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Wo und wer

Schauplatz: die oberbayrische Landschaft. Aber nicht die mit Moor und Ried oder goldgelben Getreidefeldern auf ebenem Plan, sondern die südlichere der Vorberge mit See und Hügel, Wieswachs und Waldrevier und den blauen Bergen dahinter.

Die Dörfer liegen darin wie verstreutes Kinderspielzeug, so lieb, und die Kirchen winken mit fröhlichem Spitzturm: »Nur her zu uns! Gebet und Freude vertragen sich gut!« oder verkünden mit breitem Satteldach: »Hier ist gut sein. Da steh ich und bleib ich.«

Wochüber rauschen die Sensen, schwanken die Heufuhren, hallt das Sensengedengel weit in die Abendstille hinein. Sonntags aber krachen die Böller und donnern die Kegelbahnen. Und dazwischen läuten die Mesner wieder ein Gesetzel mit allen Kirchenglocken. Der See leuchtet, die Sonne lacht und die Silberwolken stehen still, als wollten sie über so viel Glanz und Daseinslust nicht so ohne weiteres hinüber.

Ha, das ist euch ein Land! Ein Wichtelmann möchte man sein, schaut man darauf von einer der Waldhöhen hinunter, ein zaubermächtiger Wichtelmann, damit man sich nach Belieben verwandeln könnt' in eine blitzende Welle im schnellen, dem See zueilenden Forellenbach oder in die weißblaue Fahne, die vor dem Dorfwirtshaus so lustig in alle Weite weht, oder in einen der mittagsstillen Obstbäume rings im Dorf, davon zu ihrer Zeit die reifen Äpfel und Birnen ins Gras fallen, nicht wie die Holzbirnen und Holzäpfel in unsern Schriftstellergärtlein mit Rütteln und Schütteln, sondern ganz von selber – plum, plum, plum – in sinnender Vollmondnacht. Und nur der Sommerfrischler, der da zwischen zwei Zwetschgenbäumen in seiner Hängematte flackt und unter Bienensummen und Sommersäuseln, den goldnen Zwicker auf der Nase, den Kursbericht seiner Großstadtzeitung lesen kann, nur der möcht' ich nicht sein, weil er eine Unzier für Hof und Garten ist. Hingegen könnt' ich mir vorstellen, daß sogar ein Kaiser, und ein entthronter schon gleich gar, angesichts dieser ausgebreiteten Heimatanmut bei sich dächte: Meiner Seel! Wär' Ich nicht die Majestät, möcht' Ich Bauer im bayrischen Oberland sein.

Und doch und doch. Mit den Bauern in diesem schönen Land- und Himmelsstrich hat's etwas. Mit den Bauern hat's einen Haken. Einen ganz kolossalen Haken. Denn Dickschädel sind sie, einer wie der andre, es ist nicht zum Sagen. Ist wirklich einmal ein zarteres Gemüt darunter, es kommt nicht auf in diesem Kreis.

Da sind z. B. gleich der Kogler und der Zwerger von Würfling. Ihre Höfe sind die höchsten den Sankt Ulrichshügel hinauf, an den das Kirchdorf Würfling sich anschmiegt, und ihre Feindschaft ist die tiefste um den ganzen Würflinger See herum. Sie liegt auf dem Haus wie eine von den Vorfahren überkommene Hypothek, zu der, anstatt davon abzutragen, jede Generation eine neue Verschuldung hinzugefügt hat und die jetzt regierende die größte.

Nachbarhöfe sind es, weit genug zwar auseinander, um sich gegenseitig nicht im Weg zu sein, aber doch auch wieder einander so nah, daß im See draußen von einem Juchezer, der von der Höhe her laut würde, nicht gut zu sagen wäre: kommt jetzt der vom Kogler- oder vom Zwergerhof. Beiläufig gesprochen und bloß zur Veranschaulichung; denn tatsächlich ist da droben seit Jahr und Tag kein Mensch zu einer solchen Lustbarkeit aufgelegt.

Wer sollte auch juchezen auf dem Zwergerhof? Er, der Zwerger vielleicht? Wer hat aber schon einen stillen, leutscheuen Grantnickel juchezen hören? Oder etwa der Pfannamichl, der Oberknecht und die rechte Hand des Zwerger? Doch ein Bär juchezt nicht, ein Bär brummt nur. Oder die Zwergertochter, die liebe, blonde Mariann, mit dem stillen Mund und dem lauten Blick? So eine könnte überhaupt nur innerlich jubilieren. Und auch dazu hat die Mariann keinen Grund. Auch ist sie ja die meiste Zeit auswärts, bei des Vaters Schwester in Stallau, weiter dem Gebirge zu; denn sie hat längst keine Mutter mehr.

Und auf dem Koglerhof ist es nicht anders: der Kogler selber ein Räsonierer und Polterer, ein Aufbrauser und Überundüber, der von den Dienstboten nur ein ewiges Geracker, aber keine Fröhlichkeit braucht; die alte, treue Afra, die Wirtschafterin – weil nämlich auch dem Koglerhof die Bäuerin fehlt – vom »Absterbens-Amen« nicht mehr gar zu weit weg, und der junge Kogler, der Franz, im Freisinger Klerikalseminar auf die Geistlichkeit hinarbeitend, – da ist natürlich auch auf dem Koglerhof ausgejuchezt. Und die braune Nelly, die Beihilfe der Afra, die »Stütze«, wie die Stadtleut sagen würden, kann's allein auch nicht herausreißen, so ungestüm auch zeitweise das Krattler- oder Zigeunerblut in ihr es zu verlangen scheint.

Das mit der Nelly ist überhaupt eine absonderliche Geschichte. Kommt da vor Jahren eines Tags eine Zigeunersippschaft mit zwei Einspännerkarren auf den Hof, verlangen, weil es unterm Blahendach für die kleinen Würmer gar so unmenschlich kalt sei, Nachtquartier vom Bauern, der gerade wieder einmal schwerbeladen aus dem Wirtshaus eintrifft, werden mit brutalen Redensarten angelassen, schließlich aber doch für eine Nacht im Heuboden geduldet. Am Morgen darauf ist das Nest leer und das Pack fort unter Zurücklassung eines armseligen Spatzen von einem achtjährigen Mädel, dem sie, während es noch in tiefem Schlaf gelegen, auf und davon sind, – eine solche Bande! Der Kogler will das Kind auf der Stell der Gemeinde aufhalsen, die Afra es am nächsten Tag nach Kloster Biberg mit hinübernehmen über den See zu den Barmherzigen Schwestern und der Franz, an den das scheue Ding wie ein verlaufener Hund sich hinmacht, der Franz möchte die kleine Wildnis auf dem Hof behalten. »Vater, laß s' da!« sagt er; »wenn's nix is damit, kannst sie ja alleweil noch weitertun.« Darauf küßt die Kleine dem Buben blitzschnell die Hand, daß alle hellauf lachen und das verlassene Wesen sich schon gleich gar nimmer auskennt. Der Kogler aber sagt unter allgemeiner Verwunderung zu seinem Buben: »No ja,« sagt er, »weil du so a schöns Zeugnis hoambracht hast von der Gstudi, kann s' vorderhand dableiben.«

So also kam die Nelly auf den Koglerhof, der Franz bald darauf, schon im dritten Jahr, zu den Benediktinern nach Schäftlarn und die Afra nicht aus dem Kopfschütteln heraus über des Bauern ungewohnte, ja, unerhörte Nachgiebigkeit: »Dös muaß er scho rein deswegen tan haben, weil 'n der Bua noch gar nia um was angangen hat.« Somit auch nicht ums Studieren. O je, das Studieren! Der Kogler Franzl wär' doch hundertmal lieber in Würfling und auf dem Hof geblieben. Aber man weiß ja: Denken und Wollen ist in diesem Betracht den Eltern vorbehalten und ein Bub persönlich nur zu dereinstigem Rückblick berechtigt, mit Saldovortrag – Soll oder Haben – in privater Herzensbilanz.

Über diesen kleinen menschlichen Dingen verrannen aber so bestimmend die Jahre, daß die Augen der braunen Nelly immer glühender, die der blonden Mariann immer entsagender und die schwarzen Röcke des Kogler Franzl, unbeirrbar, immer länger wurden. Bis es zuletzt eines Tages hieß: am Mittwoch kommt er und in drei Wochen feiert er seine Primiz.


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