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Sechzehntes Kapitel

Behutsam bettet Kapitän Allan seine leichte Bürde auf das Sofa. Besorgt sieht er in das bleiche, stille Gesichtchen. Nein, es ist nichts; nur eine Ohnmacht infolge der erlittenen Aufregungen. Er kann sich jetzt nicht um Christel kümmern. Jede Sekunde ist kostbar. Hinter ihm drängen sich die Kameraden, die großkalibrigen, automatischen Pistolen schußbereit in der Hand. Ihre Kleider triefen vor Nässe. Stumm warten sie auf die Befehle ihres Führers. Mit einem Blick übersieht Kapitän Allan die Situation. In einer Ecke liegt, lang ausgestreckt, eine schwarzgekleidete, maskierte Gestalt mit zerschmettertem Schädel in einer großen Blutlache. Neben ihm hockt zusammengesunken ein athletisch gebauter Mann. Seine Augen sind geschlossen. Über seine gefesselten Hände rieselt dunkles Blut. Der dritte Unbekannte, ein kleines, kugelrundes Männchen, scheint unverletzt zu sein. Er macht verzweifelte Anstrengungen, sich von seinen Fesseln und dem Knebel im Munde zu befreien.

Der Kapitän hält ihm seine Pistole unter die Nase: »Still! … Keine Bewegung!« Vergebens! Der Mann verdoppelt seine Anstrengungen. Wenn es ihm gelingt, sich von dem Knebel zu befreien –!? Ein einziger Schrei könnte die Besatzung auf Deck warnen. Kurzentschlossen dreht Kapitän Allan den Kolben seiner Waffe um. Mit dumpfem Krach saust der schwere Schaft auf den ungeschützten Schädel des Dicken. Lautlos knickt der Mann zusammen. Der Kapitän fängt ihn auf, läßt ihn sacht zu Boden gleiten. Jedes größere Geräusch kann sie verraten.

»Billy«, er winkt einen Mann heran, »du bleibst hier … alle andern mir nach!«

Geräuschlos wie Katzen schleichen sie an Deck. Stockdunkel ist es hier. Die Banditen haben die Notbeleuchtung ausgeschaltet, um den Feinden ein sicheres Zielen zu erschweren. Wie dunkle Silhouetten hocken die Piraten hinter den Sandsäcken an der Reling. Schuß auf Schuß saust nach den Klippen hinüber. Noch haben sie keine Ahnung, welche Gefahr in ihrem Rücken droht. Schnell läßt Kapitän Allan seine Leute in Deckung gehen, dann reißt er seine Leuchtpistole aus dem Gürtel. Eine glühend rote Kugel flammt am dunklen, nächtlichen Himmel auf. Drüben, hinter den Klippen, haben sie das Signal gesehen. Zwei grelle, weiße Finger tasten über das Wasser, bleiben an dem weißen Leib der Jacht hängen, tauchen das Deck in fahles, bleiches Licht.

»Hände hoch! … Waffen nieder! … Ihr seid umzingelt!« brüllt Kapitän Allan über das Deck.

Überrascht drehen sich die Piraten um. Revolverläufe starren ihnen entgegen. Keiner der Banditen hebt seine Waffe. Hier ist nichts mehr zu machen; jeder Widerstand wäre Selbstmord. Zögernd lassen sie ihre Gewehre zu Boden gleiten, heben die Hände hoch. Einer nach dem andern wird gefesselt und nach dem Mannschaftsraum gebracht.

Wieder fährt ein glühender Kometenschweif in den dunklen Nachthimmel, zerplatzt mit dumpfem Knall als leuchtende, grüne Kugel. Das ist das Zeichen, daß die »Stella« in den Händen der Angreifer ist. Ein donnerndes Hurra braust von den Klippen herüber. Dann schießt hinter den Felsen ein großes, dicht besetztes Motorboot hervor, nimmt Kurs auf die Jacht. Ganz vorn im Boot steht eine kleine, dunkle Frau. –


Kapitän Allan wartet nicht, bis das Boot am Fallreep anlegt. Die Unruhe treibt ihn in den Salon zurück. Noch immer liegt Christel in tiefer Ohnmacht. Der Dicke ist wieder aufgewacht. Unruhig, mit besorgtem Gesicht, blickt er dem Eintretenden entgegen. Der Kapitän achtet seiner nicht. Er nimmt das bewußtlose Mädchen auf seine Arme, trägt es fort aus der Nähe des Toten in die nächste Kajüte. Als er den Gang entlanggeht, hört er über sich ein Laufen und Trampeln von vielen Füßen. Das Boot hat die Jacht erreicht, die Besatzung klettert an Deck. Sanft legt er das Mädchen auf das Bett nieder und blickt sich suchend um. Wasser! Auf dem Nachttisch steht ein Glas und eine Karaffe. Während er etwas Wasser in das Glas füllt, fällt sein Blick auf das Bild, das auf dem Tischchen steht. Ist das die kleine Christel? Nein, reifer und älter schaut ihn das Gesicht an; das muß ihre Mutter sein. Diese Ähnlichkeit!

Ein leichtes Geräusch an der Tür läßt ihn aufschauen. Ein angstvoller Ruf: »Christel!« Wie der Wind huscht die kleine braune Frau durch den Raum, umschlingt zärtlich die blasse, wie leblos daliegende Gestalt: »Christel, was ist dir denn? … So rede doch!«

Beruhigend legt Kapitän Allan seine Hand auf ihre Schulter: »Es ist nur eine kleine Ohnmacht, Fräulein Marion, das geht schnell vorüber. Sie können unbesorgt sein. Hier haben Sie Wasser; sorgen Sie für die Kleine, ich muß zurück zum Salon!«

Als er in den Gang tritt, prallt er mit einem älteren, breitschultrigen Manne zusammen, so daß er gegen die Wand taumelt. Ohne sich zu entschuldigen, läuft der Mann weiter. Kapitän Allan sagt nichts. Er hat ein stilles, vergnügtes Lächeln um seinen Mund, als er weitergeht. Er kann die Eile des andern gut verstehen. –

Den Salon findet er voll Menschen. Dr. Burges, der Schiffsarzt der »Minnesota«, ist eben dabei, den Schwerverletzten zu verbinden, der noch nicht das Bewußtsein wiedererlangt hat.

»Wie steht es mit ihm, Doktor?«

Der Angeredete blickte auf: »Die Wunde sieht gutartig aus. Ich denke, in sechs Wochen haben wir ihn so weit, daß er auf den elektrischen Stuhl geschnallt werden kann. Ist ein kräftiger Bursche, scheint der Anführer der Bande gewesen sein. Der andere«, er weist auf den Maskierten, »ist uns durch die Lappen gegangen. Schädelbruch! … tot! So«, er winkt zwei Leute heran, »jetzt faßt mal an und tragt ihn in die Kapitänskajüte! Bewachen brauchen wir ihn nicht, er läuft nicht weg.«

Dr. Burges klappt seine Verbandtasche zusammen. »Das war der einzige Blessierte bei dem Kampf«, sagt er. »Hätte nicht gedacht, daß das so reibungslos abgehen würde.« Sinnend blickt er auf den Toten. »Ich bin ja nicht neugierig, aber wissen möchte ich doch, warum der Kerl sein Gesicht hinter der Maske versteckt hat. Kommen Sie, Käpt'n, wir wollen mal den Mann umdrehen und sein Inkognito lüften!« Mit einem raschen Griff reißt er dem Toten die Seidenmaske vom Gesicht. Verblüfft starrt Kapitän Allan in die verzerrten Züge: »Beim Himmel! … Das ist doch Mister Walker!«

»Was!« ruft Dr. Burges erstaunt, »Harry Walker, der Prokurist und Mitinhaber unserer Firma?«


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