Friede H. Kraze
Amey
Friede H. Kraze

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Es war so schwer für Amey, in den folgenden Tagen die Gespräche der Tischgesellschaft über sich ergehen zu lassen. Trotzdem hatte sie nicht daran gedacht, die Pension zu verlassen. Bis vor kurzem hatte sie sie nicht anders als ein Zeltlager genommen, zu dem sie heimkehrte, wenn sie wie ein kühner Jäger die fremden, verwachsenen Wälder durchstreifte. Einmal würde sie dem verborgensten Wild auf der Spur sein. Aber letzthin waren ihr neue Gedanken über dieses Fremdenleben gekommen: Sollte sie hier vielleicht auch eine Waffe üben? Einen Speer schleudern oder einen Pfeil? Mußte sie nicht ein Ungeheuer nach dem andern aufsuchen? Vielleicht gerade hier? – Sie lächelte plötzlich. Sie, die gleich zusammenfiel wie eine Blume, wenn man sie zu gießen vergaß, zog aus mit Speer und Schild wie ihre Vorfahren? –

Der Oberhofprediger hatte von seinem älteren Bruder Besuch, der irgendwo in den schlesischen Grenzbergen seine Diözese hatte. Man mußte immerfort vergleichen und staunen: Der Oberhofprediger in seiner Gepflegtheit, der verbindlichen, zu nichts verpflichtenden Geste des Weltmannes neben diesem Apostel einer mißdeuteten, verblaßten und verfälschten Lehre, die in ihm noch blühte und Früchte trug, süß und reif wie am ersten Tage.

»Wie er mich an Pfarrer Bruns erinnert!« Ameys Blick tauchte in die blauen Kinderaugen von einem ergreifenden Ausdruck der Unschuld und der Erwartung unter dem schneeweißen Greisenhaar.

»Wie steht es mit dem Glauben in Ihrem Gebiet?« fragte in diesem Augenblick die Generalin über den Tisch hinweg. »Es ist erschreckend, wie bei uns der Kirchenbesuch abnimmt!«

»Ob sie nicht etwas verwechseln?« dachte Amey. »Sie sollten die Seele meinen und erwarten eine Statistik. Ein schwerer Klingelbeutel würde sie zufriedenstellen! – Wie komme ich darauf?« dachte sie. »Was reizt mich plötzlich, das Körnlein Wahrheit aus dem Hülsenhaufen der Konvention herauspicken zu wollen?«

»Ich habe nicht zu klagen«, sagte der Apostel. »Unsere Parochie ist arm. Wir sind in ständigem Kampf mit Naturgewalten. Da kann man die große, helfende Hand nicht entbehren!«

»Sollte es allein daran liegen?« Amey sah zu dem Superintendenten hinüber. Ihr ganzes Gesicht war Zärtlichkeit.

»Vielleicht kommt mir auch dieses zu Hilfe«, der alte Herr hatte sich zu Amey gewendet, wiewohl die Generalin ihn fragte. »Ich bin sehr jung Witwer geworden, und meine Kinder konnte ich nicht bei mir behalten der Schulen wegen. So habe ich immer ein wenig als Zölibatär gelebt. Die katholische Kirche weiß wohl, weshalb sie allein Weib und Kind und alles für ihre Diener sein will. Wir müssen unser Herz verschenken. So verlangt es die menschliche Natur. Gibt es kein Nächstes, alsdann ein Nahes. – Meine Gemeinde mußte mein Nahes sein!«

Amey hatte das Bedürfnis, über die liebe, welke Hand mit den braunen Altersflecken zu streichen. »Es ist gut!« dachte sie, »daß ich nicht neben ihm sitze. Es wäre mir passiert!« Und dann staunte sie plötzlich. Sie dachte an das Konzert und ihre kleine neue Freundin. War sie hier unter Ihresgleichen wieder gebunden, daß sie freie Regungen des Herzens als Entgleisungen ansah? –

»Ich meinte eigentlich,« sagte die Generalin, »wie es mit dem sittlichen Zustand Ihrer Gemeinde beschaffen ist. Die freie Theologie hat so viel Schaden angerichtet, daß man sich wirklich nicht wundert, wenn die Verwilderung im Volk von Tag zu Tag zunimmt. Solange jeder in Büchern lesen kann, daß die sieben Schöpfungstage nichts als eine Allegorie sind, oder wenn die Sache vom Affen und von der Urzelle immer weiter ausgebaut wird, wo soll dann der Respekt bleiben?«

»Jetzt werden sie wieder anfangen, das Unbegreifliche historisch verankern zu wollen«, dachte Amey unglücklich. »Und so zwischen Suppe und Entremets!«

»Schauderhaft.« Der Kammerherr zog nervös die Schultern zusammen. Ihm war vor allem der Gedanke zuwider, daß sich die Verbindung zwischen Uraffen und Gottesgnadentum nur mangelhaft herstellen ließ. Und wenn etwas überhaupt einmal anders gewesen war und angefangen hatte . . . »Wie denken Sie darüber, Herr Oberhofprediger?«

»Ich glaube, wir dürfen eine liberale Ansicht beibehalten«, sagte der Oberhofprediger. Seine Diplomatenstirn schien höher hinauszuwachsen. »Es gibt Wunder, die sich mit natürlichen Umständen sehr wohl erklären lassen. Der Wein auf der Hochzeit zu Kana ist gewiß nur Wasser geblieben, aber durch die beseligende Gegenwart des Heilands erschien es wie ein köstlicher Trunk.«

»Auch wir,« dachte Amey, »auch wir erfaßten es so.« Sie sah Onkel Rhabans Gesicht. »Welches Wasser würde ich nicht als Wein schmecken mein Lebelang,« dachte sie, »wenn du mir den Becher darbrächtest?« Sie war von Sehnsucht zu Tränen ergriffen. Sie überhörte, daß die Generalin etwas vom Wunder der Geburt sagte. »Aber das Dogma?« dachte sie plötzlich. »Wie wird er das kunstvolle Gebäude aufrecht halten nach diesem? Wenn man einen Baustein herausnimmt, wird nicht alles ins Wanken geraten?«

»Das Wunder der Geburt . . . Nun . . .« Die Stimme des Oberhofpredigers hatte eine gutturale Färbung angenommen. »Gott gibt dem einen in seiner Güte und Allmacht die Fähigkeit zu glauben, und dem andern versagt er sie!«

»Vor der Geburt eines Menschen sollte über ihn bereits das Urteil gesprochen werden?« sagte Amey. Es widerstrebte ihr, zwischen gefüllter Poularde und Stangenspargel den heiligen Namen in den Mund zu nehmen.

»Wieso Urteil?« Die runden Puppenaugen der Generalin wurden noch runder. »Hat Gott uns nicht den freien Willen gegeben?« Sie bemerkte gleichzeitig und unangenehm berührt, daß das Ei der Remouladensoße ein Kalkei war.

»Wie ließe sich ein freier Wille mit dieser Lehre verbinden?« fragte Amey. Sie dämpfte ihre Stimme, die niemals laut war. Sie hatte den beunruhigten Blick des Superintendenten bemerkt. »Verzeihung«, sie wendete sich zu ihm, als hätte sie ihm weh getan. »Ich bin völlig unbewandert in theologischen Fragen.« Ohne seine Gegenwart hätte sie diese Angelegenheit wohl gern zu Ende gebracht gesehen. Der Pfeil aus dem Köcher ihrer Ahnen bebte ihr auf der Sehne.

»Ich habe nie Gelegenheit gehabt, mich mit neueren Forschungen auseinanderzusetzen.« Der alte Herr schien um Entschuldigung zu bitten. »Auf unserm Dorf fehlten die Möglichkeiten. Wir leben weitab von den großen Bildungszentren. Es sind alles arme Gemeinden. Wir haben die großen Weberdistrikte. Die Dörfer liegen weit auseinander. Es gibt viel Elend bei uns. Krankheit, Kindersterben und Sorge um das tägliche Brot im buchstäblichen Sinne. Ich habe nicht Zeit gehabt, so gern ich's gewollt hätte, mich auf dem Laufenden zu erhalten. Es gab immer zu trösten, zu raten, zu bitten und zu beten, daß die Leute Kraft behielten und Mut.« – Er sprach nur zu Amey. Sie sah ihn mit dem mächtigen Stock und dem alten Überzieher durch den Schnee stapfen, vielleicht eine Flasche Wein, die er sich seit Jahren aufgespart hatte, unter dem Arm. In ein fernes Dorf wanderte er durch das Schweigen der blauen Wälder, unter dem Geheimnis der Sterne und mit jenem Wissen, an dem der Kopf keinen Teil hat, sondern allein das warme Blut des Herzens und die ewige Sehnsucht der Seele.

»Ja,« sagte die Generalin, »alles ist schön und gut, aber trotzdem, die Leute auf dem Lande sind unzufrieden heute. Ich bin dahinter wie ein Scherge, daß die Mädchen sich nicht in die Stadt vermieten. Dann bringen sie neue Gedanken mit!«

Ein Herr von Odebrecht betonte die Gefahr, die aus der Lektüre russischer Bücher erwüchse. Die Russen hätten wohl gewußt, warum Dostojewski bei Lebzeiten so gut wie keine Anhänger gehabt hätte. Aber jetzt bekäme er leider und auch in Deutschland täglich neue Leser. Diese abstoßenden Bücher voll Mörder und – verlorener Mädchen, voll Laster und Verführer und unmöglicher Heiligen, müßten in höchstem Maße unterminierend wirken.

Um Ameys Mundwinkel zuckte es. Herr von Odebrecht hatte literarischen Ehrgeiz. Er las täglich sechs Zeitungen. Dies über Dostojewski stand gestern in der zu oberst liegenden.

Im nächsten Augenblick wurde Amey ernst. »Wieviel haben wir überhaupt noch aus uns selbst«, mußte sie denken. »Ich hatte es ja so gut – ich hatte Onkel Rhaban, und so auf der Burg, und immer noch ein bißchen wie ein Fohlen, das in der Koppel geht . . . Aber sonst – wer hat nicht wenigstens eine Zeitung als täglichen Vorbeter?«

In diesem Augenblick machte das Zimmermädchen Fräulein Fink eine Mitteilung. Am oberen Ende des Tisches wurde noch ein Gedeck eingeschoben.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte eine seltsam metalllose Stimme. Ein korpulenter Herr in tadellosem Cutaway war eingetreten. Er schien häufiger Gast bei Fräulein Fink. Er benahm sich selbstverständlich. Fast ein wenig wie Herr des Hauses. »Die Aufsichtsratssitzung wurde auf heute abend verlegt. Man berief mich telegraphisch. Ich hatte Speisewagen. Irgend etwas. Einerlei.« Er lächelte satt.

Amey raffte sich zusammen. Es war fast unpassend, wie sie zu ihm hinsehen mußte. Wie eine Erscheinung aus einem quälenden Traum war er gekommen. Aber er war sehr wirklich. Diente Fräulein Fink ihm nicht demütig und hilfsbereit, mit diesem kleinen zuvorkommenden Lachen, das Amey jedesmal einen Stich gab? Woher kannte Amey diese verkniffenen Augen? Der Unterkiefer sprang brutal hervor. Seine Wulstlippen schlossen sich fest. Als ob er soeben nach irgendeinem preislosen Genuß geschmatzt hätte. Aber die Hände – o Gott –. Diese schrecklichen Hände konnten nicht zum zweitenmal auf der Welt sein. Herr von Odebrecht trug eine gewisse Beflissenheit dem Ankömmling gegenüber zur Schau, desgleichen die Generalin und eine seit kurzem anwesende Familie von Winzingerode.

»Wie wunderbar!« dachte Amey. »Diese, bei denen der Mensch erst jenseits der neun Zacken anfängt, was beeindruckt sie bei diesem Mann?« Plötzlich fiel das Wort »Kurs«. Amey – ja, wirklich, es hätte ihr nicht allzu fern gelegen, eines Tages ihre Kreditbriefe mit den zerrissenen Kuverten zusammen in die Küche zum Verbrennen zu geben – sie wußte nicht, warum sie aufgeschreckt war. Im Grunde war nicht das Wort der Grund, sondern ein bestimmter Ausdruck der Gesichter, die an dem Kommerzienrat hafteten. Ohne sich zu bekümmern, daß er die Mahlzeit über Gebühr hinauszog, zerlegte er umständlich eine eingeweckte Taube, die Fräulein Fink immer bereit hatte.

»Das Geld,« dachte Amey plötzlich, »das goldne Kalb!« Ein Gefühl von Übelkeit überkam sie. »Das ist meine Kaste,« dachte sie, »das ist der Adel von heute.« Sie sah den Tisch hinunter. »Nein, nicht alle, Gottlob.« Gärtnerns wollten in die Quitzows gehen, die Mutter der kleinen Ninon machte Fräulein Fink heimlich Zeichen, daß man den Nachtisch erwartete. Herr von Winzingerode schien höchstens mit einem Ohr die Wissenschaft aufzunehmen, die der Kommerzienrat gönnerhaft austeilte. Der Kammerherr zur Rechten Ameys aber redete lauter und betonter als sonst. Er hatte wie im Gegensatz zu dem Entwürdigenden des Gesprächs am oberen Tischende Courbet herangeholt, und als sei Naturalismus nicht der richtige Gegenpol, war er mit einem kühnen Sprung plötzlich in die Frühgotik getaucht. Amey mußte lächeln. Aber sie begriff und folgte willig. Denn sie hatte ihre Freude an dem kleinen zarten Unentwegten. Auch Frau von Wickede enttäuschte nicht. Die verschleierte Stimme war beschäftigt mit dem ewigen Om und der beseligenden Feier des Entwerdens.

»Ist nicht die Selbstbetrachtung etwas, was die alten Inder erst ans Ziel ihres Lebens setzten?« sagte plötzlich Amey zu Frau von Wickede. Sie konnte sich nicht enthalten. Irgend etwas reizte sie immer wieder, eine Religion, die die Errungenschaften und die Vorrechte eines Greisen mitten ins Leben verpflanzen wollte, zu bekämpfen.

»Sozialismus?« kam es in diesem Augenblick hart und klirrend vom Ende des Tisches her, wo der Kommerzienrat mit den Fingern wie Goldharken sich mit Eidamer Käse versorgte. »Was heißt Sozialismus? Der plutokratische Staat soll vernichtet werden. Und Sie, meine Herrschaften« – er verneigte sich leicht und in einer Manier, die, wie Amey dachte, etwas Geringschätziges an sich hatte, »Sie werden ihn verpflichten, wenn Sie Ihre verschiedenzackigen Kronen in die Schmelze bringen. Es mag ja noch immer Köpfe mit himmelblauen Illusionen geben, die wirklich an irgendein phantastisches drittes Reich glauben.«

»Die Maurer streiken ja auch schon wieder«, sagte jemand. »Was wollen sie eigentlich?«

»›Sprechen Sie doch mit Hornochsen französisch‹ – so hat sich Bebel einmal dafür entschuldigt!« Der Kommerzienrat lachte. Er nahm von den Trauben aus Cannes. Er schien sich für die Angelegenheit nicht weiter zu interessieren. Herr von Odebrecht ereiferte sich. »Alle Achtung, Bebel! Den im Reichstag unterzukriegen! Aber schließlich, die ich rief, die Geister . . . Wenn manche von den Führern auch ganz tüchtige Leute sein mögen – ihre Gefolgschaft ist ihnen über den Kopf gewachsen. Es handelt sich wirklich nicht mehr um die Ideen der Bildung, der Erziehung zum Menschentum usw. usw. Brot und Spiele. Es ist immer dasselbe! Und Macht!« –

»Die Arbeiterfrage?« Herr von Gärtnern konnte sich nicht beruhigen. »Dies mit der Kultur, das ist ja Torheit. Das Ästhetische und die Bildung kommt nicht von heute auf morgen. Nur Besitz wäre nötig, um Kultur zu begründen? Das hat fast etwas Komisches. Wir gehen der Mechanisierung der Welt mit Riesenschritten entgegen. Wenn der vierte Stand zur Herrschaft kommt oder auch nur viel mit dreinzureden hat, können wir mit der Humanität einpacken. Seien Sie sicher: wenn er jemals die Idee des Mitleids und der Fürsorge von sich aus ausbaut – er wird sie ganz gewiß nur auf seine eigene Klasse hin angewendet wissen wollen.«

»Wir müssen mehr Kirchen haben!« Der Oberhofprediger hob dankend sein Glas zu dem Kommerzienrat hin, der 20 000 Mark zu diesem Zweck gezeichnet hatte. »Berlin hat viel zu wenig Kirchen. Für mich ist die Frage des vierten Standes durchaus eine religiöse Frage. Das Schlimmste ist, wenn aus unserem eigenen Lager Helfer erstehen. Jeder Zweifel am geoffenbarten Glauben müßte mindestens in Rücksicht auf den gefährdeten Staat erstickt werden.« Er schwieg plötzlich. Es passierte ihm selten, daß ihm ein unbedachtes Wort entging.

»Die Zeit der Ideale ist vorbei!« Herr von Odebrecht sah plötzlich zu Amey hinüber, als hätte sie ihn gestellt.

»Wenn es nun vielleicht so wäre, daß nur die alten Ideale vor dem Bankerott stünden«, sagte Amey zögernd.

Herr von Odebrecht schob die Schultern hin und her. »Neue Ideale! Baronesse haben durchaus recht. Es mag sein, daß die Arbeiterführer früher für Ideen lebten. Später kauften sie sich Villen in der Schweiz. Es ist wohl möglich, daß sie dort noch weiter über Ideale für andre Leute nachdenken.«

»Wer jahrelang nur einen Gedanken hat, nämlich wie er seine Taschen füllen könnte, der geht nicht plötzlich in den Tasso oder hört Bach, wenn sie voll sind.« Der Kommerzienrat betonte. In seinen Augen, die etwas Dunstiges hatten, erschienen kleine rote Punkte. Er sah breit aufgeschlagen zu Amey hinüber.

»Daß er es wagt«, dachte Amey. »Daß dieser es wagt!« Ihre Augen streiften die Finger, die auf dem Tischtuch harkten. »Hilft mir niemand?« dachte Amey.

»Es geht wie mit dem Opiumrauchen«, fuhr der Kommerzienrat fort, immer noch den breit aufgeschlagenen Blick über Amey. »Das Anhäufen an sich macht zuviel Spaß. Wer es einmal probierte, läßt es nicht wieder!«

Die andern schwiegen. »Wohlan!« dachte Amey. »Wohlan!« Irgendein alter Hellberg stand neben ihr und legte ihr den Pfeil auf den Bogen. »Ich kann das nicht beurteilen«, sagte Amey. Sie sah dem Kommerzienrat kühn und ruhig in die Augen, als sollte sie ihn mitten auf die Stirn treffen. »Unsern Familien fehlen solche Erfahrungen!« Sie wußte nicht, ob ihr Pfeil getroffen hatte. Nur daß sie gewagt hatte, ihn abzuschießen! Es kam Befreitsein über sie. Glaube.

»Wenn nun aber ein armer Mensch wirklich einmal genug hätte?!« Ihre Stimme beschwor jetzt. Ihre Augen flogen den Tisch entlang. Sie durften sich ja nicht bei dem alten Superintendenten beruhigen. Ihre Kaste, ihre eigene Kaste mußte sie errufen! »Wenn sie nun überhaupt nicht mehr über Geld denken müßten! Kämen dann nicht die Ideale? – Vielleicht nicht Kultur in dem Sinne, wie wir . . .« Ihre Stimme flatterte. »Aber bei unsern Bauern, da ist doch auch Kultur: die schönen, alten handgearbeiteten Möbel, die Trachten, die Lieder, die Sagen, die Volksbräuche, die Spinnstuben, all das . . .« Sie sah sich um. Ihre Stimme brach. Sie war wie ein Kind, das sich zu weit auf die Straße wagte und sich plötzlich fremd sieht und sich entsetzt.

Aber dessen hätte es doch nicht bedurft! Nein, dieses leichte Beben war doch wohl nicht notwendig gewesen? Man hatte sich ja nur fassen müssen . . . Die Schultern von Herrn von Odebrecht bewegten sich nicht mehr ziellos. Gerade wie ein Speer hielt sich der schmale Oberkörper. Und jeder konnte sehen, daß er sich neben Amey so aufgereckt hielt. Blut trat zu Blut. Man selber durfte ja vielleicht anderer Meinung sein. Aber . . .

Das arme zitternde Fräulein Fink benutzte diesen Moment, die Tafel aufzuheben. Der Kammerherr ging gemessen und zugleich beschleunigt zu Amey. Als er sich vor ihr verneigte und ihre Hand küßte, sah es aus, als senke er einen Degen vor ihr. – Die andern kamen gleichfalls in einer betonten Form. »Vielleicht haben Baronesse eine zu günstige Auffassung der Sachlage,« Herr von Odebrecht lächelte verbindlich, »aber wer ließe sich nicht gern belehren, besonders . . .« Sein Blick allein redete weiter. Amey lächelte zärtlich. Sie sah durch seine Schleier. Sie ließ sich von Frau von Wickede umarmen. Die Generalin versprach ihr Statistiken über Trunkenbolde. Ninon von Lenclos drückte ihr eine Maréchal-Niel-Rose in die Hand. Amey streichelte das so sehr unschöne Gesicht. »Wie gut, daß sie diese Rose nicht länger tragen kann«, dachte sie dabei plötzlich. »Wie schrecklich aufreizend sie ist neben ihrem Haar!« Sie war voll Dank gegen alle. – Den Kommerzienrat, in dessen Augen die leichten roten Pünktchen schwer und dunkel geworden waren, konnte sie nicht sehen. Wie ein Kätzchen in der Sonne wärmte sie sich im Schutz dieser Menschen, an ihrer Liebe und ihren Huldigungen. Daß ihre Augen ein wenig lebendig und selig wurden, ahnte sie nicht. »Wie kann man leben, ohne geliebt zu werden!« dachte Amey.

Aber plötzlich, wie sie das Eßzimmer verließen, fiel ihr Blick auf die leeren Stühle, die um den Tisch herumstanden. Alle diese gleichartigen physiognomielosen Eßstühle sah sie. Unvollkommene Nachbilder einer alten und einmal reich entfalteten Form, von der Maschine nach langem Schlaf in tausendfältiges gleichförmiges Leben zurückgezwungen. Und plötzlich überfiel es Amey: Niemand war auf ihr Bitten und Flehen eingegangen. Niemand hatte sich die Mühe genommen, ihren Gedankengängen zu folgen. Man hatte sie getröstet und geliebt wie ein verwöhntes und weinendes Kind. Niemand von ihren Leuten nahm sie ernst, sobald es sich um ihren eigenen tiefsten Ernst handelte. – – – – – –

 

Amey ging in ihr Zimmer. Sie fröstelte und zugleich jagte ihr Puls.

Sie war plötzlich wieder auf der Friedrichstraße. Sie sah das kleine hilflose Ding diesen raffenden Händen preisgegeben. Sie hatte ihr nicht beigestanden in ihrer Not! Sie preßte die Hände vor das Gesicht. Sie weinte. –

Als sie sich beruhigte, fiel ihr Auge auf einen Brief. Er zeigte die hohe spitze und eigensinnige Kinderschrift Lydias.

Amey erschrak. Sie sah Thomas Vernow vor sich knien. Aber zugleich fühlte sie, wie sein Blut durch ihr Kleid sich zu ihren Knien brannte. – Ein Zittern überlief sie. War etwas geschehen? Aber plötzlich wurde ihr gespannter Ausdruck beruhigt. Stand sie nicht in der Sonne? Sie strömte über, von Sonne erfüllt: die Zerrissenheit seiner Seele hatte er in die Falten ihres Kleides geweint. Unter ihrer Hand war er zum Frieden gekommen. Was wäre geschehen, womit sie Lydias Vertrauen angetastet hätte?

Eine Falte bildete sich schnell und senkrecht über ihrer Nasenwurzel: Doktor Vernow und Lydia? – Sie zog die Schultern zusammen. Sie saugte die Lippen ein, und ihre Mundwinkel zogen sich herunter, als hätte sie in eine schleimige und widerliche Frucht gebissen. – »Gleichviel«, dachte sie plötzlich entschlossen. »Mein Versprechen muß ich erfüllen. Die Entscheidung steht bei ihm!« – Sie lächelte zärtlich, als wäre keine Entscheidung zu befürchten. Der Gedanke, daß sie selbst damit zusammenhängen könne, kam ihr nicht. Sie nahm den Siebenten Ring von Stephan George vom Tische. Dante und das Zeitgedicht hatte sie aufgeschlagen:

»Ich nahm aus meinem herd ein scheit und blies –
So ward die hölle! doch des vollen feuers
Bedurft ich zur bestrahlung höchster liebe
Und zur verkündigung von sonn und stern.«

Amey war in den strengen Rhythmus dieses Tempels eingegangen, der die Quelle umschloß, schön und gebändigt wie ein Geschmeide. Den Tag und die Zeit spülte Amey von ihren Gliedern in dieser belichteten Quelle, im Ring der Säulen, und über ihr wachten Sonne und Sterne und das letzte Ausmaß der Liebe.

Amey wußte nicht, wie lange sie gelesen hatte. Als sie aufstand, hatte sie noch den Blick der Ferne in den Augen und die Gebundenheit der Glieder, wenn Träume uns segneten. Sie ging hin und wieder zwischen ihrem kleinen Salon und dem Schlafzimmer und fing an, sich zu entkleiden, ein wenig langsam. Zum erstenmal in ihrem Leben reiste sie ohne Zofe, half sich allein, lernte Dinge, die andern Natur wurden. Ihre Toilette machte ihr kaum noch Mühe. Nur das Haar. Dieses ungebändigte Haar von der Farbe der rostbraunen Waldwege. Diese weichen Massen, die gelöst wie ein Mantel ihre Hüften umschatteten. – Aber wie sie vor dem hohen Spiegel dieses Haar aus der Gefangenschaft befreite, schreckte sie plötzlich zusammen. Sie ließ Kämme und Nadeln fallen, sprang mit einem Satz zur Tür und verriegelte sie. Sie lauschte. Aber sie hörte nur das Sieden ihres Blutes. Auf dem Korridor rührte sich nichts. »Was war das?« dachte Amey. Eine Nacht fiel ihr ein. Jahre lagen zwischen ihr und heute. Im Westflügel der Burg sollten die Stofftapeten nachgesehen werden. Auch Ameys und Onkel Rhabans Schlafzimmer würde in Frage kommen. Sie hatte für die Zeit ihrer Entheimatung sich eines der Fremdenzimmer ausgesucht. Es hatte den Blick auf die Ruine. In den Fliederbüschen davor nisteten unzählige Nachtigallen, den Eulen und Krähen zum Trotz. Es hieß, ein unterirdischer Gang führe von der Ruine zu diesem Flügel des Schlosses. Ehe er erbaut wurde, hatte auf diesem Terrain eine Kapelle gestanden, die demselben Brande zum Opfer gefallen war wie die wirkliche alte Burg. Man sagte, daß der Gang unterhalb dieses Zimmers gemündet habe.

Es war ein wenig schwer und pomphaft im Geschmack Louis XIV. ausgestattet. Gäste liebten es nicht. Onkel Rhaban hatte für diese Zeit sein Schlafzimmer daneben gelegt.

Die Nacht – die einzige schwüle Nacht in diesem Zimmer, als die Frösche mit schmerzhafter Inbrunst konzertierten, stand vor Amey. Als sie aus bleischwerem Schlaf plötzlich in die Höhe fuhr, aus dem Bett sprang und sich in einem ungeheuren Entsetzen mit dem ganzen Körper gegen Onkel Rhabans Tür warf.

Onkel Rhaban mußte Amey übrigens erwartet haben. Als sie, ohne zu rufen, sich zu seiner Tür warf, öffnete er bereits. Er stand da, vollkommen angekleidet. Kerzen brannten auf dem Tisch und an den Wänden. Früchte waren bereit in einem silbernen Korbe, Konfekt und alte Kristallgläser und dunkler roter Wein. Onkel Rhaban stand mit einem weiten krokusblauen Schal in den Händen, als habe er alle die Stunden nur darauf gewartet, Amey in diesen Schal hineinzuhüllen. Über diesem Empfangenwerden war es Amey gar nicht zum Bewußtsein gekommen, daß sie in der Nacht und kaum bekleidet in eines Mannes Schlafzimmer verweilte. Und wäre der Gedanke in ihr Bewußtsein gestiegen: Oh, – Onkel Rhaban! – Nur dieses war sonderbar: während sie plauderte und von den Früchten nahm und wie verdurstet von dem Wein trank, war immerfort der Name von Yolanthe Hellberg auf dem Grund ihrer Gedanken. Hing es mit dem krokusblauen Schal zusammen, der sie über ihrem dünnen Nachtkleid wärmte? Was hatte sie so entsetzt, daß sie darüber ihre Lippe zerbiß? Hatte jemand sie berührt, als sie schlief? –

Als Amey ihr Blut in den Ohren sieden hörte und in ihrem Berliner Pensionszimmer den Riegel vor die Tür jagte, empfand sie wieder die Schwüle jener Nacht und die schmerzhafte Inbrunst der Frösche vom See her unter dem Totentempel der Hellbergs. Gab es dennoch eine unbekannte Pforte? Irgendeine kleine Lücke in der Mauer? Hinüber und zurück von jenem geheimnisvollen au delà? –

Aber während Amey noch wartete, hatte sie plötzlich die Empfindung: nicht gelebte Zeiten standen um sie her: Ein Diesseitiges berührte sie! – Sie drückte auf den Knopf der elektrischen Leitung und verlöschte das Licht. Mit derselben hastigen Gebärde raffte sie ihr Haar über der Brust zusammen. Der Mond drang durch den oberen Spalt ihrer Vorhänge. Er war eirund und seltsam schwer.

»Habe ich jemals einen solchen Mond über der Burg gesehen?« dachte Amey. Ohne ihren Standort zu verlassen, griff sie nach dem Nachtkleid auf ihrem Bett. Nachher ging sie auf nackten Füßen, als dürfe niemand ihre Bewegungen spüren. Sie suchte. In der kleinen Schale, aus Lapislazuli, die ihr Onkel Rhaban geschenkt hatte, fand sie Nadeln. Sie stieg auf einen Stuhl, und ohne einen Blick auf die Straße zu tun, befestigte sie den krokusblauen Schal, der sie überallhin begleitete, hoch oben an den Vorhängen.

Als sie mit Onkel Rhabans Schal diesen Mond ausgesperrt hatte, wurde ihr plötzlich leicht und frei. Sie hätte singen können. Sie mußte lachen, während sie sich unbesorgt in ihrem Nachtkleid in ihr Wohnzimmer setzte in das sanfte Dunkelgold der kleinen Schirmlampe und eine Mandarine abpellte. Ariane würde sagen: »Du mußt etwas genießen, Amey!« –

Amey verzehrte ihren goldenen Apfel. Langsam. Genießerisch. Sie liebte diesen feinen und besonderen Geruch, der vor Jahrtausenden erfunden schien. Sie nahm auch ein paar Waffeln. Von der gefüllten Sorte, die ihr früher Onkel Rhaban immer mitbrachte. Fast wie in jener Nacht war es.

Sehnsucht überstürzte sie. Aber dann, während sie sich zu Bett legte, kam eine neue Erinnerung: an einen Traum. Sie war fast noch ein Kind gewesen. Onkel Rhaban stand im Harnisch, Schwert aufgerichtet vor ihrem Bett. Sie dachte nicht darüber nach, wer ihr etwas antun wollte. Sie hatte nur die Empfindung: auch jetzt stand Onkel Rhaban mit gezogenem Schwert und wachte über ihr. – Als sie, die Hände unter ihrem Genick verschlungen, einschlief, wußte sie nicht, daß während dieses Abends und der halben Nacht der rote Peter vor ihren Fenstern hin und wieder taumelte.

Unwillens war der rote Peter gekommen. Panisch gezwungen. Dem großen Urschrei folgend, der von keinen Hemmungen weiß. Wie ein Tier wild und gefährlich, wenn seine Zeit gekommen ist. Sein Blut fieberte und sein Atem keuchte. Aber es war Unschuld in ihm. Wie das Tier unschuldig ist und sich nicht weiß, wenn ein Gesetz über ihm steht. Der rote Peter wußte nicht viel von den großen Buhlerinnen der Erde. Hätte er sie gekannt – wie ebensoviel Blutsteine hätte er ihre Namen nach Amey geschleudert. Aber er war in seinem Kulturschatz nicht reicher als in seinem Beutel. »Hexe!« knirschte er. Er biß seine Zähne so fest zusammen, daß sein Zahnfleisch schmerzte. Aber er fühlte es nicht. Er mußte Amey beschimpfen. Wie an jenem Nachmittag bei der Bronklava. Stand sie – die Weiße – die Fremde nicht mitten auf dem Wege, den er gehen mußte? – Mußte. Und sei es durch Verbrechen. – Stand sie nicht auf diesem Wege wie das erste Weib der Welt mit der süßen und lockenden Frucht in der Hand? – Vielleicht bot sie nicht ihm die Frucht . . . Er lachte roh und gemartert . . . Solche feinen Damen suchten sich freilich wohl andere Liebhaber! – Er sah plötzlich das Gesicht Thomas Vernows neben Amey. Er stutzte. In seine Augen trat Blut. »Der etwa? Der Hochnäsige? Der gar nicht zu ihnen paßte?« Dann lachte er wieder in derselben Weise. – Gott bewahre. – Das mußte wohl doch noch ganz anders kommen! – Er vergaß Thomas wieder. Er sah nur Amey. Sie allein. Mitten auf seinem Wege. Mit der süßen, süßen Frucht! Wie sie ihn reizte. – Bis zum Wahnsinn. Bis zur Abtrünnigkeit.

Ein Vorübergehender sah sich um. Aufgeschreckt. Dann beschleunigte er seinen Schritt. Dies mußte ein Betrunkener sein. Oder ein Verrückter.

Aber wenn der rote Peter seine Beschimpfungen heraufgeschleudert hatte – wie Blutsteine – hoch herauf zu dem sanften und dunkeln Gold der zwei Fenster – ja – irrte es dann nicht wie eines ganz kleinen, armen und hilflosen Kindes Wimmern durch die Nacht? »Heilige!« stammelte er. Er spürte ihn wieder, diesen süßen und keuschen Geruch, der Amey umgab. Wie der Atem der Erde und der Wälder im Frühling. Den Staub unter ihren Füßen hätte er anbeten wollen, wenn sie nur die Hand erhöbe – diese schmale unwirkliche Hand, mit dem seltsamen blauen Zeichen auf der Innenfläche. – Oh – nur diese Hand hätte sie aufheben sollen und ihn reinsprechen von der Befleckung.

Der rote Peter, der den Gott von ferne ahnte und das Tier kannte von nah – er wußte vom Menschen so gut wie nichts. Er wußte auch nicht, daß es Hexen gibt, die unschuldig sind, und über die Gott selber lächeln muß, da er sie schuf zu seines Herzens Freude. –

Es war nur ein paar kurze Augenblicke später, als in dieser vornehmen und stillen Straße etwas Unerhörtes vor sich ging. Ein junger Mann kam langsam und in Gedanken von der Richtung des Wittenbergplatzes. Er sah nicht auf seinen Weg, und er bemerkte nicht, wie ein Menschenschatten mit dem Dunkel eines Portals verfloß. Er hatte nur das Haus gegenüber diesem Portal im Auge, und von diesem Haus zwei Fenster, warm und mild wie dunkler Bernstein. Er blieb stehen. Sekundenlang. Er straffte sich. Seine zusammengepreßten Lippen entließen wie ein Stöhnen einen Namen. – In diesem Augenblick geschah es. –

»Sind Sie wahnsinnig, Peter Schindler?« Thomas Vernow spürte einen wilden Schlag auf den linken Arm. Die Hand hing ihm fremd und kraftlos herunter.

Der rote Peter stand wie aus Stein gehauen. Seine Haare sträubten sich. Seine Augen traten heraus. Er sah Thomas Vernow nicht an. Er starrte auf das Straßenpflaster, kalkig vom Mondlicht. Etwas Dunkles sammelte sich und verbreiterte sich zusehends da unten um die Füße von Thomas Vernow. »Mann,« sagte Thomas Vernow zornig und mit unterdrückter Stimme, »was fällt Ihnen ein? Haben Sie mich mit Absicht in dieser Weise angefallen?« – Als er unwillkürlich heraufsah zu den zwei milden Fenstern, durchzuckte es ihn: . . . Eifersucht? . . . Seine Mundwinkel zogen sich herb herunter. – Eifersucht? Worauf? – Er sah den roten Peter wieder an. Der war komplett verrückt geworden. Er flog am ganzen Leibe. – Diese Künstlerbande! Und entsprechende Nerven! Thomas Vernow machte eine Gebärde des Widerwillens.

Im nächsten Augenblick fuhr Amey jäh aus dem Schlaf. Hatte jemand ihren Namen gerufen? – Es war eine ganz andere Empfindung als vorhin. Sie fühlte sich nicht mehr bedroht. Angerufen war sie worden. Um Hilfe.

Sie fühlte feine, kühle Schweißperlen auf ihrer Stirn. Sie lauschte. Aber niemand rief. Nur schwere Schuhe, Schuhe mit großen Nägeln beschlagen schienen die einsame Straße herunterzustürmen. – Diese schweren, stürmenden Füße ließen ein seltsames Grauen hinter sich.

Amey glitt aus ihrem Bett. Sie ging zum Fenster. Sie bog einen Spalt zwischen den Vorhängen. Aber die Straße war leer und totenstill. Sie war wie mit Kalk übergossen vom Mondlicht. Vor dem gegenüberliegenden Hausportal mitten auf dem Bürgersteig lag es wie ein kleiner dunkler Zeugfetzen. – – – – – – – – –

 


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