit beiden Händen halten, haben Sie doch etwas erstaunlich Menschenähnliches.«

Mein Bekannter bedachte sich einige Minuten, dann zahlte er, stand auf und ging, ohne mich zu grüßen, aus dem Gasthaus hinaus. Ich verstehe nicht, wie man eine Aeußerung, die ebensoviel warmes Interesse als eine wirklich beinahe die Schmeichelei streifende Anerkennung enthielt, so unverbindlich auffassen kann.

Ich mochte nicht allein am Tisch sitzen bleiben, umsomehr als es Abend geworden war und ich noch ein wenig spazieren gehen wollte. Ich trat auf die Straße und sah im Dunkel, wie zwei mir bekannte Damen von beträchtlichen Dimensionen aufeinander zusegelten und sich geräuschvoll begrüßten. Die eine hatte an Steuerbord einen Marktkorb, die andere an Backbord einen Pompadour. Ich beeilte mich, in dem Versuch mich vorbeizuretten, aber ich wurde bemerkt und verankert.

»Sie sehen uns wohl nicht?« fragte man mich scherzend, »woran dachten Sie denn, als Sie so an uns vorbeihuschen wollten.«

Katastrophen, die wie Backfische scherzen, sind mir peinlich, aber ich hatte durchaus das Gefühl, daß ich etwas Freundliches sagen müsse, damit man meine mißglückte Rettungsaktion nicht durchschaue.

»Ich dachte an einen berühmten und sehr schönen Roman,« sagte ich, ›Schiffe, die nachts sich begegnen.‹

Die eine Dame wandte sich steuerbord von mir ab, die andere backbord, als ob eine plötzliche Strömung sie von mir gerissen habe. Meinen Gruß erwiderten sie nicht mehr. Ich verstehe gar nicht, wie man einen Vergleich mit einem Werke der Poesie so wenig sympathisch aufnehmen kann. Was soll man einer Dame sonst sagen, wenn nicht gerade etwas aus dem Reiche der Poesie, das doch dem weiblichen Geschlecht, wenigstens seiner eigenen Behauptung nach, so ähnlich sein soll?

Eine ebenso unglückliche Erfahrung wie mit der Poesie habe ich mit der Natur gemacht, die doch auch dem weiblichen Geschlecht, wenigstens seiner eigenen Behauptung nach, in ihrer Schönheit und Reinheit so nahe sein soll.

Einmal fragte mich eine Dame, als ich nach längerem Landaufenthalt wieder in die Stadt kam, ob ich es denn nicht allzu einsam gehabt habe.

»Nein,« sagte ich, »ich habe mich mit Katzen und Hunden unterhalten.«

Der Ausdruck der Dame bekam einen Beigeschmack. Nein, nicht einen Beigeschmack, das ist zu viel gesagt, aber einen Stich.

»Nun ja, Sie sind eben ein Dichter,« sagte sie mit lächelnder Nachsicht, »aber solche Unterhaltung ist doch keine Konversation. Haben Sie die Konversation nicht vermißt, die Sie sonst in der Gesellschaft haben?«

»Nein,« sagte ich, »Konversation habe ich den ganzen Tag gehört.«

»Von wem denn?« fragte die Dame und machte Augen, die um einen Grad runder und dafür um einen Grad dümmer aussahen als sonst.

»Von einer Ziege,« sagte ich freundlich. Um nichts in der Welt hätte ich die Dame so enttäuschen wollen, daß sie mich bedauert hätte, keine Konversation gehabt zu haben.

»Was sagt denn eine Ziege den ganzen Tag?« fragte die Dame.

»Määääähhh . . . . .« sagte ich.

»Aber das ist doch keine Konversation!« sagte die Dame empört.

»Das ist ganz dasselbe,« sagte ich, »haben Sie schon jemals etwas anderes in großen Gesellschaften gehört?«

Also, was soll ich noch sagen, die Dame, die ich um jeden Preis in freundlichster Weise trösten wollte darüber, daß ich am Ende gesellschaftlich irgendwie etwas vermißt habe, bekam einen Gesichtsausdruck, der nicht nur einen Stich, sondern richtig einen Beigeschmack hatte. Sie gab mir ganz gleichgültig die Hand und hat mich nie wieder nach meinem Leben in der Natur gefragt. Dabei verstehe ich garnicht, was sie gerade gegen die Ziege haben konnte, die ein völlig harmloses Tier ist und den ganzen Tag genau wie ein richtiger Gesellschaftsmensch Määääähh sagt. Es ist wirklich sehr schwer, es den Leuten recht zu machen, besonders wenn man, wie ich, das tiefinnerliche und garnicht zu unterdrückende Bedürfnis hat, ihnen irgend etwas Freundliches zu sagen. Ich denke mir, die Frauen stehen der Natur doch sehr nahe, aber vielleicht wollen sie ihr nicht so nahestehen?

Ich beschloß künftig das innigere und mehr persönliche Verhältnis, das ich zur Poesie und Natur habe, nicht mehr zu berühren, sondern mich in einem objektiven, streng wissenschaftlichen Rahmen zu halten. Aber auch damit hatte ich kein Glück. Es war bei einem Abendessen, meine Tischdame sah mich schmachtend an und fragte mit einem Augenaufschlag, der dem Hochziehen von Jalousien gleichkam: »Ach, was ist der Mensch?«

Früher hätte ich etwas gesagt, was persönlicher gewesen wäre, hätte nach Vergleichen gesucht mehr innerlicher Art, so zwischen Kreuzotter und Pute, aber ich hatte beschlossen, kalt und sachlich zu bleiben. Die Menschen wollen es nun einmal nicht anders.

»Der Mensch läuft in Futteralen herum und innen ist er hohl,« sagte ich, »er sammelt sich zu gewissen Zeiten an gewissen Orten, um seinen Hohlraum zu füllen und wenn er ihn gefüllt hat, geht er abends nach Hause, zieht sein Tagesfutteral aus und legt sich in sein Nachtfutteral.«

Meine Tischnachbarin sah mich mit einem Ausdruck an, den ich am besten dahin kennzeichnen könnte, daß er mir zur Hebung meines Selbstbewußtseins als ungeeignet erschien. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß sie mich für verrückt hielt. Aber Frauen pflegen auch auf Verrückte ihre Reize in gleicher Güte auszustrahlen, wie auf geistig Gesunde, vielleicht weil sie meinen, daß der Prozeß, den sie erstreben, hier schon an sich erreicht ist.

»Bin ich auch hohl?« fragte sie mit süßer Stimme, ließ die Rolläden über den Augen verschämt herunter und zog sie dann wieder hoch, um mich mit dem sogenannten tiefen Blick anzusehen, dem ich nichts weiter entnehmen konnte, als daß er zum Wahrnehmen von Gegenständen durchaus ausreichend sein müsse.

»Gewiß sind Sie hohl,« sagte ich, »wo sind denn die beiden Teller Suppe geblieben, die Sie verschluckt haben?«

Meine Tischnachbarin muß sich nachher wenig anerkennend über mich zu der Dame des Hauses geäußert haben, denn diese fragte mich beim Abschied, ob ich mich nicht gelangweilt habe.

Jetzt beschloß ich, den wissenschaftlichen Boden wieder zu verlassen und wie immer tiefinnerlich freundlich zu sein.

»Es war heute viel weniger langweilig, als das vorige Mal,« sagte ich und drückte ihr herzlich die Hand.

Die Dame hat mich nicht wieder eingeladen und ich kann nur annehmen, daß meine Tischnachbarin daran schuld ist, denn der Dame des Hauses habe ich doch noch zum Schluß eine Freundlichkeit gesagt.

Ich beschloß, garnicht mehr auszugehen und den Leuten überhaupt keine Liebenswürdigkeiten mehr zu sagen. Aber es half mir nichts. Nachdem ich eine Woche zu Hause gesessen hatte, besuchte mich eine junge Dame und sprach zwei Stunden lang auf mich ein. Ich überlegte, ob ich es überleben würde oder nicht, das heißt, ob sie sich lediglich einer Körperverletzung oder einer solchen mit tödlichem Ausgang schuldig machen werde. Zum Schluß bat sie um ein Autograph für ihr Stammbuch.

Ich dachte mir, es wäre vielleicht passender, das Zitat eines großen Dichters hineinzuschreiben, als etwas aus meinen eigenen Arbeiten zu wählen. Ich schrieb ihr etwas Naheliegendes von Ovid herein, den ich sehr liebe, und reichte ihr das Buch mit einigen freundlichen Worten wieder zurück.

»Ich habe Ovid gewählt,« sagte ich erklärend, »Ovid war ein sehr großer Dichter. Einer der größten, kann man wohl sagen, die je gelebt haben.«

Das Fräulein bedankte sich herzlich und ging, so daß es sich also nur um eine Körperverletzung, nicht um eine solche mit tödlichem Ausgang gehandelt hatte. Ich hatte das schöne Wort hereingeschrieben: ›Glücklich die Zikaden, denn sie haben stumme Weiber.‹

Am anderen Tage erwiderte das Fräulein meinen Gruß nicht mehr auf der Straße. Ich verstehe das nicht. Ovid ist ein so großer Dichter. Vielleicht hat sie es doch übelgenommen, daß ich nichts von mir selbst gewählt hatte? Aber wie soll man das vorher wissen, ich dachte doch gerade das Richtige zu treffen, weil Ovid ein so großer Dichter ist, daß er sozusagen garnicht mehr anfechtbar ist, daß man garnicht anderer Ansicht sein kann als er.

Seitdem habe ich völlig darauf verzichtet, den Menschen Freundlichkeiten zu sagen. Ich sage garnichts mehr und äußere mein tiefinnerliches und garnicht zu unterdrückendes Bedürfnis, den Menschen meine Freundlichkeiten zu sagen, nur noch auf schriftlichem Wege. Sonst kann man allzuleicht unbeliebt werden, ohne es auch nur im Geringsten zu wollen. Was hat man dann von seinen Freundlichkeiten?


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