Hermann Kurz
Denk- und Glaubwürdigkeiten – Jugenderinnerungen – Abenteuer in der Heimat
Hermann Kurz

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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Meine Verewigung brauchte ich ohnehin weder auf diesem noch auf einem anderen Wege mehr zu suchen; dafür war gesorgt; denn zu der Zeit, da der eine meiner beiden Großväter, der akademische Druckerherr, mir das Reisen verleidete, hatte mir der andere, der reichsstädtische Senator und Glockengießermeister, schon längst ein Denkmal errichtet. Und was für eines! Zwar nicht ganz so hoch wie die Pyramide des Cheops, aber doch etwas mehr als halb so hoch. Wem dies unglaublich erscheint, der kann sofort die Überzeugung gewinnen, daß es sich gleichwohl ganz einfach begeben hat.

Auf dem Münsterturme der alten Reichsstadt steht ein goldener Engel, der die Stelle des Hahns vertritt, indem er sich mit der Wetterfahne in den Händen nach allen Seiten im Kreise dreht. Eine dumpfe Sage will behaupten, der Engel sei eigentlich die heilige Jungfrau selbst, die erst infolge der Reformation den Namen gewechselt habe; indessen gehört diese These zu den bestrittenen. Gewiß ist nur das, daß die Kirche einst zu Mariens Ehre gebaut worden ist, und daß die Städter sie auch in der nachkatholischen Zeit immer mit Stolz ihre Frauenkirche genannt haben, mit begründetem Stolze, da sie, wenn auch zu den kleinsten, doch zu den wenigen vollendeten Münsterbauten gehört. An der etwas zu raschen Verjüngung der Turmspitze erkennt man zwar die allmähliche Ebbe der Baugelder, aber auch zugleich den körnigen Sinn unserer Vorfahren, welche lieber ein minder vollkommenes Werk fertig bringen, als ein vollkommenes Bruchstück hinterlassen wollten.

Dieser Engel nun war wieder einmal im Laufe der Jahrhunderte schadhaft geworden, und man mußte ihn herabholen, um ihn seiner kreisamtlichen Berufstätigkeit zurückgeben zu können. Ein kecker Maurer, die ärmste aber lustigste Haut in der Stadt, erbot sich zu dem Unterfangen, das – so windstill und leer an Begebenheiten waren die Jahre nach den Befreiungskriegen – als ein ungeheures Schauspiel betrachtet wurde. Man hielt eine Betstunde für den Wagehals und ließ ihn dann unter großem Zulaufe die Spitze des Turmes ersteigen. Mit sicherer Hand leitete er dort die Vorrichtungen, durch welche der Engel herunterbefördert wurde, worauf derselbe bei mehreren Meistern die Runde machte und so auch unter den Lötkolben des alten Senators kam. Da hätte ich nun Gelegenheit genug gehabt, in der Streitfrage über seine Gestalt Untersuchungen anzustellen; aber meine Beobachtungsgabe war noch sehr unentwickelt und daher auch die Ehre, die mir bei diesem Anlaß widerfuhr, gar wenig verdient.

Der Großvater legte nämlich zu den Urkunden, die sich im hohlen Innern des Engels befanden, ein Blatt, worauf er nach altem Herkommen seinen Anteil an der Reparatur, sowie Zahl und Namen seiner vielen Kinder und Enkel verzeichnete, und da ich unter den letzteren damals der jüngste war, so schlüpfte ich gerade noch mit in den Engel hinein. Die anderen, die später nachkamen, können sich dafür, daß es an ihnen ausgegangen ist, leicht mit dem Gedanken trösten, daß das Prytaneum, das wir Bevorzugtere bewohnen, wetterlaunisch ist und obendrein bloß vergoldet; ich aber lasse es mir trotzdem gefallen, eine Strecke, die immerhin den Ehrgeiz beschäftigen darf, da sie auf zweihundertfünfundfünfzig Werkschuh geschätzt wird, den Sternen näher gekommen zu sein. Soviel beträgt die Höhe des Turms, und wenn ich den Engel mit einrechne, so werde ich eher noch ein Paar Schuh zulegen dürfen.

Die Auffahrt ging gleichfalls glücklich von statten. Der fröhliche Maurer verabschiedete sich feierlich von dem wieder aufgesetzten Engel, schwang eine Fahne, leerte eine Flasche, die er sodann herunterwarf, und tat einige Schüsse, daß die Dohlen und Krähen entsetzt um den Turm flatterten. Hierauf trat er den Rückweg an; droben aber bei den anderen Auserwählten blieb mein Name, und es kann daher nicht dem leisesten Zweifel unterliegen, daß er auf die Nachwelt kommen wird.


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