Herm. Anders Krüger
Gottfried Kämpfer
Herm. Anders Krüger

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Sechstes Kapitel

Delta

Längst war Gottfried Kämpfer auf die dritte Stube übergesiedelt, längst sprach kein Mensch mehr von dem unliebsamen Vorfall mit Bruder Rassowsky, und doch stand Gottfried noch immer unter einem leisen inneren Druck. Er wurde das Gefühl einer gewissen Unwürdigkeit nicht los, ihm war zumute wie einem Soldaten zweiter Klasse: niemand sieht nach seiner Mütze, ob die Kokarde daran fehlt, nur er vermißt sie stets. Gottfried wußte: er war es gewesen, der den ersten Flecken auf den Ehrenschild seiner Kolonne gebracht hatte. Und dieses Bewußtsein bedingte vorübergehend die Entwicklung seines Charakters.

Die alte, selbstsichere Art, das herausfordernde, kecke Wesen wollte ihm sobald nicht wiederkommen, während die Lust am Grübeln mitunter wie ein elementarer Drang in ihm mächtig wurde. Das Gewissen selbst schlug ihm zwar nicht wie ehedem nach Großmutters Tod – er hatte ja dieses Mal nicht anders handeln können – aber der Gedanke, nicht mehr so unbescholten zu sein wie die 356 Kameraden, der quälte den stolzen, ehrgeizigen Knaben immer von neuem.

Die Folge war, daß der Vorstehersohn im Kolonnenleben immer weniger in den Vordergrund trat und sich statt dessen immer inniger an Klaus Meier, das ehemalige Lodenpastorchen, anschloß.

Auch mit diesem Knaben war indessen eine merkliche Änderung vor sich gegangen, zunächst rein äußerlich, weil er den auffallenden Schmuck seiner langen Locken abgelegt hatte. Sein Gesicht hatte dadurch etwas Rundes, Volles erhalten, was gegen die schmächtigen Körperformen sonderbar abstach und den Kolonnenwitz alsbald herausforderte. An Stelle des alten, nunmehr hinfälligen Spitznamens hatte sich ein neuer gefunden, nämlich »Nöke«. Zehwens unermüdliches Lästermaul hatte auch hierzu den Anlaß gegeben. Klaus Meier dichtete heimlich, wie die ganze Kolonne wußte; er liebte auch heimlich, wie Zehwen allein vermutete. Eines Tages fand der tückisch Schnüffelnde in einem herumliegenden Sallust ein paar gereimte Zeilen Klaus Meiers liegen, in denen von Nix und Nöck die Rede war.

Triumphierend erklärte nun der indiskrete Zehwen, das sei ein verkapptes Liebesgedicht: Die Nixe sei die geliebte Cousine, und der Nöck sei der poeta arcanus selber.

Klaus Meier lachte den superklugen Exegeten gründlich aus, er bewies ihm gutmütig die Torheit seiner Behauptungen, er protestierte energisch: alles blieb vergeblich! Die Nixe und der Nöke – das klang besser als Nöck – leuchteten allgemein ein. Und bald hieß Klaus Meier gar nicht mehr anders als Nöke.

Der Legentenbund war selig entschlafen, nachdem er seine Wirkung getan.

Man las jetzt viel auf III, nur jeder nach seinem Geschmack. Taylor las alles, was ihm Bruder Leßmann, der 357 jetzige Ordinarius, als gut empfahl, denn er las ja nur, um deutschen Stil zu lernen. Rodbeck las Biographien von Entdeckern und Reisebeschreibungen, da er gern Missionar werden wollte. Drax bat hartnäckig um philosophische Abhandlungen, obwohl er sie meist gar nicht oder falsch verstand, Dachs studierte mit ebenso heißem Bemühen Kunstgeschichte und Ästhetik und stritt sich dann mit seinem Busenfreund stundenlang über Begriffe und Definitionen. Beiden war eine sonderbare Vorliebe für das Abstrakte eigen, wenn auch in ganz verschiedener Weise. Zehwen las am wenigsten deutsche Bücher; er suchte sich vielmehr in fremde Sprachen einzuarbeiten, da er hoffte, einmal Philologie studieren zu können. Nöke und Gottfried endlich trieben literarische Studien, die sie merkwürdig schnell zusammen führten.

Rein belletristische Werke wurden zwar in der Schulzeit aus der Bibliothek ebensowenig verabfolgt wie in der Anstalt. Dafür waren Vorleseabende und Selbstleseabende da, aber in den Ferien hielten die Schüler sich schadlos und wolften um so mehr. Außerdem war gestattet, einige Klassiker zu besitzen, so Schiller und Shakespeare, deren Werke an Geburtstags- und Teeabenden (die an Stelle der anstaltsmäßigen »Nachmittagstrinken« getreten waren) mit verteilten Rollen gelesen wurden. Andere Dichter wurden stillschweigend geduldet, nur Heine mit seiner schwülen Liebespoesie war streng verpönt. Goethe durfte erst auf Prima gelesen werden.

Nöke war ein großer Freund von Lyrik, namentlich Lenau, Eichendorff und Geibel wurden von ihm verehrt und im stillen nachgeahmt; während seinem Freunde Gottfried die historischen Dramen Schillers und Shakespeares als das Großartigste in der Literatur erschienen. Auch Körners »Zriny« dünkte Gottfried vortrefflich, und schon dadurch bewies er, daß es ihm mehr auf die Stoffe als auf die 358 Art der dichterischen Behandlung ankam. Zugleich studierte er, angeregt durch Bruder Leßmanns vorzüglichen deutschen Unterricht, eifrig die Meisterwerke der alt- und mittelhochdeutschen Literatur, ließ sich von der schlichten Größe des Heliands tief ergreifen und hoch erheben von der gewaltigen Majestät des Nibelungenliedes. Auch den Parzival genoß er zum zweiten Male und dieses Mal ein wenig objektiver, aber nicht minder ausgiebig als in der Konfirmationszeit. An Walthers politischer Lyrik begeisterte er sich ebenfalls, während er mit dessen Liebesliedern wenig anzufangen wußte und dadurch bei Nöke gewaltigen Zorn erregte. Ja, als Gottfried bald darauf über das hohe Lied höfischer Minne, über des Namensvetters »Tristan und Isolde« ein absprechendes Urteil fällte, da fehlte nicht viel, daß ihm der gefühlvolle Schwarzwaldsohn die Freundschaft gekündigt hätte.

Ein grimmes Disputieren begann, noch hartnäckiger als die Begriffsturniere von Dachs und Drax, aber keiner konnte den andern überzeugen. Der etwas doktrinäre und harte Vorstehersohn legte vorwiegend moralische, der weiche, gefühlsreiche Pastorjunge mehr ästhetische Maßstäbe an die Dichtwerke. Sich zu einer einheitlichen Kritik zu vereinigen, war vor der Hand unmöglich, da ihr eigner Geschmack noch nicht genügend geschult war, und die Geschmackautorität des Lehrers ihnen nicht unbedingt ausschlaggebend erschien.

Nach fruchtlosem Hin- und Herstreiten erklärte Nöke seinem Freunde schließlich mit launiger Grobheit: »Du bist eben völlig unfähig über Lyrik zu urteilen und erst recht zu dumm über Liebespoesie mitzusprechen, denn du hast selbst noch nie geliebt.«

Gottfried hörte das vernichtende Urteil ruhig an, dachte erst bei sich – aha, also hat Zehwen am Ende doch recht, er liebt oder hat geliebt – dann sagte er langsam mit einer gewissen Verachtung im Tone: »Wenn du denkst, daß 359 ich mich daraufhin etwa verlieben werde, bist du freilich schief gewickelt. Ich halte die Liebe für eine kolossale Dummheit und danke für Backobst.«

Tief empört wandte sich Nöke von dem gefühlsrohen Freunde ab und sprach mehrere Tage wirklich kein Wart mehr mit ihm. Das tat Gottfried aufrichtig leid, denn er hatte sich schon so daran gewöhnt, alles mit dem Freunde zu besprechen, daß er sich ordentlich einsam fühlte.

Mit Rodbeck stand er schon längst nicht mehr so vertraut wie früher, schon weil dieser sich eng an Taylor angeschlossen hatte. Beide galten für sehr fromm, und Gottfrieds religiöses Leben war seit der Konfirmation langsam wieder ermattet. Er betete wohl noch ab und zu, wenn ihm irgend etwas Besonderes am Herzen lag, ging auch wohl noch zum Abendmahl – freilich nur nach langen Bedenken; aber das persönliche Verhältnis zum Heiland war allmählich geschwunden und hatte auch kein eigentliches Verlangen danach als Spur zurückgelassen.

Nach drei Tagen söhnten sich Nöke und Gottfried wieder aus, indem sie sich hoch und heilig versicherten: sie wären rechte Esel gewesen, denn über verschiedene Anschauungen könne man wohl disputieren, man dürfe sich aber deshalb nicht verzanken. Auf Grund dieses ehrlichen Geständnisses vertrugen sie sich ganz prächtig, bis – zum nächsten Zank, der jedoch schon nach zwei Stunden ausgeglichen wurde.

 

Zu den Sommerferien fuhr Gottfried wie gewöhnlich nach Herrenfeld, nur dieses Mal allein, da Matthes nach seiner Konfirmation das Ringen um den Lorbeer der Gelehrsamkeit aufgegeben und Girdein als unversetzbarer Tertianer verlassen hatte, um in Herrnhut ein braver Kaufmannslehrling zu werden.

360 In Herrenfeld hatte sich nicht viel geändert, aber auch nichts gebessert.

Zum ersten Male sah sich der Vorstehersohn von manchem Bruder mit lauerndem Mißtrauen betrachtet, ja Bruder Seewolf pirschte sich einmal an ihn heran und suchte ihn auf offener Straße über seine Weltanschauung auszuholen.

Gottfried sagte ehrlich: »Ich habe noch keine«, worauf Bruder Seewolf bedenklich den Kopf schüttelte. Allem Anschein nach hielt er das Pädagogium für eine Gesinnungschule statt für eine Lehranstalt.

Gottfrieds Vater war verschlossener als früher, vielleicht hing seine jetzt besonders gedrückte Stimmung mit dem kürzlich erfolgten Tode des Obersten von Karpnitz zusammen, der ihm in den letzten Jahren ein wirklicher Freund geworden war und um so offner und um so treuer zu dem Vorsteher gehalten hatte, je mehr man diesen in der Bürgerschaft befehdete. Der Kampf gegen die alte aristokratische und für eine neue demokratische Orts- und Gemeinverfassung wogte noch immer erbittert hin und her. Der besonnenen Alten wurden immer weniger, und der ehrgeizigen Jungen immer mehr. Winkte doch bei der geplanten Änderung der Dinge gar manchem der letzteren ein Ehrenposten oder gar eine Einnahme.

Eine wirkliche Umgestaltung konnte freilich nur durch eine Synode angeordnet werden, und die letzten Synodalen hatten noch nichts Entscheidendes geändert, da sie noch zum größeren Teile aus Mitgliedern der aristokratischen Ältestenkonferenzen bestanden hatten. Nun sollten – so lautete die neue Parole – möglichst viel liberale oder gar radikale Bürgervertreter auf die nächste Synode gewählt werden, um der sogenannten »Pfaffenherrschaft« dauernd ein Ende zu machen.

So lange in Herrenfeld die Konferenzgeschwister treu zusammenhielten, kamen die Neuerer trotz aller verborgenen 361 Wühlarbeit kaum einen Schritt vorwärts. Die persönliche Tüchtigkeit der alten Beamten war über jeden Zweifel erhaben, alle Verdächtigungen prallten nur auf ihre Gegner zurück. Doch die Zeit brachte den Wechsel und lichtete die geschlossenen Reihen der aristokratischen Phalanx.

Der alte Direktor, Bruder Thierbach, und der brave Ortsbankier, der ehedem Gottfried nach Herrenfeld eingeholt hatte, starben kurz hintereinander; auch der wackere Töpfermeister, der im Bläserkorps mit seinem Bombardon wie im Ältestenrat den Ton anzugeben verstanden hatte, ging ein »zu seines Herren Freude«. Zwei andere Mitglieder der Konferenz wurden fortberufen, und dennoch blieb alles scheinbar im Lot, solang Gemeinhelfer und Kirchenvorsteher unerschütterlich fest zusammen standen. Da entschloß sich plötzlich Bruder Friesen, sein dornenvolles Amt niederzulegen und nach Herrnhut zu ziehen, um ganz bei seinem einzigen Kinde sein zu können.

Das war ein schwerer Schlag für den Vorsteher, aber ungebeugt und mutig trug er die Bürde seines Amtes weiter, obwohl der Nachfolger Bruder Friesens eine von den diplomatisch flauen Kompromißnaturen war, die auf beiden Seiten hinkte und es auf keinen Fall mit irgend einem Bruder verderben wollte. Die Folge davon war, daß ihn der energische Bruder Seewolf durch ein paar Schikanen bald so einschüchterte, daß er überhaupt nicht mehr öffentlich über Dinge zu sprechen wagte, die nicht rein religiöser Natur waren.

So ward es einsam um den Vorsteher, und Gottfried beschlich bisweilen der Gedanke: der Vater sehne sich fort von Herrenfeld. Auch ihm selbst gefiel es dieses Mal weniger denn je in der schlesischen Heimat. Die Landschaft, die ihm ehedem so reizvoll erschienen war, hatte sich freilich nicht geändert, wohl aber die Stimmung, in der er sie betrachtete. Was ihm damals groß und erhaben dünkte, 362 kam ihm jetzt klein und nüchtern vor. Auch fühlte er sich einsam. Von den einstigen Kameraden waren nur noch wenige anwesend. Göcking fuhr zur See, Ibikus, der nun glücklich Kellnerlehrling geworden war, traf den Vorstehersohn einmal auf der Straße; aber die alten Kameraden grüßten sich nicht, obwohl sie sich sehr genau betrachteten.

Am liebsten war Gottfried jetzt zu Hause. Immer inniger schloß er sich an die Mutter an, las ihr und den Schwestern bisweilen vor, während sie mit einer Handarbeit beschäftigt waren, oder spielte mit ihnen und Guido eine Partie Krocket. Ohne Zank ging es freilich dabei nicht ab. Namentlich Guido, der kräftig herangewachsen war, stritt sich gern mit Agnes herum, und es machte Gottfried und Jettchen ein offenbares Vergnügen, als Schiedsrichter einzugreifen, obwohl sie beide wußten, daß sie es ehedem nicht besser gemacht hatten. Guido ließ sich jetzt viel von Girdein erzählen, er brannte vor Erwartung. Bereits nächste Ostern sollte er sein Eintrittexamen für die Girdeiner Quarta machen.

Henriette trug schon seit zwei Jahren das dunkelrote Haubenband der größeren Mädchen und sollte beim nächsten Schwesternfest ins Chor der ledigen Schwestern aufgenommen werden. Auf Gottfried war sie noch immer sehr stolz, und er konnte ihr keine größere Freude bereiten, als wenn er gelegentlich in seiner blauen Schülermütze mit ihr Arm in Arm auf der einsamen Chaussee spazieren ging.

Schnell verflogen die sommerlichen Ferientage, die der Vorstehersohn in Herrenfeld verbrachte. Doch gern kehrte er nach Girdein zurück.

Im Herbst teilte ihm Bruder Nielsen mit, daß sein Vater zugleich mit Bruder Loskiel nach Bertelsburg in die Oberbehörde berufen sei.

Gottfried freute sich ganz aufrichtig darüber. Aus der Ehre eines »Kronprinzen« (so hießen im Pädagogium die 363 Söhne der Bertelsburger Väter mit Spitznamen) machte er sich im Grunde sehr wenig, aber dem Vater gönnte er die Erlösung aus dem undankbaren Herrenfeld. Außerdem war es ein geradezu aufsehenerregendes Vorkommnis, daß zwei leibliche Brüder in ein und dasselbe Departement berufen wurden, zumal da es sich bei den Kämpfers nicht einmal um eine der alten Gemeinfamilien handelte.

Für Gottfrieds Stellung innerhalb der Kolonne war des Vaters und Oheims Stellung als Unitätsdirektoren und oberste Finanzbeamte insofern nicht ohne Folgen, als man ihn von nun an wie eine Art von Vertrauensperson betrachtete. Die Stipendiaten des Pädagogiums unterstanden nämlich direkt dem Erziehungsdepartement (daher eitel Freude über die Wahl Bruder Loskiels), indirekt jedoch und manchmal recht fühlbar dem Finanzdepartement in der Oberbehörde.

Gottfried lächelte nur still vergnügt, wenn ihm gelegentlich angedeutet wurde z. B. von dem etwas demagogisch veranlagten Zehwen: er solle seinem Vater über dies oder jenes ein Licht aufstecken. Wenn ihm je ein Mann als die Verkörperung der absolutesten Sachlichkeit erschienen war, so war dies sein Vater. Gottfried hätte ihm eher zugetraut, daß er wie Manlius ihn, den eignen Sohn, zum Tode verurteilt hätte, wenn es die Gerechtigkeit erfordert hätte, als daß er jemals Rücksichten auf unberechtigte persönliche Wünsche genommen hätte.

Zu Beginn des neuen Jahres verließ Bruder Kämpfer Herrenfeld, und mit ihm zog gleichsam der Geist eines patriarchalischen, aber tüchtigen Zeitalters aus dieser Gemeine fort. Sein Nachfolger war dem stürmischen Geiste der neuen Zeit nicht mehr gewachsen, nur wenige Jahre bekleidete er noch die beiden von Alters her vereinigten Ämter als finanzieller Vertreter der Oberbehörde und als Haupt der kommunalen Verwaltung. Nach der nächsten 364 Synode, die den Liberalen endlich den ersten Sieg brachte, wählte man in Herrenfeld den einen der zwei Synodalen, Bruder Seewolf, zum Bürgermeister von Herrenfeld.

Damit brach eine neue Ära für diese Gemeine wie für die ganze Brüderkirche an, eine Ära des Übergangs, des Zweifels und der Unzufriedenheit; aber auch dieses Zeitalter durfte das Recht historischer Notwendigkeit für sich in Anspruch nehmen.

Wie die Verhältnisse lagen, galt es nun für die kleine Brüdergemeine: entweder neue Formen zu finden und sie mit neuem Geiste zu füllen, oder in den alten Formen rettungslos zu erstarren, nachdem einmal der alte Geist aus ihnen gewichen war.

 

Der Winter des neuen Jahres war von ungewohnter Freigebigkeit. Den ganzen Januar über hatte er die herrlichste Eisbahn geboten, nun spendete er im Februar noch so reichlich frischen Schnee, daß auch die Rutschbahn in den besten Stand gesetzt werden konnte, und so die beiden Hauptwinterfreuden in schönster Abwechslung von der Girdeiner Jugend genossen werden konnten.

Die Nächte waren kalt und klar, desgleichen die Morgen und Abende. Doch Mittags über schien die liebe Sonne so mild und warm, daß vor ihren schrägen Strahlen der Schnee trotz seiner harten Kruste nicht stand halten konnte. Er wurde wenigstens stundenweise so weich, daß berufene und unberufene Fäuste sehr schöne, runde, auch sehr harte Schneebälle daraus fertigen konnten.

Girdein stand infolgedessen im Zeichen der Schneeschlachten. Nicht nur das reguläre Girdeiner Regiment focht zwei hartnäckige Kompagniegefechte in Nowgorod aus, nicht nur 365 die Stuben zogen geordnet gegeneinander zu Felde, sondern auch viele irreguläre Scharmützel wurden geliefert. Da war die gewaltige Heerschar der Ortsschule, vulgo »Ortsquappen« genannt; da waren ferner die braunmützigen Präparanden, auch »Semmelchristen« tituliert, da sie sich aufs Lehrerseminarium vorbereiteten; endlich die schlimmsten Schneeballfranktireurs, die mancherlei Lehrjungen, die der freundliche Pädagogiumwitz »Knoten« getauft hatte. All diese verschiedenen Lager der Girdeiner Jugend lebten für gewöhnlich in leidlichem Frieden miteinander, auch wenn hinter dem Rücken der Vorgesetzten hie und da aufgehäufter Zündstoff plötzlich explodierte und verschwiegen ein grimmiger Strauß ausgefochten wurde.

In diesen Tagen des tauenden Schnees und der verführerischen Februarsonne zuckte es jedoch öfter in mancher Bubenfaust, und noch schneller als sonst wohl Spottreden und Herausforderungen flogen jetzt übermütige Bälle als lustige Fehdegrüße hinter Häuserecken oder schützenden Zäunen hervor; auch auf offener Straße wurde geplänkelt, falls die gestrenge Ortspolizei nicht gerade in Sicht war.

Gottfried schlenderte an einem dieser Tage mit dem getreuen Nöke, die Lenkstange über der Schulter, den Schlitten hinter sich, hinaus zur Rutschbahn. Bruder Hesselbart und die Kameraden waren bereits auf der Bahn; die beiden Freunde hatten jedoch im Ort noch eine Besorgung gehabt und sich daher verspätet. Trotzdem legten sie gar keine Eile an den Tag, disputierten vielmehr mit lauter Stimme wie gewöhnlich.

Gottfried behauptete: Riehl sei der beste Novellist Deutschlands, während Nöke den ersten Platz für Paul Heyse beanspruchte, mit der Begründung: »Der Hauptwitz der Novelle ist doch die Behandlung der Liebe, und von der versteht der lyrische Heyse viel mehr als der episch humoristische Riehl.«

366 »Dagegen könnte ich dir »Burg Neideck«, die »ungeschriebenen Briefe«, den »Leibmedikus« – na kurz ne ganze Hetze von Riehlschen Novellen anführen –«

Da patsch – flog ein harter Schneeball gegen den Kopf des Sprechenden. Jäh verstummte er und schaute sich sofort entrüstet nach dem unvermuteten Gegner um.

Die Freunde waren eben aus dem Orte herausgetreten. Links vor ihnen lag nur eine einsame Werkstatt mit einem großen Schuppen; von dort her mußte also der tückische Ball gekommen sein.

Mit erhobener Stange stürmten die beiden Freunde darauf zu, und richtig, da hinterm Schuppen tobte ja eine richtige Schlacht. Erbittert wurde gefochten, und sehr ungleich waren die Parteien. Hier zwei Mädchen und ein heulender Knabe, anscheinend ihr Bruder, – dort drei kleinere, aber kräftige Buben und ein ungeschlachter, johlender Lehrjunge, nach der im Straßengraben liegenden Säge zu schließen, ein angehender Tischler – natürlich! Hier war ja Adams Tischlerei – und die Buben – die berüchtigten Adamsjungen! »Adam hatte sieben Söhne« – Gottfried kannte den Girdeiner Spottvers wohl. Mit Feldherrnblick übersah er sofort die Situation.

»Drauf, los« – rief er herrisch dem noch zaudernden Freunde zu.

Schwirrend sausten die Lenkstangen zu Boden, ein paar Bälle wurden geballt, und vorwärts – mit Hussa und Hallo – gings den armen zwei Mädchen und ihrem feigen Heulfried zu Hilfe.

Sobald Nöke gesehen hatte, daß es sich darum handle, bedrängten Damen Hilfe zu bringen, war auch er begeistert herzugeeilt und achtete weder seiner zarten Hände noch seiner etwas schwachen Konstitution. Er fühlte sich nur als romantischer Ritter, traf freilich nicht allzuviel.

Gottfried kämpfte dafür wie ein Ase, er sah nicht rechts 367 noch links, aber seine Bälle saßen. Heulend gab schon der eine Sohn Adams, den ein Ball ins Auge getroffen hatte, die Verteidigung auf. Aber der starke Lehrjunge rächte den Sohn des Meisters gar grimmig, denn das eine der Mädchen, die jüngere Blonde, schrie plötzlich laut auf, um dann mit dem Bruder um die Wette zu heulen.

»Memmen« knirschte die heldenhafte ältere Schwester, und vorwärts sandte sie Ball auf Ball, mochten noch so viel wohlgezielte Schüsse sie treffen. Flatternd wehte ihr dunkles Haar um das von wilder Kampflust glühende Gesichtchen, immer und immer wieder grub sie die längst blauroten Händchen in den nassen Schnee und wich nicht einen Fuß breit zurück. Nur ein Gedanke erfüllte sie: jetzt mit der Hilfe der zwei ritterlichen Pädagogisten endlich den verhaßten Gegner völlig zu schlagen.

Nöke, der von Zeit zu Zeit bewundernd zur Seite sah, erschien sie wie eine Jungfrau von Orleans.

Gottfried sah nur den Feind, der langsam ins Wanken geriet. Ein zweiter Adamssohn dankte ab, und auch der dritte ließ langsam nach, da ihm die Finger allzusehr brannten. Diesen Augenblick nutzte der ehemalige Räuberhauptmann Gottfried zum Vorstoß. Flugs nahm er zwei Hände voll Schnee auf, sprang auf den Lehrbuben los und seifte den Überraschten nach gutem Herrenfelder Rezept so gründlich ein, daß auch dieser schleunigst Fersengeld gab, während der letzte Adamit flüchtend die väterliche Säge rettete.

Die Schlacht war gewonnen, das Feld geräumt; die Tränen der kampfunfähigen Geschwister trockneten langsam in der lieben Sonne und in der Siegesfreude.

Nun erst schauten sich auch die Sieger prüfend ins Antlitz.

Das schwarzlockige Mädchen wollte dankbar dem Helfer in der Not die Hand reichen, da hielt sie ein – und lachte vor Überraschung lustig auf.

Gottfried machte ebenfalls große Augen, denn jetzt 368 erkannte auch er die Kampfgenossin – es war ja seine ehemalige Reisegefährtin von der Bombe: Inge von Delmenhorst.

»Dunnerwettel«, platzte er heraus, »bist du groß geworden!«

»Gelt ja, ich werd auch Ostern schon konfirmiert.«

»So – von Bruder Helmerding. Das ist ein feiner Kerl.«

»Findest du auch – ja – ich schwärme für ihn. Wir alle fast, nur der Gerda Riecken ist er zu alt. Dumm, nicht wahr?«

»Ja allerdings!«

»Ich danke übrigens schön für die Hilfe. Diese frechen Adamsbengel! Wo sie können, fallen sie über Bodo her, ach, und der ist so feig!«

»Gar nicht,« polterte der Beschuldigte noch halb verheult dazwischen, »aber drei gegen einen – so kommun – das ist gar keine Kunst.«

»Da hast du recht, Kleiner,« sagte Nöke gönnerhaft und sah dabei doch nur das blonde Schwesterchen freundlich lächelnd an, als wollte er sie trösten.

Die auffallend schöne Kleine gab ihm auch zutraulich die Hand, und einige Worte und viele Blicke wechselten beide miteinander, während Gottfried sich weiter mit Inge unterhielt.

»Wie heißt denn deine Schwester,« fragte Gottfried neugierig.

»Walburg,« war die unbefangene Antwort, »die ist erst 12 Jahre. Bodo ist schon 13, aber schrecklich faul. Ich glaube, er wird wieder nicht versetzt.«

»Wo denn hin?«

»Nu nach Tertia, es wird höchste Zeit, sonst kann er nicht mehr aufs Kadettenkorps« –

»Aha, er soll Offizier werden.«

»Aber natürlich!«

»Na – da können sie auch keine Memmen brauchen – –«

369 »Hm, ja – na – das kommt schon noch anders bei Bodo. Du solltest eigentlich Offizier werden. Hab dich als Leutnant im Girdeiner Regiment gesehen, schneidig!«

Gottfried lächelte geschmeichelt und sah sein Gegenüber mit wachsendem Interesse an, während Inge fortfuhr: »Ach überhaupt, ich habe dich so oft gesehen, aber du hast, glaub ich, nie mehr an unsere Reise nach Herrnhut gedacht, gelt?«

»Nein, aber ich fahre Ostern wieder hin, und dann wohl oft, Vater ist in die Unität gekommen.«

»Ach, zu den zwölf Vätern in Bertelsburg – so – da hab ich auch einen Onkel, Bruder Groote, aber ganz weitläuftig. Vielleicht komme ich mal hin, wenn ich wieder zu Tante Chlotilde fahre. Jetzt fahr ich aber immer mit der Eisenbahn.«

»Und ich will zu Ostern sogar bis Reichenbach zu Fuß laufen.«

»Das muß fein sein – ja wenn ich ein Junge wär« –

»Dann wärst du nicht wie dein Bruder, das glaub ich – ich hab noch nie ein so tapfres Mädel gesehen!«

Jetzt war die Reihe an Inge, mit stummen Wohlgefallen, ja Dankbarkeit zu Gottfried emporzublicken.

Bestätigend fügte dieser hinzu: »Nee wirklich – ich kann sonst die Mädel gar nicht leiden, weil sie immer solche feige Gänse sind – aber du – Dunnerwettel –«

»Ihr sagt wohl alle so im Pädagogium, in der Anstalt sagen sie immer Donnerwachsstock. Wir in der Schule sagen sacredieu – da merkts niemand, wenn wir mal fluchen wollen.«

Beide lachten herzlich, da plärrte Bodo gelangweilt dazwischen: »Na habt ihr nu ausgemährt, ich hab Nachsitzen um 2!«

»Schon wieder!« fuhr ihn Inge ärgerlich an, dann nahm sie sich schnell zusammen, gab Gottfried freundlich zum Abschied die Hand und sagte: »Adieu – und schönen Dank!«

370 »Schade,« antwortete Gottfried mit ehrlichem Bedauern, »ich hätte ganz gern noch mit dir geschwatzt –«

»Auf Wiedersehn – vielleicht in Bertelsburg.«

Nachdenklich nickend trennte sich Gottfried von Inge.

Noch schwerer schien Nöke der Abschied von der blonden Walburg zu fallen, zwei Mal drückte er der erstaunten kleinen Dame, die ihn wie verträumt mit ihren schönen blauen Augen anschaute, herzlich die Hand.

Dann nahmen die Freunde ihre Stangen und Schlitten auf und pilgerten merkwürdig schweigsam der Rutschbahn zu.

Riehl und Heyse waren anscheinend völlig vergessen.

 

Erst auf dem Heimwege lösten sich die Gefühle langsam in Worte auf, zuerst bei Nöke, dessen Herz stets schneller überlief als das Gottfrieds.

»Du, Gottfried,« fing er sondierend an, »war sie nicht wunderschön?«

»Wen meinst du?« kam es vorsichtig zurück.

»Dumme Frage, hast du je ein herrlicheres, ein entzückenderes Wesen gesehen als diese süße, kleine, blonde Elfe?«

»Hm, das ist doch Geschmackssache.«

Mit einem empörten Ruck blieb Nöke stehen – seine dunklen Augen blitzten zornig.

»Mensch!« fuhr es ihm zischend heraus, »wenn du mich wütend machen willst, dann wage noch einmal an ihrer Schönheit zu zweifeln. Dieses weiche Seidenhaar, diese treuherzigen blauen Augen – mit den noch von Tränen feuchten Wimpern, dieses reizende Stumpfnäschen – der kleine Mund – und dann, wenn sie lacht – hast du da die zwei Grübchen gesehen – wirklich alles wie bei einer Maikönigin!«

Gottfried lächelte ironisch und sagte schließlich zu dem Freunde, der immer noch stehen blieb und beteuernd mit 371 der Stange fuchtelte: »Komm nur weiter; wenn du schon mal verknallt bist, warum solls gleich alle Welt erfahren. Komm!«

Entschlossen ging Gottfried weiter.

Nöke folgte mit Protest, während er polternd hervorstieß: »Verknallt – so ein pöbelhafter Ausdruck für das Höchste, was es im Menschenleben gibt. Ich begreife dich gar nicht – so ein Barbar, wie du bist!«

Gottfried lachte schallend.

Unbeirrt fuhr Nöke, der Apostel der Liebe, fort: »Weißt du was? So hübsch – ach hübsch – dummes, armseliges Wort – so schön wie Walburg ist die ältere Schwester ja nicht.«

»So, wer sagt denn das?«

»Na Gott, mein Geschmack, sehr einfach!«

»Aha, und du hast den allein richtigen Geschmack wohl gepachtet?«

»Behaupte ich ja gar nicht, aber jeder Unparteiische wird –«

»Bist du denn unparteiisch, Nöke? Du bist ja bis über die Ohren in die kleine Walburg –«

»Bitte, sage nicht wieder verknallt, sage meinetwegen verliebt, das kann ich immer noch eher hören.«

»Na, du bist wenigstens ehrlich.«

»Jawohl, ich schäme mich auch gar nicht, verliebt zu sein. Wer bei solch zauberischer, märchenhafter Schönheit ruhig bleiben kann, der hat Fischblut in den Adern.«

»Mensch, bitte, schwärme wenigstens nicht so laut!«

»Ja, vielleicht hast du recht. Zehwen spitzt schon seine Fledermausohren so lüstern wie der Leibhaftige.«

Eine Pause trat ein, dann begann Gottfried sondierend:

»Also die Inge gefällt dir nicht?«

»O gewiß. Sehr sogar. Namentlich zu Anfang. Wie sie da so todesmutig mitten im tollsten Kugelregen stand – 372 mit den flatternden schwarzen Locken – wie eine Kampfesgöttin, wie eine Walküre erschien sie mir, wundervoll – heldenhaft!«

»Na also! Das ist doch schön!«

»Ja, ja gewiß – aber Walburg ist eben viel, viel schöner.«

»Ach, die Heulkathrine mit ihren Schmachtlocken« –

Drohend erhob Nöke die Lenkstange gegen den Freund und rief: »Wenn du noch einmal wagst –«

»Immer gemütlich, Nöke.«

»Nein, da verstehe ich gar keinen Spaß. Mich magst du necken, aber jedes spottende Wort über das süße Engelsgeschöpf –«

»Nöke!«

»Bei Gott, – ich – ich könnte dir die Freundschaft kündigen –«

»Nöke, Nöke, wie kann man nur so verschossen sein, das hätt ich nie für möglich gehalten, und so schnell –«

»Ja du – du kalter Frosch – natürlich!«

»Na, das will ich gar nicht sagen, mir gefällt Inge sehr gut – nur ruhig, deine Walburg auch – aber um eines Weibes willen meinem Freund aufsagen – das brächte ich allerdings nicht fertig.«

»So – wenn nun aber der Freund absichtlich das Heiligste in dir roh verletzt?«

Jetzt blieb Gottfried verdutzt stehen.

Dann gab er dem Freunde in ehrlicher Reue die Hand und sagte leise: »Dummer Kerl, ich will dir doch nicht weh tun, war alles nur Ulk, komm, sei gut!«

Fest ward der Händedruck erwidert, und versöhnt schritten die Freunde weiter.

Von da an sprachen sie nur noch selten von Literatur, um so öfter aber über die Liebe und über die Geschwister Delmenhorst.

373 Um ungestört und doch einigermaßen offen die süßen Geheimnisse besprechen zu können, schlug der findige Nöke vor, eine unenthüllbare Chiffre zu wählen.

Nach langem Sinnen entschieden sich die Freunde für das griechische D, also Delta. Das war in verschiedener Beziehung passend. Erstlich als Anfangsbuchstabe von Delmenhorst. Dann war es ein Dreieck, das den drei Geschwistern entsprechen konnte. Die Spitze war Bodo, genannt Deltus, von ihm war allerdings höchst selten die Rede. Um so öfter von den beiden anderen Ecken, Inge und Walburg, der großen und kleinen Delta, kurz es klappte vorzüglich.

Namentlich Nöke war unermüdlich im Erfinden neuer, geheimnisvoller Beziehungen und Deutungen: Delta war als vierter Buchstabe symbolisch für das Doppelpaarverhältnis; Klein Delta war die Mündung des Stromes seiner Liebe; Klein Delta ein Labyrinth zahlloser Flußarme und Lagunen, auf denen das Boot der Leidenschaft irrend dahinglitt; Klein Delta endlich die Schwelle zum Meer der Seligkeit, zum Ozean des Glücks.

Das alles gab schier unermeßlichen Stoff zum Phantasieren, vor allem zum Dichten. Nöke dichtete denn auch in diesen ersten Wochen seines Liebesparoxismus fünf kleine Oktavheftchen voll, und für alle diese Verse mußte Gottfried als Publikum und Kritiker dienen.

Er selbst dichtete noch nicht, doch ein wenig Feuer gefangen hatte er an der schwarzhaarigen großen Delta sicherlich. Er schämte sich freilich noch, es sich selbst zu gestehen, und noch vielmehr, dem von ihm so verspotteten Freunde die Tatsache zuzugeben. Aber er sprach sehr gern über das unerschöpfliche Thema »Delta«, und jedes Mal, wenn er an der Post vorüberging oder gar Inge begegnete, überlief es ihn bald heiß, bald kalt, als habe er Angst vor ihren zwei großen, schwarzen Augen.

Ja, am Palmsonntag bei der Konfirmation, zuckte er 374 sichtlich zusammen, als Bruder Helmerding Inge von Delmenhorst mit dem Spruch einsegnete: »Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des ewigen Lebens geben.« Das war ja auch sein und seines Vaters Spruch gewesen. Sollte das ein Wink des Himmels sein? Sollten doch am Ende die große Delta und er für einander bestimmt sein?

Bleich und ernst kehrte Gottfried aus der Einsegnungsfeier zurück; schwer lag der Gedanke auf seiner Seele, gleich als sollte er morgen schon die Entscheidung treffen.

Zwei Tage darauf war Actus valedictorius, und am Mittwoch früh wanderte Gottfried mit wiedergewonnenem, fröhlichem Mute in die Osterferien, auf Reichenbach zu, per pedes apostolorum – eine trockne Semmel und die Versetzung nach Obersekunda in der Tasche. Bis Unkendorf begleitete ihn der vielgetreue Nöke.

 

Die Fußwanderung durch die sonnige Frühlingslandschaft hatte Gottfried so zugesagt – obwohl die Gegend hinter Unkendorf höchst eintönig war – daß er nur bis Löbau mit der Bahn fuhr und dann wiederum frisch zu Fuß auf die neue Heimat zuschritt.

Er kannte die Herrnhuter Gegend zwar schon von früher her, namentlich seit er sie mit Onkel Igel im Girdeiner Schritt durchmessen hatte. Aber erstens hatte er sie dabei nicht eigentlich genossen und gewürdigt, und dann sah er sie doch nun mit ganz anderen Augen an, weil alles um ihn her an Stelle der alten schlesischen Heimat treten sollte.

Zunächst ging es bergan durch dichten Wald. Mit dem schier urwaldmäßigen Lampertiforst der Karpnitze konnte es dieser Wald hier nicht aufnehmen, auch Hochwild würde er schwerlich in seinen Gründen bergen. Aber lieb und traulich mutete er den jungen Wanderer an, zumal da die Amseln, 375 Finken und Stare so vergnüglich darin musizierten, als sei die Herrschaft des Frühlings von heut an unwiderruflich ausgemacht. Auf der Höhe lichtete sich endlich der Wald, am Ausgang stand eine anmutige, gastliche Försterei.

Gottfried wollte nicht einkehren, das vertrug sich nicht mit den spartanischen Grundsätzen eines rechten Girdeiner Wanderers; aber er hielt an – die herrliche Aussicht vom Waldrand nahm ihn für Minuten gefangen.

Da lag sie vor ihm die Stadt Christian Davids, des braven mährischen Zimmermanns, das stille Herrnhut, mitten im fruchtbaren, sonnenbeschienenen Lande, das in seiner sauberen Frühjahrsbestellung so adrett und appetitlich aussah wie ein wohlgepflegter Gemüsegarten. Dunkle Wälder und freundliche Gärten, Büsche und Anlagen umkränzten im Schmuck der ersten zarten Knospen den friedlichen Ort, aus dessen vielen graublauen Schieferdächern ein paar mächtige, rotdachige Häuser mit gebrochenem Giebel emporragten, die Chorhäuser und die mit dem üblichen Dachreiter gezierte Kirche. Darüber her schaute behaglich der kleine runde Hutberg ins Land, der freilich mit seinem weißen Holzaltan und den schnurgraden, gleichmäßig geschnittenen Gottesackeralleen ein bischen gar zu geschniegelt und gebügelt aussah wie ein geputzter Sonntagsphilister aus der seligen Biedermaierzeit.

Vieles erinnerte Gottfried an Herrenfeld, auch die blauen, hier mehr vereinzelten Berghäupter am Horizont. Sie zeigten zum Teil kecke und malerische Formen, nur die majestätische Wucht der massigen Falkengebirgskette ging ihnen ab.

Schön war es auch hier, darüber waltete bei Gottfried kein Zweifel, und so schritt er befriedigt nach Herrnhut hinab.

An Onkel Igels Haus konnte er nicht gut ohne Gruß vorbei. Er traf den alten Isegrimm beim Rosenschneiden und wurde von ihm mit lautem Hallo, von Schnauzl, dem braven 376 Prinzipienhund, mit wildem Freudengeheul begrüßt. Nur die alte Mine knurrte heimlich über den Riesenradau mit der sehr triftigen Begründung: in der stillen Woche mache man doch nicht solchen Spektakel, noch dazu in Herrnhut.

Der Onkel knurrte etwas von scheinheiliger Sauertopfmuckerei und alter Schraube, aber er mäßigte sich doch. Dann band er die Schürze ab, zog sich die Juppe an und schlug unter Schnauzls Beifall vor, Gottfried ein Stück nach Bertelsburg hinaus zu begleiten.

In munterem Gespräch ging man durch die weiten stillen Gassen der Gottesstadt, die mächtige Bertelsburger Lindenallee hinaus. Charakteristisch war an ihr, daß die Linden, soweit sie zu Herrnhut gehörten, gestutzt waren wie ihre Kollegen vom Hutberg; erst von der Bertelsburger Grenze an durften sie die Häupter hoch und ungebeugt tragen wie die stolzen Linden Herrenfelds. Auf halbem Wege trennten sich Oheim und Neffe mit fröhlichem »auf Wiedersehen«, und allein schritt Gottfried weiter, um endlich wie ein bestaubter Handwerksbursch, das Ränzel auf dem Rücken, in die neue Heimat einzuziehen.

Bertelsburg war ein uraltes lausitzisches Dorf, ursprünglich gersdorffischer, dann zinzendorfischer Besitz. Jahrhunderte lang war es geduckt im engen Tale eines kleinen Flüßchens dahin gekrochen, überragt nur von seinem schlichten Kirchlein und seinem stolz auf dem östlichen Talrand liegenden Gutshof mit dem behaglich und breit ausladenden Herrenhaus. Dann kamen die welthistorischen Tage des Pastors Rothe und des Grafen Zinzendorf, und nun kam auch Bertelsburg auf die Höhe. Allmählich klommen die Häuslein die steilen Talwände empor, und namentlich gruppierten sich um das sogenannte Schloß mit seinem traulich stillen Garten mächtige Villen, in denen die Mitglieder der Unitätsbehörde nebst ihren meist zahlreichen Familien wohnten. Zum Unterschied von den Hütten des Dorfes hießen diese Bauten in der 377 Umgegend die »Häuser« und ihre Bewohner die Häuserleute, die Häuserjungen und Häusermädels.

Bruder Kämpfer hatte als jüngster Unitätsdirektor ins Schloß ziehen müssen, dessen Räume weniger praktisch als die der alten und neuen »Häuser«, aber dafür sehr herrschaftlich und ehrwürdig waren. Hatte doch ehedem Zinzendorf selbst in ihnen gehaust.

Gottfried konnte sich eines gewissen Schauers der Ehrfurcht nicht erwehren, als er erst durch ein altertümliches Sandsteintor, ein Stück über den Gutshof weg, dann durch den weiten Garten dem neuen Elternhause zuschritt. Kaum hatte er die Tür geöffnet, da stürzten ihm auch schon jubelnd die Geschwister entgegen und küßten und umarmten ihn der Reihe nach. Oben begrüßte ihn dann liebevoll innig die Mutter, während der Vater noch in der Sitzung war. In dem geräumigen Schloß waren nämlich auch die Beratungssäle für die Behörde, ferner ein freundlicher Saal für die kleineren Abend- und Morgengottesdienste der Bertelsburger Kolonie.

Guido, obwohl er erst kürzlich von Herrenfeld angelangt, (er war nicht gleich mit übergesiedelt, da er sein Schuljahr in Ruhe hatte vollenden sollen) machte seinem Namen heut alle Ehre und weihte den älteren Bruder halb respektvoll, halb vertraulich in alle Geheimnisse des mächtigen Herrenhauses ein, dann nach dem Essen natürlich auch in die des Gartens und vor allem in die des höchst interessanten Gutshofes. Das Herumtreiben und Herumstöbern in den Ställen und Scheunen war freilich vom Inspektor streng verboten, und darum schlossen sich die furchtsamen Schwestern auch nicht dem Rundgange an. Die Brüder dagegen meinten lachend: »Die Nürnberger hängeten keinen, sie hätten ihn denn.«

Es waren paradiesische Frühlingstage, die Gottfried in Bertelsburg verbringen durfte.

378 Schon das freie, patriarchalische Leben der Kolonie wirkte anheimelnd und erfrischend. Alles, was zu den Häusern gehörte, fühlte sich wie eine große Familie. Viele waren überdies verwandt, so gab es unter den zwölf Vätern und ihren Schreibern zwei Vettern Reicher, desgleichen zwei Lechners und die Gebrüder Kämpfer.

Besonders eng hielt die Jugend zusammen, wozu die uralte Feindschaft der eigentlichen Dorfjugend nicht wenig beitrug. Dorfbuben und Häuserjungen lagen hier seit über hundert Jahren in bald offener, bald geheimer Fehde mit einander, und nicht umsonst waren die Gärten wohl verzaunt, umgab vor allem den Schloßgarten eine gewaltige Mauer, die trotzdem oft nur mit Mühe verteidigt werden konnte. Neutrales Gebiet war der Gutshof, hier galt Burgfriede für Stadt und Land. Zur Not zwang des gefürchteten Inspektors eiserne Faust auch die wildesten Kampfhähne ohne Ansehen der Person, schleunigst Urfehde zu schwören oder über eine Tracht Prügel dankend zu quittieren.

Der Hauptkampfplatz war die Dorfstraße und im Winter der Dorfteich, aber auch auf der Lindenallee nach Herrnhut ward mancher heiße Strauß ausgefochten. Namentlich wurden von den Dorfbuben die Häusermädels gehänselt und belästigt, von den Häuserjungen wurden sie freilich tapfer verteidigt, und jede etwaige Beschimpfung blutig gerochen.

Guidos dem in der Herrenfelder Lateinschule die Hörner gehörig gewachsen waren, glühte jetzt vor Tatendurst und Heldenlust und brachte manche Schramme und auch manche zerrissene Hose nach Hause. Gottfried, der angehende Obersekundaner, fing bereits an, sich als geistige Größe ein wenig erhaben zu fühlen über diese jugendlichen Raufereien; aber es bedurfte nur des geringsten direkten Anlasses, so flammte auch bei ihm die Kampfesfreude wieder lodernd empor. Sein altes, trotziges Selbstbewußtsein erwachte. Ja es dünkte ihm überhaupt, als wiche all der grüblerische Druck, der so 379 oft noch in Girdein auf ihm gelastet hatte, im sonnigen, luftigen Bertelsburg leise von seiner Seele, als gesunde er hier mit jedem neuen Frühlingstage.

Von besänftigender, wohltuender Wirkung waren für ihn besonders die lieblichen, stimmungsvollen Abendgottesdienste im Schloßsälchen. Da saßen die eindrucksvollen, wuchtigen Gestalten der grau- und weißbärtigen zwölf Väter, links neben dem Versammlungsleiter, andächtig und ernst wie die Apostel um den Meister, auf ihren schwarzgepolsterten, hochlehnigen Barockstühlen. Zur Rechten nicht minder angetan und gottesfürchtig ihre Frauen, im Schmuck der schneeweißen Hauben mit den himmelblauen Ehechorbändern. Davor die Kinder und weiblichen Dienstboten, zur Seite die Sekretäre, Ökonomen und jüngeren Brüder, zu denen sich nun auch Gottfried mit Würde gesellte.

Ein alter musikalischer Missionar begleitete auf dem nicht mehr ganz tonfesten Flügel, von einer Ecke aus, den frischen, harmonischen Gesang der kleinen Gemeine; und manch einer dieser ehrwürdigen Väter, darunter der geliebte Bruder Loskiel und der neuerdings durch Inge interessante Bruder Groote, wußte in kerniger Rede oder in einfältigem Gebet den Hörern gar mächtig ans Herz zu greifen, zumal in diesen ernsten Tagen der Charwoche.

Zu den größeren Gottesdiensten pilgerte alles einträchtiglich die Lindenallee hinauf gen Herrnhut.

Hier genoß Gottfried zum ersten Male zusammen mit dem Vater das heilige Abendmahl am Gründonnerstag. Hier feierte er auch den schönsten, ja einzigartigen Gottesdienst Herrnhuts mit, den Ostermorgen.

Im Morgengrauen vor Sonnenaufgang zog da die ganze Gemeine, so weit sie rüstig war, in feierlichem Zuge unter Posaunenschall hinauf zum Hutberg auf den Gottesacker, dessen tausend und abertausend schlichte Grabsteine heute in sinnigem Blumenschmuck dem Morgenrot entgegenleuchteten.

380 Links vorn am Eingang lagen die Gebeine des unermüdlichen Evangelisten, des tapferen Christian David, zur Ruhe bestattet. In der Mitte ragten in monumentaler Wucht die mächtigen Quaderblöcke der Zinzendorfschen Grabsteinplatten, alle ehrfurchtsvoll umkränzt. Langsam zieht auch an ihnen der schweigende Zug der Gemeine entlang zu den Gräbern der im letzten Jahre entschlafenen Geschwister, deren Name noch einmal laut der Gemeine und dem auferstandenen Heiland entgegengerufen werden.

Manche Träne erglänzt in den Augen der Umstehenden, wenn hie und da ein schmerzlich lieber Name fällt, doch es gibt einen Trost für sie alle, die da unten liegen.

Auch Gottfried, der an Großmutter denkt, wird sich dessen lebhaft bewußt. »Jesus meine Zuversicht!« klingt es tröstlich hinaus in den frischen Morgen.

Die Gemeine hat den Choral zu Ende gesungen, auch der Chor schweigt. Die Brüder entblößen das Haupt, die Schwestern neigen es demütig. Der Segen wird gesprochen über alle, die im Herrn gestorben sind. Dann hallt es murmelnd im Kreise wider: »Amen!«

Und siehe, da recken sich die Köpfe, die Wipfel der verkrüppelten Linden leuchten plötzlich auf wie in rosigem Glanz – die ersten zuckenden Strahlen der aufgehenden Tageskönigin flackern im Osten empor!

»Die Sonne hüpft«, geht es leise von Mund zu Mund – noch ein paar Sekunden – und dann bricht sie flammend, mit ihrem Strahlengespann, über die tiefblauen Bergriesen am Horizonte herauf, unwiderstehlich, wie ein siegreicher Triumphator.

Hell schmettern ihr und dem Auferstandenen die Posaunen entgegen, nicht wie Drommeten des Gerichts – nein, wie jubelnde Engelsfanfaren! Und frohlockend, aus schmerzgelöster Brust, braust es zum Himmel empor von vielhundert Stimmen getragen, das Siegeslied der gläubigen Menschheit: 381

Hallelujah, Jesus lebt!
Tod und Teufel sind bezwungen!
Gruft und Kluft und Erde bebt,
Da der Held hindurch gedrungen.
Geht nicht mehr nach Golgatha,
Jesus lebt, Hallelujah!

Dann kehrt die Gemeine erhobenen Herzens, erfüllt von Osterfreude, befreit von Leid und Trauer, nach Herrnhut zurück.

Vom Hutbergaltan jauchzen noch weiter die Posaunen ins stille Land. Allmählich verhallen die festlichen Klänge. Da lösen die Glocken der umliegenden Kirchtürme sie ab – Osterläuten ringsum – das Land zu wecken.

Hie und da schallt auch schon ein übermütiger Freudenschuß von einem der Dörfer herüber, und dann endlich – erwacht das Leben allüberall.

Die Vögel musizieren, die Menschen spazieren singend straßauf und ab, während die funkelnde Sonne in ruhiger Majestät, hoch über Gerechten und Ungerechten ihre Bahn hinzieht, von den Lerchen jubelnd begrüßt.

 

Am Donnerstag vor Quasimodogeniti kehrte Gottfried mit fröhlichem Mute nach Girdein zurück, diesmal begleitet vom Vater, zwei Vettern und Guido, der tags darauf mit Erfolg die Prüfung für Quarta bestand.

Unitätsdirektor Kämpfer hatte amtlich in Girdein zu tun und machte viele Besuche. Mit geheimem Stolz sah Gottfried allenthalben, wie man dem Vater mit großem Respekt entgegenkam; selbst Bruder H. C. Nielsen zeigte eine Ehrfurcht, die nicht allein dem einflußreichen Amte, das der Vater erst so kurz bekleidete, sondern sicherlich auch dem Menschen gelten mußte. In der Tat hielt man die beiden 382 Brüder Kämpfer in weiten Kreisen der Gemeine bei diesen unruhigen Zeitläufen für besondere Vertrauenspersonen, namentlich seit der letzten Synode, auf der sie mit stolzer Würde und einer sachlichen Anschaulichkeit ohne gleichen das historische und sittliche Recht des bisherigen Regimes verteidigt hatten.

Zugleich nahm jetzt Gottfried mit Staunen wahr, wie jugendlich und lebhaft der Vater seit dem Abschied von Herrenfeld wieder geworden war. In der Bertelsburger Direktion hatte er zwar anscheinend noch mehr zu tun als in dem Vorsteheramt, doch gab er sich hier weit öfter für seine Familie her, tollte wohl gar einmal mit Agnes, seinem Liebling, im Schloßgarten umher oder unternahm mit Guido und ihm einen größeren Spaziergang, zu dem dann meist Onkel Igel abgeholt wurde.

Auch in Girdein machte eines Tages der Unitätsdirektor einen weiten Gang durch die Heidewälder, und diesmal wohl absichtlich mit Gottfried allein. Er schien sich ausführlich bei Bruder Nielsen und den Lehrern des Pädagogiums über Gottfried erkundigt zu haben, das merkte der Knabe schnell. Ohne irgendwie den Sohn zu schulmeistern, legte er ihm doch eindringlich nahe, den unseligen Hang zur Zersplitterung mannhaft zu bekämpfen.

»Du bist jetzt so weit, mein Junge,« sagte er schließlich, »daß du deine Erziehung in eigne Hände nehmen mußt, und da mußt du vor allem wissen, was du willst. Du hast viele Interessen und liest sehr viel: das ist an und für sich kein Schade. Nur bist du jetzt nicht dazu da, um dich im allgemeinen zu bilden; das kommt später noch zurecht, und das Leben ist lang. Jetzt ist die Hauptsache, daß du neben der wichtigen Charakter- und Herzensbildung auch eine Schulbildung erhältst, die dir in einer gewissen Summe von positiven Kenntnissen die notwendigen Grundlagen zu einer späteren wissenschaftlichen Bildung gibt. Es kommt im Leben 383 nicht darauf an, von vielem etwas, sondern vielmehr von etwas ein wirklich ganzes Wissen sich anzueignen. Du hast künstlerische Interessen, ich weiß es, schön! Da kommst du jetzt zu einem der größten Dichter aller Zeiten, zu Homer! Versenke dich einmal mit aller Kraft in ihn; suche dir dann auf Prima von den drei großen griechischen Klassikern einen besonders heraus, warum bei deiner Begabung nicht gleich den schwersten und tiefsten, Äschylus. Und dann, wenn du zwei solche große Künstler erfaßt, ergründet und verarbeitet hast, dann, mein Junge, wirst du unendlich viel mehr gelernt haben, als wenn du an zwei Dutzend kleinen gerochen und geschlürft hast. Was meinst du dazu, Gottfried?«

»Ich wills versuchen, Vater, und freue mich schon längst auf Homer. Aber eigentlich sind mir die Griechen nicht so lieb wie unsere deutschen Dichter.«

»Da hast du ganz recht, auch ich fühle wie du, Gottfried. Aber wie man sein eigen Volk erst dann in seiner ganzen Tüchtigkeit zu schätzen vermag, wenn man andere Völker genau studiert und mit ihm verglichen hat, so ist es auch hierbei. Reise erst einmal für ein paar Jahre ins herrliche und doch so engbegrenzte Land der Antike; dann wirst du dein Deutschtum von neuem und tiefer zu schätzen verstehen als vorher. Niemand liebt die Heimat mehr, als wer in der Fremde war. Und dann noch eins, Gottfried! Eine völlig selbständige Kultur gibt es ebenso wenig wie eine selbständige Erkenntnis. Eine fußt auf der andern, die christliche Kultur auf der heidnischen und jüdischen, die deutsche auf der römischen, griechischen und orientalischen. Wer die Mannheit verstehen will, muß die Kindheit studieren. Daß du mir weder ein Grieche noch ein Heide wirst, sondern ein christlicher Deutscher bleibst – dafür bürgen mir und dir zahllose deiner Vorgänger, die doch alle im Pädagogium von edler, antiker Kunst und Bildung berührt und begeistert wurden und gewiß brauchbare und gut nationale Söhne 384 unseres Volkes geworden sind. Sie haben vielleicht gerade darum so gut ihren Mann im praktischen Leben zu stellen vermocht, weil sie das Wesen idealer Menschlichkeit schon frühzeitig in verschiedenen Ausprägungen kennen gelernt hatten. Das macht human, das macht wahrhaft liberal! Doch nicht jedem wird es vergönnt, in einer solchen Schule, Schritt für Schritt, durch die Entwicklung des Menschengeistes von Homer zu Goethe geführt zu werden. Also mach dirs zu nutze, Gottfried, indem du mit ehrlichem Ernst hinein zu dringen versuchst in das Wesen menschlicher Größe, und nicht in genußsüchtiger Oberflächlichkeit dich selbst verausgabst. Wer arbeitet, wird nie verzweifeln, das kannst du mir, deinem Vater, der ein Leben voller Arbeit hinter sich hat, schon glauben. Wer ewig genießen will, wird unfruchtbar, hat nichts im Leben zu geben und verachtet zuletzt sich selbst. Das, mein Junge, ist das Schlimmste, was es für einen Menschen geben kann, und davor möchte ich dich bewahren!«

Dankbar sah Gottfried zum Vater auf und schlug herzhaft in die dargebotene Rechte ein.

Mit den besten Vorsätzen kehrte er dann auf die zweite Stube zurück und verabredete mit Nöke, von nun an jeden Morgen um 5 Uhr aufzustehen und bis zum Frühstück privatim Homer zu lesen. Bei der nächsten Aufsatzwahl nahm er sich freiwillig das schwere Thema: »Die Frömmigkeit des homerischen Menschen«, während Nöke sich wählte: »Die Schönheit der homerischen Landschaft.«

Anderseits konnte Gottfried der Verlockung Nökes zur Mitarbeit an einer geheimen literarischen Zeitung, genannt »Die Irrlichter«, die handschriftlich in der Kolonne verbreitet wurde, nicht widerstehen. Hier veröffentlichte Nöke sein hundertstes und Gottfried sein erstes Gedicht. Beide trugen die geheimnisvolle Überschrift »An Δ, woraus der findige Zehwen schloß, dahinter verberge sich unfehlbar ein dreieckiges Verhältnis.

385 Lachend rieben sich die Verfasser die Hände und schworen sich hoch und heilig, den neugierigen Zehwen und die ganze Kolonne nun erst recht irre zu führen.

So erhielt der anfangs ebenso sinn- wie harmlos gewählte Titel der Zeitung mit der Zeit einen lustig geheimnisvollen, verschwiegenen Sinn.

 

Mit Guido, der auf die dritte Anstaltstube gekommen war, traf Gottfried in der Woche selten zusammen. Sich gegenseitig auf den Stuben zu besuchen, war Anstaltern und Pädagogisten ebenso wenig gestattet wie den Kolonnen untereinander, nur Ober- und Unterprimaner wohnten ja zusammen auf einer Stube. Man rief sich also zu Besuchen heraus und spazierte dann schwatzend auf den weiten Gängen des Hauses auf und ab.

Am Sonntag wurde jedoch auf einer der leeren Musikstuben des Pädagogiums ein »Kämpferkaffee« abgehalten, und dazu außer Guido auch Vetter Peter aus der Kolonne 82 und dessen jüngerer Bruder von der vierten Anstaltstube eingeladen. Von Herrnhut und Bertelsburg her kannte man sich genügend, so daß die Kaffees stets sehr gemütlich verliefen.

Gottfried kam sich als Familiensenior sehr würdig vor und sprach überaus weise über allerlei Fragen des Anstalt- und Pädagogiumslebens, gab praktische Ratschläge, ja, teilte auch gelegentlich einen Verweis aus, wenn einer der »Kleinen« zu weit unten in der Klasse saß oder gar einen Tadel erwischt hatte. Mit Peter, dem Pädagogisten, stellte sich Gottfried dagegen möglichst kollegial, bisweilen etwas gönnerhaft überlegen! Der etwas schüchterne Peter sah natürlich mit geheimer Ehrfurcht zu dem Vetter, als dem Vertreter 386 der oberen Stuben, auf. Über alles, was das Pädagogium und das Stubenleben betraf, redeten die älteren Vettern offen miteinander, nur über eines schwieg Gottfried wohlweislich, obwohl es jetzt sein Denken und Fühlen am meisten beschäftigte, über Delta.

Aus dieser bisher so harmlosen Spielerei schien ganz allmählich eine fast ernsthafte, für Gottfrieds Entwicklung jedenfalls sehr wichtige Herzensangelegenheit werden zu wollen. Was den Sanguiniker vom Schwarzwald über Nacht leicht entflammte, faßte den cholerischen Schlesier langsamer, aber auch tiefer.

Auf der dritten Stube hatte dem Freundespaar, Nöke und Gottfried, so ziemlich jede Gelegenheit gefehlt, die Pfade der beiden Postmeistertöchter zu kreuzen. Jetzt gaben die Privilegien der zweiten Stube ihnen die nötige Bewegungsfreiheit, der großen und kleinen Delta so oft zu begegnen, wie es nur irgend möglich war. Von den hoch gelegenen Fenstern der zweiten Stube übersah man den ganzen Platz von Girdein, sah auch gerade noch das Postgebäude, das am Eingang der ersten Querstraße lag.

Gottfried erblickte anfangs in dem lustigen Begegnungsspiel – zu Gesprächen kam es nicht wieder – nicht viel mehr als eine romantische Unterhaltung. Nöke ward es bald zum Herzensbedürfnis. Es galt zwar auch ihm für wahrscheinlich, daß die allerliebste kleine Delta, obwohl sie ihn stets vergnüglich anlächelte, von wirklicher Liebe nicht viel wußte; aber ein jeder Tag, an dem ihr lieblicher Anblick ihm nicht zuteil wurde, war für ihn verloren; und kam das mehrere Tage hintereinander vor, so schlich er in der Tat umher wie ein Mensch, den man um sein Lebensglück betrogen hat. Gottfried neckte ihn anfänglich, dann aber merkte er, daß er dem empfindsamen Sohn des Schwarzwalds damit wirklich wehe tat, und seitdem fühlte er schweigend mit ihm.

Bald wurde es jedoch auch Gottfried zur lieben 387 Gewohnheit, von Zeit zu Zeit einmal in Inges dunkle Augen zu blicken, die ihm von Tag zu Tag unergründlicher vorkommen wollten. Während klein Walburg den Gruß stets fröhlich nickend erwiderte, beantwortete ihn Inge, die seit der Konfirmation etwas damenhafte Allüren angenommen hatte, mit gemessener Hoheit. Ja ganz allmählich stieg in Gottfried der peinigende Gedanke auf, als würde der Gruß immer kühler statt wärmer. Er begann sich zu ärgern, und dieser fatale Ärger dünkte ihm das erste Zeichen dafür zu sein, daß er das bisher sorgfältig gewahrte seelische Gleichgewicht zu verlieren drohte. Er beschloß, mehrere Tage der stolzen Inge aus dem Wege zu gehen, aber es ward ihm blutsauer.

Nöke gegenüber hatte er bisher noch immer die Rolle des im Grunde Gleichgültigen gespielt, der gleichsam einen gesunden Ulk mitmacht, weil er kein Spaßverderber sein will. Als der Gute aber eines schönen Tages ganz arglos sagte: »Du, ich glaube, die große Delta ist eine kolossal vornehme Hexe«, fuhr Gottfried empört auf: »Das verbitt ich mir, sie ist nur stolz, und das ist sicherlich zehnmal weiblicher als das dumme Nicken, das ewige Gelache und Getue deiner kleinen Delta.«

Zunächst erhob auch Nöke drohend die Faust ob dieser Beleidigung seiner süßen Walburg, dann aber platzte er plötzlich mit einem schallenden Lachen heraus, schlug sich mit der zum Schlag erhobenen Hand klatschend auf den etwas mageren Oberschenkel und brüllte gleichsam vor Vergnügen:

»Mensch, Gottfried, du bist ja verliebt, rechtschaffen sogar, hurra! Gott seis getrommelt und gepfiffen!«

Und dann packte er den völlig verdutzten Freund, ehe dieser noch ein Wort der Entgegnung herausbringen konnte, faßte ihn um Kopf und Brust und tanzte ausgelassen mit dem halb Widerstrebenden in der Stube umher.

Mit einem gewaltsamen Ruck riß sich Gottfried endlich los und rief: »Unsinn, Nöke, laß doch den Unsinn!«

388 Aber Nöke ließ sich gar nicht irre machen, er tanzte allein seinen Irokesenkriegstanz weiter und dudelte dazu in schelmischer Melodie: »Verliebt, verliebt, verliebt bist du; dideldum, dideldum, verliebt!«

Noch immer suchte Gottfried krampfhaft ernst zu bleiben und erklärte im Brusttone überzeugtester Sachlichkeit: »Na, und wenns so wäre, brauchtest du doch nicht so'n Radau zu machen. Ich will ja nicht leugnen, daß die große Delta mir ganz gut gefällt, aber verliebt – nein, nein, das bin ich wirklich nicht!«

»O du Spieß, du Tropf von einem Philister! Ist es denn eine Schande, ein Unglück, verliebt zu sein? Glaube es mir, mein braver Fridolin, es ist das schönste, himmlische, erhabenste, famoseste Gefühl, das es gibt – so recht toll – wahnsinnig verliebt zu sein – ich sage dir, es ist einfach wundervoll, so mollig, fabelhaft mollig!«

Gottfried begann zu lachen, sein schwerfälliger Ernst war wie so oft von dem temperamentvolleren Freunde kurzweg über den Haufen gerannt worden. Hartnäckig blieb er jedoch dabei, er sei nicht verliebt.

»Noch nicht ganz bis über die Ohren!« berichtigte Nöke ebenso hartnäckig, »aber warte nur, mein Freundchen, das kommt schon noch! Beim einen gehts wies Brezelbacken, wie Figura zeigt, beim andern dauerts Wochen und Monde. Tut nichts – es kommt doch – und wenn du dich sträubst wie ein Maikäfer, sie kriegt auch dich kirre, die götter- und heldenbezwingende Liebe. Denk an mich, wir sprechen uns wieder!«

Und sie sprachen sich wieder.

 

Eines wunderbaren Sommerabends war es, draußen im stillen, weltverlorenen Park von Montravail.

389 Wie so oft an diesen hellen Juniabenden, an denen es gar zu heiß war, um dem gewohnten Barrespiel zu huldigen, hatte man auf der idyllischen Waldkegelbahn der zweiten Stube ein Spielchen gemacht, jeder zwölf Schübe. Allzu eifrig war man nicht bei der Sache. Die Hauptkegelbrüder Dachs und Drax waren wie die »unteren Stuben« zum fernen Bog gewandert, um in dessen dunklen Fluten ein kühlendes Bad zu nehmen. Taylor hatte beim Kegeln gesiegt.

Zehwen, der Besiegte, schimpfte wie gewöhnlich, da er laut Spielordnung als Besiegter fünf ganze Reichspfennige in die Stubenkasse zahlen mußte, die der Senior mit unerbittlicher Grausamkeit eintrieb. Zehwen war stets in Geldnöten, warum, wußte eigentlich niemand. Er war arm, bekam jedoch dasselbe Taschengeld wie die andern, die üblichen fünfundzwanzig Pfennige. Plötzlich schnalzte er triumphierend mit der Zunge und sagte herausfordernd:

»Na Kinder, nächstens hab ich Geld wie Heu! Gestern hat mich H. C. zu sich gerufen und mir eine seine Privatstunde verschafft.«

»Wo denn?« fragte alles neugierig.

»Bei dem Oberpostschweden von Delmenhorst.«

Nöke und Gottfried schnappten nach Luft.

»Beim Postmeister?« rief Gottfried geradezu entsetzt.

»Na ja – beim Alten natürlich nicht, aber bei Bodo, seinem filius, der nächste Ostern aufs Kadettenkorps soll.«

»Und warst du schon dort?« fragte Nöke ängstlich und neidisch zugleich.

»Ja, heute hab ich gleich die erste Stunde gegeben – der Bengel ist ja ne etwas öde Tute, erstlich vernagelt wie drei alte Kanonen zusammen und dann stinkfaul. Na, Gott, mir ists schließlich wurscht. Wär ers nicht – brauchte er keine Privatstunden, und ich kann die fünfzig Pfennige schon brauchen.«

Gottfried und Nöke konnten Bodo auch nicht sonderlich 390 leiden, aber diese Art und Weise, wie ihn Zehwen glossierte, ärgerte sie. Schließlich war er doch der Bruder seiner Schwestern.

Gottfried trat vor und wollte anscheinend etwas Heftiges erwidern; Nöke, der Kluge, machte ihm jedoch schnell ein energisches Zeichen, zu schweigen, und fragte dann mit der ruhigen Unauffälligkeit eines gewiegten Diplomaten weiter:

»Hat dein famoser Bodo nicht noch mehr so begabte Brüder, ich möchte mich sonst gleich vormerken lassen. Mir würden fünfzig Pfennige wöchentlich auch sehr wohl tun.«

Zehwen, einmal im Zuge, fuhr fort: »Nee – mein schlauer Nöke, der Fünfzigpfennigbodo ist einzigartig, auch in seiner Familie. Aber ein paar Schwestern hat er – Dunnerwetter, – die sind wirklich nicht von Pappe. Das wär am Ende eher was für dich zum Privatunterricht. Ich glaube, die gehn noch über die Nixencousine!«

»So, meinst du? Na, auf meine Cousine laß ich nichts kommen, die ist ganz entzückend. Auf Ehre! Aber neugierig bin ich nun freilich – also bitte, erzähle mir noch mehr von den seinen Schwestern – waren die auch beim Unterricht?«

»Nee, leider nicht, das wär amön – Kinder! Ich bin sonst kühl wie'n Laubfrosch, das wißt ihr ja; aber die zwei: erst die kleine – wie Milch und Blut und Honig – weiß und blond und süß wie Ismene – und dann die große – schwarz und ernst wie Antigone – hat ein paar Gluderaugen – hu – so wie ne richtige Wassernixe, nicht nur wie ne Cousine. Und klappern kann sie auch damit – recht niedlich – so – glu – glu – klapp – klapp!«

Dabei trat er tänzelnd vor und ahmte affektiert das Mädchen nach.

Gottfried schäumte vor Wut.

»Hund verfluchter!« hörte ihn Nöke leise zischen, aber ein fester Druck aufs Handgelenk verständigte den Ingrimmigen 391 beizeiten von der drohenden Gefahr, alles zu verraten. Schützend stellte sich Nöke vor den Freund, während Zehwen nach seiner Vorstellung prahlerisch fortfuhr:

»Ich dachte, die ist recht poussabel, aber puste was! Schnippisch war sie, die schwarze Satanskröte!«

Gottfried zitterte an allen Gliedern, und wieder drückte Nöke sein Handgelenk.

»Na,« schloß Zehwen seinen Bericht, »ich zieh sie mir schon zahm, das schöne Postputtchen, wozu bin ich denn Hauslehrer. In die verlieben sich alle Mädel zuerst, das weiß ich aus den Romanen.«

»Wünsche recht viel Glück,« sagte Nöke sarkastisch und wandte sich zum Gehen, indem er Gottfried zu folgen winkte. Doch dieser zögerte noch.

»Wenn ich ein Mädchen wäre,« meinte Taylor phlegmatisch zu Rodbeck, »ich glaube, ich würde mich in Zehwen nicht verlieben können.«

»Glaube ich auch,« gab Zehwen höhnisch zurück, »denn du würdest dich auch als Mädchen nicht verlieben können, ebensowenig wie als Mann. Nein, du wartest, bis dir die Ältesten-Konferenz die erste beste zulost, yes! Braver Bull!«

Alles lachte, vor allem der gutmütige Taylor selbst, nur Gottfried nicht, vollends als Zehwen noch bramarbasierend hinzufügte: »Na, Kinder – ich bin kein Damenheld, wie unser Nixen-Nöke, aber ich kenne die Weiber! Von der Kleinen will ich gar nicht groß reden, die gibt mir ein Dutzend Küsse für einen Schokoladenmops. Und die Große mit den schwarzen Gluderaugen, die krieg ich anders; aber ich krieg sie auch, wenn ich will – was gilt die Wette?«

Am liebsten wäre Gottfried auf ihn losgestürzt, aber dann war ja alles verloren. Und so schritt er langsam, den wilden Groll bezwingend, mit Nöke davon zu dem verschwiegenen gemeinsamen Lieblingsplatz, auf der hohen Kiefer.

392 Nacheinander klommen sie hinan bis in die breite Krone hinauf, da waren auf den krummen, rostbraunen Zweigen zwei traulich verschwiegene Plätze, auf denen die Freunde schon manches Geheimnis ausgetauscht, schon manches Geständnis sich gemacht hatten.

Hier oben über all den Wipfeln – frei und hoch über dem Erdengetriebe, so nahe dem Himmel, der jetzt schon leise sich zu röten begann, sprach es sich leicht und offen – hier sprach Herz zu Herz. Die Lippen schwiegen heute abend jedoch erst eine lange Weile, anscheinend mußten beide Freunde erst ruhig werden. Nöke ward es zuerst, und träumerisch schaute er hinüber zu dem schweigenden, endlosen Kiefernwald, von dem es wie eine leise Glutwelle herüberkam, während Gottfried tief versunken, gleichsam in sich selbst hineinstarrend, dasaß, als brüte er über einem grimmen Racheplan.

Endlich löste sich seine Zunge: »Das eine sag ich nur, Zehwen soll sich vor mir in acht nehmen, zu Boden schlag ich ihn – wenn –«

»Kaffer!« unterbrach ihn Nöke, »jawohl, ein rechter Kaffer bist du Gottfried, wild und wütig wie ein Stier, dem man das rote Tuch vorhält. Du wärst imstande, das ganze süße Geheimnis deiner blinden Wut zu opfern und so nur uns und die Deltas zu blamieren. Du kennst doch Zehwen, den alten Prahlmichel! Der lockt mit seinen großen Worten keine Katze vom Ofen, geschweige denn ein Mädel ins Garn.«

»Meinst du, Nöke, meinst du wirklich?«

»Aber natürlich! Und wir kennen doch die Deltas auch ein wenig. Die Große läßt sich von einem solchen Schwadroneur wie Zehwen schon gar nix weiß machen. Und die süße, arglose Kleine – ja mein Gott, in ihrer engelhaften Unschuld wäre sie vielleicht bereit, die Küßchen – Himmel – ich werde toll – wenn ich nur daran denke – und diese 393 Verachtung ihrer Reinheit, mit einem Schokoladenmops! Nein, es ist wirklich zu gemein!«

»Ja, ja – aber schließlich – ich bin doch noch schlimmer dran, Nöke, meinst du nicht?«

»Wieso – deine Delta ist ja fast erwachsen.«

»Eben drum! Das lockt doch erst so einen Kerl wie Zehwen. Der Kleinen wird er nicht gefährlich, auch wenn sie ihn küßt.«

»Mensch, sprich so etwas nicht aus. Schon der Gedanke macht mich rasend.«

»Na, denkst du, mich etwa nicht. Vielleicht war Inge darum gestern so kühl zu mir? Und ich – ich Unglückseliger, ich muß nun so ruhig zusehen, wie dieser hergelaufene Lump, der gar kein Herz für dieses edle Mädchen hat, mir sie stiehlt – und nebenbei noch fünfzig Pfennige verdient! Eine Erzgemeinheit ist es, o ein solches Schicksal – o – man könnte verrückt werden!«

»Ja, es ist wahr!« meinte nun auch Nöke fast melancholisch. »Was dieser Zehwen für einen Dusel hat, heiligs Herrgöttle von Bibrach – was gäb ich darum, dem faulen Bodo auf die Sprünge zu helfen. Gratis und franko tät ichs!«

»Könnte man nicht Zehwen Geld bieten, um ihn vielleicht einmal vertreten zu dürfen?«

»Um Gotteswillen, was denkst du denn, Gottfried, der Kerl lacht dich nur aus, macht dich madig nach allen Kanten und verrät obendrein noch alles. Nee, ja nicht!«

»Aber, Nöke, ich kann Delta doch nicht in seinen Teufelskrallen lassen, sie ist doch mein, mein!«

»Na, jetzt liebst du sie wenigstens.«

»Natürlich liebe ich sie. Ich muß sie ja lieben, ich kann noch so sehr dagegen ankämpfen – ich muß! Ich glaube, ja, ich könnte nicht mehr leben ohne sie.«

»Na, dann haben wir uns also nichts mehr vorzuwerfen. Nun hats uns beide, aber feste! Und jetzt sag mal: ists nicht fein, wenn man so liebt?«

394 »Nöke, ich weiß es nicht recht. Es mag schön sein, wenn man einmal hat, was man wünscht; aber so – die furchtbarsten Qualen der Sehnsucht, der Angst, der Verzweiflung ausstehen – nein! Und doch wieder – wenn ich sie vor mir sehe – in ihrer stolzen, strahlenden Schönheit – dann? Ja, Mensch, Nöke, du hast doch recht! Ja, ja ich bin der glücklichste Kerl unter der Sonnen– nur – –«

Eine lange Pause folgte.

»Wenn der vermaledeite Zehwen nicht wäre,« sagte endlich Nöke leise ergänzend.

Der Abend sank, die Grillen zirpten herüber vom wogenden Roggenfeld.

Langsam stiegen die Freunde von der hohen Kiefer herunter und schritten schweigend durch den dämmernden Park dem Orte zu. Mit stiller Sehnsucht sahen sie nach den erleuchteten Fenstern des Postgebäudes hinüber.

Lächelnd in ruhigem Glanze stand über ihren bekümmerten Häuptern Venus, der Abendstern.

 

Die großen Ferien standen vor der Tür, die Aufmerksamkeit in den Schulen sank langsam zum Nullpunkt herab, dafür stiegen täglich Spannung und Freude auf das wichtigste Ereignis des Schuljahres, auf das Sommerfest.

Gerade in diesem Jahre sollte es ein großer Tag werden. War doch ein Lustrum verstrichen seit der letzten griechischen Theateraufführung, und jedes fünfte Jahr war ein Tragödienjahr; so bekam jede Kolonne je eine große Aufführung wie je ein Turnfest zu sehen. Vor fünf Jahren war »Ödipus zu Kolonos« gespielt worden, dieses Mal sollte »Antigone« gegeben werden.

Der unermüdliche Chorege, Theatermaler und Dramaturg aller antiken Darstellungen war H. C., der als kunstverständiger 395 Zeichner und nahezu kongenialer Interpret der griechischen Dichter seit Jahren auf Prima tätig war. Neben ihm stand dort in Ehren, als Verehrer des formvollendeten Horaz und der glänzenden ciceronischen Beredsamkeit, der vielseitige Bruder Schordan, auch Turnwart und Leiter der Hauskapelle.

Beide Männer wußten sich sehr klug gegenseitig zu ergänzen, und gerade ihre beiderseitige Auffassung zusammen – dort mehr griechisch, hier mehr römisch gefärbt – gab den Schülern ein wirklich vollendetes Bild antiken Geistes. Das wurde jedoch den meisten der Schüler erst völlig klar, nachdem sie das Pädagogium verlassen hatten. Solange sie zu den Füßen der beiden verschiedenen und dabei stark ausgeprägten Persönlichkeiten saßen, fühlten sie sich auch mehr oder weniger gemüßigt, dem einen oder dem anderen den Vorzug zu geben, je nach persönlicher Neigung, Art und Veranlagung. So gab es seit Jahren im Hause, besonders auf Prima, eine Nielsen- und eine Schordanpartei, die Hacëisten und die Schordanen; und es war kein Wunder, daß gerade an dem großen Tage des Sommerfestes auch die antike Idee des Wettkampfes viele Knabengemüter beherrschte.

Der Tag brach an. Strahlend stieg Phöbus mit seinen Sonnenrossen an dem in attischer Bläue leuchtenden Heidehimmel empor, ein fröhliches Fest verheißend.

Arbeit leitete auch diesen Tag ein, zwei Schulstunden wurden gehalten, eine lateinische und eine griechische. Nach kurzer Erledigung des Pensums wurde in Sekunda und Tertia auf Wesen und Verschiedenheit des griechischen und römischen Theaters eingegangen und schnell eine gedrängte Übersicht der heute in Betracht kommenden Stücke gegeben. Unterdessen hatten die Primaner, die in der weiten Turnhalle mit H. C. seit Wochen an dem Aufbau des antiken Theaters arbeiteten, die letzten Vorkehrungen getroffen.

Um neun Uhr begann das Spiel: die »Antigone« des Sophokles.

396 Mit attischem Verständnis und attischer Begeisterung folgte das Publikum den Versen des erhabenen Dichters; aber auch mit attischer Kritik wurden die Leistungen der Darsteller geprüft. Im Vordergrunde des Interesses stand diesmal Kreon, dargestellt vom beliebtesten und redegewandtesten Primaner, Landolph, der aus seiner an sich nicht sympathischen Rolle eine prachtvoll lebendige und echt antike Herrscherpersönlichkeit zu gestalten verstand.

Gottfried und Nöke hatten jedoch nur Augen und Ohren für die edlen, so verschiedenen Schwestern Antigone und Ismene. Statt der ein wenig eckigen Primaner, deren männliche Stimmen mehr stilecht als sympathisch berührten, hätten sie wohl lieber ein paar wohlbekannte, frische Mädchengestalten gesehen. Und doch überwehte es beide, besonders Gottfried, wie ein Sturm echt tragischer Ergriffenheit, als die bis dahin so unerbittlich starre Ödipustochter die unvergänglichen Worte sprach: »Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da.«

Etwas von dem hohen Beruf des Weibes, von der alles irdische Leid überwindenden Macht des Mitgefühls, der das ödeste Leben verklärenden Hoheit selbstloser Liebe ging wie ein erstes leises Frühlingsahnen durch die noch unbewußt empfindenden Seelen der Knaben.

Und dann kam die echt antike, weil so rührend menschliche und darin unendlich wahre Klage der Antigone um das zu früh geopferte Leben, das ungenossene Liebesglück. Gottfried jammerte es im tiefsten Innern, er mußte geradezu an sich halten, um nicht aufzuschluchzen. Umsonst wartete er auf den Namen des geliebten Hämon. Die keusche, tapfere Ödipustochter nennt ihn nicht. Da begriff er zum ersten Male im Leben, was der Stolz eines edlen Weibes vermag, und zugleich war es ihm, als habe er der kühlen Inge manches abzubitten.

Nöke begriff die strengere Hoheit der älteren Schwester 397 nicht so wie der Freund. Der weiche, empfindsame Sohn des Schwarzwalds konnte es ihr nicht verzeihen, daß sie die liebliche jüngere Schwester, die mit ihr in den bittern Tod gehen wollte, so schroff zurückwies.

Noch mancher heiße Disput der Freunde knüpfte in den folgenden Tagen an diese Szene an. Eine wirkliche Einigung war bei der Verschiedenheit ihres Naturells unmöglich, aber für beide ward es zum Anlaß, sich immer tiefer und liebevoller in das Wesen antiker Weltanschauung zu versenken. Schon in den Ferien suchten sie beide in den erst für Prima vorgesehenen Sophokles einzudringen, wandten sich dann aber auf einen freundschaftlichen Rat Bruder Reichers, des Bibliothekars, zu Lessings, Schillers und A. W. Schlegels Schriften über die antike Kunst.

 

Nach der Aufführung der »Antigone« ward schnell das Mittagessen eingenommen, und nun zog das gesamte Pädagogium, Direktor, Lehrer, Schüler, zu den Bogwiesen, hinaus zum eigentlichen Sommerfest. Sogar die wackren Tischdiener zogen mit, nämlich Radeck, Schuh- und Stiefelfürst, Vorturner des Jünglingsvereins, genannt das Gummimännchen, und Ropps, der ehrwürdige Nickelfritze, der in seinen unendlichen Selbstgesprächen selbst dann, wenn er nein sagen mußte, ein zustimmendes Nicken nicht unterlassen konnte. Nur der Türhüter und Kellermeister des Hauses, der kugelrunde Bruder Schnuppert, ein frommer Mann von beinah siebzig Jahren, doch immer noch eine rüstige Zierde und Stütze desselben Jünglingsvereins, dem Radeck vorturnte, blieb in getreuer Pflichterfüllung bei seinen Kanarienvögeln, die ihm mit lustigem Geschmetter den langweiligen Hüterdienst verkürzten.

Es war keine kleine Karawane, die heute, umstaunt von 398 der Gassenjugend, jubelnd und frohe Wanderlieder singend, durch Girdeins sonst leblose Straßen zog.

Voran trabte Omar, der ehrwürdigste Ökonomiegaul, gekränkt wie ein ins Joch gespannter Pegasus, weil er statt der gewohnten soliden Fuhre Mist heute einen so lumpig leichten Thespiskarren ziehen mußte. Er sah sich bald verdutzt nach dem sonderbaren Fuhrmann (es war der gestrenge Hausökonom selbst in höchsteigner Person), bald verächtlich nach den aus dem Wagengrund emporragenden Theaterutensilien um; doch als er die schöne Unkendorfer Chaussee verlassen mußte, um auf sandigen Waldwegen die fernen Bogwiesen zu erreichen, da gestand sich Omar doch keuchend im Schweiße des wonnigen Sommertages: daß auch eine solche Lumpenbagage gezogen sein wolle, denn alles an dem Komödiantenplunder schien nicht von Pappe zu sein.

Hinter Omars vierrädrigem Wagen kamen fünf zweirädrige Handkarren mit dem Gepäck der fünf Kolonnen, das aus Nahrungsmitteln, Dreifüßen, Kochgeschirren, Tassen, Holzscheiten und anderen nützlichen Dingen bestand. Zu zwei und zwei wechselte der Vorspann, und ein lautes, fröhliches Hallo erscholl, wenn ein Karren beim sausenden Bergabgalopp an einer scharfen Ecke ins Schwanken geriet oder gar in einem sumpfigen Graben plötzlich zu versinken drohte. Dann griffen hilfsbereite Hände vom übermütigen Nachtrab schleunigst zu, und allerlei Witzworte flogen hinüber und herüber.

Nun kam man aus dem Walde heraus auf ein ödes, tiefbraunes Torfmoor, in dessen breiten Lachen die glühenden Sonnenstrahlen funkelnd sich widerspiegelten; langsam ging es dahin über das schattenlose Stück, und manch ein Hut und manch eine Jacke flog unmutig auf die Karren, während ein launiger Akteur vom Vormittag pathetisch das wundervolle Chorlied rezitierte: »Strahl des Helios, schönstes Licht!«

399 Endlich winkte das Ziel. Noch einmal wurde ein kleines Kieferngehölz durchpilgert, dann lagen die ersehnten Bogwiesen, frisch gemäht in ihrer sammetgrünen Pracht, duftig und endlos vor den Staunenden.

Wie ein tiefblaues Band zog der Bog (nach seiner dunklen Moorherkunft zum Unterschied von seinem weißen Bruder der schwarze Bog genannt) in sonderbaren Windungen dahin, bildete unzählige Halbinseln und Buchten, hie und da auch wohl ein Inselchen. Noch jetzt hieß eine derselben romantisch das Raubschloß, obwohl längst kein Stein mehr von versunkener Herrlichkeit erzählen konnte. An den Ufern des trägen Flusses erhoben majestätische, Jahrhunderte alte Eichenriesen ihr trotziges Haupt und breiteten kühlenden Schatten über Wiese, Wasser und Ufergebüsch. An einer tief ausladenden Halbinsel standen ihrer sieben brüderlich beisammen. Hier war der Hauptbadeplatz der Girdeiner Jugend und nächst dem Raubschloß auch die beliebteste Lagerstelle.

Diese sieben Eichen hatten sicherlich eine gute Bildung im Laufe der Jahre erhalten. Schon manches fröhliche Fest, manch sangumjauchztes Freudenfeuer und manches begeisterte Dichter- und Lehrerwort hatten die knorrigen Herren mit angehört, und doch begrüßten sie auch heute wieder mit freundlich leisem Rauschen die muntere Schar, die nach alter Gewohnheit, je nach den Stuben, ihre gewohnten Lagerplätze suchte und einrichtete.

Die Karren wurden hastig geleert, herzhaftes Schelten erscholl, wenn eine der kostbaren Zweigroschenkrusen zerbrochen, verlegner Ärger verriet den, dessen geliebte Badehose im Strudel des Heereszugs verloren gegangen war. Die Primaner schirrten den schweißgebadeten Omar los, der, trotz aller Anstrengung, hocherfreut auf die weiten Wiesen hinaus trabte, denn fern am Waldrande hatte er schon vorher im Vorbeifahren ein scheinbar vergessenes Bündel 400 des duftigsten Heus erspäht. Er schwelgte und begann sich schließlich – ganz ausgelassen ob der ungewohnten Freiheit – zum allgemeinen Gaudium behaglich zu wälzen wie ein ungezogner Esel.

Unterdessen lohten die Kochfeuerchen lustig empor; hier wurde Kaffee gemahlen, dort Wasser und Reisig geholt. Die Olympier der Prima nebst H. C. und Bruder Schordan bastelten verdächtig mit Stricken an zwei nahestehenden Eichen; während die große Menge der Unbeschäftigten gemächlich die Kleider vom Leibe streifte und im Schmuck der dunkelroten Badehosen kopfüber mitten in die dunklen Bogfluten sprang. Nur einzelne Nichtschwimmer suchten sich vorsichtig ein seichteres Plätzchen mit niedrigem Ufer, denn mit dem schwarzen Bog ließ sich nicht spaßen. Er hatte schon manch einen allzukühnen Wagehals auf dem Gewissen.

Zwischen »Badensern« und »Nichtbadensern« begann alsbald ein übermütiges Neckspiel. Von der »See« aus spritzte man, vom Land aus hagelte es dafür trockene Zweige und Holzscheite. Einem »Dritten«, der des feuchten Elementes müde war, waren die Kleider fortgeschleppt worden, schimpfend suchte er die Täter; ein »Vierter« trocknete resigniert sein naßgespritztes Hemd am Kaffeefeuer. Dort kamen ein paar witzige Sansculotten auf die Idee, antike Statuen, wie z. B. den Diskobolos, den Faustkämpfer u. a. zu stellen; hier maßen zwei ehrgeizige Athleten, die den bevorstehenden Wettkampf kaum erwarten konnten, mehr prahlerisch als drohend ihre Bicepsmuskel.

Endlich war so ziemlich alles wieder in den Kleidern, der Lagerkaffee ward verteilt und in allerlei malerischen Stellungen auf dem grünen Rasenteppich genossen.

Da erschallt ein langgezogener Tubaton, eilig rückt und rutscht man im Halbkreis zusammen, und – in der bunten Toga des Epikuräers Horaz erscheint Bruder Schordan und spricht einen formvollendeten, witzigen Prolog zum Lobe der 401 heiteren Muse, gestimmt auf die Lebensweisheit des carpe diem und desipere in loco.

Dann teilen sich die Plaidvorhänge der Atellanenbühne zwischen den zwei nahen Eichen, und in einem Waschkorb steigt, an einem dicken Klettertau gezogen, der grübelnde Sokrates pfeiferauchend zu den Wolken empor, für die in Ermangelung wirklicher Himmelwolken einige knorrige Eichenäste bereitwilligst aushalfen. Der große Weise grübelt nicht nur wie bei Aristophanes, er gebärdet sich in seiner Verachtung aller gesunden Leibes-, seiner Überschätzung aller philosophischen Denkübungen ganz ähnlich wie gewisse Ober-Sekundaner und Primaner, die nur dem Studienverein huldigen und Spielen und Turnen verachten.

Man versteht die »Spitzen«; die Zweiten sehen lachend auf ihr gelehrtes Disputantenpaar Dachs und Drax. Bruder Riedel, mit dem Sokrates eine gewisse Ähnlichkeit zeigt, wiehert vor Lachen über die lustige Karrikatur seiner werten Person und quittiert mit Bravo über manche seiner Aussprüche. Sokrates gerät allgemach in bedrohliches Wanken und rettet sich schließlich aus der luftigen Wolkenhöhe nur durch jammervolle Buße und Anwendung seiner eben noch verachteten Körperkräfte.

Es folgt eine Szene aus den »Fröschen« des Aristophanes, nicht minder frei behandelt wie die aus den »Wolken«.

Über den Verfall der tragischen Dichtung im Pädagogium tief empört, beschließt Bacchus, zunächst in Badehose, Efeukranz und Thyrsosstab, den Euripides aus der Unterwelt zu holen. Furchtsam putzt er sich als Herakles auf mit einem abgetretenen Angoraziegenfell H. C.s und Taylors mächtigem Kriketschläger. Den Götterboten Hermes nimmt er als schützende Begleitung mit. Landolph, der gewaltige Vorturner der Prima, schreitet als Götterbote in gleichem Badekostüm, (nur noch die Dienstmannsmütze auf dem Haupte und Taubenflügel an die Knöchel gebunden, das Gepäck 402 des Bacchus in Händen), mit Bacchus in die Fluten des schwarzen Bog, der als Acheron mitzuspielen hat. Der edle Weingott ist wasserscheu, wie ein gewisser Dritter, den man soeben schallend auslacht, aber Hermes macht kurzen Prozeß mit ihm, und tauchend verschwinden beide Götter, um in wenigen Sekunden wieder prustend ans Land zu kommen, nunmehr in der Unterwelt angelangt. Sie werden freundlich von Pluto und seinem Cerberus begrüßt, den der feige Anstaltköter Rappo mit ergreifender Naturtreue spielt. Bacchus stirbt beinahe vor Furcht, doch Hermes flößt ihm durch seine kräftigen, etwas berüchtigten Vorturnergriffe Mut ein. Äschylus und Euripides erscheinen sodann, streiten sich um den tragischen Vorrang und schwätzen dabei allerlei Sonderbares aus der Schule über moderne Dichter und Pädagogiumsdichterlein, wobei auch Nöke und Gottfried mit ihren »Irrlichtern« ihr Teil erhalten. Zehwen johlt vor Vergnügen; augenscheinlich hat er diese Spitzen lanciert. Bacchus wählt schließlich den Äschylus statt des Euripidesseelchen, doch der Dichter des »Agamemnon« läßt sich an der Ehre genügen und zieht vor, beim behaglichen Pluto zu bleiben, weil auf der Oberwelt jetzt gar zu schlechte Verse verbrochen würden.

Eine dritte, keck modernisierte Szene aus dem »miles gloriosus« des Plautus beschließt die Reihe der luftig derben Schwänke des »Sieben Eichen-Theaters«. Nach antikem Vorbild war so nach der ernsten Muse des Vormittags auch die heitere des Nachmittags voll zu ihrem Rechte gelangt.

Reicher Beifall lohnte abermals die Darsteller, und stürmisch wurden auch die Namen der kecken Interpreten und Nachdichter, Bruder Nielsen und Bruder Schordan, so lange gerufen, bis sie schließlich von zwei Primanern emporgehoben wurden und gemütlich lächelnd über die dicken Plaids herüberguckten. Dann stand alles auf. Dem Geist war Genüge getan, und nun sollte der Körper zeigen, was er leisten konnte.

403 Auf zum Pentathlon! So scholl es jetzt herausfordend ringsum.

Da aber naht erst hoher Besuch: Schwester Nielsen mit einer Freundin und der Frau des neuen Anstaltdirektors erscheinen in einem Landauer, einmal um sich das lustige Zigeunertreiben anzusehen, sodann um die Kränze und Preise für das Pentathlon zu verteilen. Und nun entflammt erst recht der Ehrgeiz.

Aus den Händen der verehrten Pädagogiumsmutter, Schwester Nielsen, den ersten Preis, einen schlichten Lorbeerkranz zu erhalten, das lockt gar manchen! Auch Gottfried reckt sich höher, obwohl er weiß, daß ihm der Lorbeer nicht winken wird; es gibt genug schnellere, stärkere Kämpen als ihn. Aber vielleicht hat er Glück in einem der Kämpfe, die der Gerechtigkeit halber zunächst stubenweise vor sich gehen.

Mit dem Wettlauf beginnt der Reigen, und das Rennen ist Gottfrieds stärkste Seite. Gespannt sieht er dem Lauf der Primaner zu, den die meisten Lehrer, auch H. C., honoris causa mitmachen. Landolph, der Vorturner, geht als erster durchs Ziel, knapp hinter ihm Bruder Schordan, der im Anfang führte, sich dabei jedoch zu schnell ausgegeben hatte. Gottfried merkt sich das und nimmt sich vor, so ruhig wie möglich einzusetzen.

Die Zweiten starten. Der übereifrige Nitschmann nimmt anfangs die Führung, mit leichter Eleganz nimmt sie ihm Taylor ab. Da stößt plötzlich Kämpfer vor, von lautem Bravo begrüßt. Ein schwerer Kampf folgt. Taylor holt den Gegner noch einmal ein, trotzig geht es eine Zeitlang in gleicher Linie, da – zehn Meter vorm Ziel – stößt Kämpfer noch einmal kräftig vor, und als Sieger geht er durchs Ziel. Eine Handbreit hinter ihm Taylor, dann ingrimmig schnaufend Dachs, der sofort auf seine kurzen Beine schilt, als Vierter Rodbeck. Den würdigen Schluß macht wie immer der lustig lachende, schwer keuchende Nöke.

404 Gottfried glüht vor Seligkeit, ein Preis ist ihm sicher. Nur weiter, wer weiß, was noch winkt!

Am zweiten Kampf, dem Diskuswerfen, nehmen nunmehr nur die vier ersten jeder Stube teil. Landolph bleibt primus omnium, auch wenn ihn dieses Mal Bruder Schordan glänzend aussticht, aber der rechnet nicht mit. Auf II. siegt jetzt der stämmige Dachs, Gottfried wird dritter – macht nichts – noch darf er weiter kämpfen. Aber Rodbeck scheidet aus, wie weiterhin jedesmal der Letzte.

Im Springen holt sich nun Taylor endlich einen ersten Platz, Gottfried als zweiter hält sich. Dachs muß als dritter den Kampf aufgeben, er möchte am liebsten weinen vor Wut. Immer diese kurzen Beine!

Die wichtigste Entscheidung naht, der Ringkampf. Landolph siegt leicht und glänzend auf I. Bei den Zweiten ist die Spannung größer: Taylor und Kämpfer gelten beide für gewandte und ruhige Ringer. Wer wird den Untergriff bekommen?

Vorsichtig weichen sich beide anfangs aus oder wehren kühl und besonnen ab; dabei späht jeder aufmerksam nach einer Blöße des Gegners. Gottfried macht den Fehler, dem Gegner nach den Armen anstatt ins Auge zu sehen, und im selben Moment hat ihn auch Bull schon wie ein Panther im Untergriff gepackt; doch krümmt Gottfried behend den Rücken und zwängt mit äußerster Kraftanstrengung die geballte Faust durch die feste Umarmung des Schotten. Für einen Augenblick steht das Ringen, die Gegner sind durch die schnellen Bewegungen unruhig geworden und suchen beide erst aufzuatmen, denn sie wissen sehr wohl: Ruhe ist alles. Dann beginnt das Ringen von neuem mit Winden und Werfen.

Die Beine stampfen dröhnend den Boden, im Kreise wirds stumm vor Aufregung – kein Bravo wird mehr laut, denn unparteiisch ist diese corona, nur Rappo bellt 405 einmal ängstlich aus dem Hintergrund. Jetzt hebt der schlanke Taylor den Gegner lupfend in die Höhe, sicher kehrt jedoch Gottfried auf die Beine zurück, ohne zu wanken. Da blitzt ihm ein listiger Gedanke durchs Hirn.

Noch einmal! denkt Bull bei sich und wirft ihn herausfordernd herum. Und wieder wird Gottfried in die Höhe geschnellt und saust ebenso schnell wieder herab. Dabei knickt er scheinbar zusammen, und schon drängt Bull siegesgewiß und tollkühn über ihn her. Plötzlich stemmt sich jetzt Gottfried mit aller Gewalt wieder empor, wirft sich stark nach rechts herum, der rechte Fuß des Schotten wird darob unsicher, mit kräftigem Schritt tritt des Gegners linkes Bein dagegen an. Taylor wankt und stürzt seitlings unterm letzten heftigen Ansturm Gottfrieds lang auf den Rasen hin, ihn stracks mit sich reißend. Im Falle lockert sich endlich die eiserne Umarmung für eine Sekunde, der Siegende weiß sie mit Geistesgegenwart zu nützen, er drückt die Schulter des Schotten hastig zur Erde – der Sieg ist erfochten.

Jubelnd grüßt man den Sieger, der schnell aufspringt und hochrot vor freudiger Erregung neben Landolph tritt. Bull erhebt sich langsamer und schüttelt lächelnd den Kopf. Er weiß schon ganz genau, welche Dummheit er gemacht hat.

Kurz darauf treten die Stubensieger zum letzten Gang, dem Speerkampf, an, bei dem gerechterweise nicht die Kraft der vier äußerlich sehr ungleichen Kämpfer, sondern lediglich die Geschicklichkeit entscheidet, bisweilen auch das Glück. Im ersten Gang fehlen alle vier den Scharnierblock, dann klappt er schallend zurück unter Landolphs wuchtigem Speerstoß. Ein lautes Hurra erschallt.

Gottfried fehlt abermals, er ist noch viel zu erregt von dem schweren Ringkampf, auch der Dritte streift nur leise, ohne zu treffen. Aber der kecke kleine Bertens von der vierten Stube hat Glück. Auch er streift zwar nur, 406 aber so stark, daß der Block langsam noch gerade umklappt. Fröhliches Lachen ringsum. Der große Landolph muß mit dem kleinen Bertens um den Lorbeer ringen, freilich er besiegt ihn unter jauchzendem Beifall und empfängt den Eichenkranz aus der Hand Schwester Nielsens, die dann mit ihrem Besuch wieder davonfährt, von begeistertem Hurra geleitet.

Gottfried darf sich den dritten Preis holen: ein zierliches Tanagrafigürchen. Er ist still vergnügt und gar nicht stolz, als ihn Taylor ehrlich beglückwünscht, und Nöke ihn jubelnd umarmt. Nur ein Wunsch schießt ihm plötzlich durchs Haupt: Hätte Inge dich heute sehen können!

Nach dem großen Wettkampf wird das Abendessen eingenommen, von Nickelfritze und Gummimännchen stattlich gerüstet. Prachtvoll schmecken der dampfende Tee und die schinkenbelegten Stullen.

Munter beredet man die mannigfaltigen Ereignisse des Tages. Hier kritisiert einer leise den Darsteller der Ismene, dort lobt ein anderer laut den des Sokrates. Dazwischen beweisen einige Ehrgeizige einander mit rastlosem Eifer, daß sie unfehlbar einen Preis gewonnen hätten, wenn gerade das und jenes nicht eingetreten wäre.

Langsam sinkt indessen die Sonne zu Tal und spielt mit goldenen Lichtern in den Wipfeln der mächtigen Eichen, während der unheimliche Ton des Nebelhorns vom Torfmoor her Feierabend kündet.

Das Mahl ist vorüber, nun gilts die Sachen zusammen zu packen, ein leidig Geschäft! Viele ziehen es vor, im nahen Gehölz trocknes Reisig zu sammeln zum letzten Akt des festlichen Tages, dem gewaltigen Freudenfeuer. Vorher wird Omar, der mutige Renner, eingefangen und ins Joch gespannt. Ärgerlich wiehernd zieht er davon, um noch bei leidlichem Taglicht den Weg zur Chaussee zurückzufinden. Seine Fuhre ist leichter, viel ist ja verspeist, manches zerbrochen, und 407 einiges fliegt achtlos als Plunder dem Holzstoß zu, der so gewaltig emporsteigt, daß die Eichen in mißbilligendem Rauschen darob ihre Laubkronen schütteln.

Leise sinkt die erste Dämmerung nieder, man sammelt sich langsam im Kreise, und unter dem Gesang des alten Freiheitsliedes: »Flamme empor« saust die zündende Fackel ins dürre, knatternde, auflodernde Reisig.

Im Angesicht des ehrwürdigen Sonnenwendfeuers hält dann H. C. eine seiner klassisch schönen, tief durchdachten Reden über Griechentum und Christentum. In dem weltversöhnenden Wort der zum Tode schreitenden Antigone, in der sittlichen Größe des Gewissenkünders Äschylus, des Dulders Sokrates und seines weisen Schülers Plato bereitet die griechische Ethik den Boden vor für die sieghaften Lehren des Erlösers. Schon darum allein würde sich ein eingehendes Studium der Antike auch für den Christen verlohnen, falls ihm die Schönheit ihrer Kunst einmal zu wenig dünken will. Aber jede ehrliche Arbeit trägt ihren Wert in sich, jede kann Gott zu Ehren getan werden.

Wie zur Bestätigung erschallt das ernste Lied des Girdeiner Dichters Bourquin: »Es fliehet schnell von hinnen der Jugend goldne Zeit«, aus frischen Kehlen gesungen.

Bruder Schordan spricht sodann in fortreißender Beredsamkeit über sein Lieblingsthema: mens sana in corpore sano. Leichten Flugs kommt er vom Ideal der Horazischen Römeroden zu dem des turnfrohen Freiheitkämpfers Jahn, und jubelnd klingt es aus in »Frisch, Froh, Frei – Girdeiner Turnerei – hoch – hoch, hoch!« Und lustig wie ein Tanzlied ertönts ringsum: »Turner ziehn froh dahin«.

Kaum sind die letzten Akkorde im dunkelnden Abendhimmel verklungen, da tritt Landolph vor und feiert in warmen, ehrlich begeisterten Worten des Hauses herrliche Lehrerschaft, die unvergleichlichen Choregen Bruder Nielsen und Schordan, die stets voneinander zu lernen behaupten 408 und jeder nur das Verdienst des andern kennen wolle – den hochgelehrten Bruder Riedel, der trotz aller Gelehrsamkeit zum Glück noch immer nicht verlernt habe, über sich selbst zu lachen – den grimmen Mathematikus Bruder Leßmann, der hier draußen gern einmal fünf grade sein ließe – den vogelkundigen Bruder Reicher, der sonst nur Athenes heiligem Vogel huldige, heute aber selber einem lustigen Vogel geglichen hätte, den weder er noch Ruß bestimmen könnte, und wie die kecken Scherze alle lauten. »Alle Lehrer«, so führt Landolph endlich aus, »sind echte, rechte παιδαγωγοι, die ihre παιδες auch auf die Bogwiesen führen und dort als muntere Peripathetiker zeigen, daß sie auch verstehen, nach sauren Wochen mit ihren Schülern frohe Feste zu feiern.« Donnernd erbraust das dreifache Hoch um das langsam verglimmende Feuer, das darauf mit Fluten des schwarzen Bog zischend gelöscht wird.

Und nun gehts nach Haus, erst bei Fackelschein, dann über die Wiesen und das gespenstische Moor im zarten Lichte der schmalen Mondsichel und des funkelnden Sternenheers. Im Walde endlich helfen ein paar Eislaternen nach.

Lang und beschwerlich ist der Marsch durch den weichen Sand, über die zahllosen Kiefernwurzeln, doch lustig und elastisch die Stimmung. Endlich kommt die Chaussee, gleichmäßig und fest tritt der eben noch tastende Fuß, ruhig rollen die Karren; aber mit den Hindernissen schwindet auch bei vielen die Ausdauer. Es wird langsam stiller im Zuge, manch einer hängt seinen Gedanken nach oder freut sich gar schon auf die Heimkehr und den winkenden Bettzipfel.

Gottfried und Nöke reden leise und selig von dem unerschöpflichen Thema ihrer Liebe. Nöke, der Schwärmer, möchte die ganze Nacht hindurch wandern und dabei nur still träumen von zwei frischen Blauaugen und einem süßen, 409 roten Mund. Gottfried, der Preisgekrönte, sehnt sich nach Heldentaten und Abenteuern; er wünscht, vermessen und romantisch zugleich, daß es z. B. im Postgebäude einmal brennen möge, nur damit er mit starkem Arm die Geliebte retten könnte.

Nöke ruft ihn empört zur Ordnung, er denkt an die schönen blonden Locken, und der Gedanke – auch nur eine davon könne im Feuer versengt werden – läßt ihn zittern vor banger Sorge.

Girdein ist erreicht. Vorn wird gehalten, man sammelt und ordnet sich zum herkömmlichen Einzug. Alles ist fertig.

Bruder Schordan stimmt das herrliche Girdeiner Abendlied Theodor Bourquins an, und feierlich ernst hallt der Thorgesang zum Gleichschritt der einziehenden Wanderer durch die stillen Straßen:

»Brausend zog der Freude Strom durch Leib und Seel.
Herr, mit Freud und Leide dir ich mich befehl.
Ob der Leib auch müde, soll voll Jugendglühn
Doch das Herz im Liede aufwärts zu dir ziehn.
Laß ein Mann mich werden, der voll Zucht und Art
Stark und rein auf Erden Seel und Leib bewahrt.
Laß ein Mann mich werden, immer jugendlich,
Weil die Kraft der Erden ist geweiht durch dich.
Laß ein Mann mich werden, der durch Kampf und Streit,
Lust und Not der Erden dringt zur Ewigkeit.«

Ja, laß ein Mann mich werden! Das ists, was Gottfried plötzlich ergreift und wie ein Blitz in seine Seele schlägt, während er an der Post vorüber marschiert und zu ihren friedlich geschlossenen Fensterläden verstohlen hinauflugt.

Eben war er noch ein dummer Junge gewesen mit seinem frevelhaften Wunsch. Das wird ihm erschreckend klar – er schämt sich gewaltig – er bittet Inge heimlich seine Torheit ab.

Dann aber schüttelt er trotzig entschlossen das Haupt: 410 »Fort mit den Kindereien; ein Mann muß ich sein – wenn sie mich lieben soll – ja, ein ganzer Mann!«

So schreitet er gemessen dem hohen Pädagogium zu, während Nöke beschließt, noch heute abend ein eben meditiertes Gedicht niederzuschreiben, um die weihevolle Stimmung dieser wundervollen Juninacht dauernd festzuhalten. 411

 


 


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