Franz Kugler
Friedrich der Große
Franz Kugler

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Siebenunddreißigstes Capitel.

Feldzug des Jahres 1762. – Burkersdorf und Schweidnitz. – Friede.

Der über den Wolken thront, der die Mächtigen stürzt und die Rathschläge der Klugen verwirrt, der die Welt ohne Aufenthalt dem Ziele ihrer Entwicklung entgegenführt, hatte es anders beschlossen, als menschliche Voraussicht ahnen konnte. Einst war sein Sturmesathem dahergebraust, und die unüberwindliche Flotte des Königs, in dessen Landen die Sonne nicht unterging, sank in den Abgrund des Meeres, und das Land der Freiheit blieb frei. Jetzt gesellte er den zahllosen Opfern, welche der Todesengel seit sechs Jahren hinweggerafft, ein einziges neues Opfer zu, und die stolzen Pläne der Widersacher zerrissen, und der König, der dem Geiste der neuen Zeit mit mächtiger Hand Bahn gebrochen, war vom Verderben gerettet.

Am 5. Januar 1762 starb Elisabeth von Rußland; ihr Neffe, Peter III., bestieg den erledigten Thron. So erbittert Elisabeth sich fort und fort gegen Friedrich bezeigt hatte, einen so innigen Verehrer fand Letzterer an dem neuen Kaiser. Schon als Großfürst war Peter nie im russischen Staatsrath erschienen, wenn Beschlüsse gegen Friedrich gefaßt werden sollten. Er trug Friedrich's Bildniß im Ringe am Finger; er kannte alle einzelnen Umstände aus den Feldzügen des Königs, alle Einrichtungen und Verhältnisse der preußischen Armee; er betrachtete Friedrich nur als das Vorbild, dem er in allen Stücken nachzueifern habe. Von Friedrich zu Peter und von diesem zu Friedrich flogen alsbald Gesandte, welche Glückwünsche und Freundschaftsversicherungen überbrachten. Die preußischen Gefangenen im ganzen russischen Reiche wurden nach der Hauptstadt berufen und, nachdem man sie dort ehrenvoll aufgenommen, zu ihrer Armee zurückgesandt. Ein Waffenstillstand ward geschlossen. Auf diesen folgte bald, am 5. Mai, ein förmlicher Friede, demgemäß Peter Alles, was unter seiner Vorgängerin erobert war, ohne eine weitere Entschädigung zurückgab; die Provinz Preußen ward ihres Treueides entlassen; die russischen Truppen erhielten Befehl, Pommern, die Neumark und Preußen zu räumen; Tschernitschef's Corps, welches noch mit den Oesterreichern vereint war und in der Grafschaft Glatz Winterquartiere genommen hatte, ward ebenfalls zurückberufen. Endlich folgte auf den Frieden ein gegenseitiges Schutzbündniß, und nun ward Tschernitschef, der unterdeß nach Polen gegangen war, beauftragt, mit seinem Corps zu Friedrich's Armee zu stoßen.

Eine so außerordentliche, so plötzliche Veränderung der politischen Verhältnisse machte alle Welt erstaunen; man konnte sich auf keine Weise in die fast märchenhaften Berichte finden, die dem Unerwarteten fort und fort Unerwartetes hinzufügten. Lord Bute, der englische Minister, der nichts als einen allgemeinen Frieden im Sinne hatte und dem dabei wenig an Friedrich's Ehre gelegen war, griff in solchem Maße fehl, daß er dem russischen Kaiser, eben als dessen Friedensverhandlungen mit Friedrich ihrem Schluß nahe waren, die besten Anerbietungen machen ließ, falls er den Krieg in gleicher Weise wie bisher fortsetzte; ihm ward Alles zugesichert, was er sich dabei von Friedrich's Besitzungen aussuchen wolle. Peter aber war hierüber so entrüstet, daß er die Anträge nicht nur mit Verachtung zurückwies, sondern sie auch an Friedrich mittheilte, damit dieser den Verrath seines bisherigen Bundesgenossen einsehen möge. Schweden, dem die neue Freundschaft zwischen Rußland und Preußen am Meisten Gefahr drohte, faßte sich zuerst; die Königin, Friedrich's Schwester, war sehr gern bereit, Friedens-Unterhandlungen einzuleiten, und so kam schnell, am 22. Mai auch mit dieser Krone ein Friede zu Stande, der alle Verhältnisse auf den Fuß zurückführte, wie sie vor dem Ausbruch des Krieges gewesen waren. Vor Allen aber war Maria Theresia bestürzt, als sie sich so plötzlich von all den glänzenden Hoffnungen, zu denen sie der Schluß des vorigen Jahres berechtigt hatte, herabgestürzt sah. Durch die 20 000 Mann, die sie in sicherem Vertrauen auf die Zukunft ihres Dienstes entlassen hatte, und durch den Abzug des Tschernitschef'schen Corps war ihre Macht um 40 000 Mann geschwächt und Friedrich's um 20 000 Mann vermehrt, was einen Unterschied von 60 000 Mann in die Wagschale des Krieges legte; Friedrich sagte, daß ihm drei gewonnene Schlachten keine größeren Vortheile hätten gewähren können. Dazu kamen ansteckende Krankheiten, die gerade in dieser Zeit große Verheerungen in der österreichischen Armee hervorbrachten. Die Vereinigung des Tschernitschef'schen Corps mit der preußischen Armee war den Oesterreichern anfangs so unglaublich, daß sie sie für ein von Friedrich erfundenes Blendwerk hielten; sie meinten, es seien unbedenklich preußische Soldaten, die man in russische Uniformen gesteckt habe.

Bei Friedrich aber, bei seiner Armee und seinem Volke brachten diese glücklichen Ereignisse die freudigste Stimmung hervor; die alte Zuversicht des Sieges kehrte zurück, und man sah einer ehrenvollen und schnellen Beendigung des langen Krieges entgegen. Die Hauptmacht des preußischen Heeres ward nach Schlesien zusammengezogen, den Oesterreichern wieder zu entreißen, was sie im vorigen Jahre gewonnen hatten. Doch verzögerte sich, durch all jene Verhandlungen mit Rußland, der Beginn der Feindseligkeiten bis zum Sommer; auch gedachte Friedrich nichts Entscheidendes vor der Ankunft des russischen Hülfscorps vorzunehmen. Die Oesterreicher hatten unter den veränderten Verhältnissen ebenfalls keine Lust, den Krieg vorzeitig zu beginnen; sie benutzten die Zwischenzeit auf's Beste, um alle Einrichtungen zur Vertheidigung ihrer Erwerbungen zu treffen. Die Befestigungen von Schweidnitz wurden soviel wie möglich verstärkt; zum Schutz der Festung hatte sich auf den benachbarten Abhängen des Gebirges die österreichische Hauptarmee, bei der jetzt wiederum Daun den Oberbefehl führte, gelagert; die Pässe des Gebirges waren durch starke Schanzarbeiten selbst zu einer fast unangreiflichen Festung umgewandelt worden. Friedrich machte verschiedne Versuche, den Feind in eine minder vortheilhafte Stellung zu bringen, damit er ungestört zur Belagerung von Schweidnitz schreiten könne, doch ließ sich Daun in seinen gewohnten Maßregeln nicht irre machen. Selbst als Friedrich, im Rücken Daun's einen Streifzug tief in Böhmen hinein veranstaltete, blieb dieser unbeweglich in seiner sichern Stellung. Zu diesem Streifzuge war neben andern Truppen auch der Vortrab des Tschernitschef'schen Corps, eine Schaar von 2000 Kosacken, benutzt worden.

Indeß war Friedrich die Ehre aufbehalten, den Kampf, den er so lange allein geführt hatte, auch ohne fremde Beihülfe zu beenden. Wenige Tage erst waren vorübergegangen, seit Tschernitschef zu seiner Armee gestoßen, als plötzlich, am 19. Juli, eine Nachricht von Petersburg kam, die alle hoffnungsvollen Pläne wiederum zu vernichten und den alten Stand der Dinge auf's Neue herzustellen drohte. Peter III. hatte sich durch eine Menge sehr unüberlegter Neuerungen allen Classen des Volkes verhaßt gemacht; er hatte seine Gemahlin Katharina in einer Weise behandelt, daß diese das Schlimmste befürchten zu müssen glaubte; eine Verschwörung war gegen ihn angestiftet worden, die eine schnelle Revolution, die Entsetzung des Kaisers und bald darauf auch seine Ermordung zur Folge hatte. Katharina war an seine Stelle getreten. Jetzt ward der Friede mit Preußen als ein Schimpf, der Rußland wiederfahren sei, angesehen; Tschernitschef erhielt den Befehl, augenblicklich mit seinem Corps die preußische Armee zu verlassen; aus Pommern und Preußen kam die Nachricht, daß alle russischen Truppen sich zu neuen Feindseligkeiten anschickten.

Die erste Kunde all dieses neuen Unheils war wohl geeignet, Friedrich gänzlich zu betäuben; nie hatte man ihn so niedergeschlagen gesehen, als in diesem Augenblick. Durch Tschernitschef's Hülfe hatte er geglaubt, Daun von den Abhängen des Gebirges vertreiben zu können, ohne welches Unternehmen die Belagerung von Schweidnitz nicht ausführbar war, nun sollte er nicht blos diese Hülfe verlieren, sondern wiederum neue Armeen beschaffen, um den neuen Angriffen der Russen zu begegnen. Aber ebenso schnell, wie jene Kunde ihn niedergeschlagen hatte, erhielt auch sein Geist die nöthige Spannkraft wieder. Er faßte einen raschen, kühnen Entschluß. Noch war die Nachricht nicht weiter verbreitet, noch konnten namentlich die Oesterreicher davon nichts erfahren haben. Er sandte augenblicklich einen Adjutanten zu Tschernitschef, damit dieser auf der Stelle zu ihm komme. Tschernitschef war eben damit beschäftigt, seine Truppen der neuen Kaiserin schwören zu lassen; er wollte eben einen Boten an Daun senden, diesem seinen Abzug von der preußischen Armee zu melden; er verhieß dem Adjutanten, daß er am nächsten Tage vor dem Könige erscheinen werde. Aber dieser bat so dringend, daß sich Tschernitschef entschließen mußte, ihm zu folgen. Friedrich forderte nichts weiter von Tschernitschef, als daß er den Befehl zum Abzuge noch drei Tage verheimlichen, sein Corps so lange ruhig im preußischen Lager stehen und dasselbe am Tage der Schlacht, zu der er sich entschlossen habe, nur zum Schein ausrücken lassen möge, ohne selbst Antheil am Gefechte zu nehmen. Tschernitschef sah sehr wohl ein, daß ein solcher, wenn auch scheinbar geringer Ungehorsam gegen die Befehle der Kaiserin die schlimmsten Folgen für ihn haben könne; aber noch nie hatte Einer der siegenden Beredsamkeit Friedrich's, dem strahlenden Glanze seines Auges widerstanden. Der russische General mußte der Forderung des Königs nachgeben. »Machen Sie mit mir,« so rief er am Ende des Gespräches aus, »was Sie wollen, Sire! Das, was ich Ihnen zu thun versprochen habe, kostet mir wahrscheinlich das Leben; aber hätte ich deren zehn zu verlieren, ich gäbe sie gern hin, um Ihnen zu zeigen, wie sehr ich Sie liebe!«

Die drei Tage, welche ihm Tschernitschef bewilligt, benutzte Friedrich auf eine meisterhafte Weise, um den Feind von seiner drohenden Verbindung mit Schweidnitz abzuschneiden. Er traf alle Anstalten, sich der verschanzten Gebirgsposten bei Burkersdorf und Leutmannsdorf, die von österreichischen Truppen besetzt waren, durch einen kühnen Gewaltstreich zu bemächtigen. Seine Armee ward so vertheilt, daß Daun eher Angriffe auf seine Hauptmacht, als auf seine schwierigen Posten zu gewärtigen hatte; dabei figurirten auch die Russen, welche Daun nach wie vor für Feinde hielt und denen er eine genügende Truppenmacht gegenüber zu stellen genöthigt war. Am 21. Juli wurden die Gebirgsposten durch plötzlich ungestümen Angriff überrascht. Eine starke Batterie, die über Nacht vor den feindlichen Verschanzungen aufgeworfen war, trieb die leichten Truppen, die einen ersten Angriff abhalten sollten, durch rasches Feuer in die Berge. Dann begannen die preußischen Regimenter von allen Seiten den Sturm. Weder die senkrechten Berghänge mit ihren Wällen und Wolfsgruben, noch die Palissaden und Kanonen, die aus jeder einzelnen Anhöhe ein Fort bildeten, vermochten den Muth der Stürmenden aufzuhalten. Von einem Absatz der Berge zum andern drangen sie empor; wo die Pferde nicht fußen konnten, wurden die Kanonen mit den Händen emporgetragen, immer tiefer in die Berge zogen sich die Oesterreicher zurück, bis auch die Palissaden ihrer letzten Befestigung in Feuer aufgingen und sie sich nun in aufgelöster Flucht auf die Hauptarmee zurückwarfen. Eine große Menge von Gefangenen fiel in die Hände der Preußen.

Friedrich hatte seine Absicht erreicht und konnte nun den russischen Heerführer mit Dank entlassen. Bewundernd hatten die russischen Offiziere den verwegenen Plan des Königs und die hingebende Tapferkeit seiner Truppen, welche allein die Ausführung desselben möglich machte, mit angesehen. Tschernitschef war zur Seite des Königs, als dieser, gegen das Ende der Schlacht, einem verwundeten Soldaten begegnete. Der König fragte ihn, wie es gehe. Gottlob, antwortete der Soldat, es geht Alles gut, die Feinde laufen und wir siegen! »Du bist verwundet, mein Sohn,« fuhr der König fort und reichte ihm sein Taschentuch, »verbinde Dich damit.« – Nun wundre ich mich nicht mehr, sagte Tschernitschef, daß man Ew. Majestät mit solchem Eifer dient, da Sie Ihren Soldaten so liebreich begegnen. Als Tschernitschef von Friedrich ein kostbares Geschenk zum Abschiede erhielt, bat er den Ueberbringer, seinem Herrn zu sagen: er habe ihn nun für die ganze Welt unbrauchbar gemacht, denn nie werde er Jemand finden, den er so lieben und hochschätzen könne, als ihn.

Indeß verschwand schnell die neue Gefahr, welche von russischer Seite zu besorgen war. Katharina hatte vermuthet, daß Peter III. durch Friedrich's Rath sowohl in seinen unbesonnenen Neuerungen, als auch in seinem feindlichen Betragen gegen sie wesentlich bestärkt worden sei. Als sie aber, unmittelbar nach der Bekanntmachung ihrer Entschlüsse gegen Preußen, die Papiere ihres verstorbenen Gemahls untersuchte, fand sie von alle dem das entschiedene Gegentheil. Friedrich hatte dem Kaiser nicht nur auf dringende Weise Mäßigung in seinen Reformen angerathen, sondern ihn auch beschworen, seine Gemahlin, wenn nicht mit Zärtlichkeit, so doch mit Hochachtung zu behandeln. Vielleicht war es Katharina schon ursprünglich mit ihren Absichten gegen Preußen nicht völlig Ernst gewesen; aller Haß gegen Friedrich wurde jetzt durch diese untrüglichen Zeugnisse ausgelöscht, die Kriegsbefehle wurden widerrufen, der frühere Friede in all seinen Bedingungen bestätigt, und nur das abberufene Hülfscorps kehrte nicht wieder zurück. So konnte sich Friedrich der neuaufgewachten Sorgen entschlagen und seine Kräfte ungetheilt den Oesterreichern entgegensetzen.

Daun hatte sich nach dem Verluste der Posten von Burkersdorf und Leutmannsdorf tiefer in's Gebirge gezogen und war nun von Schweidnitz völlig abgeschnitten. Friedrich besetzte die Pässe und machte seine Anstalten zur Belagerung. Am 4. August wurde die Festung eingeschlossen, am 7. begann man die Laufgräben zu ziehen. Zwei preußische Armeen sicherten den Fortgang der Belagerung gegen etwanigen Entsatz. Bei der einen führte Friedrich den Oberbefehl, bei der andern, die bis dahin in Oberschlesien gestanden hatte, der Herzog von Bevern. Daun aber gedachte, den Preußen nicht gutwillig alle Vortheile zu überlassen; er bereitete sich zu einem schnellen Angriff auf die Armee des Herzogs vor, um hiedurch den Entsatz von Schweidnitz zu bewerkstelligen. Der größere Theil seiner Armee umging die jetzt von den Preußen besetzten Gebirgspässe und fiel, am 16. August, in vier Corps auf die bedeutend geringere Macht des Herzogs, die bei Reichenbach stand. Doch hielt der Herzog, obgleich von allen Seiten angefallen, muthig Stand, bis Friedrich selbst bedeutende Truppencorps zu seiner Unterstützung herbeiführte. Unter großem Verlust sahen sich die Oesterreicher genöthigt, wieder in ihre Berge zurückzukehren. Daun gab nun alle Hoffnung zum Entsatz von Schweidnitz auf; er zog sich mit seiner Armee nach der Grafschaft Glatz zurück und blieb dort, ohne während des ganzen Feldzugs noch ein weiteres Lebenszeichen von sich zu geben.

Die Belagerung von Schweidnitz schritt indeß nur langsam vorwärts. Innerhalb der Festung leitete die Vertheidigungsarbeiten ein berühmter Ingenieur, Gribauval, die Belagerungsarbeiten außerhalb der Stadt ein anderer, Le Fevre. Beide hatten sich in der Wissenschaft des Festungskrieges erfolgreich hervorgethan, hatten bisher in verschiednen gelehrten Schriften gegeneinander gekämpft und strebten nun, ihre von einander abweichenden Theorien durch glänzende Thaten zu rechtfertigen. Während über der Erde das Geschützfeuer Tag für Tag donnerte, entspann sich gleichzeitig ein eigenthümlicher unterirdischer Krieg. Verschlungene Minengänge, nach allen Regeln der Kunst angelegt, wurden gegeneinander geführt; der Eine strebte den Andern zu überraschen und seine Arbeiten erfolglos zu machen; oft kamen die Gegner in ihren Höhlen aneinander und machten sich auch hier die Paar Zolle des Bodens, den sie soeben zur Beschreitung zugerichtet, durch Feuer und Dampf streitig. Le Fevre, preußischer Seits, hatte der neuen Erfindung der Druckkugeln, welche dazu dienen sollten, die feindlichen Minen einzustürzen, großen Beifall geschenkt. Mehrere solcher Kugeln wurden mit großer Sorgfalt zubereitet, mißglückten aber zum Theil durch die zweckmäßigen Maßregeln des Gegners. Ueberhaupt hielt die eine Kunst der andern so geschickt die Wage, daß keine Fortschritte erreicht werden konnten; Le Fevre gerieth in Verzweiflung; er wünschte nichts als den Tod und suchte ihn, indem er sich selbst an die gefährlichsten Stellen begab. Friedrich ward endlich dieser erfolglosen Experimente überdrüssig. Er übernahm selbst die Leitung der Belagerungsarbeiten und brachte mit weniger künstlichen Zurichtungen, aber mit mehr Geschick, bald einen rascheren Gang der Dinge zuwege. Der feindliche Commandant war bereit, die Festung zu übergeben, wenn der Besatzung freier Abzug verstattet würde. Da Friedrich hierauf nicht eingehen wollte, so fand auf's Neue die hartnäckigste Gegenwehr statt.

Wenige Tage, nachdem Friedrich die Belagerung selbst zu leiten begonnen hatte, ritt er beim Recognosciren den feindlichen Werken so nah, daß die Kugeln zu seinen Seiten einschlugen. Seinem Pagen ward das Pferd unter dem Leibe erschossen; er fiel mit den Rippen auf das Gefäß des Degens und bog dasselbe ganz krumm. Er raffte sich auf und wollte eilig von der gefährlichen Stelle entfliehen; Friedrich aber rief ihm sehr ernsthaft zu, er solle den Sattel seines Pferdes mitnehmen. Der Page sah sich genöthigt, den Sattel mitten unter den Kugeln abzuschnallen. Zu Friedrich's Seite ritt sein Neffe Friedrich Wilhelm, der achtzehnjährige Thronfolger, der in diesem Jahr zum Heere berufen war; der König hatte das Vergnügen, ihn unerschrocken unter den umherfliegenden Kugeln halten zu sehen. Friedrich selbst hatte einst, als man ihn bat, eine gefährliche Stelle zu verlassen, die inhaltschweren Worte erwiedert: »Die Kugel, die mich treffen soll, kommt von oben!«

Allmälig begannen den Belagerten die Mittel zum Widerstande zu fehlen; doch wandten sie unausgesetzt alle Kunst an, um die letzte Entscheidung von sich abzuhalten. Eine glücklich geleitete preußische Granate beendete die Belagerung. Sie fand ihren Weg in die Pulverkammer eines der Forts, welche Schweidnitz umgaben, und augenblicklich flog die Hälfte des Forts mit aller Mannschaft, welche darauf stand, in die Luft. Der Donner dieser furchtbaren Explosion war so heftig, daß die benachbarten Berge davon in ihren Gründen erbebten. Jetzt war den Preußen der Zugang zur Festung geöffnet. Doch wartete der österreichische Commandant den Sturm nicht ab; er ergab sich mit der gesammten Besatzung am 9. October zu Kriegsgefangenen, und Schweidnitz ward wiederum von preußischen Truppen besetzt.

Hiemit endete der Feldzug in Schlesien. Die Truppen wurden in die Cantonnirungsquartiere gelegt. Ein Theil derselben wurde nach Sachsen geschickt, wohin eben auch ein Theil der Daun'schen Armee entsandt war. Friedrich selbst begab sich gleichfalls dahin.

In Sachsen hatte sich Prinz Heinrich wiederum sehr glücklich gegen die Angriffe der Oesterreicher und der Reichstruppen behauptet. In vielen kleineren und größeren Gefechten hatte er gesiegt und dem Feinde mancherlei Abbruch gethan. Die Reichsarmee war ganz aus Sachsen vertrieben worden und bedurfte eines weiten Umwegs durch Böhmen, um sich wieder mit den Oesterreichern zu vereinen. Noch einmal versuchten die verbündeten Armeen mit entschiedener Uebermacht die Preußen zurückzudrängen. Heinrich nahm die Schlacht, am 29. October, bei Freiberg an und erfocht auf's Neue einen glänzenden Sieg, an dessen Gewinn, wie bei den früheren Gefechten in Sachsen, Seidlitz einen wesentlichen Antheil hatte. Es war die letzte Schlacht des siebenjährigen Krieges. Die Reichstruppen verließen Sachsen auf's Neue, die Oesterreicher zogen sich um Dresden zusammen. Erst nach der Schlacht kamen von beiden Seiten die Verstärkungen aus Schlesien an. Ein Waffenstillstand, für Sachsen und Schlesien, folgte auf diese Ereignisse, und die Preußen, wie die Oesterreicher, bezogen die Winterquartiere.

Maria Theresia hatte nunmehr zu wenig günstige Aussichten auf die Erfüllung ihrer, seit Jahren gehegten, Pläne, als daß sie nicht ernstlich hätte Friedensgedanken fassen sollen. Sie mußte darin um so mehr bestärkt werden, als es auch auf der Seite zwischen Frankreich und England zu gleichem Schlusse kam. Die Armee der Verbündeten unter dem Herzog Ferdinand von Braunschweig hatte in der ersten Hälfte des Jahres mehrere Siege über die französischen Armeen erfochten, obgleich Lord Bute wenig für ihre Verstärkung besorgt war. Bei Bute's großer Neigung zum Frieden kam es bald zu gegenseitigen Unterhandlungen; doch setzte Herzog Ferdinand den Krieg fort, anfangs mit minder glücklichem Erfolge, dann aber krönte er die Reihe seiner ruhmvollen Thaten durch die Eroberung des von den Franzosen besetzten Cassel, welche am 1. November erfolgte. Zwei Tage darauf wurden die Präliminarien des Friedens unterzeichnet, in dem Lord Bute, schmachvoller Weise, fast alle Eroberungen preisgab, welche die englische Flotte in den Kolonien errungen hatte. Die beiderseitigen Bundesgenossen sollten ihrem Schicksal überlassen bleiben.

Schon hatte Friedlich, im Anfange des November, durch Vermittelung des Kurprinzen von Sachsen, Friedensanträge von österreichischer Seite erhalten; er war gern darauf eingegangen. Doch beschloß er, zumal da die Bedingungen des englisch-französischen Friedens für sein Interesse zweideutig genug lauteten, noch einmal mit Nachdruck aufzutreten und durch ein kühnes Unternehmen das Verlangen nach Frieden ganz allgemein zu machen. Da der abgeschlossene Waffenstillstand nur Sachsen und Schlesien galt, so ordnete er einen raschen Streifzug gegen die Stände des deutschen Reichs, die feindlich gegen ihn aufgetreten waren, an. Ein ansehnliches Corps drang in Franken ein und durchstreifte fast das ganze Reich, allenthalben, namentlich von Nürnberg, bedeutende Contributionen beitreibend. Ein allgemeiner Schreck ging vor diesen Schaaren her. Es wird erzählt, daß, als 25 preußische Husaren der freien Reichsstadt Rotenburg an der Tauber mit Sturm drohten, diese sich willig dazu verstanden habe, die fürchterlich ausgesprochene Gefahr mit einer außerordentlichen Brandschatzung abzukaufen. Auch bis nahe vor Regensburg kamen die preußischen Schaaren; die Herren des Reichstages sahen sich ermüßigt, den dortigen preußischen Gesandten, den sie bis dahin mit bitter feindlichem Sinne verfolgt, um Rettung anzuflehen, die er ihnen auch gewährte. Ungefährdet und mit reicher Beute beladen, zog das ganze preußische Corps nach Sachsen zurück. Der Erfolg war, wie ihn Friedrich gewünscht hatte. Die Reichsstände verloren die Lust, sich noch ferner für Oesterreichs Privatinteresse aufzuopfern. Sie erklärten sich einer nach dem andern für neutral, zogen ihre Kontingente ohne Weiteres von der Reichsarmee zurück und suchten sich mit Friedrich auszusöhnen. Auch Mecklenburg schloß noch im December einen besondern Frieden mit Preußen. – Ein zweiter Streifzug ward gegen die französischen Truppen angeordnet, die noch Friedrich's rheinische Besitzungen inne hatten. Auch dieser Zug hatte den günstigen Erfolg, daß jene Besitzungen alsbald geräumt und an Friedrich zurückgegeben wurden.

Für Oesterreich war übrigens jener erster Streifzug mit seinen Folgen nicht ganz unangenehm. Der Wiener Hof hatte dem Reich die feierliche Zusage gegeben: den Krieg nicht zu beendigen, ohne dasselbe für alle seine Anstrengungen und Kosten schadlos zu halten. Durch das freiwillige Zurücktreten der Reichsstände glaubte man der Erfüllung dieses Versprechens überhoben zu sein.

Jetzt stand dem Wunsche nach Frieden, der bei der gegenseitigen Erschöpfung vollkommen aufrichtig war, kein weiteres Hinderniß mehr entgegen. Bald kam man über die nöthigsten Vorbereitungen überein. Auf dem sächsischen Jagdschlosse Hubertsburg trafen die drei bevollmächtigten Abgeordneten Preußens, Oesterreichs und Sachsens – von Hertzberg, von Collenbach und von Fritsch – zusammen und begannen am 31. December die Verhandlungen. Am 15. Februar 1763 ward der Friede geschlossen, vollkommen auf den Grund der früheren Friedensschlüsse, so daß alle Eroberungen herausgegeben wurden. Das deutsche Reich ward in den Frieden mit einbegriffen, und, von Seiten Preußens, dem ältesten Sohne der Kaiserin, dem Erzherzog Joseph, die Kurstimme zur Römischen-Königswahl versprochen. Oesterreich hatte zwar zu Anfang einige verfängliche Bedingungen gemacht, namentlich, daß Glatz sein Eigenthum verbleibe. Aber Friedrich hatte durchaus darauf bestanden, daß Alles auf den Punkt zurückgeführt werde, auf dem es vor dem Ausbruch des Krieges gestanden. Man sah sich genöthigt, nachzugeben, und um so mehr, als der immer dringender gefühlte Mangel an baarem Gelde und die Nähe des türkischen Heeres an der österreichischen Grenze kein langes Säumniß verstatteten.

So hatten sieben Jahre voll unsäglicher Anstrengungen, voll Blutes und Elendes, zu keinen weitern Erfolgen gefühlt als zu der einfachen Erkenntniß, daß alle Mühen und alle Leiden hätten gespart werden können, wenn man geneigt gewesen wäre, den Grimm der Leidenschaften zu unterdrücken und die Waffen unblutig zu erhalten. Wohl möchte man bei solcher Betrachtung lächeln über die Eitelkeit menschlicher Pläne und Berechnungen. Aber dennoch war durch diesen Krieg Großes, unendlich Großes erreicht. In einer matten Zeit war den Augen des Menschen eine Kraft des Geistes, eine Standhaftigkeit des Gemüthes, ein ausdauerndes Heldenthum offenbart worden, wie die Welt lange mehr kein ähnliches Beispiel gesehen hatte. Der preußische Staat, zum Vorkämpfer der Entwickelung des freien Geistes berufen, hatte sich in der herben Prüfung glorreich bewährt. Das deutsche Volk, in seinen politischen Verhältnissen schier ohne Würde, herabgesunken von der Höhe geistiger Klarheit und Bildung, vermochte an dem, was Preußen, was Friedrich gethan, sich wiederum aufzuerbauen und in dem Schwunge einer lebhaften Begeisterung für das Hohe, dessen Zeuge es gewesen war, auf's neue die Blüthen eines frischen freudigen Lebens zu entwickeln. Der dreißigjährige Krieg bezeichnet in der Geschichte Deutschlands den Verfall der alten Herrlichkeit, der siebenjährige Krieg den jugendlichen Aufschwung einer neuen. Darum sind alle die zahllosen Opfer, die ihm dargebracht wurden, nicht vergeblich gewesen.

Friedrich aber, wenn er auch diese Bedeutung des Krieges in seinem Innern ahnen mochte, konnte doch nicht mit derselben Freudigkeit, wie nach den Kriegen seiner jüngeren Zeit, heimkehren. Die sieben Jahre voll rastloser Anspannung, voll Noth und Mühe, hatten ihn vor der Zeit alt gemacht und zu Viele von seinen Theuren waren in diesen Jahren dahingegangen. »Ich armer alter Mann« – so schrieb er einige Wochen vor seiner Ankunft in Berlin an den Marquis d'Argens, – »ich kehre nach einer Stadt zurück, wo ich nur noch die Mauern kenne, wo ich Niemand von meinen Bekannten antreffe, wo unzählige Arbeiten mich erwarten, und wo ich in Kurzem meine alten Knochen in einer Freistätte lassen werde, die weder durch Krieg, noch durch Trübsale oder Bosheit beunruhigt werden wird.«

Am 30. März traf Friedrich, nachdem er noch eine Reise durch Schlesien gemacht, in Berlin ein. Die Bürger hatten dem geliebten Landesvater einen festlichen Einzug zugedacht. Aber Friedrich kam erst spät am Abend; er hatte an diesem Tage noch das Schlachtfeld von Kunersdorf besucht und mochte dadurch wohl auf's Neue im Innersten seines Gemüths erregt sein. In seinem Wagen saßen der Herzog Ferdinand von Braunschweig und einer von seinen Generalen. Vom Morgen bis in die Nacht hatte ihn die Bürgerschaft am Thore und in den Gassen erwartet. Jetzt empfing ihn der tausendstimmige Ruf: »Es lebe der König!« und heller Fackelschein leuchtete rings zu den Seiten seines Wagens. Aber der Jubel war nicht in Einklang mit der trüben Stimmung seines Gemüthes. Er wich in der Stadt aus, sobald er konnte, und fuhr durch einen Umweg nach dem Schlosse.

Es wird erzählt, daß sich Friedrich, bald nach seiner Ankunft, nach Charlottenburg begeben und Musiker und Sänger ebenfalls dahin bestellt habe, mit dem Befehl das Tedeum von Graun in der Schloßkapelle aufzuführen. Auf solche Anordnung habe man dem Erscheinen des gesammten Hofes entgegengesehen. Aber der König sei ohne Begleitung in die Kapelle eingetreten, habe sich niedergesetzt und das Zeichen zum Anfang gegeben. Als die Singstimmen mit den Worten des Lobgesanges eintraten, habe er das Haupt in die Hand gestützt und geweint.


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