Karl Kraus
Glossen bis 1914
Karl Kraus

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Ich

muß es mit tiefem Bedauern eingestehen: Was mich gegen mich einnimmt, ist die Fähigkeit, in der papiernen Schande nicht zu ersticken, die über die Schöpfung gebreitet ist: so daß es mir gelingt sie bloßzulegen. In diesem Inferno des Tages alle eure Sünden, jede einzeln, abzubüßen, weil die Kraft größer ist als die Qual. Aber diese Qualität ist ein Wortspiel, und so werde auch ich erlöst.

Worte, nichts als Worte

... Die Wortzahl der in diesen drei Tagen vom Ischler Postamt verarbeiteten Telegramme betrug 119 800 Worte.

Das Ausschnittbureau

irrt sich oft. In Frankfurt gibt es bekanntlich ein Tratschblatt, das sich Fackel nennt. Darunter habe ich viel zu leiden. Dagegen konnte das Ausschnittbureau mit Recht glauben, daß eine Kritik mich angehe, an deren Spitze es heißt:

Karl Krauß: Lebensbilder aus der Verbrecherwelt.

Ein sonderbares Selbstmordmotiv

»Ihr Ideal war nämlich, Schauspielerin zu werden, und zwar strebte sie gleich darnach, an das Burgtheater zu kommen. Da ihr Wunsch unerfüllbar schien, hatte für sie das Leben keinen Reiz und sie beschloß, in den Tod zu gehen.«

Daß der Wunsch unerfüllbar war, muß ihr ein Laie eingeredet haben. Der Fall ist unglaublich. Wie die Dinge heute liegen, mußte die Meldung lauten: Ihr Ideal war, Schauspielerin zu werden. Da sie aber ans Burgtheater engagiert wurde, hatte das Leben für sie keinen Reiz mehr und sie beschloß in den Tod zu gehen.

Du mußt es dreimal sagen

[Dreimaliges Blühen eines Apfelbaumes.] In dem großen Garten des »Hotel Marienhof« in Pfaffstätten an der Südbahn befindet sich ein Apfelbaum, welcher heuer schon das drittemal in Blüte steht. Von der ersten Blüte sind jetzt noch reife Äpfel zu sehen; von der zweiten sehr reichen Blüte viele kleine Äpfel und jetzt blüht der Baum zum drittenmal.

Und es nützt ihm nichts und es nützt ihm nichts. Ringsherum finden ganz andere Ereignisse Beachtung. Solche Apfelbäume sollten lieber totgeschwiegen. Ich wünsche so etwas in der Neuen Freien Presse nicht mehr zu lesen: auch wenn sie nur die Wunder eines Hoteliers preisen wollte und nicht Gottes Komfort. Aber sie tue es nicht. Nichts von Blüte in solchem Mund! Nichts von Blüte, wo nur Blätter sind! Dem Baum nützt es nicht, und wenn er viermal sagte, was man nicht hören will, und ihr glaubt man's nicht. Es ist, als ob ein Menschenfresser Tränen hätte, weil eine Schiffbrüchige in gesegneten Umständen ans Land kommt. Nein, toller: es ist, als ob die Neue Freie Presse gerührt wäre, weil ein Apfelbaum blüht!

Erklärung

Absichtlichkeit und Zudringlichkeit von Mißverständnissen, die sich um das Eindringen der Fackel in Berliner literarische Interessen gebildet haben, legen mir die Pflicht auf, das Folgende zu erklären: Das Eindringen der Fackel in Berliner literarische Interessen ist mir peinlich. Jeder Anhänger, den ich in Berlin verliere, ein Gewinn. Ich habe nie von irgend jemand Förderung, Verbreitung, Eintreten, Wohlwollen oder Begeisterung erwartet, verlangt oder auch nur – wie nachgewiesen werden kann – stillschweigend geduldet. Wer in Kneipen oder Kneipzeitungen das Gegenteil behauptet, ist ein Schmierfink, auch wenn er nicht zufällig die »fünf Frankfurter« verfaßt hat. Ich habe mit Berliner literaturpolitischen Bestrebungen, mit Futuristen, Neopathetikern, Neoklassizisten und sonstigen Inhabern von Titeln ebensowenig zu schaffen wie mit Wiener Kommerzial- und Sangräten. Ich hasse das Publikum; und ich zähle die Schmarotzer an seinen Mißverständnissen zum Publikum. Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, daß jeder Gymnasiast, dem die in unserer Zeit vorhandenen Süchte und Dränge und sonstigen ekelhaften Plurale zu einem »Niveau« verholfen haben, mehr taugt als Mörike und Eichendorff. Ich bin nicht der Meinung, daß die Meinung in der Kunst genügt, glaube, daß das bloße Rechthaben gegen den Journalismus mit ihm identisch ist, und sage, daß jeder, der ernsthaft behauptet, daß Rudolph Lothar ein Übel sei, sich einer Verdoppelung des Rudolph Lothar schuldig macht. Ich sage, daß Polemik vor jeder anderen Art von schriftlicher Äußerung durch Humor legitimiert sein muß, damit nicht die Null zum Übel werde, sondern das Übel nullifiziert sei. Polemik ist eine unbefugte Handlung, die ausnahmsweise durch Persönlichkeit zum Gebot wird. Lyrik ohne Berechtigung greift nur den Täter an; der schlechte Angriff auch alle Unbeteiligten. Ich halte Polemik, die nicht Kunst ist, für eine Angelegenheit des schlechten gesellschaftlichen Tons, die dem schlechten Objekt Sympathien wirbt. Ich halte das Manifest der Futuristen für den Protest einer rabiaten Geistesarmut, die tief unter dem Philister steht, der die Kunst mit dem Verstand beschmutzt. Ich halte das Manifest der futuristischen Frau, der ich jede perfekte Köchin vorziehe, für eine Handlung, der ein paar lustlose Rutenhiebe zu gönnen wären. Ich halte Else Lasker-Schüler für eine große Dichterin. Ich halte alles, was um sie herum neugetönt wird, für eine Frechheit. Ich achte und beklage einen Fanatismus, der nicht sieht, daß unter den Opfern, die er der Kunst bringt, diese selbst ist. Ich verfluche eine Zeit, die den Künstler nicht hört; aber sie zwingt ihn nicht, ihr das zuzuschreien, was er ihr nicht zu sagen hat. Ich weiß, daß die schonungsloseste Wahrheit über diesen Punkt noch immer so viel Ehre übrig läßt, daß das Gesindel ringsherum keinen Anlaß zur Freude haben kann. Überhaupt möchte ich jedem einzelnen in dieser Hunnenhorde, aus der kein Attila ersteht, jedem einzelnen dieser Literaturhamster, die kein Fell geben, den Rat erteilen, nichts von meiner Mißbilligung polemischer Minderwertigkeit oder lyrischen Dilettantismus auf den andern zu beziehen, sondern alles auf alle. Auch möchte ich bitten, den Verkehr mit mir in jeder Form abzubrechen und im Pendel zwischen Verehrung und Büberei es definitiv bei dieser zu belassen, aber so, daß kein Aufsehen entsteht. Man soll mir keine Drucksorten und keine Briefe schicken. Ich weiß Bescheid. Es wäre mir peinlich, wenn ich genötigt wäre, Berlins kulturelle Mission als einer straßenreinen Stadt gegen den Schönheitsdreck zu verteidigen und nachzuweisen, daß der übelste Abhub der Wiener Geistigkeit sich jetzt dort vor den Betrieb stellt. Ich bin für Asphalt und gegen Gallert. Ich bin für Berlin: nämlich für die Chauffeure und gegen die Neutöner, für das Reviersystem und gegen die Weltanschauung, für die Kellner und gegen die Gäste.


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