Manfred Kyber
Grotesken
Manfred Kyber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Theaterbrief

Lieber Emil! Ich gehöre nun schon ein paar Monate zur guten Gesellschaft und du hast keine Ahnung, wie oft ich mich schon gewaschen habe und wie anstrengend die ganze Chose überhaupt ist. Du fährst immer in deinem Auto herum und schiebst und kannst gut essen und trinken, aber ich habe inzwischen Dame gelernt und das ist eine schwere Arbeit. Das viele Umziehen und das Anhängen von den Juwelen ist nicht so schlimm, das geht ganz schnell, aber du mußt auch Bildung haben und ich habe die Bildung jetzt gekriegt, weil ich von vornherein forsch ins Zeug gegangen bin. Am meisten Bildung kriegst du im Theater, denn das ist eine Bildungsanstalt, sagen die Leute. Es soll auch eine moralische Anstalt sein, schreiben sie in den Zeitungen, aber ich weiß nicht, was das für eine Anstalt ist, und ein Kunstinstitut soll es auch sein, weil eben Kunst und Bildung ganz dasselbe ist und ich kann nun beides, Kunst und Bildung auf einmal und du solltest mich bloß sprechen hören. Du kennst das Theater nur von außen und weißt, daß es ein Gebäude ist mit vielen Türen und vorne mit Säulen. Ich kenne das Theater von innen und kann dir alles sagen, wie das ist. Bei der Kasse ist eine Person aus Stein, wo draufsteht Melpomene, ich hab mir den Namen abgeschrieben, denn ich will meine Tochter so nennen, weil eine Grazie oder eine Muse so hieß, sagt Guste. Beides ist was sehr Feines, was schon lange her ist, sagt Guste, und darum stellt man die Person ins Theater, weil dort auch vieles los ist, was eigentlich schon lange her ist und garnicht mehr da ist. Kintopp kennst du ja, aber Theater ist ganz was anderes. Im Kintopp ist alles dunkel, du kannst knutschen und kannst sehen, was los ist. Im Theater kannst du auch sehen, aber es ist hell dazwischen und die Hauptsache ist, daß du gesehen wirst. Das heißt, du wirst besser nicht gesehen, weil Schönheit nicht deine Force ist, aber ich und solche, wo es lohnt, die müssen gesehen werden. Darum mußt du dich fürs Theater oberhalb waschen und auch die Nägel putzen, was du im Kintopp nicht brauchst. Dafür kriegst du im Theater Bildung, also kann man schon was opfern. Wenn man Loge hat, braucht man sich nicht so zu waschen, wie fürs Parkett, aber die Nägel muß man immer putzen, weil es vornehm ist, die Hände auf die Brüstung zu legen, schon damit man die Ringe sieht, die so viel Geld kosten, und die Leute sehen, daß man's auch hat. Du weißt nun, was der Unterschied ist von Kintopp und Theater. Aber es gibt zweierlei Theater, Oper und Schauspiel, und da will ich dir auch den Unterschied sagen. In der Oper kannst du laut sprechen die ganze Zeit, weil Musik gemacht wird, aber im Schauspiel mußt du ruhig sein, sonst zischen die Leute, warum weiß ich nicht. In der Oper kannst du besser schlafen, aber im Schauspiel kriegst du mehr Bildung, darum bin ich mehr ins Schauspiel gegangen. Das ist feiner. Dafür ist Oper wieder feiner, weil es teurer ist. Aber ich bin für die Bildung. In der Oper verstehe ich auch weniger, weil alles undeutlich ist. Im Schauspiel ist's auch undeutlich, aber nicht so sehr und du verstehst dazwischen immer mal ein Wort, was du famos in der Gesellschaft sagen kannst, und alle sehen, daß du Bildung hast. Ich war auch einmal in der Oper, wo es ganz schön war und ein vernickelter Mensch war da mit einer künstlichen Gans, die ihn angeschwommen hat und er hat verboten, daß man nicht fragen soll, wer er ist, was mir auch ganz egal war. Aber seine Frau hat gefragt und da ist die künstliche Gans wiedergekommen und hat ihn wieder abgeschwommen. Solche Stücke schreiben die Männer, weil sie nicht wollen, daß man sie fragt, woher sie kommen, das ist eine Gemeinheit und ich gehe da nicht wieder hin. Du solltest bloß mal versuchen, Emil, mir nicht zu sagen, woher du kommst, da könntest du was erleben und wenn du mit zwanzig natürlichen Gänsen ankommen würdest. Denn du bist ein reicher Mann und brauchst dich nicht mit künstlichen Gänsen zu behelfen, wie ein Theater, das kein Geld für die natürliche Gans mehr hat. Alles übrige von der Oper verstehst du nicht, weil das Musik ist, aber vielleicht macht es dir Spaß, weil du doch auch mal Trompete geblasen hast. Ganz witzlos ist eine Oper, wo eine schicke Person in einem Berge ein Café chantant aufgemacht hat und ein Mann, der Tannhäuser heißt – kennst du die Firma? – will nicht bei ihr bleiben, weil er dämlich ist und denkt, er hats wo anders besser. Er geht nach Rom, was jedenfalls ein Hotel ist mit einer Bar, aber er kommt wieder zurück, weil es da nicht so gut war wie in dem Café chantant von der hübschen Person und zwischendurch wird eine langweilige Dame begraben, die viel gesungen hat. Das war mir aber nicht so klar wie der vernickelte Mensch. Ich weiß bloß, daß du in dem Cafe geblieben wärst, Emil. – Also Bildung ist das nicht, aber im Schauspiel ist Bildung. Wenn was gespielt wird, was nicht mehr wahr ist, ist das klassisch und wenn die Menschen so aussehen wie auf der Straße, ist das modern, dann ist es sehr ähnlich wie im Kintopp, aber ärmlicher und alles viel langsamer. Du kannst auch nicht zurückdrehen, wie im Kintopp, weil das keine Leinwand sondern Menschen sind. Ich sehe viel Klassisches, weil das zur Bildung gehört. Und ich kenne auch schon eine Menge Dichter, die heute modern sind, Goethe, Shakespeare, Schiller usw. Bei Goethe wurde sehr geklatscht und ich dachte bestimmt, daß er 'rauskommen würde, denn ich möchte gerne sehen, wie ein Dichter aussieht, aber er kam nicht und wahrscheinlich war er in einer anderen Stadt, weil die Leute sagten, das Stück wird wo anders auch gegeben. Das Stück hieß »Faust« und ich dachte eigentlich, es würde was vom Boxen drin vorkommen, aber es war nichts. Es ist überhaupt ganz anders und nachher wird Gretchen verrückt und die Sache geht überhaupt gemein aus und ich finde, man soll solche Stücke nicht geben, die einem die Stimmung verpfuschen. Ich kann auch Gretchen nicht kapieren. Wenn sie das wie ich gemacht hätte, wäre sie nicht verrückt geworden, sondern würde mit Brillanten und geputzten Nägeln in der Loge sitzen. Wenn man gebildet ist, muß man von allem ›Hamlet‹ gesehen haben, sagt Guste. Das ist ein kranker junger Mensch in schwarzen Trikots, dem es nicht gut geht. Sein Papa ist auch noch nicht ganz tot und erscheint ihm sehr gruselig und bei sehr schlechtem Wetter. Ich liebe Gruseliges sehr im Theater und auch schlechtes Wetter verstehen sie fein zu machen, aber ich versteh nicht, wie der kranke Mensch in den dünnen Trikots nicht friert dabei, aber vielleicht sind sie inwendig gefüttert und dann hat er sehr dünne Beine. Du könntest Hamlet garnicht vorstellen, Emil, weil deine Figur mehr viereckig ist. Ich weiß nicht, was Hamlet fehlt. Guste sagt, er hat Gedankenblässe, denn Guste hat das Stück schon ein paarmal gesehn, weil sie abonniert ist und immer ins Theater geht, wenn sie sich mopst, und sie hat mir auch das von der Grazie Melpomene gesagt. Ich denke, Grazie wird eine griechische Kellnerin sein, denn alles, was Marmor ist, ist griechisch und alles, was nichts anhat, heißt Venus. Aber diese hat was an und darum ist sie keine Venus. Eine Venus mit einem Flitzbogen steht draußen im Park vor dem Theater. Ich weiß nicht, was Gedankenblässe für eine Krankheit ist, aber du hast sie nicht gehabt, Emil, sonst hättest du was gesagt, denn du sagst doch immer, wenn du bloß mal Kopfschmerzen hast und einen Kümmel trinken mußt. Es muß eine ganz neue Krankheit sein, denn es ist sicher ein ganz modernes Stück, weil es ein neues Theater ist und das wird keine alten Sachen geben, die man schon kennt. Hamlet hält in der Mitte eine große Rede, die sehr berühmt geworden ist, sagt Guste. Er fragt darin, ob es sein oder nicht sein ist, aber er sagt nicht, wem es schließlich gehört. Später trinken alle Wein und es bekommt ihnen nicht und sie gehen mit Säbeln aufeinander los und vorher wird eine begraben, die auch verrückt geworden ist. Aber das ist viel netter als bei Gretchen und die schöne Leiche nachher ist sehr stimmungsvoll. Guste und ich haben auch geweint, das ist sehr gebildet und dann sieht man auch, daß wir Taschentücher mit Brüsseler Spitzen haben, das Stück zu 500 Mark. Diese modernen Stücke, die klassisch sind, weil es früher passiert ist, dauern alle sehr lange, aber du kannst ruhig ein paar Akte auslassen und ins Restaurant gehen. Bloß in den Zwischenakten mußt du wieder herauf, damit man sieht, daß du eine Loge hast. Ich mache das meistens so und dann greift es garnicht an. Bloß am Ende mußt du dabei sein, dann klatschen die Leute und du kannst aufpassen, ob der Dichter kommt. Sehr fein sind die ›Räuber,‹ da ist ein doller Radau und die Leute reden so wie in der ›Roten Fahne‹ gegen das Kapital und gegen die Autos, aber das ist natürlich nur Neid, weil sie nicht so wie du sind, Emil, und man sollte ja eigentlich solche Stücke garnicht geben. Aber weil ich das Gruseln so liebe, ist es doch eine ganz feine Sache. Ein alter Herr wird eingesperrt und kriegt nichts zu essen und wenn er ganz mager und schwach aus dem Turm herauskommt, so kriegst du solch einen Appetit, daß du gleich ein Butterbrot essen mußt und es schmeckt dir so gut wie lange nicht. Später wird es sehr gemischt und einer hängt sich auf, wobei die anderen Krakehl machen. Sehr spaßhaft ist ›Genoveva,‹ wo einer dem anderen weißmacht, daß seine Frau inzwischen, du weißt schon, aber das ist garnicht wahr, denn sie ist eine Pute und tut überhaupt nichts. Gott, was sind die Männer dumm! ›Sommernachtstraum‹ ist eine Mordssitzung, aber einer kriegt einen Eselskopf und wenn es auch nicht zu verstehen ist, so schadet das nichts. Du hörst einfach nicht hin und denkst, du bist im Varietee. Denn es wird auch getanzt und die Weiber haben sehr wenig an. Wenn sie wenig anhaben, sind es Elfen, sagt Guste, aber nicht immer, sagt Guste auch. Wenn ich nichts anhabe, bin ich keine Elfe, sagt Guste, die das Stück auch schon ein paarmal gesehn hat, weil sie doch Abonnement hat, weißt du. Ein Stück heißt ›Iphigenie,‹ da kannst du dich totmopsen, sie will ihn nicht zuerst und nachher, wenn du denkst, nun will sie ihn endlich, will sie immer noch nicht und du weißt garnicht, wozu du überhaupt im Theater warst. Dabei tut er, was er kann, um sie herumzukriegen, aber sie ist eine Obstinate und so was lieb ich nicht. Fein ist ›Wallenstein‹ und da sind auch so viele Leute auf der Bühne, daß du wirklich was hast für dein Geld und famose Kostüme mit solch hohen Stiefeln, daß man wieder sieht, daß es garnicht wahr ist, daß die Menschen die Lederpreise nicht mehr zahlen können – schlage ruhig auf, Emil, du wirst sie allemal los – und Wallenstein hat einen alten Onkel bei sich, der in den Sternen liest, weil das jetzt modern ist und alle sich Horoskop stellen lassen für 50 Mark oder noch teurer. Der alte Onkel aber macht es Wallenstein ganz umsonst, aber es kommt auch nichts aus davon und es geht alles schief. Zahle lieber mehr, Emil, wenn du die Sterne fragen läßt, dann hast du was Solides für dein Geld und nicht solche Chosen, wo du mit hereinfallen kannst. Wallenstein wird in einem Hotelzimmer in Eger totgemacht, wo du auch neulich warst, Emil, mit deinem Auto, es ist eine ganz moderne Geschichte und die Leute ziehn sich bloß anders an, damit es mehr Spaß macht. Spaß muß sein, Emil, sonst könntest du diese traurigen Sachen garnicht sehen, die klassisch sind und dann beruhigt es ja auch, weil es lange her sein soll, während beim Kino alles eben erst passiert ist meistens und du wirst da auch ganz anders aufgeregt, warum auch Theater viel gesünder ist und überhaupt nicht so angreift, weil du nicht so aufpassen mußt und immer dazwischen rauskannst. Im Kintopp bist du ganz anders gebunden, aber ich wasch mich dann schon lieber und putz mir die Nägel und hab dafür meine Freiheit. Das sag ich, weil ich jetzt Bildung hab und alle gebildeten Leute werden sagen, daß Theater feiner ist und das sagen sie wegen dem Waschen und Nägelputzen, das mußt du dir merken, Emil, wenn du mal auf deinen Reisen in eine Societe kommst, wie die gute Gesellschaft hier heißt. Wenn du im Theater garnichts kapierst, schadet das nichts, du sagst dann nachher, wenn man dich fragt, daß es ein tiefes Stück ist. Wenn du was kapiert hast, und man fragt dich, wie's dir gefallen hat, dann sagst du ›na, wenn schon‹ und tust, als ob du was wegschmeißen willst. ›Faust‹ ist nicht tief, und du kannst da ›na, wenn schon‹ sagen, aber die Chose von dem kranken Mann mit der Gedankenblässe, der nicht weiß, wem es nun eigentlich gehört, die ist tief, denn da verstehst du garnichts, denn der Mann ist eben nicht gesund und das ist das Krankhafte in der Kunst, was immer interessant und tief ist und wovon die Zeitungen schreiben. Du kannst überhaupt immer in der Zeitung nachsehen, wie es dir gefallen hat und wenn du daraus ein paar Sätze auswendig lernst, so kann dir nichts passieren in der Societe. Ich lerne ja leicht auswendig und wenn ich ein Couplet gehört habe, habe ich es immer gleich nachsingen können, nicht richtig, aber ganz ähnlich, so daß man sich schon ungefähr denken kann, was ich meine. In der Oper sind die Couplets aber sehr schwer und die kann ich nicht gut behalten. Ich habe das Couplet, das der vernickelte Mann singt und wo er verbietet zu fragen, wo er eben herkommt, der Gauner, auch zu Hause gesungen, aber Guste sagt, daß man es nicht erkennen kann, und Guste weiß alles in Kunst, weil sie Abonnement hat und weiß, ob die griechischen Kellnerinnen Melpomene oder Venus heißen. Das ist Bildung, Emil, und du siehst, es ist viel mehr und viel schwerer, als bloß Waschen und Nägelputzen, woran du dich allmählich so gewöhnst, daß es dir garnicht mehr so eklig ist. In den Stücken, die nicht klassisch sind, sehn die Leute so aus wie ich und du, Emil, aber nicht so wohlhabend, denn sie haben nicht so viele Ringe an und daß die Kleider so teuer waren, wie meine, glaub ich auch nicht, denn du kannst sie nicht anfassen, was immer das Sicherste ist, und die Preise machen sie vorher ab, nicht so wie im Warenhaus, wo du gleich weißt, was vornehm ist, weil der Zettel dranhängt, ob es teuer ist. Aber ich glaub nicht, daß die Kleider viel taugen, weil die Kunst immer mehr verarmt, wie sie in der Societe sagen. Ich sehe alles, was klassisch ist, wegen der Kostüme viel lieber. Aber wenn du willst, schreibe ich dir ein andermal auch über die Stücke mit gewöhnlichen Anzügen. Ein Theaterglas hab ich auch, es hat 5000 Mark gekostet und es kostet jetzt noch mehr und wenn du hineinsiehst, siehst du alles ganz nah und kannst sehn, ob die Seide echt ist, aber wenn du es umkehrst, dann siehst du alles ganz klein und das macht viel Spaß. Spaß muß sein, sagt Guste, die Kunst kennt und ein Abonnement hat. Wenn du herkommst, mußt du auch ins Theater, Emil, aber wasch dir die Hände und putz dir die Nägel. Kintopp ist schöner, aber Theater ist feiner und du mußt jetzt auch mehr fürs Feine sein, Emil, vergiß nicht, wer du jetzt bist und daß du ein Auto und Bildung hast und eine Frau in der Societe, die klassisch geworden ist.

    Es umarmt dich deine Emma.

 << zurück weiter >>