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Vater und Sohn

Der Franz auf dem magern Kanapee seiner Kammer, zurückgelehnt und eingenickt, fuhr jählings aus dem Schlummer, schnellte auf und horchte. Tiefe Stille. Er rannte in Afras Stube. »Afra, hast du gerufen?«

Aber die Kranke lag mit geschlossenen Augen und schien zu schlafen, eine leichte Röte sogar auf den eingefallenen Wangen. Franz setzte sich ans Fußende des Bettes. In diesem Augenblick schlug Afra die Augen auf. Und indem sie den Franz erblickte, sagte sie: »Jetzt hab i grad an so viel schönen Traum ghabt. Ganz deutlich hat mir dei Muatter grufen. Franz, iatz woaß i 's gwiß.«

»Was?«

»Daß 's mit mir dahingeht.«

Er sucht es ihr auszureden. »Im Gegenteil,« sagt er, »eine neue Lebensweis wird für dich angehn, ja. Denn so viel seh ich klar: die bisherige Arbeit ist für dich, wenn du wieder aufstehst, zu streng. Du hast dich auch lang genug schon für den Hof geplagt. Und darum will ich dir sagen: Afra, wenn ich jetzt nachher einen Kaplanposten krieg, dann kommst du zu mir als meine Hauserin. Der Vater wird sich schon wieder eine suchen.«

Da ist es mit der Afra gewesen wie mit dem abendlichen Wald bei sinkender Sonne: rosig leuchtet und blüht er eine Weile auf bis weit hinein in seinen stillen Grund. Und in solchem flüchtigen Aufblühen sagt die Afra: »Vergelt 's dir Gott! Manchmal – i sag 's, wie 's is – hab i stad für mi an so was denkt. Ja. Daß du 's iatz aber selber sagst, is mir die größt Freud. Wenn 's a für mi nix mehr bedeut. I dank dir tausadmal, Bua!« und sucht nach seiner Hand, die er ihr gibt und läßt. Und so, mit seiner Hand, dämmert sie wieder in ihren Halbschlaf hinein. Und so, ihre Hand in der seinen, sitzt er vor ihr und sieht sie und sieht sie nicht und überdenkt indem ihren Lebensgang:

Pfeilgrad, noch im schulpflichtigen Alter, von der Häuslernot her, aus der die Kinder in alle Welt zum Dienen auseinanderfliegen, wie die Spatzen zur Körnersuche auf die Weizenfelder, und mitten in die Bauernarbeit hinein. Wer aber der verfallen ist, den läßt sie nimmer und legt ihm, weil ja das unvernünftige Vieh auch an Feiertagen nach Futter blökt und brüllt und auf sauberem Stroh schlafen will, selbst Sonntags noch Schwereres auf, als der Stadtmensch an Werkeltagen leisten möchte. Denn, ob Herr oder Knecht, Bäuerin oder Magd, es gibt kein Weekend mit Ski und Faltboot, Strandkorb und Sommerzelt im Bauernleben, gibt keinen Urlaub und keine Pension, gibt nur Arbeit bis zum Sterben. Sind ihr doch selbst noch die Großeltern untertan, die neben dem Hof im Zuhäusel wohnen, und wissen es nicht anders und führen in selbstverständlicher Treupflicht und unbeirrbarem Lebenswillen, der Großvater beim Umbauen im Frühjahr noch den Ochsen über die Äcker und die Großmutter, die Hornbrille auf der Nase, noch immer die Nadel über die defekten Hosenböden der Enkelkinder. Und wo dieser Arbeitsgeist gestört ist, verludert der Hof, zerfallen Frieden und Familie, bis es eines Tags zur Explosion oder, weil nun einmal das Bauernleben keine Fremdwörter duldet, zur Gant kommt.

Und nun denkt euch zu solchem Arbeitsdasein noch Sorgen und Kümmernisse, wie sie gerade der Dienstbotentreue als fremde Schatten zu folgen pflegen, und ihr habt den Lebenslauf der Afra Holzinger. Und so sah ihn auch jetzt der Franz vor sich. Sah ihn, wie einer die weiße Landstraße im Mondschein sieht, bergab, bergauf, bis die verschleierte Ferne sie verschlingt. Schaute ihn, so gebannt in Blick und Geist, daß er die Anfahrt des Koglerbauern nicht hörte, obschon Wagen und Pferde laut genug taten auf dem sommerharten Boden.

»Was?« schrie der Kogler mit brennrotem Kopf, als ihn die Nelly von Franzens Ankunft benachrichtigte, warf dem Knecht, der zum Ausspannen herbeilief, die Zügel zu, daß sie ihm ins Gesicht schlugen, schwang sich vom Wagen und eilte ins Haus. Die lange Fahrt hatte ihn ernüchtert, was sehr wünschenswert gewesen; plötzlich aber war der Alkohol wieder obenauf. In dieser Verfassung eilte also der Bauer ins Haus, trampelte die Stiege hinauf und stürmte hinein in Afras Kammer.

»Was?« schrie er auch hier und stand da, die gestiefelten Beine gespreizt, in der Linken die Klinke der weit aufgerissenen Tür, in der Rechten noch die Wagenpeitsche, die er wegzulegen vergessen hatte. Stand wie der leibhaftige Bauerntrutz, den Jahrhunderte hergestellt haben, und schrie, als sollte es die Jahrhunderte zurückschallen bis zum ersten Urahn aus dem Ulrichshügel. »Was! Du heut scho da! Und mi und den ganzen feierlichen Empfang einfach übern Haufen schmeißen! I laß mi aber not umschmeißen. No lang not laß i mi von dir umschmeißen. Und wennst no zehnmal ausgweicht waarst, – i laß mi not übern Haufen schmeißen von dir!« Glutrot war sein Gesicht und die Augen sprühten in Wildheit, wie er so schrie, und hätten ihn seine Voreltern, so die Jahrhunderte her auf dem Hügelhof gesessen, hören und sehen können, sie hätten wohl, befriedigt von der dauerhaften Gleichart des Geschlechts, einander zugeraunt: »Da sieht man halt die hochwertige Rass': nicht Zeit, nicht Ewigkeit kann den Koglerischen an, und ob es über die Zwergerbagaschi hergeht und die Schelchinsel unten im See oder sogar über das eigene Blut, – obenauf ist und bleibt der Koglergeist, der nichts gelten läßt auf der Welt als nur sich selber.«

Der junge Geistliche aber hatte sich erhoben, als der Bauer plötzlich die kleine Magdkammer mit seinem Toben erfüllte, und war, die Hand zag zum Gruß vorgestreckt, ein paar Schritte auf den Vater zugegangen. Der aber schrie nur noch rabiater: »I brauch koan Grüaßgott von dir!«

»Vater!«

»Und i will a koan. Und i brauch a koan priesterlichen Segen von dir!«

Bei diesen gotteslästerlichen Worten betete die Afra, die schon seit Beginn des Auftritts mit gefalteten Händen dalag, laut, mit hohlem, hölzernem Klang: »Herr, verzeihe ihm; denn er woaß nöt, was er sagt.«

»Was i von dir braucht hätt,« schrie der Kogler weiter, »dös hast du mir weggstohlen.«

»Herr, erhöre uns!« betete die Afra laut und eintönig.

»Do ganzen langen Jahr her hab i mi drauf gfreut, aber du hast mir mei Freud gstohlen! Himmiherrgottsakrament! Gstohlen hast ma 's!«

»Christus, erhöre uns!« betete die Afra laut und dumpf.

»Und was du mir dafür bracht hast, is nix als a Mordsblamaschi!« Und damit war das wüste Geschrei des Vaters in ein schluchzendes Klagen übergegangen. Und diese Wendung zum Stilleren nutzte der Sohn zu dieser Darlegung: »Schau, Vater, du sollst ja nichts verlieren. Anstatt von Samkirchen aus fahren wir morgen halt von da weg in unser Kirch. I bin ja überhaupt bloß wegen der Afra ...«

»'s Maul haltst! Kruzifix no amal, sag i! Kruzifix, verfluachter!«

»Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für uns!« betete laut und hohl die Afra, und hätte jemand dafür ein Ohr gehabt, wäre ihm die Kraft ihrer Stimme aufgefallen. So war die enge Kammer abwechselnd angefüllt mit dem Geschrei des Bauern und mit dem Gebet der Magd. Fluchen und Beten rangen darin miteinander. Und der junge Gottesmann inmitten stand da, bleich, unglücklich, hilflos.

»Vater!« versuchte er noch einmal die Sänftigung. »Mein erster Tag, wo ich als Priester heimkommen bin!«

»Ja,« höhnt aber der Kogler, »hoamlich, wia a Diab! Wia oaner, der was Unrechts tuat! Aber not wia a neu ausgweichter Herr, der wo mit seim Vater und mit 'n Herrn Pfarrer durch 'n Triumphbogen einfahrt und hinter dem der ganz Gemeinderat in zwoa Glaswagen nachfahrt! denn so is 's ausgmacht worn. Und zwölf ledige Burschen waaren uns bis Otterach entgegengritten und d' Schützenmusi hätt aufgspielt und d' Feuerwehr waar vor der Kirchen Spalier gstanden und mir zwoa waaren mitten durchgfahren, mir zwoa ganz alloa mit 'n Herrn Pfarrer und mit 'n ganzen Gemeinderat hintennachri. Und d' Leut hätten si d' Augen außergschaut. Und dreißig Böllerschuß waaren o'lassen worn und alle Glocken hätten gläut, und dös allssamt nur für uns zwoa! Und iatz? Jatz ham ma an Dreck! Und 's Auslacha und an Spott dazua! Himmiherrgottkruzifix no amal! Bluatiger Kruzifix, bluatiger! Fahr aba, wennst ...«

»Vater, heut noch geh ich auf und davon und halt meine Primiz anderswo!«

»Mutter der Barmherzigkeit,« erhob sich wieder Afras Gebet, »zu dir rufen wir elende Kinder Evas in diesem Tale der Zähren. Wende deine mitleidigen Augen zu uns!«

»Halt du wenigstens dei Maul, alte Kraxen!« brüllte da der Bauer die Kranke an. »Wer hat denn mein Buam so widerspenstig und boshaft hergricht? Wer denn, han? Du und dei saudumme Bäurin, dei überspannte, und neamad anders. Oes zwoa falsche Luader habts mir an Buam abspenstig gmacht! Hundertmal sag i 's.«

»Vater!« schrie aber jetzt auch der Sohn und faßte, die Beherrschung verlierend, den Rasenden ums rechte Handgelenk. »Kein Wort mehr gegen die Mutter!«

»Was! Du Bürscherl willst mir a so kömma! Du? Mir? Da! Geh hin zu deiner alten Trud, zu der du ghörst!« Und damit schleuderte er den Sohn von sich, daß der zurückkollerte und rückwärts quer über Afras Bett fiel. Und dazu geiferte und schrie der Unhold: »Du kimm mir no amal mit deiner Muatter! Dö hat mir scho koa bißl a Freud vergunnt, und du bist akkrat a so und hast mir mei Freud gstohlen, auf dö i gwart hab seit Jahr und Tag. Sollst a akkrat so viel Glück haben, als wia dö sell ghabt hat und nöt mehr!« Und damit ging er und warf dröhnend die Tür zu. Von Wänden und Decke rieselte einen Augenblick lang, als sei der Koglerhof in seinen Grundfesten erschüttert, mit leisem Geknister der Kalk.

Franz hatte sich sogleich wieder erhoben und stand jetzt da, die Arme laß herabhängend, die Hände ineinander verschlungen, den Blick gesenkt, so, wie das Unglück den Bauern vor die verhagelte Ernte stellt. Und in dieser Haltung grübelte er seinem Verschulden an dem entsetzlichen Geschehen nach. Und fand immer wieder: »Ja. Weil du dem Verlangen des Herzens nachgegeben hast, so menschlich rein es auch war, bist du schuldig geworden.« Und diese Erkenntnis erfüllte ihn mit Bitterkeit. Weil aber doch auch er ein Kogler war, dem beim Stafettenlauf der Geschlechter der ferne Urahn durch eine ununterbrochene Kette empfangsbereiter Hände seinen Eigenwillen zugeschickt hatte, so kam ans dem gewitterig aufgewühlten Seelengrund kein Flüsterhauch: Überwinde! Überwinde dich!

Da schrie die Afra, die seit des Bauern Verwünschung still geworden war, gleichsam zurückgescheucht in ihr Innerstes, wohin kein Fluch folgen kann, – »Franz! Franz!« schrie sie und streckte die Hand nach ihm, die Augen starr auf ihn gerichtet.

Er nahm die Hand und beugte sich über das fahle Gesicht. »Gell, Afra, hat dir der Spektakel im Herzen nöt guat tan. Glaub's gern.«

Die Kranke wollte etwas sagen. Aber der Kopf sank ihr zur Seite, und der Mund sprach sein letztes Wort: »– Bäurin, i kimm.«


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