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Die Presse als Kupplerin

So hoch das Freimädchen moralisch über dem Mitarbeiter des volkswirtschaftlichen Teiles steht, so hoch steht die Gelegenheitsmacherin über dem Herausgeber. Sie hat nie gleich diesem vorgeschützt, die Ideale hochzuhalten, aber der von der geistigen Prostitution seiner Angestellten lebende Meinungsvermittler pfuscht oft genug der Kupplerin auf ihrem eigensten Gebiet ins Handwerk. Nicht in puritanischem Entsetzen habe ich hin und wieder auf die Sexualinserate der Wiener Tagespresse hingewiesen. Unsittlich sind sie bloß im Zusammenhang mit der vorgeblich ethischen Mission der Presse, geradeso wie Inserate einer Sittlichkeitsliga in Blättern, die für die Sexualfreiheit kämpfen, im höchsten Grade anstößig wären. Und wie die moralische Anwandlung einer Kupplerin auch nicht an und für sich, sondern nur im Zusammenhang mit ihrer Mission unsittlich ist. Sittlich in diesem Sinne ist es, die Kupplerinnen gegen die ihnen erwachsende Schmutzkonkurrenz der Zeitungsverleger, die das Handwerk unter viel geringeren Gefahren treiben, zu schützen. Der Staat, der Liebespaare aus einem Absteigquartier treibt, schützt nicht die öffentliche Sittlichkeit, sondern die Ethik der Kupplerinnen als Rechtsgut. Daß aber in einem Hause, dessen Vordertrakt Zwecken der Volksbildung geweiht ist, hinten aus der Vermittlung von Rendezvous materieller Vorteil gezogen wird, dünkt ihn natürlicher und sittlicher als die ausschließliche Bestimmung zum Freudenhause. Elende Witwen, die vom Vermieten leben, und der »Sturmfreiheit« eine Gasse bahnen, werden vors Tribunal geschleppt. Zeitungseigentümer, die ihre Administrationen zur Abwicklung des regsten Geschlechtsverkehrs in allen seinen Arten beistellen, bleiben unbehelligt. Die ›Neue Freie Presse‹ dient einem »Jupiter«, der »Leda mit Vermögen sucht« und Anträge unter »Sacher-Masoch« erbittet, einem »Severin«, der unter der gleichen Chiffre seine »Wanda« sucht, einem »Gleichgestimmten«, der nach einer »dame sévère et impérieuse« schreit wie der Hirsch nach der Quelle, und einem jungen Mann, der »als Gesellschafter bei distinguiertem Herrn« unterzukommen sucht und dem man unter »Hors de nature« an das Ankündigungsbureau des Blattes schreiben möge. Viel anständiger ist das ›Neue Wiener Tagblatt‹. Es konkurriert nicht mit den Kupplerinnen, sondern stellt ihnen seine Publizität zur Verfügung und empfiehlt selbstlos eine »Frau S. 60425«, die »diskreteste, reellste, geschickteste Vermittlung für feinere Kreise« verheißt. Gewiß geht's in ihrer »Lasterhöhle« – so lautet ja der Terminus moralisch entrüsteter Gerichtssaalredakteure – natürlicher zu als in der Fichtegasse, wo eine »strenge« Masseuse ihres Amtes waltet, une dame sévère et imperieuse. Aber der Staatsanwalt ist ein Masochist, der sich von ihr alles bieten läßt.


Im Ernst, ich halte die Veröffentlichung von Sexualannoncen für die weitaus verdienstvollste aller Tendenzen, die die liberale Presse verfolgt; und nur weil sie nicht selbst dieser Ansicht ist und die Unmoral schmäht, von der sie Zinsen nimmt, habe ich manchmal den Charakter ihres Inseratenteils enthüllt. Nicht die Verdrängung der Masseusen, sondern die reinliche Scheidung des Liebesmarktes von korrupten Redaktionen lag mir am Herzen. Kein wahrer Kenner meiner Lebensanschauung kann glauben, daß ich eine junge, sympathische Masseuse nicht für kulturfördernder halte als einen alten unsympathischen Schmock, und die Körperpflege, wie sie auf der letzten Seite der ›Neuen Freien Presse‹ betrieben wird, nicht für anregender als die Pflege des Geistes, die weiter vorn betrieben wird. Die Hurerei prostituiert sich heute durch eine Verbindung mit dem schäbigsten Journalismus, und wie es peinlich ist, die berühmtesten Vertreter der Wissenschaft als Mitarbeiter der ›Neuen Freien Presse‹ im Vorspann finanzieller und geistiger Lumperei sich drängen zu sehen, so ist es beschämend, im Nachtrab einer kompromittierenden Philistermoral einen Troß von ehrlichen Sexualkunden zu finden.


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