Karl Kraus
Glossen bis 1914
Karl Kraus

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Das Gfrett mit den Dienstboten

Die »Gesellschaft zur Förderung des nationalen Friedens in Österreich« will sich

unter anderen der folgenden Mittel bedienen:

Die Geselligkeit

Das Reisen

Die Kunst ... im Dienste der nationalen Annäherung

... Dies sind einige von den vielen Mitteln, die uns zunächst und in erster Linie geeignet erscheinen, die nationalen Gegensätze zu mildern und ausgleichen zu helfen.

Last, not least die Kunst ... Ich habe einen Freund, der sich ein Magenleiden zuzog, als er die Affiche las: »Die Kunst im Dienste des Kaufmanns«. Er dürfte sich nicht erholen, wenn er erfährt, daß die Kunst jetzt im Dienste der nationalen Annäherung steht und nicht etwa den Hausknecht abgeben soll, der die streitenden Herren Huber und Hawelka hinauswirft, sondern die Gouvernante, die sie versöhnt. Auch eine Viechsarbeit. Die Kunst ist unter allen Umständen der Dienstbote des Bürgers. Wenn die Herrschaft Geselligkeit pflegt oder auf Reisen geht, dann hat der Dienstbot noch immer nicht Ruh, sondern da geht's erst an: Melpomene, schaun S' auf den nationalen Frieden, Thalia, führen S' den Sprachenstreit äußerln. Die Polyhymnia singt den ganzen Tag in der Kuchel. Die Klio hat einen Soldaten, den sie leider dem Friedjung, einem alten Freund der Familie, vorzieht, und der Sohn des Hauses schleicht zur Terpsichore. Kurzum, was man sich mit den Schickses aussteht – nicht wissen sollen sie's, wie nötig man sie hat!

Was so das bessere Publikum spricht, wenn der sogenannte Fackelkraus vorbeigeht

[Mutwillige Alarmierung der Feuerwehr.] Erst am Montag wurde vom Bezirksgerichte Landstraße ein Bursche, der in unverantwortlicher Weise die städtische Feuerwehr alarmiert und ihr telephonisch einen fiktiven Brand gemeldet hatte, zu 24 Stunden Arrests verurteilt. Seine »Lorbeeren« ließen einen anderen »Helden« nicht schlafen, und er machte sich gestern abend den traurigen Spaß, unsere ohnehin so geplagte Feuerwehr, die namentlich vorgestern fast die ganze Nacht hindurch gearbeitet hatte, zu alarmieren. Vom Hause Markgraf Rüdigergasse 27 aus hat der Spaßvogel die Feuerwehr in Kenntnis daß im Hause Kaiserstraße Nr. 2, im Zentralpalast, ein Brand ausgebrochen sei. Der Meldung entsprechend rückte die Feuerwehr mit einem starken Aufgebot aus, um sich zu überzeugen, daß ein Lump den traurigen Mut aufgebracht hat, die Feuerwehr zu düpieren. Die Auffahrt der Löschkorps erregte großes Aufsehen. Die Nachforschungen nach dem Täter werden eifrig betrieben.

»Wissen Sie schon, wer –?« »Ob ich weiß!« »Sie wissen?« »Selbstredend weiß ich.« »Wieso wissen Sie?« »Weil man das weiß, weil er immer ernste Männer in der Erfüllung schwerer Berufspflicht stört. Erst die Presse, dann die Börse, jetzt die Feuerwehr. Kann da ein Zweifel sein? Also!« »Er hat bekanntlich zur Presse kommen wollen, hinausgeschmissen haben sie ihn.« »Dann hat er auf die Börse kommen wollen, das hätt ihm so gepaßt.« »Wahrscheinlich hat er zur Feuerwehr kommen wollen.« »Alles aus Rache.« »Nachdem er sieht, daß alles nichts nützt, wird er Ruh geben.« »Man kann sagen, was man will, eine Feder hat er –!« »Lassen Sie mich aus, Harden greift den deutschen Kaiser an, er kümmert sich um jeden Mist, uns greift er an!« »Kann er uns schaden? Den kauf ich mir für einen Fünfer! Eigentlich komisch, daß das noch keiner versucht hat?« »Warum? Ich wer' Ihnen sagen, weil ers nicht nötig hat leider. Er verdient hübsch und wird sich heißt es bald zur Ruh setzen.« »Gott sei Dank. Haben Sie das Bild in der Muskete gesehn? Glänzend! Der hats ihm gegeben!« »Dorten geht er –« »Pscht, er hört!« »Soll er! Auch wer!« »A bese Goschen!« »Ich kenn doch seinen Schwager!« (Ab.)

Von den Schwätzern

... Es ist nämlich ein Gesetz in Kraft getreten, das dem Klatsch ein Ende machen soll. Seltsamerweise hat es zunächst nicht etwa eine Angehörige des zarten Geschlechts, sondern einen Mann ereilt ... der sich in einem Wirtshausgespräch mit einer jungen Dame seiner Bekanntschaft beschäftigt hatte. Er wird in der juristischen Terminologie des » eitlen unnützen Schwatzens und Klatsches« beschuldigt ...

Aber zum Glück in Wisconsin, nicht bei uns in Wien! Der Verhaftete ist ein gewisser Peter Kesoki in Niagara und nicht etwa der Herr, der noch immer vom Donaukarpfenklub der Obergigerl ist. Die ›Frankfurter Zeitung‹ nennt es »eine wahre Hiobspost für Kaffeekränzchen und verwandte Veranstaltungen«. Aber die reine Geistigkeit und Zweckunterhaltung der Kaffeekränzchen sollte man doch nicht mehr in Verruf bringen in einer Zeit, wo die ganze Welt ein Wiener Café ist. Gar so seltsam ist es nicht, daß sogar am Niagara kein Weib, sondern ein Mann des unnützen Schwätzens überwiesen wurde. Die Weiber reden über das Wahlrecht und das hört sich, wenns auch auf dasselbe hinausläuft, beiweitem ernsthafter an als die Gespräche über den Koitus, die die Männer führen. Aber in Wisconsin kann man die Männer, die schwätzen, vielleicht noch genau so zählen wie die Männer, die stehlen. In Österreich fängt man die Diebe nicht, sonst wäre Raummangel in den Gefängnissen. Wo aber sollte man mit den Schwätzern hin? Man hat sie zur Not in den Kaffeehäusern untergebracht. Ich habe seit Jahr und Tag aus der Wiener Außenwelt nichts anderes vernommen, als daß der Mann, der eben sprach, die Frau, die eben vorbeigegangen war, schon gehabt hat, demnächst haben werde, haben könnte, wenn er wollte, daß er aber nicht will, weil sie schon ein anderer Stammgast gehabt hat, dem er aber dafür eine andere wegnehmen wolle, die es nicht länger erwarten könne und schon auf ihn spitze und die er nur anzurufen brauche und nur, weil das Telephon immer besetzt sei, noch nicht gehabt habe. Das erzählen die am Stammtisch nicht nur einander, sondern so laut, daß es die am Nebentisch hören, die auch ihrerseits aus ihrem Herzen keine Mördergrube, wohl aber ein Bordell machen. Es ist die einzige Wissenschaft, deren der Mensch von heute fähig ist, und ein Gesetz, das den Klatsch verbietet, schützt nicht nur das Rechtsgut der Ehre, sondern das Lebensgut der reinen Luft. Nicht die Beleidigung werde gestraft, sondern das Wissen und Sagen. Daneben gibt es aber auch Leute, die sich weit und breit, mit einer Stimme, die jedes Geheimnis zersägt, dadurch vernehmlich machen, daß sie auch das, was sie nicht wissen, nicht bei sich behalten können. Dieses Geheimnis, das letzte, das der keusche Mensch hat, sollte er bewahren, aber er tut es nicht. Nein, er tut es nicht; denn er weiß alles. So einer zieht sein Erlebnis aus den vielen Menschen, die er nicht gelesen, und aus den vielen Büchern, mit denen er nicht gesprochen hat. Er wurde aus Bibliotheksstaub geschaffen und Gott unterließ es, ihm den Odem einzublasen. Lebt aber ein Mensch in seiner Nähe, der Schöpferkraft hat, so zerfällt jener und wird wieder zum Staube. Aber selbst so einer findet in der Stadt, die von Gerüchten satt wird, noch Lauscher, denn erzählt er nicht von Jakob Böhme, so erzählt er doch von seinem Schuster, der die einzig echten Siebenmeilenstiefel erzeuge, mit denen man zugleich dem Papst und dem Dalai-Lama einen Besuch abstatten, der Eröffnung von Bayreuth und dem Tod Nietzsches beiwohnen könne und von der Wüste Gobi in einer schwachen Stunde beim Hayek in Mödling sei. Und wenn er diese Betrachtung liest, so wird er unfehlbar sagen, zu seiner Zeit, als er sich noch in Wisconsin aufhielt, sei das Schwätzen noch erlaubt gewesen, den Peter Kesoki, oh, den habe er sehr gut gekannt, er sei mit ihm durch den Niagara geschwommen, er sei aber besser geschwommen als der Peter Kesoki, weil er so vorsichtig gewesen sei, seine dreihundert Bibliotheksgurten umzuhängen, es sei kein Wunder, daß der Kraus jetzt den Peter Kesoki angreife, denn dieser habe einmal gesagt, daß der Kraus eitel sei, und infolge dieser ungünstigen Auskunft ist der Kraus nicht in die Neue Freie gekommen.


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