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Ös und diats

Auf dem größten Teile des bayerischen Sprachgebietes kennt das Volk keine Mehrzahlformen des persönlichen Fürwortes der zweiten Person: ihr, euch. Gewöhnlich duzen einander die Leute. Die Kinder aber sagen zu ihren Eltern noch in vielen Gegenden »dös« und »enk«, und diese Wörtchen sind auch meist die Anredeformen älteren und höher gestellten Personen gegenüber. Dann werden diese Wörtchen auch angewendet, wenn mehrere Personen angesprochen werden, und in diesem Falle sind »dös« und »enk« noch allgemein gang und gäbe. Manchen Leuten aus dem Volke, die sich Gewalt antun, »nach der Schrift« zu reden, kollert oft das Wörtchen »ös« in die Rede wie dem Schützenhauptmann, der seiner Kompagnie beim Empfange eines Erzherzogs zurief: »Wenn ich Vivat schrei, so schreit ös auch!«

Die nachgestellte schwachtonige Form unseres Dialektfürwortes: »'s« ist auch unter den Gebildeten im Süden des deutschen Sprachgebietes gewöhnlich; Wendungen wie »Lassts euch Zeit!« kann man genug hören, und kaum weiß einer unter Munderten, dass das »s« im Zeitworte die schwachtonige Form des Dialektfürwortes »ös« ist. Die nachgestellte schwachtonige Form von »ös«, wie das Wörtchen ursprünglich lautet, »s« ist übrigens mit dem Zeitworte meist so verwachsen und wird ganz als Endung gefühlt, dass man überdeutlich sagt: »Habts ös?« oder »dös habts«, im Egerländischen etwa: »Sats diats?« schriftsprachlich: Seid ihr. Wer den Leuten gut aufs Ohr horcht, wird merken, dass in manchen Gegenden in Nebensätzen die Leute das »s« nicht anwenden. Während man im oberen Böhmerwald zum Beispiel sagt: »Passts af, dass guat hoam kemmts«, heißt es in manchen Gegenden des Unterlandes im Nebensatze »dass guat hoam kemmt.«

Die Formen »ös, dös, enk« kommen auf dem größten Teile des bayerischen Sprachgebietes vor, die Nordbayern oder Egerländer sagen »diats« und »enk«. Mittelhochdeutsch-bayerisch lauten die Wörtchen ¸z und ¸nk, und man meint, dass sie Reste alter Zweizahlformen sind.

Wir wollen nun die Dialektformen im Donaubayerischen auf böhmischer Seite beschreiben und den Übergang ins Egerländische feststellen. Die Form »enk« hat sich in den Dialekten nur wenig geändert. Wie ist nun das mittelhochdeutsch-bayerische Wörtchen ¸z zu »dös« geworden? Im oberen Böhmerwald heißt die Form »es«, im unteren ist wie in den anderen Fällen mit altem ? Zerdehnung eingetreten und es wird »e¿s« oder besser mit Lippenrundung »öis« gesprochen; häufiger dagegen ist die Form »des« und »döis«. Der Anlaut ist aus der volkstümlichen falschen Silbentrennung zu erklären, das heißt, der auslautende Mitlaut des vorhergehenden Wortes ist mit dem Anlaut des folgenden Wortes zusammen gewachsen, da das Volk, dem ja das geschriebene Wort nicht so vor Augen schwebt wie dem Gebildeten, die Wortgrenze nicht scharf einhält. Auf solche Art entstanden sind Wörter wie »Nast« (einen Ast, einen Nast). Aus Verbindungen »habet ös« wurde leicht auf dieselbe Weise »habet tös«; »dös« im Donaubayerischen ist leicht zu erklären, da man im Anlaute in der Regel einen weichen Laut spricht. Auch mag, und das besonders in den übrigen bayerischen Dialekten, du, dir, dich usw. mitgeholfen haben, dass neben »ös« die Form »dös« gebräuchlicher wurde. In der Ossergegend ist nur »es« üblich.

Im nordbayerischen Sprachgebiete, das sich ja vom übrigen Bayerischen etwas mehr unterscheidet, hat sich mittelhochdeutsch-bayerisches ?z zu »diats«, oder besser wiedergegeben »tiats«, entwickelt. Das Wörtchen ist die egerländische Form des gewöhnlichen bayerischen »dös«. Wie in manchen altbayerischen Dialekten altes ¸ gedehnt als e¿ erscheint (de¿s, Nest: Ne¿st), so erscheint es im Egerländischen in gewissen Wörtern ebenfalls zerdehnt, jedoch mit der bekannten nordbayerischen Umstellung der Zwielaute: (Nest: Niast), de¿s, diats. Etwas merkwürdig ist, dass der auslautende Reibelaut des Bayerischen (dös) im Oberpfälzischen als z, ts, erscheint: diats. Wahrscheinlich ist der Auslaut aller Zeitwörter in der zweiten Person der Mehrzahl (machts, sagts) infolge Fernangleichung auf das Fürwort übertragen worden; aus Wendungen wie »machts dias« wurde bald »machts diats«; im Egerländischen wurde häufig die Zeitwortendung »ts« auf kleinere Wörter übertragen: dats, dass ihr; wennts, wenn ihr, we?ts, wie ihr; wouts, so ihr usw. Man spricht in solchen Fällen von einer Art Abwandlung des Bindewortes. Ein ähnliches Beispiel aus dem Donaubayerischen wäre der Ausruf: »mein«, in der Mehrzahl »meints« oder »han« und »hants«.

Bis in die Gegen der Schwarzkoppe sagt man »dös, es«, das letzte Dorf südlich der Schwarzkoppe, das »es« spricht, ist Fichtenbach. In der nördlich angrenzenden Gegend von Wassersuppen, Grafenried und Schwarzach sagt man noch nicht »diats«, sondern da wird eine merkwürdige Kreuzung des altbayerischen Wörtchens mit dem bald beginnenden egerländischen gesprochen, nämlich »dets«. Erst nördlich des Zuges Schwarzkoppe, Schauerberg, Hirschstein in den Dörfern Neid, Rindl, Stockau, Fronau beginnt »diats«. Deshalb werden die Deutschen egerländischer Zunge von den Deutschen donaubayerischer Zunge scherzhaft »Diazler« genannt. Wo man »diats« spricht, da beginnt das Egerländische oder das Egerland im weiteren Sinne.

Die Oberpfälzer oder Egerländer sind Angehörige des Bayernstammes, Nordbayern, und die Wörtchen »diats« und »enk«, die überall auftauchen, wo bayerisch gesprochen wird, bezeugen (neben anderen viel wichtigeren Erscheinungen) ihre Zugehörigkeit zum Bayernstamm.

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