Franz Kugler
Friedrich der Große
Franz Kugler

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Sechstes Capitel.

Versuch zur Flucht.

Nach wenigen Wochen bereits fand sich eine neue Gelegenheit, welche die Flucht des Kronprinzen besser zu begünstigen schien, als der Besuch im sächsischen Lager. Der König unternahm eine Reise nach dem südlichen Deutschland, auf welcher ihn Friedrich begleiten mußte. Er hatte, bei seinem Verdachte gegen den Kronprinzen, längere Zeit geschwankt, ob es besser sei, ihn mitzunehmen oder zu Hause zu lassen; er hatte sich für das Erstere entschieden, weil er ihn unter seinen Augen besser beaufsichtigt glaubte; auch hatte er, um ganz sicher zu gehen, dreien der höheren Offiziere, die ihn begleiteten, den Befehl gegeben, diese Aufsicht zu theilen, so daß stets Einer im Wagen des Kronprinzen neben diesem sitzen mußte. Friedrich hatte indeß im Einverständniß mit Katte – obgleich von diesem zu Anfange mehrfach abgemahnt – seine Maßregeln genommen. Schon aus dem sächsischen Lager hatte er an den König von England geschrieben und diesen gebeten, ihm an seinem Hofe Schutz zu gewähren. Doch war von dort eine sehr ernstlich abrathende Antwort erfolgt. Nichts destoweniger blieb der Kronprinz bei dem Plane, über Frankreich nach England zu gehen. Katte sollte, sobald der Prinz ihm von seiner Entweichung Nachricht gegeben haben würde, voraus nach England flüchten und dort für seine Wünsche unterhandeln; er sollte zu dem Zwecke sich Urlaub unter dem Vorwande verschaffen, daß er auf Werbung gehen wolle. Zugleich waren ihm die Gelder, die Kleinodien, die Papiere des Kronprinzen anvertraut. Außer Katte war auch Keith in Wesel von dem Vorhaben des Kronprinzen unterrichtet worden, um dasselbe durch seine Theilnahme zu begünstigen. Am 15. Juli 1730 war die Reisegesellschaft von Berlin aufgebrochen und über Leipzig nach Anspach gegangen, wo der König seine zweite Tochter, die im vorigen Jahre mit dem jungen Markgrafen von Anspach vermählt worden war, besuchte. Schon hier suchte Friedrich Gelegenheit zu entkommen; wiederholt und dringend bat er seinen Schwager, ihm eins seiner besten Pferde, angeblich zu einem Spazierritte, anzuvertrauen; aber vorsichtig wich dieser der Bitte aus, denn schon war das Gerücht von Friedrichs Vorhaben von Berlin nach Anspach gedrungen, indem Katte, selbst in einem so kritischen Momente, es nicht über sich gewinnen konnte, seiner prahlenden Schwatzhaftigkeit Zügel anzulegen. In Anspach erhielt Friedlich einen Brief von Katte, worin ihm dieser meldete, daß er noch immer nicht den nachgesuchten Urlaub habe erhalten können; er bat ihn somit, seine Entweichung bis zur Ankunft in Wesel zu verschieben, von wo er ohnedies am schnellsten, über Holland, nach England würde entkommen können. Friedrich antwortete, daß er so lange nicht mehr warten könne; er sei entschlossen, in Gemäßheit des von dem Könige vorgeschriebenen Reiseplanes schon in Sinsheim, auf der Straße zwischen Heilbronn und Heidelberg, das Gefolge des Königs zu verlassen; Katte werde ihn unter dem Namen eines Grafen von Alberville im Haag treffen. Zugleich versicherte er nochmals, daß die Flucht gar nicht fehlschlagen könne, und daß, wenn man ihm nachsetzte, die Klöster auf dem Wege als sichere Zufluchtsörter betrachten seien. In der Hast aber, mit welcher Friedrich diesen Brief schrieb, vergaß er, ihn nach Berlin zu adressiren; er hatte nur darauf gesetzt: »über Nürnberg,« und so ging der unselige Brief nach Erlangen, zu einem Vetter Katte's, welcher daselbst auf Werbung stand.

Von Anspach ging die Reise des Königs über Augsburg nach Ludwigsburg, wo man den Herzog von Württemberg besuchte. Von da wurde der Weg nach Mannheim eingeschlagen. Auf diesem Wege hatte man jenes, von Friedrich genannte, Sinsheim zu berühren. Der Zufall wollte, daß das Nachtquartier' nicht an diesem Orte, sondern ein paar Stunden vor demselben, in dem Dorfe Steinfurth, genommen wurde. Hier übernachtete man in verschiedenen Scheunen, indem der König in solchen Fällen, nach weichlicher Bequemlichkeit wenig lüstern, einen luftigen Aufenthalt der Art der beklemmenden Schwüle der Wirthshausstuben vorzuziehen pflegte. Der Kronprinz, der mit dem Obersten von Rochow und seinem Kammerdiener gemeinschaftlich eine Scheune zum Nachtlager erhielt, machte schnell seinen Plan der Gelegenheit gemäß. Er benutzte die gutmüthige Leichtgläubigkeit eines königlichen Pagen – es war ein Bruder seines Freundes Keith – indem er ihm vertraute, er habe ein verliebtes Abenteuer unfern des Ortes, wozu er ihn des andern Tages früh um vier Uhr wecken und ihm Pferde verschaffen möge. Das Letztere war leicht zu bewerkstelligen, da gerade an dem Orte Pferdemarkt war. Der Page war gern dazu bereit; anstatt aber den Prinzen zu wecken, verfehlte er das Bett und weckte den Kammerdiener. Dieser hatte Geistesgegenwart genug, sein Befremden über das verdächtige Vorhaben zu unterdrücken; er blieb ruhig liegen, um das Weitere abzuwarten. Er sah nun, wie der Prinz aufsprang und sich schnell ankleidete, doch nicht die Uniform, sondern ein französisches Kleid und einen rothen Ueberrock, den er sich heimlich auf der Reise hatte machen lassen, anlegte. Kaum, hatte der Prinz die Scheune verlassen, so benachrichtigte der Kammerdiener augenblicklich den Obersten Rochow von dem, was vorgegangen; der Letztere weckte eilig drei andere Offiziere aus des Königs Gefolge, und man machte sich, nichts Gutes ahnend, auf den Weg, den Prinzen zu suchen. Nach kurzer Zeit fanden ihn die Officiere auf dem Pferdemarkte, an einen Wagen gelehnt und nach dem Pagen ausschauend. Seine französische Kleidung vermehrte ihren Verdacht, doch fragten sie ihn mit schuldiger Ehrerbietung, weshalb er sich so früh aufgemacht. Der Prinz war über die störende Dazwischenkunft von Wuth und Verzweiflung erfüllt; er wäre des Aeußersten fähig gewesen, hätte er Waffen bei sich gehabt. Er gab ihnen eine kurze und rauhe Antwort. Rochow bemerkte, der König sei bereits aufgewacht und werde in einer halben Stunde weiter reisen; er möge also aufs Schleunigste seine Kleidung verändern, damit sie dem Könige nicht zu Gesicht komme. Der Prinz verweigerte es und sagte, er wolle spazieren gehen; er werde schon zu rechter Zeit zur Abreise bereit sein. Indeß kam der Page mit den Pferden. Der Prinz wollte sich nun rasch auf das eine derselben werfen; aber die Offiziere ließen ihn nicht dazu kommen und zwangen ihn, der sich wie ein Verzweifelter wehrte, mit ihnen zur Scheune zurückzukehren und die Uniform wieder anzulegen.

Der König war von diesem Vorgange benachrichtigt worden; doch ließ er sich gegen den Kronprinzen nichts merken, indem es ihm daran lag, vorerst noch bestimmtere Beweise von seinem Plane zu erhalten. Nur, als die Reisegesellschaft an einem der folgenden Tage, nachdem man bereits Mannheim hinter sich hatte, in Darmstadt ankam, sagte er ihm spottender Weise, wie er sich wundere, ihn hier zu sehen, er habe ihn inzwischen schon in Paris vermuthet. Der Kronprinz erwiederte trotzig, daß, wenn er es nur gewollt, er Frankreich schon dürfte erreicht haben.

Aber schon war das Unheil näher, als er glauben mochte. Kaum war man in Frankfurt angekommen, von wo die Reise zu Wasser den Main und den Rhein abwärts bis Wesel fortgesetzt werden sollte, als der König von Katte's Vetter aus Erlangen eine Staffette erhielt, durch welche dieser jenen Brief des Kronprinzen übersandte, dessen bedrohlichen Inhalt er nicht unterschlagen zu dürfen glaubte., Der König befahl, den Kronprinzen unverzüglich auf einer der bestellten Jachten in festen Gewahrsam zu nehmen. Erst am folgenden Tage betrat er selbst das Schiff, kaum aber erblickte er den Prinzen, so übermannte ihn sein mühsam zurückgehaltener Jähzorn; er fiel über ihn her und schlug ihn mit seinem Stocke das Gesicht blutig. Mit verbissenem Schmerze rief Friedrich aus: »Nie hat ein brandenburgisches Gesicht solche Schmach erlitten!« Die anwesenden Offiziere entrissen ihn den Händen des Königs und brachten es dahin, daß der Letztere die Erlaubniß gab, daß der Kronprinz die Reise auf einem zweiten Schiffe machen durfte. Dieser wurde nun wie ein Staatsgefangener behandelt; Degen und Papiere wurden ihm abgefordert; doch hatte er glücklicher Weise noch zuvor Gelegenheit gefunden, seine Briefe, die manch Einen zu compromittiren geeignet waren, durch seinen Kammerdiener verbrennen zu lassen.

Selten wohl ist eine Lustreise auf dem schönen Rheinstrom unter traurigeren Verhältnissen gemacht worden. Die Besuche bei den geistlichen Fürsten, welche abzustatten man nicht umhin konnte, wurden so viel als möglich abgekürzt. Der Kronprinz war nicht um sich, sondern nur um das Schicksal der Freunde, die er mit in's Verderben gerissen, besorgt. Doch war er überzeugt, daß Katte, schon zur Flucht gerüstet, Geistesgegenwart genug haben würde, für seine Sicherheit zu sorgen. Keith empfing, ehe der König nach Wesel kam, einen mit Bleistift geschriebenen Zettel von des Kronprinzen Hand, mit den Worten: »Rette Dich, Alles ist entdeckt.« Er verlor die rechte Zeit nicht, setzte sich augenblicklich zu Pferde und erreichte im Galopp die holländische Grenze. Selbst noch im Haag durch einen preußischen Offizier verfolgt, den der König zu seiner Verhaftnehmung nachsandte, entkam er glücklich auf einem Fischerboote nach England und ging von da nach Portugal, wo er Kriegsdienste nahm.

Nachdem man in Wesel angelangt war, wurde der Kronprinz gefangen gesetzt und sein Gemach durch Schildwachen mit bloßen Bajonetten verwahrt. Am folgenden Tage erhielt der Festungs-Commandant, Generalmajor von der Mosel, Befehl, den Prinzen vor den König zu führen. Sobald der Kronprinz zu dem Könige eintrat, fragte ihn dieser mit drohendem Tone, warum er habe desertiren wollen. »Weil Sie mich,« antwortete der Prinz, »nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen Sklaven behandelt haben.« – »Du bist ein ehrloser Deserteur,« rief ihm der König entgegen, »der kein Herz und keine Ehre im Leibe hat!« – »Ich habe dessen so viel wie Sie,« versetzte der Prinz, »und ich that nur, was Sie, wie Sie es mir mehr als hundertmal gesagt haben, an meiner Stelle gethan haben würden!« – Diese Worte erregten auf's Neue des Königs ganzen Ungestüm; er zog seinen Degen und würde den Prinzen durchbohrt haben, wäre ihm nicht der General Mosel in den Arm gefallen. Vor den Prinzen tretend rief dieser würdige Mann aus: »Tödten Sie mich, Sire, aber schonen Sie Ihres Sohnes!« Die Kühnheit des Generals machte den König zaudern, und jener benutzte den Moment, den Prinzen hinauszuführen und in seinem Zimmer vorläufig in Sicherheit zu bringen. Die übrigen Generale vermochten es über den König, daß er sich entschloß, den Prinzen nicht mehr zu sehen und ihn der strengen Obhut einiger Offiziere, auf die er sich verlassen konnte, anzuvertrauen. Er selbst reiste einige Tage darauf nach Berlin ab.

Jene Offiziere hatten den Auftrag erhalten, mit dem Kronprinzen etwas später von Wesel aufzubrechen und ihn so schnell und so geheim als möglich nach Mittenwalde zu führen, wo er zunächst in Verwahrsam bleiben sollte. Es war ihnen verboten, auf der Reise das hannoversche Gebiet zu berühren, damit der Prinz nicht etwa durch englische Hülfe entführt werden möchte. Zugleich war ihnen anbefohlen, den Prinzen durchaus streng zu halten und ihn mit Niemand sprechen zu lassen. Doch fehlte wenig, daß Friedrich, trotz dieser Vorsicht nicht schon in Wesel seiner Haft entkommen wäre. Er war im Volke, im Gegensatz gegen die bekannte Strenge des Königs, allgemein beliebt; jetzt hatte sein Unglück einen förmlichen Enthusiasmus für ihn hervorgerufen. Manch Einer hatte sein Leben gewagt, um nur ihn in Freiheit zu wissen. Schon hatte er heimlich eine Strickleiter und das Kleid einer Bäuerin erhalten, schon war er in dieser Vermummung bei nächtlicher Weile aus dem Fenster gestiegen, als die Schildwache unter seinem Fenster, die er nicht bemerkt hatte, ihn anrief. Nun blieb ihm nichts übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben, und willig ließ er sich am folgenden Tage von Wesel abführen. Auf der Reise selbst machte er keine weiteren Versuche zur Flucht, obschon der Landgraf von Hessen-Cassel und der Herzog von Sachsen-Gotha nicht abgeneigt gewesen wären, ihn vor dem Zorne des Vaters zu schützen, was er freilich vielleicht nicht wußte.


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