Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel

»Nun, Steuermann, wieviel Knoten laufen wir?« Kapitän Peters stand auf der Brücke und beobachtete mit zusammengekniffenen Brauen den Umdrehungsanzeiger der Maschine.

Der Angeredete schob seine Mütze in das Genick und wischte sich mit dem breiten Handrücken den Schweiß von der Stirn.

»Ist ein Kreuz, Käpt'n; sind schon wieder zwei Kessel ausgefallen …, Siederohrbruch, wie üblich. Die Maschine fängt auch schon an, lahm zu werden; die Stopfbuchsen der beiden Hochdruckzylinder sind ausgeschlagen, die Packungen halten nicht mehr dicht. Ist ein Qualm und Wrasen im Maschinenraum, daß die Leute unten bald ersticken. Dazu die Hitze! Augenblicklich haben wir sechs Atmosphären in den Kesseln, das reicht zu sieben Knoten Fahrt. Mehr gibt die Maschine nicht her. In diesem Tempo kommen wir im Leben nicht nach Manila!«

Kapitän Peters brummte etwas Unverständliches in den Bart und begann, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf der Brücke auf und ab zu wandern. Vorsichtig schielte Steuermann Smith zu ihm hinüber. Er kannte den heftigen Jähzorn des starrköpfigen Alten. Wenn der erst mal in Fahrt war, dann war mit ihm nicht gut Kirschenessen, und der Alte war in Fahrt, mehr als sein Frachter. Aber was Smith zu sagen hatte, das mußte mal raus, komme, was da wolle. Es handelte sich schließlich um Gesundheit und Leben der Besatzung.

»Käpt'n«, sagte er ruhig, »wir müssen den Kurs ändern!«

Mit einem plötzlichen Ruck blieb der Alte stehen und sah seinen Steuermann mit erstaunten Augen an.

»Was haben Sie da eben gesagt, wir müssen den Kurs ändern?! Menschenskind, Smith! Sind Sie verrückt geworden?« Erbost pflanzte er sich vor dem Steuermann auf. »Bei Ihnen wackeln wohl alle Schrauben im Kopf! Wissen Sie denn, was es bedeutet, wenn ein Frachter auf hoher See seinen Kurs ändert und einen anderen Hafen anläuft? Das gibt Scherereien und Kosten, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen. Soviel Geld haben Sie noch nicht auf einem Haufen gesehen. Zwanzig Jahre fahre ich diese Route und habe noch immer Schiffe und Ladung sicher nach Manila gebracht. Und nun mit einem Male soll ich kapitulieren? Smith, kommen Sie mir nicht noch einmal mit solchen Dingen!«

Der alte Steuermann wiegte bedächtig den weißen Kopf. »Soll schon wahr sein, Käpt'n. Zwanzig Jahre haben wir den Kasten gefahren und sind immer glücklich angekommen. Aber das wollen wir nicht vergessen: Da war die ›Arkansas‹ auch noch ein tüchtiger Frachter, tipptopp in Ordnung … und jetzt? Seit Jahren hat die Reederei nicht die notwendigsten Reparaturen machen lassen. Heute ist die ›Arkansas‹ reif zum Abwracken. Eine Sünde, das Schiff in diesem Zustand auf die Reise zu schicken! Es ist nicht unsere Schuld, wenn wir aus Gründen der Sicherheit und der Vernunft die Fahrt unterbrechen und den nächsten Hafen anlaufen. Sie wissen ja selbst: Den dritten Teil des Weges haben wir erst zurückgelegt, Proviant, Wasser und Kohlen sind aber schon zur Hälfte verbraucht. Es reicht nicht mehr nach Manila.«

»Quatsch!« knurrte der Alte, »wir müssen nach Manila. Drüben warten sie auf unsere Ladung. 2000 Flaschen Helium! Kosten ein Riesenvermögen. Ist wohl das teuerste Gut, das ich jemals rübergebracht habe. Wundert mich eigentlich, daß sie das dem alten Kasten anvertraut haben. Kapitän Allan von der neuen, großen ›Minnesota‹ hat Augen gemacht, als wir die Flaschen in Frisko an Bord nahmen. Er selbst hat zum größten Teil Kohlensäure geladen. Er ist acht Tage später abgefahren; wird uns bald eingeholt haben. Kein Wunder! Die ›Minnesota‹ läuft 14 Knoten. Die ist bestimmt drei Tage früher in Manila als wir …«

»… wenn wir überhaupt hinkommen!« setzte Smith hinzu. »Nein, Käpt'n, wir dürfen nicht, aus ehrgeizigen Gründen Schiff, Ladung und das Leben der Besatzung aufs Spiel setzen. Gerade weil unsere Ladung so wertvoll ist, müssen wir jeder Gefahr aus dem Wege gehen. Ein einfaches Rechenexempel beweist uns, daß Manila bereits außerhalb unserer Reichweite liegt. Was wollen Sie machen, wenn unsere Bunker leer sind? Wollen Sie das Schiff abbergen lassen? Das bedeutet für die Firma eine Katastrophe.«

»Smith«, beharrte der Alte starrsinnig, »wir kommen nach Manila, und wenn ich ein Segel am Schornstein hissen sollte …; und nun bleiben Sie mir mit Ihren Ratschlägen gefälligst vom Halse! Ich weiß, was ich tue. Der Kurs bleibt bestehen!«

»Gut, Käpt'n! Sie haben hier zu befehlen; aber Sie haben auch die Verantwortung … vergessen Sie das nicht!«

Nun wurde der Alte wild. »Wenn Sie durchaus den Kurs ändern wollen, Smith, dann tun Sie es allein! Aber sagen Sie mir vorher Bescheid, damit ich die Maschine anhalten kann; es täte mir leid, wenn Sie mir in die Schraube geraten … Was ist Ihnen denn heute überhaupt in die Krone gefahren, daß Sie mir dauernd dazwischenreden? Ist doch sonst nicht Ihre Art.«

Der Steuermann antwortete nicht. Er hatte sein Fernglas an die Augen genommen und betrachtete interessiert den leuchtenden, weißen Punkt, den er eben am fernen Horizont entdeckt hatte.

Mißtrauisch blickte Kapitän Peters in dieselbe Richtung. Ein spöttisches Lächeln umspielte seinen Mund, als er den weißen Punkt gewahrte. »Ihr ›Fliegender Holländer‹ ist wieder da. Der hat Ihnen wohl den Kopf verdreht?«

Kopfschüttelnd setzte Steuermann Smith das Glas ab. »Möchte bloß wissen, was der von uns will! Seit acht Tagen bleibt der Kahn in unserer Nähe, und pünktlich jeden Mittag erscheint er in Sichtweite, als ob er sich davon überzeugen wolle, daß wir noch da sind. Der Kerl fällt mir bald auf die Nerven!«

»Sie mir nicht minder! Der Kahn interessiert mich nicht im geringsten. Im übrigen werde ich die Angelegenheit, ob wir den Kurs ändern und Hawai anlaufen, von der Reederei entscheiden lassen. Haben sie sich durch ihre Schlamperei die Suppe eingebrockt, sollen sie sie auch auslöffeln. Setzen Sie das Funktelegramm auf, ich erwarte umgehend Bescheid!«

»Jawohl, Käpt'n.« Erleichtert sah der alte Steuermann seinem Kapitän nach, wie er mit schweren Schritten die Treppe zur Kajüte hinunterkletterte und hinter der Tür verschwand.

»Ja, ja, Hein«, dachte er bei sich, »mit dem Kopf kannst du nicht durch die Wand. Wenn der alte John sagt: ›Wir kommen nicht nach Manila‹, dann stimmt es schon.« Er winkte einen Matrosen heran, der eben aus dem Logis heraufkam: »Übernimm mal das Ruder! Auf den Kurs brauchst du nicht so genau zu achten …, der wird doch bald geändert«, setzte er pfiffig hinzu.

Noch einen Blick warf er auf den weißen Punkt am Horizont, der wieder kleiner geworden war, dann begab er sich eiligst in die Funkbude.


Mit hartem Knall warf Kapitän Peters die Tür der Kajüte hinter sich zu. Kein Wunder, daß er schlechte Laune hatte: Der alte Smith hatte gut reden … Kurs ändern und Hawai anlaufen …, als wenn das so einfach wäre! Unwirsch schleuderte er seine Mütze auf einen Stuhl, setzte sich an den Tisch und stützte den Kopf in beide Hände. Eine schwere Verantwortung lastete auf ihm. Er kannte die finanzielle Lage seiner Reederei. Die allgemein schlechte Wirtschaftslage war nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Drüben in Frisko rechneten sie bereits mit dem Gewinn, den die Fahrt der ›Arkansas‹ einbringen mußte.

Er malte sich die vernichtende Wirkung aus, die sein Funktelegramm drüben hervorrufen mußte … Kurs ändern und Hawai anlaufen … Das bedeutete drei bis vier Wochen Liegezeit; Reparaturkosten, eventuell Ladung löschen und mit einem fremden Dampfer nach Manila senden, denn sie brauchten drüben das Gas! Er hatte allerlei über den Ausbau des Flottenstützpunktes gehört. Ihm schwindelte, wenn er an die Unsummen dachte, die das alles kosten würde. Das konnte genügen, der schwachatmigen Firma den Todesstoß zu versetzen, und er konnte nichts dagegen tun, um das Unglück abzuwehren. Gab es denn gar keinen Ausweg mehr?

Seufzend strich er sich über die Stirn. Das war doch zum Davonlau … erschrocken zuckt er zusammen. Ein helles, silbernes Lachen unterbricht ihn; gleichzeitig fühlt er, wie sich zwei weiche, warme Arme um seinen Hals legen.

»Aber Vati!« sagt eine helle, schelmische Mädchenstimme, »oller Poseidon, was brubbelst du nur den ganzen Tag in deinen Bart? Man kann ja schon bei deinem Anblick das heilige Fracksausen bekommen. Nicht ein freundliches Wort hast du mehr für deinen Jungen übrig, und einen Kuß habe ich schon seit langem nicht mehr bekommen … aber das werden wir gleich haben, wird postwendend nachgeholt!« und schon knallte ein schallender Kuß auf seiner Wange. »So, Triton! Jetzt machst du gleich ein Hochzeitsgesicht, sonst fange ich an zu streiken, und du bekommst acht Tage nur noch Blechochse zum Frühstück. Also, nun erzähl mal deinem Jungen, welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«

Mit einem Sprung saß sie auf seinen Knien und schmiegte sich zärtlich an ihn. »Siehst du, Vati, jetzt machst du schon ein ganz anderes Gesicht. Nun laß mich nicht solange zappeln, wie einen Wurm an der Angel, sondern schieß los! Wo beißt's?«

Lachend strich der Alte seinem Töchterchen über die braunen Locken: »Ja, wenn ich dich nicht hätte, würde ich wohl bald ein alter Griesgram werden. Ist auch kein Wunder bei den ewigen Sorgen. Aber warum soll ich dich auch noch damit belasten? Du kannst mir ja doch nicht helfen, Christkindchen!«

»Sag das nicht, Vater! Wir Frauen haben manchmal recht gescheite Gedanken.«

»Ihr Frauen? Ha, ha, ha! Rechnest du dich auch schon zu den Frauen, du Kücken?«

»Aber Vati!« schmollend ließ sie die Unterlippe hängen, »ich bin doch schon achtzehn!«

»Schon achtzehn? Donnerwetter! Da muß ich wohl bald ›Sie‹ sagen?«

»Nein, Vati, das darfst du nicht, sonst werde ich höchst ulkig; aber dein Kamerad will ich sein, oder …« zögernd sah sie ihn an, »bin ich zu dumm dazu?«

Stumm drückte der Alte ihr beide Hände. »Nein, mein Junge, du bist gar nicht zu dumm; im Gegenteil, du bist für dein Alter ein recht kluges, gescheites Mädel. Ich bin stolz auf dich!«

»Au fein! Vati, nun mußt du mir auch erzählen, was dich bedrückt.«

»Na, schön. Du kennst ja den Zustand der ›Arkansas‹. Mit der Maschine ist es bald aus. Wir kommen nicht mehr nach Manila. Wir werden den Kurs ändern müssen und Hawai anlaufen. Das ist natürlich mit großen Kosten verknüpft. Außerdem können wir wochenlang im Hafen liegenbleiben, wenn sich umfangreiche Reparaturen herausstellen. Schlimmstenfalls müssen wir sogar die Fracht auf einen fremden Dampfer umladen und nach Manila schicken. Die Reederei hat sowieso schon mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Es ist sehr fraglich, ob sie diese Belastung ertragen kann. Auf mir ruht nun die ganze Verantwortung. Von meinen Entschlüssen hängt das Wohl und Wehe der ganzen Firma ab. Ich weiß noch nicht mal, wie weit wir versichert sind! Es ist in letzter Zeit an allen Ecken und Enden gespart werden.«

»Oh, das ist aber sehr schlimm!« Betrübt schüttelte Christel den Kopf. »Armer Vati! Jetzt verstehe ich dich. Gibt es denn gar keinen Ausweg? Können wir uns nicht nach Manila schleppen lassen, oder …« sie zögerte, »ist das auch zu teuer?«

»Nein, Kind. Wenn wir erst soweit sind, daß wir nicht mehr mit eigener Kraft vorwärts kommen, dann gelten wir als ›in Seenot‹ befindlich, und die Reederei, deren Schiff uns birgt, kann unter Umständen ein Bergegeld verlangen, das die Hälfte des Wertes von Schiff und Ladung beträgt. Das ist natürlich untragbar.«

»Muß es denn ein besonders gebauter Schlepper sein, oder kann auch jeder andere Dampfer die Schlepparbeit übernehmen?«

»Das kann natürlich jeder größere Dampfer, der stark genug ist, machen; aber …« wie eine Erleuchtung kam es plötzlich über ihn … »Donnerwetter! Daß ich daran nicht gedacht habe …!«

»Siehst du, Vati«, rief Christel jubelnd, »jetzt haben wir eben denselben Gedanken gehabt!« Sie wurde ganz rot vor Eifer. »Kapitän Allan muß uns helfen. Unser Schwesterschiff ›Minnesota‹ wird uns bald eingeholt haben. Dann nehmen sie uns in's Schlepptau, und wir werden ohne einen Dollar Kosten nach Manila gebracht. Nun sag selbst: Wie hab' ich das gemacht?«

»Ganz groß!« schmunzelte der Alte. »Vor ›euch Frauen‹ werde ich noch mal Respekt bekommen. Du hast Köpfchen, mein Kind; schade, daß du kein Junge geworden bist!«

»Da hast du wirklich recht«, seufzte Christel kläglich, »zu einer Hausfrau tauge ich bestimmt nicht.« Argwöhnisch schnupperte ihr Näslein in der Luft herum: »Riechst du gar nichts, Vater?«

»Nein«, log er, indem er Mühe hatte, sich das Lachen zu verbeißen.

Mißtrauisch sah sie ihn von der Seite an: »Bist doch ein feiner Kerl, Vati. Ein anderer Mann hätte schon längst ›zetermordio!‹ geschrien. Nun muß ich aber sehen, daß ich noch ein Stück von der Hammelkeule retten kann.« Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte sie die Treppe zur Kombüse hinunter, der bereits ein leichter, bläulicher Bratenduft entquoll.

Lachend sah Kapitän Peters seinem Töchterchen nach, das in eiligem Tempo dahinsauste, daß die Röcke flogen und die braunen, windzerzausten Locken einen tollen Tanz aufführten. – Ja, seine Christel, sein Junge, das war ein Prachtkerl, wie es keinen zweiten gab. – Schmunzelnd stülpte er sich seine Mütze wieder auf, kletterte die Stiegen empor und verschwand in der Funkbude.


 << zurück weiter >>