Hermann Kurz
Denk- und Glaubwürdigkeiten – Jugenderinnerungen – Abenteuer in der Heimat
Hermann Kurz

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Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Bescheidenheit ist übrigens durch ein bekanntes hohes Mandat gegen die Lumperei verboten.Nur die Lumpe sind bescheiden. Daher erkläre ich, daß ich mich jetzt gar nicht mehr so klein sehe, wie ich mir im ersten Buche meiner Denkwürdigkeiten vorgekommen bin. Ich habe mich ja zu einer ganz besonders ausgezeichneten Menschenklasse zu rechnen, zu jener großen Generation nämlich, welche in dem für uns größten Jahre des Jahrhunderts auf dem Wahlplatz dieses Lebens erschienen ist, um durch ihr Kriegsgeschrei dem Feinde Furcht und Schrecken einzujagen.

Freilich sitze ich hier weit unten auf der Bank, weil ich nicht rechtzeitig mehr zur Leipziger Schlacht eingetroffen bin. Zwar fühlte ich mich anderthalb Jahre nachher Manns genug, persönlich in die große Zeit mit einzugreifen, verscherzte aber dabei das eiserne Kreuz, weil ich mich an einem unserer Alliierten vergriff. Ich hatte nämlich den unzeitgemäßen Einfall, einem Kosaken, einem guten kinderfreundlichen Mann, der bei uns im Quartier lag und mich auf den Arm genommen hatte, mit beiden Händen dermaßen in seinem großen Barte zu arbeiten, daß er »nach Gott geschrieen« haben soll. Aber diese Tat kenne ich nicht aus eigener Erinnerung, daher ich auch keine Helenamedaille für sie in Anspruch nehme.

Die Ruhe, die, wie schon gesagt, auf die großen Völkerkämpfe folgte, und von der man sich heute, wo es doch auch wieder ein wenig ruhig geworden ist, kaum noch eine Vorstellung machen kann, hat nur eine leise Spur von den Stürmen jener weltgeschichtlichen Tage in mir zurückgelassen, und obendrein in märchenhafter Gestalt.

Das Märchenbild ist dieses. Als ich mich zum ersten Gebrauch meiner Sinne und Gliedmaßen entpuppt hatte, kam ich hie und da in das Haus eines benachbarten Schreinermeisters, der ein bitterer Hasser des längst vom Bellerophon nach dem Felsen der Verbannung entführten Weltherrschers geblieben war und oft in meiner Gegenwart Spottlieder auf ihn zum besten gab, wie sie zurzeit seiner Erniedrigung gesungen worden waren. Aus diesen Liedern und den sie begleitenden Gesprächen konnte mein kindlicher Verstand wenigstens so viel entnehmen, daß sie eine höchst lächerliche und zugleich verabscheuungswürdige Erscheinung darstellen wollten. Was mit der in den Liedern häufig wiederkehrenden Bezeichnung des »Korsen« gesagt sein sollte, begriff ich nicht, um so fester aber erfaßte ich einen anderen Laut, aus dessen dunklem Abgrunde meine Einbildung ein wundersames Ungeheuer ausbrütete. Wer nämlich dem gefallenen Imperator den dynastischen Namen Napoleon nicht zugestehen mochte, bei dem war er einfach »der Bonaparte«, und so hieß er auch im Munde meines Nachbars; aber die verzweifelt breite Aussprache des trefflichen Hobelführers ergab einen Klang, in welchem weder der Italiener noch der Franzose seinen Helden erkannt haben würde. Kurz und gut, in meinem Ohr und meiner Seele blieb ein Bohnenbart zurück. Dieses Phantom war nicht durch den Blaubart hervorgerufen, von dem ich damals noch nichts wußte; und dennoch war's gleichsam sein leiblicher Vetter, den ich mir jetzt noch vor Augen stellen kann, wie er in meinen Träumen aussah, im grünen Frack, nach einem Zerrbild, das in der Stube des Schreiners, aber hoch an der Wand, unter einem erblindeten Glase hing, und mit der Zutat meiner Phantasie, nämlich mit einem Schnurrbart, der aus kleinen, seinen, grünen Bohnen bestand. Ich kann nicht schildern, welche Verheerungen dieses Gespenst in meiner nächtlichen Ruhe angerichtet hat, bis es von anderen Schauerwesen oder auch von den traulichen Geistern der Küche und Speisekammer abgelöst wurde.


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