Franz Kugler
Friedrich der Große
Franz Kugler

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Dreiundvierzigstes Capitel.

Friedrich's häusliches Leben im Alter.

Von dem heitern Kreise, der sich in früheren Jahren in Sanssouci bewegt und die Muße des großen Königs verschönert hatte, war im Verlaufe des siebenjährigen Krieges manch Einer geschieden. Ein großer Theil von Friedrich's Freuden lag bereits, als er nach den Stürmen des Krieges in sein stilles Asyl zurückzog, im fernen Reiche der Erinnerung. Aber gern gedachte er der glücklichen Zeiten, und gern ließ er ihren Abglanz in die stets einsamer werdende Gegenwart herüberleuchten. Seiner verehrten Schwester, der Markgräfin von Baireuth, weihte er ein eigenthümliches Denkmal. »Mag es Schwachheit oder übertriebene Verehrung sein,« – so schrieb er im Jahre 1773 an Voltaire, – »genug, ich habe für diese Schwester das ausgeführt, worauf Cicero für seine Tullia dachte, und ihr zu Ehren einen Tempel der Freundschaft errichten lassen. Im Hintergrunde steht ihre Statue, und an jeder Säule ist ein Medaillon von einem solchen Helden befindlich, der sich durch Freundschaft berühmt gemacht hat. Der Tempel liegt in einem Bosquet meines Gartens, und ich gehe oft dahin, um an so manchen Verlust und an das Glück zu denken, das ich einst genoß.« – Noch heute giebt der elegante Marmorbau dieses Freundschafts-Tempels den schönen landschaftlichen Bildern, die sich in dem Garten von Sanssouci aneinanderreihen, mehrfach einen charakteristischen Reiz.

In gleicher Weise gab Friedrich auch der Erinnerung an die abgeschiedenen Helden, die unter ihm für das Vaterland gekämpft, durch eine Reihe von Denkmälern eine feste Stätte. Das marmorne Standbild Schwerin's hatte er schon während des siebenjährigen Krieges beginnen lassen; im April 1769 wurde dasselbe auf dem Wilhelmsplatze zu Berlin aufgestellt. In späteren Jahren folgten auf derselben Stelle die Statuen von Seydlitz, Keith (dem Feldmarschall, der bei Hochkirch gefallen war) und Winterfeldt. Zieten, der wenig Monate vor Friedrich starb, erhielt sein Denkmal erst unter dem folgenden Könige, und noch später ward diesen Fünfen das Standbild des Siegers von Kesselsdorf, des Fürsten Leopold von Dessau, hinzugefügt. So gemahnen die Marmorbilder, die unter den Linden des Wilhelmsplatzes stehen, die Nachkommen fort und fort an jene unvergeßliche Zeit.

Bis zur Zeit des bairischen Erbfolgekrieges blieben Friedrich indeß noch einige nähere Freunde erhalten, mit denen er der Vergangenheit gedenken und sich auch noch so mancher anmuthigen Blüthe, die der Herbst des Lebens auf's Neue emporsprießen machte, erfreuen konnte. Marquis d'Argens zwar, der während des siebenjährigen Krieges so treu an dem Könige gehalten und mit der Schärfe seiner Feder für ihn gekämpft hatte, fand sich, als das gebrechliche Alter sich einstellte, in der rauhen Luft des Nordens nicht mehr behaglich und sehnte sich bald nach seiner warmen Heimath, nach der schönen Provence, zurück. Friedrich mußte ihn schon im Jahre 1764 zu einem Besuch dorthin entlassen; da ihm aber der Freund zu lange ausblieb, so sann er auf ein eigenes Mittel, seine Rückkehr zu beschleunigen. Er setzte, im Namen des Erzbischofs von Aix, einen förmlichen Hirtenbrief gegen die Freigeister auf, unter denen der Marquis namentlich angeführt ward, und sandte diesen in einigen Exemplaren an Personen von d'Argens' Bekanntschaft. D'Argens, nicht gewohnt mit persönlicher Gefahr zu scherzen, meinte, das könne ihm von Seiten fanatischer Landsleute eine bedenkliche Begegnung bereiten; nothgedrungen entschloß er sich zur Rückreise. Doch blieb die Sehnsucht nach der Heimath wach, und auf's Neue bat er Friedrich, ihn zu entlassen. Da der König sich entschieden weigerte, seine Zustimmung zu geben, so glaubte d'Argens endlich, Friedrich halte ihn nur deshalb fest, weil er so viele vertraute Briefe, die leicht zu Mißbrauch Anlaß geben könnten, von seiner Hand besitze. Er packte sie zusammen und sandte sie an Friedrich zurück, mit innig ausgesprochenem Dank für all die Gnade, die er bei ihm genossen, und mit der erneuten Bitte um seinen Abschied. Jetzt gewährte Friedrich, tief gerührt, die Bitte des Freundes. D'Argens erhielt das Packet Briefe uneröffnet wieder; gleichwohl nahm er sie nicht mit, als er, im Jahr 1769, den gastlichen Boden verließ. Bald nachdem er seine Heimath erreicht hatte, starb er.

Zwei Andere, Fouqué und der Lord-Marschall Keith, beide hochbetagt, blieben bis an ihren Tod getreu zur Seite des Königs und erfreuten sich der theilnehmendsten Sorgfalt, mit der Friedrich, selbst schon die Beschwerden des Alters fühlend, ihre letzten Tage zu erheitern suchte. Fouqué hatte, nachdem er aus der österreichischen Gefangenschaft zurückgekehrt war, dem Kriegsdienste entsagt, zu dessen Erfüllung seine Kräfte nicht mehr hinreichten; zum Domprobste in Brandenburg ernannt, nahm er fortan dort seine Wohnung, aber mehrfach besuchte er den König in Sanssouci oder empfing, als er nicht mehr reisen konnte, dessen Besuche in seiner stillen Zurückgezogenheit. Friedrich sandte ihm Alles zu, was ihm das Leben noch angenehm und behaglich machen konnte: hundertjährige Weine, die ausgesuchtesten Früchte seines Gartens und andre Dinge für seinen häuslichen Bedarf. Um seine Spaziergänge in des Freundes Gesellschaft zu genießen, ließ Friedrich ihn, den seine Füße nicht mehr tragen wollten, in einem Sessel die Treppen herabtragen, in einen eigends dazu verfertigten Wagen setzen und durch die Alleen von Sanssouci fahren, während er zu Fuße nebenher ging. Als sein Gehör schwach ward, sandte er ihm mancherlei Röhren zur Verstärkung des Schalles. Als ihm selbst das Sprechen schwer ward, erfand man eine Maschine, durch Zusammensetzung der Buchstaben die Worte zu ergänzen, die er nicht aussprechen konnte, und auch Friedrich bediente sich dieser Methode, um sich mit ihm zu unterhalten. Im Jahr 1774 starb Fouqué.

Noch näher gestaltete sich das Verhältniß mit dem Lord-Marschall Keith, der während des siebenjährigen Krieges in wichtigen diplomatischen Sendungen beschäftigt gewesen war. Zwar hatte auch diesen, nach Beendigung des Krieges, das Heimweh nach Schottland zurückgetrieben; aber der Siebzigjährige hatte sich dort gar vereinsamt gefühlt, und so führte ihn schon im Jahr 1764 ein stärkeres Heimweh nach Sanssouci zurück. Friedrich ließ ihm neben Sanssouci ein Haus bauen und einrichten, über dessen Eingang. Keith die Worte setzte: Fredericus II. nobis haec otia fecit. Täglich konnte er, ganz nach seinem Belieben, um Friedrich sein und alle Bequemlichkeiten genießen. Er fühlte sich in dem Landhause des großen Königs, das scherzweise unter den Freunden oft »das Kloster« genannt ward, sehr glücklich. »Unser Pater Abt,« pflegte er zu sagen, »ist der umgänglichste Mensch von der Welt.« – »Indeß (fügte er hinzu), wenn ich in Spanien wäre, so würde ich mich in meinem Gewissen verpflichtet achten, ihn bei der heiligen Inquisition als der Zauberei schuldig anzugeben. Denn würde ich wohl, wenn er mich nicht bezaubert hätte, hier verbleiben, wo ich nur das Bild der Sonne sehe, während ich in dem schönen Klima von Valencia leben und sterben könnte?« – In Valencia hatte Keith früher glückliche Tage verlebt und dort, wie er sagte, »viele gute Freunde gefunden, besonders die liebe Sonne.« Er blieb Friedrich in unwandelbarer Treue und Offenheit ergeben und hieß allgemein nur »der Freund des Königs.« Er starb, 88 Jahre alt, während des bairischen Erbfolgekrieges.

Ebenso erfreute sich auch der alte Zieten mannigfacher Huld und Theilnahme. Zieten wohnte in Berlin und der König besuchte ihn allemal, wenn er dahin kam. Einst war Zieten an Friedrich's Tafel eingeschlummert; einer der Mitspeisenden wollte ihn wecken, aber Friedrich sagte: »Laßt ihn schlafen, er hat lange genug für uns gewacht.« Im Jahr 1784, als Friedrich zur Carnevalszeit Berlin besuchte, erschien Zieten, schon 85 Jahre alt, im Parolesaal des Schlosses. Sowie ihn Friedrich bemerkte, trat er auf ihn zu, begrüßte ihn und sagte: »Es thut mir leid, daß Er sich die Mühe gegeben hat, die vielen Treppen zu steigen; ich wäre gern zu Ihm gekommen. Wie steht's mit der Gesundheit?« – »»Die ist gut, Ew. Majestät, mir schmeckt noch Essen und Trinken, aber ich fühl's, daß die Kräfte abnehmen.«« – »Das Erste hör' ich gern; aber das Stehen muß Ihm sauer werden.« Friedrich befahl, einen Stuhl herbeizubringen. Zieten weigerte sich, davon Gebrauch zu machen, versichernd, er sei nicht müde; der König aber bestand darauf, mit den mehrmals wiederholten Worten: »Setz' Er sich, alter Vater! setz' Er sich, sonst geh' ich fort, denn ich will Ihm durchaus nicht zur Last fallen.« Zieten gehorchte endlich, und Friedrich unterhielt sich stehend noch geraume Zeit mit ihm.

Mit den Entfernten setzte Friedrich, wie in früheren Zeiten, einen lebhaften Briefwechsel fort, unablässig bemüht, seine Gedanken über die wichtigsten Interessen des Menschen auszutauschen. Vorzüglich ist unter diesem Briefwechsel der mit Voltaire und mit d'Alembert ausgezeichnet. Doch auch hier riß der Tod bald neue Lücken. Voltaire starb, wie bereits bemerkt, während des bairischen Erbfolgekrieges, gleichzeitig mit dem Lord-Marschall Keith. D'Alembert's vertrauliche Worte blieben dem Könige bis zum Jahr 1783.

Neben dem Genuß, den die Freunde aus der alten Zeit gewährten, tauchten nach dem siebenjährigen Kriege indeß auch noch einige eigenthümliche Freuden geselligen Verkehrs für den alternden König auf. So ward der Sylvesterabend an sogenannter »Confidenztafel« mit einigen Damen, die Friedrich aus jener alten Zeit werth waren, unter dem Vorsitz seiner Schwester, der unvermählten Prinzessin Amalie, gefeiert. Da nach althergebrachter Sitte den Frauen am letzten Tage des Jahres die Herrschaft gebührt, so fand eine Jede von ihnen unter ihrer Serviette Krone und Scepter von Zucker, die Süßigkeit ihres Regimentes anzudeuten. Wirth und Gäste boten an diesem Abend allen Witz und alle Laune auf, um das Fest mit Fröhlichkeit zu schmücken. Aber auch hier trat nur zu bald der Tod störend hinein. – Noch heiterer entfaltete sich auf kurze Zeit das Leben um Friedrich, als der Prinz von Preußen, Friedrich Wilhelm, sich im Jahr 1765 mit der anmuthigen Prinzessin Elisabeth von Braunschweig vermählte. Fast täglich wurden jetzt einige Offiziere, oft schon des Nachmittags, zum Könige eingeladen, auch wenn er auf Sanssouci war; zur Unterhaltung dienten theatralische Vorstellungen, jede Woche war einigemal Tanz nebst kleinen gesellschaftlichen Spielen. Der König selbst nahm an diesen Vergnügungen stets lebhaften Antheil. Aber die Ehe war unglücklich; sie mußte nach einigen Jahren schon aufgelöst und die Prinzessin vom Hofe, entfernt werden. Neue Einsamkeit, durch bittern Unmuth verdüstert, trat schnell an die Stelle des fröhlichen Verkehrs. – Die Prinzessin Elisabeth ist im höchsten Alter erst kürzlich (am 18. Februar 1840) zu Stettin gestorben, die Einzige, die von den Tagen des alten Glanzes von Sanssouci noch aus eigner Theilnahme Kunde zu geben vermochte.

Die Zeit des bairischen Erbfolgekrieges, von der ab der Tod mit rascher Hand die letzten Umgebungen Friedrich's lichtete, bezeichnet auch die Periode, bis zu welcher die musikalischen Genüsse, die so wesentlich zur Erfrischung seines Geistes beitrugen, andauerten. Bis gegen diese Jahre war des Abends regelmäßig, nach alter Sitte, im Zimmer des Königs Concert. Als ein besonders merkwürdiges Concert hat man jenes aufgezeichnet, welches im September 1770, als Friedrich in Potsdam den Besuch der verwittweten Kurfürstin Antonie von Sachsen empfing, angeordnet wurde: die Kurfürstin spielte den Flügel und sang; Friedrich, von Quantz begleitet, blies die erste Flöte, der Erbprinz von Braunschweig spielte die erste Violine und der Prinz von Preußen das Violoncell. Aber Quantz starb im Jahr 1773, mangelnde Vorderzähne verhinderten Friedrich am Flöteblasen und so fand er, da er die eigne Thätigkeit aufgeben mußte, bald auch im Anhören der Concerte keine Freude mehr.

Allmählig wird es immer einsamer um den König her. Auch von den Gliedern seiner Familie verläßt einer nach dem andern, mancher in blühender Jugend, seinen Platz. Auf's Tiefste hatte ihn besonders der Tod eines geliebten hoffnungsvollen Neffen erschüttert, des Prinzen Heinrich, jüngern Bruders des Prinzen von Preußen, der im Jahr 1767, zwanzig Jahre alt, starb. Er schrieb auf ihn eine Gedächtnisrede, die all seine Zärtlichkeit für diesen Prinzen und alle Trauer über seinen Verlust athmet, und ließ dieselbe in der Akademie vorlesen. Ueberhaupt hatte er mit seiner Familie allmählig immer weniger vertrauten Verkehr. Seine Gemahlin lebte in ihrer stillen Zurückgezogenheit, ihre Tage nur durch Wohlthun, wissenschaftliche Beschäftigung und kindliche Frömmigkeit bezeichnend, ohne Sanssouci je gesehen zu haben. Zuweilen pflegte er des Winters bei ihr im Schlosse von Berlin zu speisen, ohne doch jemals mit ihr zu sprechen. Das seltne Fest des goldnen Ehejubiläums, das im Jahr 1783 erschien, wurde nicht öffentlich gefeiert. Doch sorgte er nach wie vor, sie in den gebührenden Ehren zu erhalten. Sie starb elf Jahre nach ihm.

Auch zu dem Thronfolger, dem Prinzen von Preußen, gestaltete sich kein näheres Verhältniß. Manche Gründe hatten eine gegenseitige Kälte veranlaßt. Indeß äußerte Friedrich eine lebhafte Freude, als dem Prinzen, nachdem dieser zur zweiten Ehe geschritten, der erste Sohn, der nachmalige König Friedrich Wilhelm III., am 3. August 1770 geboren und hiedurch der weiteren Thronfolge eine Bürgschaft gegeben ward. »Ich wünsche,« – so schrieb er über dies Ereigniß prophetischen Sinnes an Voltaire, – »daß dies Kind die Eigenschaften habe, die es haben muß, und daß es, fern davon, die Geißel des menschlichen Geschlechtes zu sein, vielmehr dessen Wohlthäter werde.« Und an einen andern Freund schrieb er: »Ein Ereigniß, das für mich und für mein ganzes königliches Haus so wichtig ist, hat mich mit der lebhaftesten Freude erfüllt; und was mir diese Freude noch inniger macht, ist, daß sie das ganze Vaterland mit mir theilt. Könnte es einst auch mit mir die Freude theilen, diesen jungen Prinzen auf den ruhmvollen Bahnen seiner Vorfahren schreiten zu sehen!« – In solcher Weise knüpft sich die schicksalsvolle Zukunft unmittelbar an die Tage Friedrich's; und wie er selbst einst, am Tage seiner Taufe, von seinem Großvater in das Leben eingeführt ward, so trägt er jetzt das nachfolgende Geschlecht den Worten der Weihe für das Leben entgegen. Ein Bericht über die Taufe des Prinzen Wilhelm, jüngsten Sohnes des Thronfolgers, des nachmaligen Siegers von Laen, giebt uns das Bild einer solchen Scene, die freilich, im Gegensatz gegen die prunkvollen Ceremonien König Friedrich's I., den Charakter einer wesentlich verschiedenen Zeit offenbart. Es war der 10. Juli 1783, an welchem Prinz Wilhelm zu Potsdam getauft werden sollte. Das Corps der höhern Offiziere von der Garde hatte sich vor dem Palais des Prinzen versammelt und erwartete hier den König. Als dieser, in Begleitung des Prinzen Friedrich von Braunschweig, angekommen war, ward er durch den Thronfolger hinaufgeleitet, während die übrige Versammlung nachfolgte. Vor dem Zimmer der Prinzessin befanden sich die Kinder des Prinzen, den König zu empfangen. Hier stand auch ein Tisch mit einem silbernen Taufbecken, zur Seite ein rothes Paradebett, auf welchem der Täufling lag. Dabei standen der Hofprediger, die Amme und ein paar Kammermädchen. Nachdem der König sich hier etwa eine Minute aufgehalten hatte, ging er in das folgende Zimmer, in welchem die Prinzessin von Preußen auf dem Bette saß. Nach kurzer Beglückwünschung kehrte Friedrich wieder in das Taufzimmer zurück; eine der Hofdamen hatte unterdeß den Prinzen von dem Paradebett aufgenommen und legte ihn nun dem Könige, sobald er an den Tauftisch trat, in die Arme. Der Geistliche verrichtete die Handlung mit wenigen Worten, unter denen der Wunsch, daß der Prinz zur Zierde des königlichen Hauses aufwachsen möge, die Hauptsache war. Hierauf ging der König wieder zu der Prinzessin, um sich zu empfehlen. Als er wegging, standen die kleinen Prinzen noch im Taufzimmer; sie küßten ihm die Hand; der zweite, zehnjährige Prinz – Ludwig, gestorben 1796 – sah seinen großen Oheim beweglich an. »Was fehlt Ihm?« fragte ihn der König. »Sein Rock steht Ihm wohl nicht mehr an? Nun, so ziehe Er nur einen Soldatenrock, wie Sein Bruder, an!« Der kleine Prinz war über diese Erlaubniß außerordentlich erfreut, bedankte sich und Friedrich ging, von dem Prinzen von Preußen begleitet, hinunter und stieg wieder zu Pferde. Das Alles geschah in sieben Minuten.

Besondere Anregung in das Leben von Sanssouci bringen fortan fast nur noch die, freilich nicht seltnen Besuche ausgezeichneter Reisenden, die den Mann des Jahrhunderts zu sehen und ihm ihre Huldigung auszusprechen kommen. Viele ausgezeichnete Namen sind unter diesen Besuchern aufbewahrt. Wir nennen nur zwei von ihnen: La Fayette und Mirabeau. Der Letztere wurde dem Könige am 25. Januar 1786 vorgestellt. So knüpft sich auch hier alte und neue Zeit zusammen.

Friedrich's Dienerschaft bestand nur aus wenigen Personen, indem bei seiner einfachen Lebensweise seine Bedürfnisse leicht befriedigt waren. Ueber seinen Verkehr mit diesen Leuten wird eine Menge von Anekdoten erzählt; sie stellen den König meist als einen sehr strengen, oft aber auch als einen ungemein nachsichtigen Herrn dar. Unter diesen Anekdoten ist eine, die seinen eigenthümlichen Charakter auf sehr liebenswürdige Weise hervortreten läßt. An einem Tage, so erzählt man, klingelte der König in seinem Zimmer. Da Niemand kam, öffnete er das Vorzimmer und fand seinen Leibpagen auf einem Stuhle eingeschlafen. Er ging auf ihn zu und wollte ihn aufwecken; doch bemerkte er in dem Augenblick in der Rocktasche des Pagen ein beschriebenes Papier. Dies erregte seine Aufmerksamkeit und Neugier; er zog es hervor und las es. Es war ein Brief von der Mutter des Pagen und enthielt ungefähr Folgendes: Sie danke ihrem Sohne für die Unterstützung, die er ihr übersandt und sich von seinem Gehalt erspart habe. Gott werde ihn dafür belohnen; und diesem solle er so getreu, wie seinem Könige stets ergeben sein, dann werde er Segen haben, und sein irdisches Glück werde ihm gewiß nicht fehlen. Der König ging leise in sein Zimmer zurück, holte eine Rolle Dukaten und steckte sie mit dem Briefe dem Pagen wieder in die Tasche. Bald darauf klingelte er so stark, daß der Page erwachte. »Du hast wohl geschlafen?« fragte der König. Der Page stammelte eine halbe Entschuldigung und eine halbe Bejahung her, fuhr in der Verwirrung mit einer Hand in die Tasche und ergriff mit Erstaunen die Rolle Dukaten. Er zog sie hervor, ward blaß und sah den König mit Thränen in den Augen an, ohne ein Wort reden zu können. »Was ist Dir?« fragte der König. »Ach, Ew. Majestät,« erwiederte der Page, indem er vor ihm auf die Knie fiel, »man will mich unglücklich machen; ich weiß von diesem Gelde nichts!« – »Ei,« sagte der König, »wem es Gott giebt, dem giebt er's im Schlafe. Schick's nur Deiner Mutter, grüße sie und versichre ihr, daß ich für Dich und sie sorgen werde.«

Endlich gehören zu der täglichen Umgebung Friedrich's auch noch die zierlichen Windspiele, deren berührige Lebendigkeit die Stille um ihn unterbrach und an denen er bis zu seinen letzten Augenblicken seine Freude hatte. Drei oder vier Hunde waren beständig um ihn; der eine war der Liebling, diesem dienten die andern zur Gesellschaft. Er lag stets an der Seite seines Herrn auf einem besondern Stuhle, im Winter mit Kissen bedeckt, und schlief des Nachts in dem Bette des Königs. Alle möglichen Unarten waren diesen Hunden verstattet; sie durften sich die kostbarsten Kanapees nach Gefallen aussuchen. Zu ihrem Zeitvertreibe fanden sie in den Zimmern lederne Bälle zum Spielen. Wenn der König die Bildergallerie von Sanssouci, wo er sich gern aufhielt, oder die Gärten besuchte, waren sie seine beständigen Begleiter. Auch zum Carneval folgten sie ihm nach Berlin, in einer sechsspännigen Kutsche, unter der Aufsicht eines besondern Lakaien. Man versichert, der Letztere habe sich in der Kutsche auf den Rücksitz gesetzt, da die Windspiele den Vordersitz einnahmen, habe auch die Hunde stets mit Sie angeredet, z. B. »Biche, sein Sie doch artig! Alcmene, bellen Sie nicht so!« – Einst ließ sich Friedrich aus Bayle's Wörterbuch einen Artikel über die Thierseelen vorlesen; er hatte eben seinen damaligen Lieblingshund Arsinoe auf dem Schooße und sagte dabei zu dem: »Hörst du, mein Liebling? von dir ist die Rede! Sie sagen, du hättest keinen Geist; aber du hast doch Geist, mein kleiner Liebling!« – Neben der Flora von Sanssouci, unter der Friedrich sein Grab sich hatte bereiten lassen, – auch noch in seinem letzten Willen bestimmte er diese Stelle zu seiner Ruhestätte, – sind seine Lieblingshunde nacheinander begraben worden; Steinplatten mit ihren Namen bedecken ihre Gräber.

Auch für seine Leibpferde hatte Friedrich eine eigenthümliche Zuneigung. Er sorgte für ihre beste Pflege und gab ihnen oft, ihrem besondern Charakter gemäß, die Namen historischer Zeitgenossen. So gehörten der Brühl, Choiseul, Kaunitz, Pitt u. a. zu seinen vorzüglichsten Pferden. Eins hieß Lord Bute; dies mußte aber die Schuld seines Namensvetters abbüßen und mit den Mauleseln Orangenbäume ziehen, als England im Jahr 1762, bundbrüchig gegen Preußen, mit Frankreich Frieden schloß. Besondrer Zuneigung erfreute sich der Rothschimmel Cäsar; als er alt ward, durfte er frei in dem Lustgarten des Potsdamer Schlosses umhergehen, auch äußerte das Thier stets große Freude, wenn Friedrich von Sanssouci zur Parade nach Potsdam kam. Oft mußte die Nachtparade eine andre Wendung machen, wenn Cäsar im Wege stand. Die höchste Gunst aber ward dem Fliegenschimmel Condé, der sich durch ebenso große Schönheit wie durch Tüchtigkeit und muntres Wesen auszeichnete, zu Theil. Friedrich hatte für ihn zwei kostbare Reitzeuge von blauem Sammet mit reicher Silberstickerei machen lassen und brauchte ihn fast nur zu Spazierritten. Fast täglich ließ er sich ihn vorführen und fütterte ihn mit Zucker, Melonen und Feigen. Auch kannte der Condé ebenfalls seinen Wohlthäter so gut, daß er, wenn man ihn frei gehen ließ, gerade auf ihn zulief, um sich die gewohnten Delicatessen zu holen; er verfolgte dabei den König oft bis an die Zimmer, selbst bis in den Saal des Schlosses von Sanssouci.

Immer stiller ist es in Sanssouci geworden. Das heitre Gespräch, das einst von Geist und Laune übersprudelte, ist allgemach verhallt; Flöte und Saitenspiel erklingen schon geraume Zeit nicht mehr in den Räumen, die ihnen gewidmet waren. Aber Eins schwindet nicht; Eins ist es, was diesen unbesieglichen Geist trotz aller Entbehrungen, trotz all der Last, mit welcher Alter und Krankheit den Körper drücken, immer auf's Neue frisch und jugendlich macht: es ist die unausgesetzte Beschäftigung mit der Wissenschaft. Fort und fort saugt er, wie in den Zeiten des jugendlichen Wissensdranges, neue, lebenskräftige Nahrung aus den Schriftwerken des griechischen und römischen Alterthums und aus denen, welche die Heroen der französischen Literatur hinterlassen haben. Seine Begeisterung bleibt immer neu, mit immer wiederkehrender Liebe erfreut und erwärmt er sich an den Schönheiten, durch die ihm einst das Auge des Geistes geöffnet ward. Auch die eigne geistige Thätigkeit rastet nicht; eine große Anzahl von den Erzeugnissen seiner Feder gehört dieser spätern Periode seit dem Ende des siebenjährigen Krieges an. Schon unmittelbar nach dem Kriege hatte er die Geschichte desselben gearbeitet; dann hatten die Geschichten der Theilung von Polen und des bairischen Erbfolgekrieges ebenfalls Anlaß zu historischer Darstellung gegeben, so daß wir, neben der Geschichte von Friedrich's Vorgängern, zugleich fast die ganze lange Reihe der politischen Ereignisse, an denen er selbst seit dem Beginn des ersten schlesischen Krieges Theil gehabt, von seiner eignen Hand und nach seiner eignen Anschauung aufgezeichnet besitzen, – eine Reihe historischer Werke, wie in ähnlicher Beziehung keine zweite vorhanden ist. Auch waltet in Allem, was Friedrich über die Geschichte seines eignen Lebens schrieb, die strengste Unparteilichkeit ob; nichts davon ist bei seinen Lebzeiten gedruckt worden, nichts wissentlich der Zuneigung oder Abneigung wegen in falschem Lichte dargestellt; diese Arbeiten waren nur für die Nachwelt bestimmt. Neben diesen Werken ist eine große Anzahl verschiedener Abhandlungen, meist moralischen und staatswissenschaftlichen Inhalts, zu nennen. Mehrere derselben, wie z. B. die »Abhandlung über die Regierungsformen und die Pflichten der Regenten«, vom Jahr 1777, und die »Briefe über die Liebe zum Vaterlande«, vom Jahr 1779, schließen sich, in merkwürdiger Uebereinstimmung der Gesinnungen, dem berühmten Werke seiner Jugend, dem Antimacchiavell, an. Auch in Gedichten spricht er wiederholt den Drang seines Innern aus, und wie er in seiner frühen Zeit nach der Erforschung ewiger Wahrheit gerungen, so strömt er in dichterischer Form auch noch kurz vor seinem Tode – in seinem »Unde? Ubi? Quo? – alle bangen Zweifel und alle tröstende Sehnsucht nach dem klaren Lichte des Jenseits aus.

In einer Beziehung aber tritt auch bei dieser wissenschaftlichen Beschäftigung ein eigenthümlich tragisches Verhältniß hervor, und es hält schwer, sich der tiefsten Wehmuth zu erwehren, wenn man auf dasselbe zurückblickt. Friedrich hatte ein langes Leben mit treuer Gewissenhaftigkeit dem Dienste des Vaterlandes gewidmet; er hatte unermüdlich für dasselbe gewacht und gekämpft; er hatte die Freude, am Abend seines Lebens nicht blos seinen eignen Staat geehrt, blühend und reich zu sehen: auch das gesammte deutsche Land hatte an seiner Größe sich auferbaut, aus seinem Heldenstreben hohe Kräftigung in sich gesogen, an der Weisheit seines Regimentes sich erwärmt und entzündet. Das war der schönste Lohn seiner Mühen; aber um diesen Lohn vollständig zu genießen, um sich zu überzeugen, daß er Alles erreicht habe, was er erstrebt, verlangte er auch noch den Anblick derjenigen Blüthen, die das einzige Kennzeichen der höhern Entwickelung sind, den Anblick einer frischen, schöpferischen Thätigkeit im Bereiche der Wissenschaft und Poesie. Ihm stand das Leben des Geistes zu hoch, als daß er sich nicht innig gesehnt hätte, sein Volk auch darin unter den ersten hervorleuchten zu sehen. Und auch dieses Glückes, dieser edelsten Befriedigung seiner Wünsche hätte er theilhaftig werden können. Seit er dem deutschen Volke seine alte Würde zurückgegeben, war schnell eine Schaar der regsamsten, gediegensten Geister erwacht, die in Schrift und Rede den Preis der deutschen Wissenschaft verkündeten, und Lieder klangen durch das deutsche Land, wie sie seit den schönen Zeiten der Minnesänger nicht gehört waren. Den Namen eines Klopstock, eines Lessing hatten sich bereits die eines Winkelmann, Herder, Wieland, Goethe und vieler Anderer angereiht, die keinem der gefeiertsten Namen der Fremde nachstehen. Aber Friedrich kannte sie nicht, und, was trauriger ist, er hatte nicht den Sinn, ihre Sprache zu verstehen. Er, der für einen Gedanken von Voltaire's Henriade die ganze Iliade Homer's herzugeben geneigt war, vermochte nicht über die Schranken hinauszublicken, welche die höfische Etikette der französischen Poesie um sich und um ihn gezogen. Er ahnte so wenig, in welchem Boden die Kraft und die Schönheit unsrer Sprache und Poesie wurzle, daß er, als der Professor Müller in Berlin ihm die große Sammlung der schönen Gedichte des deutschen Mittelalters widmete, die er mit sorgenvoller Mühe zu Stande gebracht, nichts weiter zu antworten wußte, als: die Gedichte seien keinen Schuß Pulver werth. So mußte er, weil er dem deutschen Sinne sich abgewandt, darben mitten im Ueberflusse; so vereinsamte er mitten unter den Zeugnissen eines reichen heitern Lebens, die vorzugsweise durch die großen Thaten seines Lebens hervorgerufen waren: so ging der tröstende, der erhebende Zuspruch der deutschen Muse an seinem Ohre unvernommen vorüber. Und dennoch, obgleich er sein Volk noch in all der Rohheit befangen glaubte, die in den Zeiten seiner Jugend vorherrschend war, dennoch hielt er die freudige Zuversicht aufrecht, daß der Geist des deutschen Volkes sich dereinst in glänzender Herrlichkeit offenbaren müsse und daß die Aeußerung seiner Kraft sich über alle Lande ausbreiten werde. Er schrieb, im Jahr 1780, eine ausführliche Abhandlung »über die deutsche Literatur, über die Fehler, die man ihr vorwerfen kann, über deren Ursachen und über die Mittel, durch welche sie zu verbessern sind«. Die Abhandlung ist insofern mangelhaft und werthlos, als Friedrich sich nur auf die schlechtesten Erscheinungen, welche die deutsche Literatur in seiner Jugend hervorgebracht hatte, bezieht. Aber der Sinn, in welchem die Abhandlung geschrieben ist, versöhnt mit all diesen Mängeln und giebt das lauterste, das rührendste Zeugniß der Liebe und Treue, mit der er bis an das Ende seiner Tage am Vaterlande festhielt. Denn mit den folgenden prophetischen Worten, die freilich noch Bedeutenderes verkünden, als die deutsche Literatur damals erreicht hatte, beschließt er diese Schrift: »Wir werden unsre klassischen Schriftsteller haben; Jeder wird sie lesen, um sich an ihnen zu erfreuen; unsre Nachbarn werden die deutsche Sprache lernen, an den Höfen wird man sie mit Vergnügen sprechen; und es kann geschehen, daß unsre Sprache, ausgebildet und vollendet, sich zu Gunsten unsrer guten Schriftsteller von einem Ende Europa's bis zum andern ausbreitet. Diese schönen Tage unsrer Literatur sind noch nicht gekommen, aber sie nahen heran. Ich sage es euch, sie werden erscheinen: ich werde sie nicht sehen, mein Alter gestattet mir dazu keine Hoffnung. Ich bin wie Moses; ich sehe von fern das gelobte Land, aber ich werde es nicht betreten.« –


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