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Das Wasservogelsingen im Böhmerwald

Eine der schönsten Aufgaben der Volkskunde ist die, den Spuren der Wanderung von Volksgut nachzugehen und so zu zeigen, wie das Volkstum einer Gegend in das einer anderen übergeht. Innerhalb eines und desselben Stammes gibt es ja so viele Verschiedenheiten, dass jeder Landstrich, der halbwegs abgeschlossen ist, ein ganz eigenartig entwickeltes Volkstum aufweist. Wie man etwa der Verbreitung der Volkstrachten und Baustile oder der Familiennamen und Mundarten von Dorf zu Dorf nachgegangen ist, so kann auch das Verbreitungsgebiet bestimmter Sitten und Bräuche scharf abgegrenzt werden. Ja, hier fallen die sonst recht merkwürdigen Übergangsgürtel weg: bei Sitte und Brauch gibt es im Volke kein Aufnehmen oder Austauschen, was in dem einen Dorfe alter Brauch ist, wird allezeit weiter geübt, während es in anderen Dörfern anders gehalten wird.

Im Folgenden will ich das Verbreitungsgebiet des Wasservogelsingens im Böhmerwald abgrenzen und zeigen, wie dieser Brauch vom bayerischen Mutterstamm nach Böhmen übergegriffen hat und bei uns heimisch geworden ist.

Die Pfingstbräuche unseres bayerischen Stammes sind heute recht verschiedene Formen eines und desselben alten Brauches; bekannt sind ja der »Pfingstritt«, die vielen »Pfingstlümmel« und »Pfingstl« oder die verschiedenen »Wasservögel«. Unter letzterem Namen gehen recht verschiedene Bräuche; in vielen Landschaften heißt der Bursche so, der am Pfingstmorgen als der Säumigste befunden, mit Laub umkleidet im Dorfe herumgeführt und zuletzt ins Wasser geworfen wird. Im Böhmerwald wird der »Wossavogl« also geübt: In der Nacht vom Pfingstsonntag auf den Pfingstmontag kommen die Burschen des Dorfes zusammen, wählen aus ihrer Mitte den Wasservogel, der den Vorsinger macht, ziehen dann von Haus zu Haus und singen überall das »Wossavoglliad«. In den Häusern halten die jüngeren Weiber und Mädchen bei einem Dachfenster oder sonst einem Versteck Töpfe und Eimer mit Wasser bereit und nach dem Absingen des Liedes werden die Burschen tüchtig begossen. Dann treten die Sänger ins Haus, wo sie mit Eiern, Mehl, Schmalz und Speck oder auch mit Geld beschenkt werden. Und wenn das ganze Dorf »og'sunga« ist, kommen die Burschen im Wirtshause zusammen, da werden beim Ofen die nassen Kleider getrocknet und mit Hilfe der Wirtin die Gaben aufgekocht und aufgegessen. Manchmal wird auch in Nachbardörfer gezogen, wo der Brauch daheim ist.

Der Vorsinger hebt bei jedem Hause immer an:

»Wir reisen her am Obend spot,
wohl in da heilin Pfingstnoch«,

worauf die übrigen Burschen den Kehrreim singen:

»Z' Obend schlofts nit,
z' Obend schlofts nit,
weit roasen wir daher.«

Der Vorsinger singt dann etliche Gesätzlein, die den Bauern, die Bäuerin, das Gesinde, die Bauernarbeit loben und preisen, etliche Bettelreime, dann Gesätzlein über die Herkunft einiger Sänger, die andeuten sollen, was die Burschen gern haben möchten, dann folgen Neckereien und Sticheleien auf geizige Bauern oder auf Nachbarorte und zuletzt noch oft ausgelassene Stegreifreimlein.

Unserer Form des Wasservogelsingens ist im größten Teil des bayerischen Waldes daheim und da recht beliebt und im Volk eingewurzelt; oft hört man um die Pfingstzeit alte Leute reden: »Ob ich noch einmal den Wasservogel hören werde!« Im Böhmerwald kommt das Wasservogelsingen nur in der Winterberger Gegend entlang der alten böhmisch-bayerischen Grenze vor, und zwar in dem Lande zwischen Lusen und dem Dreisessel, also in folgenden Siedlungen: Adlerhütte, Birkenhaid, Böhmischröhren, Brandhäuser, Buchwald, Elenbachl, Filz, Fürstenhut, Gansauerhaid, Guthausen, Hirschbergen, Hüblern, Hüttel, Josefstal, Kuschwarda, Landstraßen, Leimsgrub, Mehregarten, Neuelendbachl, Neutal, Oberlichtbuchet, Oberzassau, Pumperle, Röhrenberg, Schillerberg, Schönberg, Scheureck, Schlösslbachl, Tusset, Unterlichtbuchet, Unterzassau und Wolfsgrub.

Das Land um die weite Senke zwischen dem Lusen und dem Dreisessel, wo schon die alten drei Goldenen Steige nach Prachatitz, Winterberg und Bergreichenstein hereinführten, ist alter Urwaldboden. Fast alle Orte hier sind erst gegen Ende des 17., im 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts als Walddörfer, Glashütten oder Holzhauersiedlungen entstanden. Das Volkstum ist stark zusammengewürfelt, und ein großer Hundertsatz der Roder ist aus dem Bayerischen ins Land gekommen. Das weite, offene Tor hat einen regen Verkehr hinüber und herüber zur Folge gehabt, der im 18. Jahrhundert nach der Besiedlung der Gegend am stärksten war. So reicht denn auch zu beiden Seiten des alten Passau-Winterberger Weges um Kuschwarda der Brauch am weitesten ins Land hinein. Hier schlagen die Wellen des wäldlerischen Volkstums am stärksten herüber. Die bayerischen Nachbarn und wohl auch bayerische Wasservogelsinger, die herüber kamen, haben im 18. Jahrhundert den Brauch bei uns eingeführt, und von den Holzhauern, Glashüttenleuten und dem Waldbauernvolk, denen ja Singen und Sagen mehr ansteht als dem schwerblütigen Bauerntum im Getreidelande, wird der Brauch bis heute gepflegt. Dass der Brauch erst in junger Zeit herüber gekommen ist, zeigen auch die folgenden Gesätzlein, die auf nähere und weitere bayerische Orte deuten und bei uns immer noch mitgesungen werden, wenn auch manchmal nur umgedeutet oder verderbt, etwa:

»Oan hom ma da uns aus Fürholz,
der tuat a so ums Küahschmolz.«
»Der onda is a Boja,
der tuat a so um d' Oia.«
«Oan hom ma va da Nuiweit,
der tuat a so ums Seiwageid.«
»Und oana is von Reichner Kreis,
der tuat a so ums schweina Fleisch.«
»Umd oana is von Oberzell,
der tuat a so ums Woizen meih.«

Dem Volkskundler ist es eine alte Weisheit, dass jedes junge Volkstum immer und überall dem Einfluss der älteren Nachbarschaft ausgesetzt ist. Und diese Nachbarschaft war für das Land zwischen Lusen und dem Dreisessel das Bayerische mit seinem Wäldlervolk, mit dem unsere Waldleute mehr zusammenhingen als mit den Bauern in unseren alten Dörfern. Halt macht der Brauch erst vor den alten Siedlungen des Böhmerwaldes, die über den Dreißigjährigen Krieg hinaus reichen und wiederum ein ganz anderes Volkstum aufweisen, also vor Außergefild, Obermoldau, Wallern und den Salnauer Dörfern. Die letzen Orte, die unseren Brauch noch kennen, sind Buchwald unterm Lusen und Hirschbergen unterm Dreisessel im Südwesten. Über die Gebirgsstöcke des Lusen-Rachel und des Dreisessel-Blöckenstein hinaus geht im Böhmerwald der Brauch nicht mehr, denn beide Stöcke haben das Volkstum hüben und drüben stärker voneinander getrennt.

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