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Nur deswegen

Schon am dritten Tag nach Afras Beerdigung hatte der Kogler Franz seinen feierlichen Einzug als Primiziant in die Pfarrkirche nachgeholt. Es stellt aber – immer nur von ländlichen Verhältnissen gesprochen – ein solcher Einzug eines Primizianten in die Kirche naturgemäß nichts andres dar als den Höhepunkt der ganzen Empfangsfeier, die mit der Begrüßung an der Bahnstation beginnt, auf dem Weg nach dem Heimatdorf und dort erst recht immer festlicher sich entfaltet und zuletzt in der Heimatkirche, allwo der also Geehrte von der Kanzel herab seinen Volksgenossen in kurzer Ansprache dankt, ihren erhebenden Abschluß findet.

Wenn nun auch im Fall des Kogler Franz, als er vom Elternhaus zur Kirche geleitet wurde, alles aufgeboten war, was sonst solcher Einholung an äußerem Glanz zukommt: die Fahrt des Primizianten mit Vater und Pfarrherrn durch den Triumphbogen zur Kirche, die Burschenkavalkade vor und hinter dem Primiziantenwagen, zwei Kutschen voller Gemeinderäte, die Blechmusik am Weg, Böllersalven von der Höhe, das Schulkinderspalier vor der Kirche – es fehlte dem Ganzen dennoch die Ursprünglichkeit, die diesen dörflichen Prunk beseelt, wenn der Neugeweihte unmittelbar aus der Fremde in die Heimat zurückkehrt; denn mehrere Tage lang hatte ja alles bereits den Gefeierten vor Augen gehabt. Und da und dort wurde auch eine Stimme in diesem Sinne laut: »Warum denn iatz no amal an solchenen Aufmarsch? Wo der Kogler Franz ja doch scho dagwen is!«

Auch der Koglerbauer fühlte das, und seine kaum erst geschlossene Wunde brach unter der Unechtheit der Veranstaltung eher wieder auf, als daß sie sich vernarbt hätte. So geriet er aufs neue wieder in eine empfindsame Gereiztheit hinein und kam in dieser Stimmung auf den Hof zurück.

Nichts war ihm recht. Nicht im Haus, nicht im Stall, nicht auf dem Feld, nicht in der Scheune. Nichts taten ihm die Dienstboten zu Dank und alles erweckte seinen Tadel, der nicht selten in ein hemmungsloses Geschimpfe ausartete. Kam ein Bettler, wurde er weggejagt; riß sich im Stall ein Tier los – wupps, hatte der Dienstbub seine Maulschelle; fragte Knecht oder Magd um Rat oder Auftrag, erhielten sie Grobheiten als Antwort. Das gesamte Gesinde war sich einig: je näher der Sohn an der Primiz, desto heilloser auf dem Vater der Teufel.

In diesen Tagen der Koglerischen Erbitterung sollte der Franz mit seinen Primiziantenbesuchen beginnen. Es ist nämlich für jeden neugeweihten Priester eine durch Sitte und Herkommen geheiligte, übrigens auch gern geübte Pflicht, in seinem Dorf und oft weit darüber hinaus in alle Höfe, Häuser und Hütten zu gehen, den Bewohnern seinen begehrten Segen zu spenden und dafür als äußeres Zeichen ihres Dankes die Geschenke anzunehmen, die nicht überall von gutem Geschmack, immer aber von gutem Willen eingegeben sind. Weil nun der Koglerbauer in seiner ungeduldigen Eitelkeit es gar nicht erwarten kann, daß sein Sohn also segnend, ehrerbietig begrüßt und bedankt, durchs Dorf schreite, so sagt er: »I woaß nöt, was du hast: dös oane Mal z' sruah und dös ander Mal z' spat.« Und da der Sohn ihn verständnislos ansieht: »No ja, weilst halt in Ewigkeit nöt in d' Häuser kimmst mit dein Segen!«

Er wolle ohnehin morgen damit beginnen, meinte der Franz.

»Nimmer z' bald. D' Leut stecken so scho wieder dö Kops zamm. Muaß ma denn alleweil in dene Mäuler sei!«

»Laß s' doch reden, Vater! Uns tut's nicht weh, und die Dorfratschen beiderlei Geschlechts haben ihre Freud dran.«

»I dank schön; denn i kenn dö Dreckschleudern.«

»Ist nicht so gefährlich, Vater. Und wie gsagt: morgen fang ich ohnehin an.«

»Und daß du mir z' allererst zum Zwerger gehst!«

»Davon bin ich eigentlich überrascht, Vater. Ich hätt von dir eher erwartet: zum Zwerger zu allerletzt.«

»Hab meine ganz bestimmten Gründ: z' allererst mit dein Segen zum Zwerger!«

Der Sohn überlegt. »Nacher wird halt 's Gered auch wieder losgehn. Aha, werden s' sagen, sogar beim Primiziantensegen halt wieder vorndran – die Reichen.«

»I hab meine ganz bestimmten Grund, sag i. Aber freilich: du woaßt ja alls besser.« Und mit diesem Spott geht er für jetzt aus der Stube und haut die Tür zu.

Der Franz aber hub tags darauf mit seinen Segensgängen an, und der Mesner Zistel begleitete ihn dabei, wie das so Brauch ist. Muß doch jemand dabei sein, der dem jungen Priester aus der Erfahrung gereiften Alters und jahrzehntelanger Ortsansässigkeit heraus die erforderlichen Winke über wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und kirchliche Würdigkeit der zu Segnenden geben und die Geschenke tragen kann. Denn den hochwürdigen Herrn mit Heiligenstatuen, Punschservicen und Sofakissen zu belasten, ist erstens unangängig, und zweitens ist eine solche Segenstournee eine leider ohnehin nur zu seltene Gelegenheit für den Mesner, sein unzureichendes Einkommen aus dem Kirchendienst mit Hilfe der ländlichen Gebefreudigkeit zugunsten religiöser Zwecke einigermaßen aufzubessern. Daher kommt es denn, daß die Mesner allenthalben es sehr gerne sehen, wenn hoffnungsvolle Knaben auf den geistlichen Stand hinzuarbeiten beginnen, daß sie mit persönlichster Anteilnahme deren humanistische Laufbahnen verfolgen, schon frühzeitig Außenseiter und Favoriten zu erkennen vermögen, und daß bei jedem Durchfall ein Riß auch durch ihre Herzen geht.

Nun hatte aber der Mesner Zistel gegen den derzeitigen Primizianten schon von dessen improvisierter Ankunft her, die ihn, den Zistel, bei einem Haar um die allgemeine Anerkennung seiner Triumphbogentafel gebracht hätte, eine gehörige Portion Mißtrauen in sich aufgenommen. Und diese Voreingenommenheit vertiefte sich noch und gab zu wechselseitiger Verstimmung Anlaß, als Franz, entgegen den Ratschlägen des Mesners, zuvörderst bei den reichen Hofbesitzern den Rahm abzuschöpfen, seinen Segen zuerst zu den Kleinen und Mühseligen trug.

So ging er vor allen andern zur Gütlerswitwe Hundringer, die sich mit ihren sechs Kindern und drei Kühen schlecht, aber recht durchs Leben schlug, und segnete die Gütlerin und ihre sechs Spatzen mit Wort und Hand und ganzer Seele. Und als dann die Frau schüchtern und schamhaft, weil es halt schier kein Entgelt für einen Herrn aus vermöglichem Hause sei, ihren Dank mit einem Paar Socken bekräftigte, von ihr selbst für ihn aus der Wolle ihrer weißen Stallhasen gestrickt, aus daß er bei seinen künftigen Versehgängen dem strengen Winter recht begegne, da erklärte der Kogler Franz wahrheitsgemäß und wie immer seiner raschen Gemütsart untertan, daß dieses Geschenk ihn mehr erfreue als der schönste Chorrock aus einem großen Bauernhof. Und da der Mesner im Weitergehn sich beikommen ließ, das Unvermögen der Frau zu einer ansehnlicheren Gabe zu bezweifeln, so verwies ihm der Franz mit so unzweideutigen Worten seine Bedenken, daß der Mesner Zistel sie in Zukunft gern für sich behielt.

Beim Taglöhner Schorgast aber traf er es sogar noch besser. Denn hier sagte die Schorgastin beim Abschied, sie könne ihm zum Dank und Angedenken nur dieses eine geben, und langte dabei ein kleines, altes Heiligenbild von der Wand: die heilige Apollonia. Vielleicht aber, fuhr sie fort, gewinne das unscheinbare Bildl dadurch für ihn an Wert, daß es – oft und oft habe sie es schon gesagt – in wahrhaft überraschender Weise seiner, des hochwürdigen Herrn Primizianten, verstorbenen Mutter gleiche, deren Gedächtnis bei ihnen auch ohne Bild fortlebe, sei sie doch ihre und schon ihrer Eltern größte Wohltäterin gewesen. Da hielt der Primiziant lange die Hand der Armen in der seinigen und sagte überströmenden Gefühls, sie habe ihm mehr gegeben als er ihr.

Dann indes hielt er es doch für rätlich und gerecht, zwischenhinein auch die Begüterten, die Bauern und Großbauern, zu besuchen, und hier war es, wo endlich auch der Mesner auf seine Rechnung kam. Denn lohnte man den Primizianten mit Geld, fiel sowieso auch für den Mesner ein Anteil ab, und spendete man Weinservice und Waschgarnitur, Chorrock und Betstuhl, Bettzeug und Zimmerlampe, Leibwäsche und Lehnsessel, Heiligenlegende und Brevier, so sprangen bei solchem Aufwand immer auch noch für den Mesner ein paar Märklein heraus.

Dafür aber mußte es der Zistel hinwiederum auch erleben, daß bei manch einem Dürftigen der Primiziant in den Säckel mit den Bargeldspenden griff und um ein Vielfaches mehr zurückließ, als er mitnahm.

So zum Beispiel beim Sunnwend-Kaspar, einem armen Teufel, der, unablässig von Unglück im Stall betroffen, trotz unausgesetzten Gerackers und genauester Häuslichkeit auf keinen grünen Zweig kam.

Oder beim Strixen-Dori, wo er die Frau in Tränen antraf, weil das Finanzamt schrieb: Hallo, Steuerzahlen oder Gant, und kein Geld im Kasten und schier kein Vieh mehr im Stall war.

Oder gar bei dem alten Hallodri Zausinger und seiner Dulzinea, der Multerer Kathl. Doch das ist eine Sache für sich, von der nur so viel gesagt sein mag: Der Zausinger bewohnt die oberen und die Multerer Kathl die unteren Appartements eines jämmerlichen Grillenhäusels. Die Kathl, von ihrem Galan wieder einmal verprügelt, ist eben in Tränen ausgelöst, da sie den vorübergehenden Primizianten anruft und um seinen Segen bittet, und der Zausinger schläft augenblicklich einen kleineren Haarbeutel aus. Gerade solche Leute sind aber des wirksamsten Priestersegens mehr als andere bedürftig und der Primiziant versagt sich auch nicht. Ja, er hinterläßt dem Frauenzimmer zu des Mesners Schmerz sogar ein blitzblankes Fünfmarkstück und ein zweites für den Zausinger und geht wieder. In diesem Augenblick ruft und winkt der soeben erwachte Zausinger im Dachgeschoß zum Fenster hinaus: »Herr Primiziant! Herr Primiziant! I bitt um Ihren hochheiligen Segen, Herr Primiziant!« Doch schön von solchen Leuten, denkt der Primiziant und kehrt auf der Stelle wieder um und steigt die Hühnerleiter von einer Treppe zum Zausinger hinauf, der sofort auf die Knie fällt und in wahrhaft erbaulicher Zerknirschung den Segen empfängt. »Und fünf Mark«, sagt zum Schluß der junge Priester, »hab ich für Sie bereits der Katharina Multerer gegeben.« – »Jaso!« ruft da der Zausinger erfreut. »Nacher sag i halt danke schön. Aber, Herr Primiziant, wegen dem Segen allein hätten Sie Ihnen fein durchaus nicht heraufbemühen brauchen. Das tut mir jetzt wirklich leid«, und meint noch auch, wie höflich er war.

Und bei einem andern Notnickel, dem Krämer Sollzank, kam es so: Es war an jenem unseligen Vormittag, wo der Gerichtsvollzieher von Rettenbach im Vollzug eines Pfändungsauftrags des Großkaufmanns Jonas Saftgrün durchs ganze Krämerhäusel pfändbaren Dingen nachstellte und keine fand, außer schon dreimal mit seinem Insiegel gezeichnete, und darob sehr mißvergnügte, ja ingrimmige, wo nicht gar grausame Gesichtszüge annahm. In dieser bewegten Stunde nun gerade langte der Kogler Franz mit seinem Segen und dem Mesner Zistel beim Krämer Sollzank an. Der verstörte Schuldner, um möglicherweise noch aus mystischem Weg als letztem Versuch die Pfändung abzuwenden, warf sich augenblicklich auf die Knie, und auch der Gerichtsvollzieher von Rettenbach sah sich, sofern er nicht zum Schaden seines ganzen Standes für einen Türken oder gar für einen Freidenker genommen werden wollte, alsbald mit seinem ganzen Ingrimm auf die Knie gezwungen, und es bleibt nur zu bedauern, daß als dritter Pfändungsbeteiligter nicht auch der Jonas Saftgrün zugegen war. Er hätte sicherlich, soweit ich ilm kenne, sein redlich Teil dazu beigetragen, die Segensgewalt eines Neugeweihten auch seinerseits ins rechte Licht zu rücken und hätte dabei zweifellos keine schlechte Figur gemacht. Ob er aber auf seinen Anspruch verzichtet hätte? Auf jeden Fall erklärte der Gerichtsvollzieher, kaum daß der Primiziant wieder weg war: »Fahren wir nun in der Pfändung fort!«

Gleich dem Mesner Zistel konnte auch der Koglerbauer seines Primizianten nicht froh werden und ließ sich deshalb eines Tages also vernehmen: Mein Lieber, jetzt paß einmal auf, und ich sag dir nur so viel: dein ganzer Primiziantensegen schad't wahrscheinlich mehr, als er nutzt, wenn du damit nur bloß bei dö Haserer und Fretter und Abigrutschten umeinandrennst.

Ich bin aber auch zu den Gutsituierten und Vermöglichen gegangen, berichtigte der Sohn den Vater.

Wie oft denn? Kommen alleweil zuerst sechs oder sieben Fretter, bis du einen Bauern aufsuchst.

So arg wird's wohl nicht sein, Vater. Und dann bedenk doch: die Nichtbesitzenden sind eben überall in der Mehrzahl. Auf dem Land so gut wie in der Stadt.

Ich bedenk gar nichts, als daß du, selber ein Bauernsohn, die Bauern nicht zrucksetzen darfst. Das wär noch das Schöner! Gerechtigkeit muß sein! Und bei der Erteilung eines richtigen Primiziantensegens erst recht. Sonst ist drauf pfiffen.

Vater, ein solches Wort!

Mach du keine solchen Tanz, nacher braucht man keine solchen Wort! Aber sag selber: Wer zahlt denn die Lasten und Abgaben, han? Deine Fretter und Haserer oder mir Bauern?

Aber hat denn nicht unser Herr selber als Erkennungszeichen seiner göttlichen Sendung ausgegeben: das Evangelium wird den Armen verkündet?

Und d' Steuern zahlen brav die andern! Ich dank schön. Kruzitürken no amal! Ich sag dir aber das eine: einen jeden Bauern machst du dir zum Feind, wenn du dich nicht anders richtst. Denn so viel wirst ja doch als Studierter sehn: wer sonst überall vorn dran ist, der mag halt da auch nicht aus einmal zruckstehn. Oder sitzen bei dir vielleicht d'Häuselleut und d' Haserer im Bezirkstag drin und im Kreistag und Landtag und in der Bauernkammer? Han? Oder geht am Fronleichnamstag vielleicht der Zausinger hinter 'm Himmel drein? Mir langet 's ja grad und unserm Herrgott ganz sicher aa. Vielleicht, wenn's so weitergeht, kommt's noch einmal so. Aber vorläufig geht der Zausinger noch ganz hinten bei dö Bettelleut mit. Und solang ich in der Gemeinde was z' reden hab, bleibt 's auch dabei. Warum sollen nacher akkurat grad beim Primiziantensegen die Bettelleut und Fretter vorn dran sein?

Vater, du übertreibst.

Was tu i? Übertreiben tu i? I? Übertreiben? Du, gell, dös überlegst dir!

Der Sohn überlegte. Der Vater fuhr fort.

Und überhaupt. Warum tust du mir nicht den Gefallen und gehst zum Zwerger?

Kommt noch, Vater. Kommt noch.

Wenn ich dir aber doch ein übers ander Mal sag, du tust mir einen Gfallen, wenn du zum Zwerger gehst. Du gehst aber halt nicht und du gehst nicht. Ist das deine Dankbarkeit, daß ich dich hab studieren lassen? Mit solchen Unkosten! Da hat's kein Stipendi geben wie seinerzeit beim Glöckner Toni und keine Unterstützung von der Gemeinde. Da ist alles auf meine Kosten gangen. Und was hab ich für einen Dank? Nicht einmal zum Zwerger gehst du nüber!

Wirklich großartig, dieser Anspruch auf Dankbarkeit. Und schier noch großartiger die Einbildung eines solchen Vaters.

Ja meinetwegen, wenn der Vater ein armer Schneider ist, dem das lebenslange Gehock auf seiner Schneiderbrücke mit untergeschlagenen Beinen und gekrümmtem Oberkörper die Füße verkrampft und die Brust verengt hat, daß ihm der Schnaufer pfeift und der Gang watschelt. Der wenn seinem gescheiten Buben die Engbrüstigkeit und den Watschelgang ersparen will, indem er ihn an den lateinischen Futterbarn und die griechische Heuraufe hinstellt, so ist das recht und brav und über die Maßen dankenswert. Und die Mutter, die für ihren begabten Knirps das Schul- und Kostgeld auf Putz- und Waschplätzen zusammenrackert, die kann, wenn aus dem Knirps ein Herr wird, von seiner Dankbarkeit überhaupt gar nicht hoch genug gefeiert werden.

Indes, was hat denn der Kogler seinem Franzi zum Beispiel für den blauen Himmel gegeben, der hoch über dem Ulrichshügel seinen Ausgang nahm und von da weg in wundersam sanfter Wölbung die ganze Welt bis hinaus nach Rosenheim und bis hinein ins Tirol überspannt hat und der eben, mögen auch die alten Stuckarabesken von Kennern noch so geschätzt werden, dennoch von keinem Studiersaalplafond ersetzt werden kann? Und was für die lustigen Purzelbäume, die der Franzi den Hügelhang hinab schlug, die aber der Seminardirektor schon gleich am ersten Tag mit befremdeten Augen ein für allemal verboten hat? Was? Die langweiligen Seminarspaziergänge vielleicht, die paarweisen? Und was erst gar für das herrliche In-die-Schwemme-Reiten der Pferde? Nichts. Weil dieses überhaupt nur ein einziges Mal auf der Welt vorhanden war, nämlich in Würfling auf allen Bauernhöfen und im Würflinger See, und deshalb von vornherein als durchaus unersetzlich zu gelten hat.

Was redet also der eingebildete Bauer von Dankbarkeit?

Franzi, hat er dazumal zu dem Buben gesagt, Franzl, ich will nicht, daß du ein Bauer wirst und dir von den Malefiz-Dienstboten dein ganzes Leben verärgern lassen mußt. Franzl, ich will, daß du ein Herr wirst. Ein geistlicher Herr, Franzl – verstehst? –, der wo in der Früh seine Mess' liest und dann fertig ist für den ganzen Tag und der sein schönes Auskommen hat und für alles, für jede Kindstauf und jede Leich und jede Hochzeit, noch extra zahlt wird. Und dabei in der Gemeinde der Erste ist und der Erste bleibt! Ein solcher Herr, Franzl, will ich haben, daß du wirst.

Der Franzl hat dazumal gar nichts gesagt. Und was soll ein elfjähriger Bub auch dazu sagen?

Und deswegen, fuhr der Kogler dazumal fort, kommst du, wenn jetzt die Vakanz aus ist, nach Schäftlarn zum Studieren, und wenn du in Schäftlarn ausglernt hast, nach Freising ins Klerikalseminar, und kann sein, gleich auch noch nach München auf d' Universität, denn ich will haben, daß du ein richtiger Geistlicher wirst. Kein so Hungerleider wie unser Frühmeßler, der wo froh sein muß, wenn ihm manchmal a Bäurin einen Butterwecken in die Kuchl neistellt.

Und der Franzi hat wieder nichts gesagt. Und was soll ein Bub auch dazu sagen, wenn er keine Vorstellung hat vom Studieren, vom Klerikalseminar oder gar von der Universität. Hat nur im Geist vor sich den Frühmeßler von Würfling gesehen mit seinem abgetragenen Gehrock und dem Kaminkehrerglanz der Hose, sooft die auseinanderfallenden Rockschöße den Anblick freigaben, und war sich nur des einen bewußt: ein solcher Frühmeßler möchte er nicht werden.

Sondern, hat dazumal der Kogler weitergeredet, du sollst ein Herr werden wie unser Herr Pfarrer – es war der Pfarrer Lambert – verstehst? Alleweil saunobel und alleweil und überall von einem jeden respektiert. Nur bloß darfst du nicht auch die Dummheit machen und sagen: i mag nöt, wenn dich amal der ganz Bezirk und der Nachbarbezirk im Landtag drinhaben möchten. So saudumm – verstehst? – darfst du nicht auch sein; denn der Landtag, mei Lieber, das ist halt doch der Landtag. Hast zwanzig Markl im Tag, bevor du noch in der Hosen drin bist, und darfst im ganzen Land mit der Eisenbahn umanandfahren, wo du nur grad hinmagst, und kost't dich keinen Kreuzer nicht.

Derf i, Vater, bis auf Regensburg zum Geisreiter Michl fahren, der wo heuer von unsrer Schul nach Regensburg kommen is? ist die erste Frage des elfjährigen Franzi bei dieser Berufswahl gewesen.

Aber natürlich, hat dazumal der Kogler bestätigt. Ich sag dir ja, überall darfst hinfahren, wo du nur hinmagst.

Ja, Vater, hat daraufhin der Franzi sich entschieden, ein solchener Herr möcht i wern.

Brav! hat dazumal der Kogler gesagt. Und ich weiß 's gwiß, es reut dich nicht.

Heute aber sagt er: Schaut ja schier gar aus, als wenn 's dich reuen tät, so druckst du umanand. Bis du nur mit deinem Segen amal angfangen hast! Und ein End ist ja sowieso nicht zu erleben. Und meint man doch, du könntest zufrieden sein. Wo ich doch für dei Gstudi solche Unkosten ghabt hab! Aber na, nicht den Gfallen tust mir und gehst zum Zwerger nüber.

Es ist halt nicht einem jeden gegeben, Vater, überall sich was schenken zu lassen.

Das gehört amal zum Gschäft. Das kannst dir merken. Aber i weiß 's schon: das Gstudiertsein ist dir in Kopf gstiegen; ein Hochmutsteufel bist worn. Und drum sind dir die Geschenke zwider. Aber druck nur noch weiter mit 'n Zwerger umanand, ob du nübergehst oder nicht oder weiß Gott wann amal, nacher werden wir noch ganz anders miteinander reden.

Ich mein aber, Vater, es langt jetzt auch schon, was du mir sagst.

Für jeden andern, ja. Aber für dein eigensinnigen Schädel langt's noch nicht. Da muß i zuvor schon noch ganz deutlich wern – denn 's Bitten allein hilft bei dir nix – und muß dir sagen... Der Kogler schritt erregt die Stube auf und nieder. Er schien zu überlegen und machte dazu lebhafte Bewegungen mit den Händen. Jawohl. Sagen muß ich dir: nur bloß einzig und allein wegen dem Zwerger hab ich dich studieren lassen. Jawohl. Schau mi nur an! Es ist schon so. Und nur bloß wegen dem Zwerger hab ich's schier nimmer erwarten können, bis du endlich fertig bist mit deiner Gstudi. Und nur bloß wegen dem Zwerger kann ich's jetzt schier nicht erwarten, daß du endlich amal nübergehst dazua. Warum? Ja no, weil's für einen, der wo unschuldig mit einem solchen Haß angfeind't wird, nix Schöners nicht gibt, als wenn sein Feind mitten drin in aller Feindseligkeit vor ihm hinknien muß auf 'm bloßen Boden. Vor ihm selber oder doch wenigstens vor seinem Sohn. Und der unschuldig Angfeind'te bin i und der Feind voller Gift und Gall ist der Zwerger, und der Sohn, vor dem er hinknien muß, der Hund, der miserablige, das bist du. Und nur deswegen hab i di studieren lassen. So, jetzt weißt es.

Und damit verließ der Koglerbauer die Stube.

Welt und Himmel, Jugend und Heimat, Leben und Beruf stürzten da in wüsten Trümmern über dem jungen Geistlichen zusammen. Nach Atem ringend suchte er sich daraus hervorzuarbeiten. Und als ihm das endlich soweit gelungen war, verließ er taumelnd Stube und Hof. Und konnte den hellen Tag nicht ertragen und nicht den stillen See und den friedlichen Himmel. Und lief in den Wald und lief, bis daß es dunkelte zwischen den Bäumen, und warf sich hier auf die Erde und krampfte die Finger ins Moos und wußte jetzt, jetzt erst, was es ist um den Schmerz.


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