Manfred Kyber
Grotesken
Manfred Kyber

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Das Gerippe

Es war gegen Mitternacht, als es an die Tür meines Arbeitszimmers klopfte. Es klopfte knöchern, also konnte es nicht meine Wirtschafterin sein, denn diese wiegt annähernd dreihundert Pfund und ihre fetten Finger federn wie Gummireifen eines Automobils. Es klopfte nochmals, energischer und noch knöcherner. Die Tür wurde geöffnet und herein trat ein komplettes Gerippe mit Stundenglas und Sense. Das Gerippe zeigte sein sozusagen dauerndes Grinsen in wenig anheimelnder Weise und sagte, ohne mich irgendwie zu begrüßen: »Fort mußt du, deine Uhr ist abgelaufen.«

»Es ist talentlos von Ihnen, daß Sie einem Theaterkritiker gegenüber Schiller zitieren,« sagte ich, »oder wollen Sie Ihre Begabung für Vortragskunst von mir prüfen lassen? Dann muß ich Ihnen gleich von vornherein sagen, daß Sie nicht zur Bühne gehen können. Ihr Organ mag noch so schön sein und Sie können Talent in jeder Rippe haben, aber Ihr Aeußeres ist für das Theater nicht mehr ganz geeignet. Sie werden selbst zugeben müssen, daß Ihre Jugendlichkeit gelitten hat.«

»Du mußt sterben,« sagte das Gerippe und schwang seine Sense.

»Bitte stellen Sie die Sense in die Ecke,« sagte ich, »es ist unschicklich, mit landwirtschaftlichen Geräten solcher Größe in ein Arbeitszimmer zu kommen.«

Das Gerippe vergrößerte erstaunt seine Augenhöhlen, stellte aber sein landwirtschaftliches Symbol an die Wand.

»Nun nehmen Sie Platz,« sagte ich freundlich, »was verschafft mir die Freude Ihres Besuches?«

Das Gerippe setzte sich klappernd in einen Sessel.

»Deine Uhr ist abgelaufen,« sagte es und sah mich ärgerlich an.

»Sie haben eine etwas stereotype Art, sich zu unterhalten,« sagte ich, »aber meine Uhr ist nicht abgelaufen, ich habe sie eben aufgezogen.«

Das Gerippe stellte sein Stundenglas auf den Tisch und wies mit einem nicht sehr sauberen Knochenfinger darauf hin.

»Ich richte mich nach meiner Uhr, nicht nach Ihrer,« sagte ich, »übrigens ist das eine Eieruhr und zwar aus dem Warenhause Vielfach und Vergeblich. Offenbar eine gute Konstruktion. Wie lange rechnen Sie auf weiche Eier?«

»Du mußt sterben!« sagte das Gerippe.

»Und auf harte?« fragte ich.

Das Gerippe machte drohende Bewegungen, wackelte mit dem Schädel, klapperte mit den Rippen und ruderte mit den Armen.

»Kokettieren Sie doch nicht so mit Ihren Knochen,« sagte ich, »wenn Sie schon so kokett sind, so pflegen Sie wenigstens Ihre Gebeine, putzen Sie sie mal ordentlich mit Zahnpulver und reiben Sie mit einem weichen Lederlappen nach. Oder frieren Sie? Dann setzen Sie sich bitte näher an den Ofen. Diese Nebengeräusche Ihrer Gliedmaßen stören mich in der Unterhaltung. Ich habe schon genug zu tun, um mich an Ihr Dauergrinsen zu gewöhnen.«

»Ich bin der Tod,« sagte das Gerippe, hörte aber auf zu klappern und setzte sich näher an den Ofen. Kein Wunder, denn die sehr vernachlässigten Knochen waren stark durchfeuchtet, es konnte einen schon beim Anblick rheumatisch stimmen.

»Ich möchte Sie bitten, keine Witze zu machen,« sagte ich, »Sie sind nichts weiter als ein Gerippe, das renommiert, ein Klapperknochen, der mit Eieruhr und landwirtschaftlichen Geräten nachts spazieren geht, um Eindruck zu schinden. Ich finde das nicht zartfühlend von Ihnen. Sehen Sie, ich wollte jetzt schlafen gehen und Sie kommen und stören mir die Laune, indem Sie sagen, daß meine Uhr, die ich eben aufgezogen habe, stehengeblieben ist. Das ist nicht nett von Ihnen.«

Das Gerippe wies mit einer stummen, etwas verlegenen Gebärde auf das Stundenglas auf meinem Tisch.

»Hören Sie jetzt auf mit Ihrer Eieruhr. Sie ist natürlich abgelaufen, sowohl für weiche als für harte Eier. Das sehe ich selbst. Ich will sie Ihnen auch gerne abkaufen, wenn Ihnen damit gedient ist. Denn es tut mir leid, daß Sie so derangiert aussehen.«

»Ich bin in der Tat nicht wohl,« sagte das Gerippe.

»Das ist recht, daß Sie nun vernünftig werden. Ich würde Ihnen gerne eine Zigarette anbieten, aber es hat wohl keinen Zweck, da Ihnen der Rauch doch gleich wieder zu den Augen herauskommt, was ich mir wenig genußreich denke. Und schlucken können Sie den Rauch erst recht nicht, weil Sie unterwärts von so großer Luftdurchlässigkeit sind. Sonst hat ja solch ein poröser Leib seine großen Vorteile, man kann immer nachsehen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.«

»Ich glaube doch, daß mir eine Zigarette gut tun würde,« sagte das Gerippe, »außerdem konserviert es meine Knochen.«

Das Gerippe begann zu rauchen und ließ den Rauch durch die Augenhöhlen abziehen.

»Das Rauchen wird Ihnen garnichts nützen, wenn Sie keine rationelle Knochenpflege treiben,« sagte ich, »es sieht übrigens schick aus, wenn Sie so aus den Augen heraus rauchen.«

»Meine Knochen haben in ihrer Festigkeit sehr nachgelassen,« sagte das Gerippe, »schon bei meinen letzten Besuchen als Tod, wo ich noch, ich darf wohl sagen, starken Erfolg hatte und sensationelle Wirkungen erzielte, bemerkte ich, daß sie beim Klappern einen weicheren Ton gaben.«

»Ich sagte Ihnen schon, daß es nicht anständig ist, Leute, die ihr Gerippe noch in sich tragen, gruselig zu machen mit Ihrer Eieruhr und Ihrem Mähapparat. Ihr rein kollegiales Gefühl vor dem Gerippe im anderen, das auch mal solch eine unselbständige Existenz führen wird, wie Sie, sollte Sie davon zurückhalten. Im übrigen empfahl ich Ihnen bereits gutes Zahnpulver und will Ihnen gerne eine Schachtel davon mitgeben.«

»Ich habe zu viel Feuchtigkeit in mir,« sagte das Gerippe, »und ich kann durchaus keine Nässe mehr vertragen. Darum bin ich eigentlich damit beschäftigt, mir einen neuen Beruf zu suchen, der mir eine größere Trockenheit gewährleistet.«

»Ich fürchte sehr, daß Ihnen auch dort Ihre Aeußerlichkeit hinderlich sein wird,« meinte ich. »Wie wäre es mit einem Panoptikum? Das ist so ziemlich die einzige Betätigungsmöglichkeit für ein Gerippe, das seinen Beruf, sich selbst aufzulösen, versäumt hat.«

»Das würde mir zu sehr auf die Knochen gehen, wenn ich immer herumstehen müßte,« sagte das Gerippe.

»Auf die Knochen wird Ihnen alles gehen, mein Lieber,« meinte ich, »das liegt einmal an Ihrer derzeitigen Beschaffenheit. Aus etwas anderes als auf die Knochen geht es bei Ihnen nicht mehr.«

»Ich habe mich an eine gewisse Eindrucksmöglichkeit meiner Person gewöhnt,« sagte das Gerippe und bewegte seine Knochen in selbstgefälliger Weise, »wie ich schon erwähnte, habe ich mit meiner Darstellung des Todes, besonders mit dem Aufstellen meines Stundenglases, des öfteren eine starke, ich darf wohl sagen sensationelle Wirkung erzielt. Wenn ich auch auf die Dauer diese nächtliche Tätigkeit nicht gut vertrage, möchte ich doch gerne einen ähnlichen Beruf finden.«

»Ich will Ihnen etwas sagen,« meinte ich hilfreich, »wenn Sie schon in so talentvoller Art mit der Eieruhr umgehen können – wie wäre es, wenn ich Sie an das Warenhaus Vielfach und Vergeblich empfehlen würde? Sie könnten da in der Abteilung für Küchengeräte am Tisch der Eieruhren eine famose Reklamefigur abgeben. Sie haben es trocken und angenehm und werden sicher allgemein bewundert werden.«

Das Gerippe sprang auf und drückte mir mit den Knochenfingern beide Hände, die ich nach innigem Gegendruck sorgfältig desinfizierte. Morgens putzte ich das Gerippe mit Zahnpulver, zog ihm einen hübschen Anzug und Lackschuhe an und schickte es mit einer Empfehlung an Vielfach und Vergeblich.

Vielfach und Vergeblich machten ein ungeheures Geschäft in Eieruhren. Alles wollte den neuen Automaten sehen, der im eleganten Anzug mit einem Totenkopf eine Eieruhr in der Hand hielt und abwechselnd sagte: nach dreieinhalb Minuten »deine Uhr ist abgelaufen – weiches Ei« und nach zehn Minuten »deine Uhr ist abgelaufen – hartes Ei.«

Nach einigen Wochen ging ich auf der Straße spazieren und ein vornehmes Auto fuhr an mir vorbei. Darin saß das Gerippe im gestreiften Tennisanzug, einen Strohhut auf dem Schädel und rauchte eine dicke Zigarre aus den Augen heraus. Mich sah es überhaupt nicht mehr an. Die Menschheit ist eben undankbar bis in die Knochen.


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