Franz Kugler
Friedrich der Große
Franz Kugler

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Zweites Capitel.

Die ersten Jahre der Kindheit

Der Tod Friedrich's I. brachte eine bedeutende Veränderung in der Regierung des preußischen Staates, im Hofhalt, in der Lebensweise der königlichen Familie hervor. Friedrich Wilhelm I. war seinem Vater durchaus unähnlich. Das strenge Ceremoniel, dem er sich bis dahin hatte fügen müssen, war ihm lästig, der kostbare Prunk der Festlichkeiten verhaßt; die höhere Wissenschaft und feinere Sitte, in der ihn seine Mutter, die schon früher verstorbene hochgebildete Königin Sophie Charlotte, hatte erziehen wollen, erschien ihm als ein sehr überflüssiger, zum Theil verderblicher Schmuck des Lebens. Ihm war von der Natur eine ausschließlich praktische Richtung gegeben. Sein Bestreben ging dahin, statt der Summen, welche der glänzende Hofhalt und neben diesem auch die Willkür bevorrechteter Günstlinge fort und fort verschlungen hatte, einen wohlgefüllten Schatz herzustellen, seine Unterthanen zu ausdauerndem Fleiße anzuhalten und den Wohlstand des Landes durch die sorglichste Aufsicht zu befördern. Die Bedeutung seiner Krone sollte nicht ferner durch blendenden Schimmer, sondern durch ein zahlreiches und wohlgeübtes Kriegsheer vertreten werden. Die Festlichkeiten, welche den Schmuck seines Lebens ausmachten, bestanden in der Schaustellung kriegerischer Künste. Durch unermüdlichen Eifer brachte er es dahin, daß bei den militairischen Uebungen seine Soldaten eine Schnelligkeit, Sicherheit und Gleichförmigkeit der Bewegungen entwickelten, welche bis dahin unerhört waren. Ebenso sehr lag es ihm am Herzen, daß seine Regimenter, besonders die ersten Glieder derselben, sich durch Schönheit und Körpergröße vor allen auszeichneten; ja, er ging hierin so weit, daß er für diesen Zweck Summen verschwendete, die mit seiner sonstigen Sparsamkeit auf keine Weise in Einklang standen; und mannichfach hat ihn gewaltthätige Werbung großer Leute mit seinen Nachbarstaaten in verdrießliche Händel verwickelt. Berlin ward unter seiner Regierung nicht mehr das deutsche Athen, sondern das deutsche Sparta genannt.

Sein Familienleben war auf einen einfach bürgerlichen Fuß eingerichtet, und er gab hiedurch – zu einer Zeit, wo an den Höfen fast überall ein furchtbares Sittenverderbniß eingerissen war – ein sehr achtbares Beispiel. Eheliche Treue galt ihm über Alles. Seine Kinder, deren Anzahl sich im Verlauf der Jahre bedeutend vermehrte, sollten, seiner schlichten Frömmigkeit gemäß, in der Furcht des Herrn erzogen werden; frühzeitig war er bemüht, sie durch die Gewöhnung eines regelmäßigen Lebens, durch strengen Gehorsam und nützliche Beschäftigung zu tüchtigen Menschen nach seinem Sinne zu bilden, während Alles, was der Eleganz in Leben und Wissen angehört, entschieden aus seinem häuslichen Kreise verbannt blieb. Unter einer rauhen Hülle bewahrte er ein deutsches Gemüth, und er ließ dem, der ihm in gemüthlicher Weise entgegenkam, Gerechtigkeit widerfahren; undeutsches Wesen aber und Widerspenstigkeit gegen seine gutgemeinten Anordnungen fanden an ihm einen unerbittlichen Richter, und er wußte, von Natur zum Jähzorn geneigt, ein solches Thun auf's Härteste zu ahnden.

In den ersten Jugendjahren seines Sohnes, des nunmehrigen Kronprinzen Friedrich, konnte es noch nicht in Frage kommen, wie weit dieser mit der Richtung und Gesinnung des Vaters übereinstimmen werde. Die erste Pflege des Knaben mußte den Händen der Frauen anvertraut bleiben. Seine Mutter, die Königin Sophie Dorothee, eine Tochter des Kurfürsten von Hannover und nachmaligen Königs von England, Georg's I., war durch eine natürliche Herzensgüte und Neigung zum Wohlthun ausgezeichnet; auch war sie der edleren Wissenschaft nicht so abhold wie ihr Gemahl. Diese Neigungen suchte sie auf ihre Kinder fortzupflanzen. Leider besaß sie jedoch nicht diejenige hingebende Liebe, welche, in Einklang mit dem Willen ihres Gemahls, zum Segen des Hauses hätte wirken können.

Eine Ehrendame der Königin, Frau von Kamecke, war mit der Oberaufsicht über die Erziehung des Kronprinzen beauftragt worden. Ein größeres Verdienst, als diese, erwarb sich die Untergouvernante, Frau von Nocoulles. Die Letztere hatte schon den König selbst in seiner Kindheit gepflegt; ihr fester und edler Charakter, ihre treue Anhänglichkeit an das preußische Herrscherhaus hatten sie so empfohlen, daß es nur ein gerechter Dank schien, sie auf's Neue zu einem so ehrenvollen Geschäfte zu berufen. Sie war eine geborene Französin und gehörte zu den Schaaren jener Reformirten, die ein thörichter Religionseifer, die Heimath eines Theiles seiner besten Kräfte beraubend, aus Frankreich verbannt hatte und die in den brandenburgischen Staaten willkommene Aufnahme fanden. Daß überhaupt eine Französin, selbst an dem derbdeutschen Hofe Friedrich Wilhelm's, zur Erziehung der Kinder berufen ward, darf in einer Zeit nicht auffallen, in welcher die Welt von französischer Bildung beherrscht wurde und die Kenntniß der französischen Sprache unumgänglich nöthig war, um sich in den höheren Kreisen der Gesellschaft verständlich zu machen; überdies war gerade in Berlin durch die Schaaren jener Eingewanderten, welche Kunstfertigkeiten und wissenschaftliche Bildung aus Frankreich herübergebracht hatten, die französische Sprache nur um so mehr ausgebreitet worden. So ward auch der Kronprinz von früher Jugend an, gewiß nicht ohne Einfluß auf sein späteres Leben, vorzugsweise in der französischen Sprache gebildet. Wie treu aber seine Erzieherin ihre Pflichten an ihm erfüllt hat, beweist am Besten der Umstand, daß er ihr bis an ihren Tod in unwandelbarer Anhänglichkeit zugethan blieb.

Als Friedrich vier Jahre alt war, wurde ein merkwürdiges prophetisches Wort über ihn gesprochen. Die trotzige Rücksichtslosigkeit des Schwedenkönigs, Karl's XII., hatte damals König Friedrich Wilhelm zum Kriege genöthigt, dessen Folge die Eroberung eines Theiles von Vorpommern und die Einverleibung desselben in den preußischen Staat war. In der Weihnachtszeit des Jahres 1715 war Stralsund erobert worden; eine bedeutende Anzahl schwedischer Offiziere, die man hiebei zu Kriegsgefangenen gemacht hatte, befand sich in Berlin. Einer von diesen Offizieren, Namens Croom, stand in dem Rufe, aus den Sternen und aus den Lineamenten der menschlichen Hand die Zukunft lesen zu können; die ganze Stadt war voll von seinen Prophezeihungen. Die Königin und die Damen des Hofes waren begierig, durch ihn ebenfalls Einiges von ihren zukünftigen Schicksalen zu erfahren. Man berief ihn in die Gemächer der Königin. Hier untersuchte er die dargebotenen Hände und sagte Dinge voraus, die später in der That auf überraschende Weise eintrafen. Der Königin, die sich eben in gesegneten Umständen befand, sagte er, sie würde in zwei Monaten von einer Tochter entbunden werden; der ältesten Prinzessin verkündete er, daß sie neben manchen trügerischen Hoffnungen ihr ganzes Leben hindurch viele Leiden würde zu erdulden haben; einigen Hofdamen sagte er ihre baldige, wenig ehrenvolle Entfernung vom Hofe voraus. Als ihm der Kronprinz vorgeführt ward, so prophezeihte er diesem viele Unannehmlichkeiten in seiner Jugend: in reiferen Jahren aber würde er Kaiser und einer der größten Fürsten Europa's werden. Der Titel des Kaisers ist Friedrich allerdings nicht zu Theil geworden; sonst aber ist auch diese Prophezeihung vollständig in Erfüllung gegangen.

In den ersten Lebensjahren, wie auch noch mannigfach in späterer Zeit, bis kriegerische Beschäftigungen den Körper abgehärtet hatten, war die Gesundheit des Kronprinzen schwankend; die traurigen Erfahrungen, die man bereits an zwei frühverstorbenen Prinzen gemacht hatte, ließen auch für ihn gegründete Besorgnisse entstehen. Zugleich hatte dieser körperliche Zustand, vielleicht aber auch eine Gemüthsanlage, welche die äußeren Eindrücke früh mit Bestimmtheit aufzufassen und nachdenklich zu verarbeiten nöthigte, ein eigenthümlich schweigsames, fast schwermüthiges Wesen zur Folge, welches jene Besorgnisse noch mehr zu rechtfertigen schien. Um so emsiger war man auf die körperliche Ausbildung des jungen Prinzen bedacht. Mit voller Zärtlichkeit hing dieser an seiner älteren Schwester, die sich in ihren Erholungsstunden nur mit dem Knaben beschäftigte. Dies innige Verhältniß hat bis an den Tod der Schwester ausgedauert.

Eine Scene aus diesen Kinderjahren ist durch ein schönes Gemälde des damaligen Hofmalers Pesne der Nachwelt überliefert worden. Der Prinz hatte eine kleine Trommel zum Geschenk erhalten, und man bemerkte mit Freude, daß es ihm, im Gegensatz gegen sein sonstiges stilles Wesen, Vergnügen gewährte, den Marsch, den man ihn gelehrt, rüstig zu üben. Einst hatte ihm die Mutter erlaubt, diese Uebung in ihrem Zimmer vorzunehmen; auch die Schwester war mit ihren Spielsachen dabei. Der Letzteren wurde das Trommeln des Bruders zu viel und sie bat ihn, lieber ihren Puppenwagen ziehen zu helfen oder mit ihren Blumen zu spielen. Aber sehr ernsthaft erwiederte der kleine Prinz, so gern er sonst jeder Bitte der Schwester nachgab: »Gut Trommeln ist mir nützlicher als Spielen und lieber als Blumen.« Diese Aeußerung schien der Mutter so wichtig, daß sie schleunig den König herbeirief, dem das selten geäußerte soldatische Talent des Knaben die größte Genugthuung gewährte. Dem Hofmaler mußte die Scene, ohne daß die Kinder die Absicht merkten, noch einmal vorgespielt werden.

Der König war gern im Kreise seiner Familie; seine Zuneigung zu den Kindern zeigte sich häufig auch darin, daß er selbst an ihren Spielen Theil nahm. Einst trat der alte General Forcade ungemeldet in das Zimmer des Königs, als dieser eben mit dem kleinen Prinzen Ball spielte. »Forcade«, sagte er zu ihm, »Er ist auch Vater; Er weiß: Väter müssen mit ihren Kindern zuweilen Kinder sein, müssen mit ihnen spielen und ihnen die Zeit vertreiben.«

Es ist schon bemerkt, daß die Königin ihren Wohlthätigkeitssinn auf ihre Kinder überzutragen bestrebt war. Den Kronprinzen machte sie früh zu ihrem kleinen Almosenier. Die Hülfsbedürftigen, die sich vertrauensvoll an die bekannte Milde ihres Herzens gewandt hatten, ließ sie zu sich kommen, bezeugte ihnen ihr Mitleid, und die Betrübten wurden dann durch den kleinen Almosengeber mit Geschenken entlassen. Diese schöne Sitte war von den erfreulichsten Folgen auf das Gemüth des Kronprinzen; schon früh gab er das Zeugniß, wie lebendig er die Lehre der Mutter seinem Herzen eingeprägt hatte. Die Eltern pflegten, in der ersten Zeit nach ihrer Vermählung, jährlich eine Reise nach Hannover zu machen, um den Vater der Königin zu besuchen; seit seinem dritten Jahre wurde der Kronprinz auf diesen Reisen mitgenommen. In Tangermünde ließ der König gewöhnlich einige Stunden anhalten, um sich dort mit den Beamten der Provinz über Gegenstände der Verwaltung zu besprechen. Bei diesen Gelegenheiten versammelte sich stets ein großer Theil der Einwohner, um den jungen Kronprinzen zu sehen; die Königin erlaubte ihm gern, zu dem Volke hinauszugehen. Einst bat er einen der Zuschauer, ihn zu einem Bäcker zu führen; hier öffnete er schnell seine kleine Börse und schüttete seine ersparte Baarschaft in die Hand des Bäckers, mit der Bitte, ihm dafür Semmeln, Zwieback und Brezeln zu geben. Er selbst nahm einen Theil der Eßwaaren, das Uebrige mußten seine Begleiter und ein Bedienter tragen. Dann wandte er sich zu den Einwohnern, die ihm in Schaaren gefolgt waren, und theilte seine Beute freudig an Kinder und Greise aus. Die Eltern hatten den Vorgang vom Fenster des Amtshauses angesehen und ließen, als die erste Spende beendet war, noch eine zweite holen , um dem Prinzen das Vergnügen der Austheilung zu verlängern. Jährlich, bis zum zwölften Jahre, erneute der Kronprinz diese Spende in Tangermünde und legte dazu stets schon einige Zeit vor der Abreise etwas von seinem kleinen Taschengelde zurück. Die Tangermünder nannten ihn mit Entzücken nur ihren Kronprinzen. Nach seiner Thronbesteigung äußerte Friedlich öfters, daß er an diesem Orte zum ersten Mal das Vergnügen genossen habe, sich von Unterthanen geliebt und Dankesthränen in den Augen der Kinder und Greise zu sehen.


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