Hermann Kurz
Denk- und Glaubwürdigkeiten – Jugenderinnerungen – Abenteuer in der Heimat
Hermann Kurz

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6.

Wieder ein anderes Abenteuer, von lustigerer Art und schmerzlosen Angedenkens, trug sich auf dem nämlichen Schauplatze während meiner Universitätszeit in den Ferien zu.

Ich hatte wieder mein altes Nachtlager, die Himmelbettlade in der ziegelgepflasterten Kammer bei den Zinnflaschen. Die alte Anna Marei nahm noch immer mit Ehren ihren alten Posten ein und schlief ebenfalls noch am alten Plätzchen, nämlich in ihrem offenen Zelte bei den kleinen und großen Sieben. Außer mir war noch ein Gast im Hause, ein geistlicher Vetter vom Gebirge her, der sich, da er nachts an Gesellschaft gewöhnt war, zu der Frau Dote ins Vorderzimmer einquartiert hatte. Nach Mitternacht hatte ich abermals die Unannehmlichkeit, plötzlich aufgeweckt zu werden, aber durch keine unerforschliche Ursache, sondern durch ein höllisches Getöse über mir. Es rasselte auf dem Boden hin und her, als ob alle bösen Geister ledig wären. Die alte Anna Marei konnte es nicht sein, die den Lärm verursachte, denn sie übertönte ihn noch mit ihrem gellenden Hilferuf. Ich enteilte so schnell als möglich dem Himmelbette, fand die Insassen des Hauses versammelt, und da standen wir nun, nicht eben im Sonntagsputz, an der Bodentreppe, Rat miteinander haltend, während das Gepolter und mit ihm das Hilfegeschrei immer stärker wurde.

Ehrenhalber stellte ich den Antrag, dem geistlichen Herrn den Vortritt einzuräumen. Er wollte aber nichts davon wissen. Ich habe Weib und Kinder, die meiner jetzt noch nicht entbehren können, sagte er, aber ein leichtsinniger Student wie du, der kann sein Leben eher in die Schanze schlagen. Ich erinnerte ihn an seine geistlichen Waffen. Vergebens; die Welt liegt im argen, sagte er, meine Bauern haben mir letzten Sonntag nachts den Kohl aus dem Garten gestohlen, nachdem ich ihnen morgens über das siebente Gebot gepredigt hatte; wer kann nun vollends wissen, an was der Poltergeist da droben glaubt! Unter allgemeiner Zustimmung ergriff ich das Licht, und mit Allons enfants de la patrie, dessen Klänge eben damals wieder die Welt erschütterten, klomm ich an der Spitze meines zaghaften Heeres die Bodentreppe empor.

Längst hatte ich an Gespenster zu glauben verlernt; als ich aber auf der obersten Sprosse stand, und, auf die Bühne hineinleuchtend, ein unerhörtes Schauspiel sah, da wurde es mir denn doch auch ein wenig ungewöhnlich zumut. Die anderen, die mich stutzen sahen, wichen mit einem Schrei zurück, noch ehe sie etwas gesehen hatten.

Der Poltergeist war ein großes Sieb, das, nicht eingedenk der Bürgerpflicht, die man als die erste preist, seinen Nagel verlassen hatte und wie besessen auf dem ganzen Umkreis des Bodens hin und wieder fuhr. Daß dies ein gewaltiges Gepolter verursachen mußte, ist einleuchtend. Das war aber noch nicht genug, sondern der Störenfried riß, wenn er an den Wänden hinstreifte, auch noch seine ruhigen Mitsiebe, ja selbst die gemäßigtsten Invaliden von Gerätschaften herab, schleppte sie, wenn sie ihn am Spuken hinderten, mit sich fort und vermehrte dadurch das Getöse ins Unbillige. Die alte Anna Marei schrie jedesmal »wie ein Dachmarder« – die Umgebung rechtfertigt den Ausdruck –, wenn das wahnsinnige Sieb an ihrem Bett vorüberfuhr, hinter welchem sie sich so gut wie möglich verschanzt hatte. Sie bat uns kläglich, über den Boden zu ihr zu kommen, aber das war mit heilen Glieder kaum zu bewerkstelligen.

Was den Naturgesetzen schnurstracks zuwiderläuft, das bringt den Menschen in eine gewisse Art von Wut. Die Spazierfahrt muß aufhören, sagte ich, gab dem Pfarrer das Licht und suchte das fahrende Sieb, so wie es in meine Nähe kam, mit dem Fuße in seinem Lauf zu hemmen. Dies gelang auch, aber das Sieb, das nicht nach Menschenweise ging, raste alsbald in der entgegengesetzten Richtung fort und gab gleich darauf unserer Kammersängerin Veranlassung, einen ihrer gelungensten Triller zu versenden. Was der Fuß nicht durchgesetzt hatte, wagte ich jetzt mit der Hand, und als der neue Planet nach kürzester Umlaufszeit wieder in meiner Erdennähe war, griff ich rasch hinunter, um ihn zu halten. Da ich hierbei wohlweislich mit der anderen Hand das Stiegengeländer gefaßt hatte, also keinen sehr langen Arm machen konnte, so wurde das Sieb auf der Seite, wo ich es ergriff, etwas emporgehoben. Kaum war dies geschehen, so rauschte eine große schwarze Katze mit zornigen Augen unter ihm hervor, schoß der Treppe zu, fuhr dem Pfarrer, ohne Achtung vor seinem Stande, doch nicht so gefährlich wie Reinekes Hinze, zwischen den Beinen durch, und brachte ihn so sehr aus dem Gleichgewicht, daß er das Licht fallen ließ und beinahe samt seiner Hintermannschaft die Treppe hinuntergefallen wäre. Finsternis – Geschrei vorn und hinten – nur das Sieb lag mäuschenstill zu meinen Füßen und rührte kein Glied. Nachdem Ruhe und Ordnung hergestellt waren, setzten wir uns, da es nicht ferne vom Tagesgrauen war, zu einem dampfenden Kaffee, den die erlöste Anna Marei mit großer Bereitwilligkeit kochte, indem sie ihren Schlafkumpanen, den Sieben, nicht mehr ganz zu trauen schien.

Die Besessenheit des Rädelsführers derselben war leicht zu erklären. Eine unternehmende Katzenseele, die das Sieb auf einer nächtlich empfindsamen Reise angestreift und auf sich herabgeworfen hatte, war eine Zeitlang seine widerwillige Bewohnerin gewesen. Da es groß genug war, um die Katze unverletzt zu bedecken, so war es begreiflicherweise auch schwer genug, um ihr das Entkommen unmöglich zu machen, aber nicht so schwer, daß sie es nicht hätte umhertummeln können wie ein Kind seinen Gängelwagen, und von dieser Freiheit hatte sie denn auch leidenschaftlichen Gebrauch gemacht. Unter solchen historisch-pragmatischen Erörterungen schlürften wir unseren Morgentrank, und er wurde uns gemütlich gewürzt durch seine Brauerin, die zu tief in seinem Satze gelesen hatte, um nicht steif und fest dabei zu bleiben, daß die schwarze Katze, die Siebläuferm, eine Hexe vom ersten Rang gewesen sei.

»Wer weiß?« sagte mein alter Buchdrucker mit schlauem Lachen, als ich ihm die Begebenheit dieser Nacht erzählte.

Zu meiner desto größeren Verwunderung trat jedoch dieser mein Geisterphilosoph ein andermal, und zwar gerade in einem Falle, der ihm Wasser auf seine Mühle hätte liefern sollen, durchaus rationalistisch auf. Ich kam von einem vielbesprochenen Gespensterhause zurück, dessen unsichtbarer Tyrann durch eine Reihe jener »spiritualistischen« Töne, die bei den Eingeweihten ihre eigenen technischen Benennungen haben, vom »Papierknistern« an bis zu einem höchst unschicklichen Sägen, Husten, Röcheln, Blöken und Grölzen, sein Dasein zu vernehmen gegeben hatte. Der Tatbestand war an sich selbst unleugbar, und es blieb nichts übrig, als das ehrliche Bekenntnis, zwar nicht etwas gesehen, aber doch einiges gehört zu haben. Darum zweifelte ich jedoch keineswegs an einer natürlichen Ursache dieser Töne, obgleich sich eine bestimmte Erklärung nicht mit Sicherheit geben ließ. Auf der anderen Seite ergötzte es mich indessen auch wieder, mich von meinem alten Geisterseher, als ich ihn nach Gewohnheit besuchte, als Sonntagskind begrüßen zu lassen. Er aber legte das Gesicht in tiefe Falten, wiegte den Kopf und erwiderte, es tue nicht not, solche nächtliche Töne immer auf die »Nachtseite der Natur« zu beziehen. Einmal sei in dem Gebälke alter Häuser ein gar wunderliches Leben, Knistern und Krachen, und dann gebe es, zumal auf dem Dorfe, eine wenig beachtete Zunft von nächtlichen Musikanten, welche häufig bei derlei Fällen im Spiele sein mögen. Dies seien die Eulen, deren Schnauben und Schnarchen so täuschend in die Häuser dringe, daß man es oft aus der nächsten Nähe zu hören glaube.

Ich fand diese Erklärung vernünftig und dankenswert, mußte aber im stillen über den Widerspruchstrieb des menschlichen Geistes nachdenken, der im schwächsten Strohhalm eine Stütze für eine Meinung suchen und dann wieder wie in einer Art von Großmut einen ganz einladenden Fund von sich weisen kann, um der Wahrheit auf der anderen Seite gerecht zu werden. Dankenswert nenne ich die Erklärung, die ich übrigens später noch einmal aus bedeutendem Munde vernommen habe; denn sie dient dazu, Erscheinungen, die sich doch nicht wegleugnen lassen, ihrer Seltsamkeit zu entkleiden. Einer solchen Erklärung, die nicht bloß »natürlich«, sondern auch befriedigend wäre, wartet ohnehin noch dieses und jenes zwischen Himmel und Erde, um sodann mit besserer Sicherheit an seinem gebührenden Ort, in den Sagenbüchern nämlich, untergebracht werden zu können.

Dahin gehört vor allen Dingen der alte Kriegsgeist des Odenwaldes, den man zwar mythologisch eingesargt zu haben meint, was ihn aber nicht abgehalten hat, noch jüngst in voller Lebens- und Geistergröße sich an Flut und Ebbe unserer Bewegungsjahre zu beteiligen. Bekanntlich hat man seinen Auszügen schon früher zu wiederholten Malen auf Befehl der Regierung amtliche Aufmerksamkeit geschenkt, und so ist auch diesmal, im Januar 1851, bei einer Hessischen Behörde ein Protokoll über die Vorgänge aufgenommen worden.

»In der Nacht vom 2. auf den 3. März 1848« – so lautet die amtlich beglaubigte Sage – »hat der Burggeist von Rodenstein unter Waffengeklirr und Pferdegetrapp den kriegverkündenden Auszug nach seiner Kriegsburg Schnellert gehalten; am 31. Dezember 1850, Morgens zwischen 7 und 8 Uhr, ist er mit dem gewöhnlichen Geräusche nach der Friedensburg Rodenstein heimgekehrt.« Er konnte füglich zu jener Zeit wieder nach Hause gehen, der geriebene alte Politikus, der auch in den Tagen seines Glanzes mit allen Winden zu fahren gewohnt war, er hatte die richtige Witterung gehabt, und seine alte Rabenzeitung besser gelesen, als mancher Publizist damals die seinige zu schreiben verstand: denn der Tag von Bronnzell war vorüber, und am 23. Dezember, neun Tage vor seinem Friedensmarsche, hatten die Dresdener Konferenzen begonnen.

Wenn er nun auch gleichwohl hier einigermaßen im Schlepptau der politischen Gezeiten erscheint, denen er sonst vorangeritten, in allerlei Vermummung die Geister aneinanderhetzend, der von der Kirche erfolglos abgesetzte und von der Sagenforschung längst wieder entlarvte altfränkisch-sächsisch-schwäbische Kriegsgott – so ist es doch bei der trotz Kirche, Staat und Polizei nichts weniger als tröstlichen Lage des in zwei Halbganze und eine Anzahl Bruchteile zerspaltenen Vaterlandes hochbedenklich, daß der alte wilde Händeljäger noch immer unbeschworen sein Wesen treiben darf. Suche man ihn daher eiligst, ehe er wieder losbricht, zu bannen, einerseits durch eine naturwissenschaftliche Erklärung aller jener sonderbaren, nicht bloß dem Winde zuzuschreibenden Lufttöne von der Teufelsstimme auf Ceylon bis zu unserem Muotisheer, andererseits aber und ganz insbesondere durch eine politisch-rationale Rechnungsformel, die aus den Bruchteilen, statt die Zweiheit mit ihnen zu nähren, die in ihnen gegebene Grundlage zur Ausgleichung des Zwiespalts und zur Einigung der Gesamtheit schafft: dann erst wird er sich, in den Lehrbüchern der Mythologie und auch in den Tafeln der Geschichte, für immer zur Ruhe setzen.

Endlich aber muß die Naturwissenschaft, wenn sie mit dem Aberglauben fertig werden will, auch nicht vergessen, der lebendigen Natur selbst gerecht zu werden. Mancher Aberglaube, der zum Beispiel mit den Mondphasen getrieben wird, ist nur ein scheinbarer, oder vielmehr, er ist es nur der Form und nicht dem Wesen nach; aber zuzugestehen, daß der Mond im Volllicht eine gewisse Wirkung auf Triebkraft und Wachstum ausübt, das kommt die moderne Wissenschaft sauer an. Ist mir doch einmal ein gelehrtes Haupt in den Weg getreten, das gar die Irrlichter leugnen wollte! Wenn nun diese Feuerschwaden, die ich in Menge gesehen habe, meist einzeln auf der Erde oder auf dem Wasser schwebend, bergauf oder bergab mit einer jeden Laternenträger hundertfach überholenden Geschwindigkeit wandelnd, einmal auch auf weiter Ebene gleichwie in einem Parlament versammelt, das an Zahl die größten Reichstage und Konzilien weit hinter sich ließ, – wenn sie aus der Reihe der natürlichen Dinge gestrichen werden müßten, dann bliebe mir wahrhaftig nichts anderes übrig, als wieder an Gespenster zu glauben.

Zwar der Schade würde durch eine ganz artige Errungenschaft aufgewogen, sofern dann das Geschichtchen von dem Bauer und dem Irrwisch nicht bloß heiter wäre, sondern auch wahr, oder möglich wenigstens. Der Bauer begegnete nämlich nachts einem feurigen Manne, der aber weiland kein bloßer Feldsteußler, sondern etwas viel Vornehmeres, nicht vom besten Angedenken, gewesen war. »Halt ein wenig«, rief er ihn an, »ich will mir nur die Pfeif' an Ihm anzünden.« Se. Gnaden schüttelte sich und schnob, daß die Funken stäubten, mußte sich aber geduldig zum Fidibus hergeben. »So, schön' Dank,« sagte der Bauer, als sein Stummel brannte. »Nichts für ungut. Herentgegen aber, Er ist eigentlich doch ein schlechter Kerl gewesen, das bißle Brennen schad't Ihm nicht die L....«


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