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Im Obstgarten

Seitwärts an den Koglerhof schließt sich der Obstgarten an, tief, schattenreich und noch taufrisch in der aufwärts strebenden Vormittagssonne. Ein Obstgarten, den längst keine Hand mehr pflegte, der aber gleichwohl, wie in heimlicher Treue, Äpfel und Birnen alljährlich die Fülle trug.

Der Blick geht von dort auf Dorf und See. Auf der morschen Bank aber, die er selbst noch als Bub angefertigt hatte, saß jetzt der Franz.

Heimat! Aber – die Dinge allein, Haus, Hof, Garten, Dorf, Wald und See, Luft und Himmel, machen sie nicht. Menschen müssen her! Seelennahe Menschen. Indes, wo sind sie? Dort drinnen, in der schwülen Kammer, wo die Flüstergebete um eine Tote lispeln, liegt ja der letzte, und was zurückbleibt, ist Vereinsamung.

Also hat doch der Pfarrer Lambert recht gehabt! Klipp und klar hat er's ja gesagt. Damals, als es die Berufswahl galt und er den Abiturienten zum Mittagessen gebeten hatte.

»Franz,« hat er nach Tisch in seiner Studierstube gesagt und dem Jungen dabei väterlich die Hand auf die Schulter gelegt, »ist es wirklich und wahrhaftig dein eigenster Entschluß, Franz, daß du Theologie studierst?«

»Ja, Herr Pfarrer, mein eigenster Entschluß, unabänder...«

»Einen Augenblick noch, Franz!« fiel da der Herr Pfarrer Lambert ihm ins Wort. »Und versteh mich recht! Nicht abbringen will ich dich von deinem lobenswerten Vorhaben – da sei Gott davor! – sondern dir nur, wie ich es gerade dir gegenüber für meine Pflicht halte, das vorstellen, was ich als das Schwerste empfunden habe im Priesterberuf: die Vereinsamung.«

Zu den Fenstern spielte die weiche Sommerluft herein, der blaue Himmel war so hoch, abgetan für immer das Gymnasium, und dem Abiturienten gehörte, wie von alters her, so auch damals die Welt. »Was will er denn nur bei diesen leichten Dingen mit dem schweren Wort?« dachte dazumal der Franz. Doch der Pfarrer Lambert fuhr fort:

»Heute ist dir freilich das Wort noch ein leerer Schall, aber die Jahre kommen und gehen, und auf einmal erkennst du: ich bin allein der Stille unter Lärm und Laut, und mitten unter den Feuerfarben der Welt muß ich allein der Bleiche sein. Wirst du dann unter die Lauten gehen? Nein, ich weiß es. Und ebensowenig wirst du in die Buntheit dich mischen. Nicht weil du auf die Stille vereidigt bist und die Farbenfreude abgeschworen hast – so niedrig hab ich dich nie eingeschätzt, sondern weil der Geistiggerichtete immer wieder zu sich selbst zurückkehrt. Aber wird diese Rückkehr immer tränenlos und ohne Sehnsucht sein, die jeden Morgen neu erwacht und mit der doch nie und nimmermehr zusammenwohnt der Seelenfriede?«

Und darauf hatte der Franz, die Brust voll Schwung und Jugendfeuer, mit so leuchtendem Blick und so freudigem Klang gesagt: »Sie wird tränenlos und ohne Sehnsucht sein«, daß der Herr Pfarrer Lambert sich abwenden und zum Fenster hinausbeugen mußte mit der geschwinden Frage: »Hat jetzt da unten nicht die Stasi gerufen?«

Ach, der Hauserin Anastasia Zitzenrieder fiel es gar nicht ein, in der süßen Stunde ihres Mittagsschläfleins einen Ruf auszustoßen, wie denn ja auch die ganze Veranstaltung lediglich erdichtet war, um den jungen Studenten es nicht merken zu lassen, daß dem alten Mann die Augen übergingen. Jawohl, übergingen. Warum?

Darüber eben sann jetzt der Franz nach, als er auf seiner morschen Bank saß und über ihm und um ihn herum mit unmerklicher Selbstverständlichkeit, wie sie der ganzen Natur mit Einschluß des Menschen so wohl ansteht, die Äpfel und Birnen reiften. Sinnen und Reifen gehören nun einmal zusammen, und je stiller es dabei hergeht, um so lieblicher das Bild und um so sicherer das Ziel. Aber da fiel ein Apfel aus dem Laubwerk, so unvermittelt, als hätt' ein Sonnenpfeil ihn abgeschossen. »Schad drum,« sagt der Franz, indem er den Apfel aufhebt; »wär so gut geraten und gewiß noch besser geworden.« Dann verfiel er wieder in sein Sinnieren.

»Und wie bist du eigentlich dazu gekommen, die Theologie zu erwählen?« hat damals des weiteren der Herr Pfarrer Lambert gesagt.

»Ja mei, wie dazu gekommen? Seit der Vater mich ans Gymnasium gebracht hat, hab ich's nicht anders gewußt. Und der Mutter, hab' ich immer gehört, wär's halt auch das Allerliebste gewesen.«

»Brav, Franz, brav von dir!« und der Herr Pfarrer Lambert ergriff des Studenten Hand. »Deine Mutter war eine ausgezeichnete Frau.«

»Und darum ist auch mein Entschluß unabänderlich, Herr Pfarrer.«

»Recht. Und um so schöner, als du ja auch – eurer Vermögenslage nach, meine ich – alles andere studieren könntest.«

»Es wär' aber das wohl auch dem Vater nicht recht. Der Vater ist nämlich ganz und gar auf das geistliche Studium aus. Es ist aber dennoch auch mein Entschluß, Herr Pfarrer.«

»Gut. Und so weit kenn' ich die Koglerischen – und du hast davon dein redlich Teil abbekommen –, daß ich weiß: was der Franz Kogler aus sich heraus mit solcher Bestimmtheit erklärt, dabei bleibt es – unabänderlich.«

»Bleibt es auch«, sagte damals der Student.

Und der alte Pfarrer legte dem Jüngling die Hand aufs Haupt und so, Aug' in Aug', blieben sie eine Weile stehen. In schwerem Ernst unter leichten Sommerdingen.

»Und noch eins!« sagte dann der Pfarrer Lambert weiter. »Du darfst das, was ich Vereinsamung nenne, nicht rein äußerlich nehmen und glauben, es sei mit dem Alleinsein und -bleiben abgetan. Nein. Dein ganzes Leben ist auf Entsagung gestellt, bis in die persönlichen Reservationen des Geschmacks und der Empfindung hinein; denn oft genug mußt du, was dir gefiele und was du tun oder lassen möchtest, dem Geschmack und Gefühl der Masse unterordnen. Und die Opfer, die in diesem Betracht Beruf und Amt von dir verlangen, sind nicht zu zählen. Du hast, mit einem Wort, nur in beschränkten Grenzen deinen eigenen Willen. Wirst du, ein Koglerbauernsohn, stark genug sein, auch das zu tragen?«

»Ich glaube – ja.«

»Du hast recht, dich vorsichtig auszudrücken. Denn du bist heute, wo du noch wählen kannst, ein andrer, als du in acht oder zehn oder zwanzig Jahren sein wirst, Beruf und Amt aber sind immer gleich unerbittlich.«

»Ich werde nie vergessen, was ich ihnen schuldig bin.«

»Gut. Und so sei denn die Stärke mit dir!«

»Amen«, hatte da der junge Mensch gesagt. –

Wie doch dieses feierliche Abschlußwörtel so leicht sich handhabt und hat doch oft so Schweres zu tragen! Aber was wahr ist, ist wahr: bis zum gestrigen Tag ist dem Kogler Franz alles leicht gefallen. Seine offene Art und sein heiterer Sinn hatten ihm auch im Priesterseminar Freunde gewonnen und Fleiß und Begabung ihm auch von der Hochschule einen ehrenvollen Abgang erwirkt. Mit der gestrigen Ankunft auf dem väterlichen Hof jedoch und ihren tiefen Schatten war eine schwere Enttäuschung über den jungen Menschen gekommen. »Ich hab' doch nur die beste Absicht mit meiner verfrühten Heimreise verbunden und was für unerhörte Folgen haben sich daran geknüpft, sich steigernd, ja überstürzend bis zu Afras Tod sogar! Trifft mich die Schuld? War's unrecht von mir?« Und darüber grübelte er an diesem blanken Sommermorgen.

»Ja, es war unrecht von dir«, hatte der Pfarrer Lambert gesagt, als ihn an eben diesem Morgen gleich nach der Frühmesse der Franz aufsuchte und von allem unterrichtete. »Oder solltest du dich nicht mehr erinnern, was ich dir vor fünf Jahren da, an dieser nämlichen Stelle« – und der alte Herr wies auf den Platz in seiner Studierstube, den sie auch jetzt einnahmen, – »gesagt habe? Entsagung, hab' ich gesagt, Entsagung bis in deinen persönlichen Geschmack und deine ureigenste Empfindung hinein und Unterordnung unter Geschmack und Gefühl des gläubigen Volkes. Und unser gläubiges Volk, es durfte von dir, dem neugeweihten Priester erwarten, daß auch du die Ehrungen nicht verschmähst, die es so gern und freudig auf seine Jungpriester häuft. Es ehrt damit Gott und sich selbst.«

»Ich verschmähe sie doch nicht, Herr Pfarrer.«

Indes, der Herr Pfarrer Lambert winkte ab. »Du verschmähtest sie zu der Zeit und in der Form, worin das gläubige Volk nach altgeheiligtem Brauch in dir das Priestertum ehren wollte. Das Priestertum – wohlverstanden! – nicht den Kogler Franz. Und du hast diese große Idee, der du lebenslang zu dienen hast, zurückgesetzt hinter den kleinen Regungen deines Herzens! Und so hast du gleich bei Beginn deiner Priesterlaufbahn deine Standespflicht als Egoist verletzt.«

Da sank dem Kogler Franz der Kopf auf die Brust.

Wie damals vor fünf Jahren standen auch jetzt wieder die Fenster offen und, von den vielen Rosen des Pfarrgartens ausströmend, spielten unter dem leichten Morgenwind immer wieder aufs neue kleine Wellen von Duft herein. Spielten herein, zerflossen und verrannen, indes schon wieder andere nachkamen, um Franzens Bitternis herum in Süßigkeit. Gleich als ob die alte Erde gar nicht mehr wüßte, wohin mit so viel jungem Sommerhauch. In den Gartenbüschen aber sang dazu eine Grasmücke gar zierlich und fein, und überall war das Sonnenlicht und nirgends ein Schatten. Doch dem Kogler Franz sank der Kopf auf die Brust vor lauter Düsterheit.

So weit hatte der Pfarrer Lambert als Geistlicher gesprochen, und vielleicht hätte er überhaupt nichts weiter sagen sollen. Allein ihm selber blühten ja, wenn auch da und dort noch mit überständigem, scholastischem Gewächs durchsetzt, an der Sonnenhalde der Abgeklärtheit die stillen Blumen echten Menschentums, und gerne pflückte er sie und schmückte mit ihren milden Sternen die schlichten Räume seines selbstlosen Lebens. Ein Sträußlein davon stellte er jetzt vor sich hin und betrachtete es sinnend.

»Aber ich weiß ja, Franz: nur dein gutes Herz hat dir in diesem Fall den Blick getrübt, also, daß du die größere Pflicht über der kleineren vergessen konntest, und ich kenne die Koglerischen und ihre Gemütsart: – gleich schnell zum Guten wie zum Bösen.« Da erhob sich der Franz von seinem Sitz, hastig, unfreundlich. Doch mit würdiger Handbewegung bannte ihn der greise Pfarrer wieder nieder auf seinen Stuhl. »Du wolltest selbstverständlich nur das Gute, das Beste. Hast nur, wie es bei den raschen Koglern nun schon so Brauch, nicht lang Erwägungen angestellt, wer oder was etwa über deinem schnellen Entschluß zu kurz kommen könnte.«

»Genau so war's, Herr Pfarrer.«

»Weiß man doch. Und ist ja auch etwas Prachtvolles, die Erhaltung der Eigenart durch die Jahrhunderte hin, von Geschlecht zu Geschlecht. Aber, auch sie bedarf der Zucht und der Veredlung, auf daß sie, wo Höheres auf dem Spiel steht, still und demütig zurücktrete.«

»... demütig zurücktrete«, wiederholte halblaut und sinnend der Kogler Franz.

»Lernt man nicht an einem Tag.« Und mit gütigem, aber fernem, gleichsam in die eigene Vergangenheit zurückgleitendem Lächeln legte der alte Pfarrer seine Rechte auf die verschlungenen Hände des Kogler Franz. »Lernt man in wachen Nächten und ringenden Jahren und manch einer – nie.«

Und auch darüber grübelte jetzt der Franz an diesem blanken Sommermorgen unter reifenden Äpfeln und flirrenden Sonnenstrahlen.

Da kam die Nelly in den Garten. Recht von ungefähr kam sie. Um nämlich eine Henne aus dem Garten zu verjagen, die sich dorthin verlaufen hatte. Aber freilich, bei einem derartigen Ungefähr und einem solchen Mädel läßt sich nie ganz sicher sagen, ob nicht zuvor die Henne eigens zu dem Zweck in den Garten hineingejagt worden ist, um sie hierauf wieder herausjagen zu können. Kurzum, die Nelly kam und die Henne floh, ausgerechnet auf den neugeweihten Priester zu.

Nun bietet zweifellos das Huhn neben seinen sonstigen Vorzügen auch noch eine treffliche Möglichkeit für Gesprächsanknüpfung, und es ist nur zu bedauern, daß dieser Vogel nicht allerorts zur Hand ist, wo eine Unterhaltung der Anregung bedarf. Doch hier war er vorhanden und die flinke Nelly nutzte denn auch sogleich seine Gegenwart, indem sie sprach: »Das ist ja schier wie beim heiligen Antonius, bei dem auch die Viecher Schutz gesucht haben, wenn sie auf der Jagd nicht mehr gewußt haben wohin.«

»O mei Nelly,« lehnte aber der Kogler Franz den Vergleich ab, »ich und ein Heiliger und so viel Wirrnis anrichten in den Köpfen! Hat mir ja in aller Früh schon der Herr Pfarrer mitgeteilt: wie in einem Bienenstock surrt's in unserm Dorf und gar nicht mehr auskennen tun sich die Leut von wegen dem Umsturz des Hergebrachten – durch mich.«

»Lassen Sie s' surren, Hochwürden Herr Franz! Wenn s' ausgsurrt haben, ist ihnen alles wieder recht. Aber manchmal will halt ein jeder seine Gaudi. Und um die ham Sie die Würflinger halt bracht. Dös is aber jetzt schon amal, wie's is.«

»I dank schön«, sagt der Franz. »Das auch noch! Gaudi! Da sind mir die Leute doch noch lieber, wie der Lehrer von Nußdorf sie beschreibt: sie hängen am Herkommen, und wer darin sie stört, hat es mit ihrer leidenschaftlichen Feindseligkeit zu tun.« Der Lehrer von Nußdorf hatte nämlich ein Heimatbuch geschrieben, »Das oberbayrische Alpenvorland«, das die Regierung sogar »wegen seines tiefschürfenden, doch niemals die Grenzen der Pietät überschreitenden Wirklichkeitssinnes« allen Schulbüchereien empfahl.

Der Bründlmoser Hansei, wandte da indes die Nelly gegen das verdienstliche Werk ein, habe aber gesagt: Nicht wahr is 's, und der Lehrer von Nußdorf braucht uns nicht zu beschreiben. Wir wissen schon selber, wie wir sind. A so sind wir, und habe dabei seinen grünen Plüschhut schier maibaumhoch hinaufgezwirbelt, so geschickt, daß der Hut, als er, immer noch rotierend, wieder herunterkam, dem Hansei gerade wieder auf den Grind fiel. »Solchene Tradldirundumadum san ma. Juhu!«

»Nichts schöner, als wenn einer so sein darf, wie er ist.« Nachdenklich sagt es der Franz.

Und groß und fremd schaut ihn die Nelly an. »Dürfen Sie leicht dös nöt, Hochwürden Herr Franz?«

Er schweigt.

Die Nelly deutet sich's nach ihrer Weise, »'s ganz Leben freuet mi nimmer, wenn i nöt sein dürft, wie i bin.«

»Und wie bist denn nachher?«

»Ja mei, wia ma halt grad sein muaß: bald traurig, bald lustig. Es kann sich's keiner raussuchen. Jetzt zum Beispiel war i lustig, wenn d' Afra nöt gstorben war. Und wie lustig!«

»Warum denn gar?«

»Dös sag i nöt gern.«

»Wenn ich's aber doch wissen möcht.«

»Macht nix. I sag 's nöt.«

»Traurig und lustig also; aber nur nicht offen.«

Das will nun die Nelly nicht auf sich sitzen lassen. »No ja, wenn Sie 's denn schon durchaus wissen müassen: mi freut 's halt so viel, daß Sie Geistlich wern. Lieget d' Afra nöt als a Toter drin, i kunnt den ganzen Tag juchezen.«

»Nur bloß wegen meiner Geistlichkeit?«

»Ja, nur bloß deswegen.«

»Und warum freut dich dös nachher so?«

»Halt aa.«

Da schaut denn Seine Hochwürden hinwiederum die Nelly mit so großen, eindringlichen Augen an, so lang und unnachgiebig, daß unter diesem Blick das Mädel zögernd herausrückt: »Weil 's nämlich leicht auch anders hätt kommen können. So, jetzt wissen Sie 's.«

»Dabei kann ich mir aber nichts denken.«

»Braucht's auch nicht.«

»Recht nett von dir.« Und besinnlich wiederholt er: »Weil 's leicht auch anders hätt kommen können; ... leicht auch anders hätt kommen können«, und schüttelt den Kopf dazu. »Heut hast schon amal wieder einen ganz wunderlichen Tag.«

»Man kann sich aber auch die Tag nöt raussuchen, Hochwürden Herr Franz. Man muß s' nehmen, wie s' auftreffen: grad oder krumm, hell oder dumm, sehend oder blind, – wie s' halt grad sind. Jetzt aber is grad a sehende Zeit.«

»Steckst denn noch allerweil in deiner Zigeunerei und ihrem Aberglauben drin? Damit wenn du mir nicht gehst, kannst du dich aber schon auf eine richtige Strafpredigt gefaßt machen.« »A was, Strafpredigt! Verzählen S' mir doch lieber, was der Pfannamichl vorhin von Ihnen wollen hat!«

»Neugierig warst ja von jeher; aber es soll ja auch kein Geheimnis sein. Im Gegenteil, ein Beispiel soll sich ein jedes daran nehmen für christliche Gesinnung, und wie die sogar alteingerostete Feindschaften durchbricht!«

»Und da soll man nöt neugierig werden, wenn im Zwergerhof auf einmal solchene Musterchristen hausen!« Und über Nellys braunes Gesicht irren die Blitzlichter von Hohn und Haß.

»Der Pfannamichl hat mich gefragt, ob die Mariann zur Afra herüberkommen darf.«

»Hahahaha!« lacht da, sich selber vergessend wie tags zuvor, die Nelly auf, wieder unter einem wilden Zwang. Und so will es der Hohn, der nicht von Kind auf in den Herzen wächst, sondern erst als Flugsamen des Lebensunkrauts von widrigen Winden hineingetragen werden muß. »Hab mir 's doch gleich denkt: da hat das scheinheilige Luder die Hand im Gspiel!«

»Auf die Weis ist ausgredt zwischen uns.« Und der Franz erhebt sich in unverhülltem Zorn und geht tiefer in den Garten zurück, wo die Bäume dichter stehen und nur in hoher Mittagsstunde die Sonne bis zu den Gräsern herabsinkt.

Und die Nelly schaut ihm nach, und dabei ermattet das Funkeln ihrer Augen zu jenem müden Schimmer, der das Seelenfenster weher Trauer ist. Und in dem raschen Wandel ihres Gefühls hastet sie dem Davonschreitenden nach und ergreift seine Hand und beugt sich stürmisch darauf nieder und küßt sie wie damals, da der Bub als Fürbitter vom Vater ihr den Verbleib auf dem Hof erbettelt hat. »Verzeih mir's, Hochwürden, aber in mir is alles drunter und drüber«, sagt sie und steht vor ihm mit zuckendem Gesicht und hat die Augen auf den Grasboden geheftet. Und dort irren die schwarzen Augen in Unrast hin und her, je länger, desto unsteter, und zeugen von dem inwendigen Unfried und Gewühl.

»Wie hätt 's leicht auch anders kommen können? – Jetzt verlang ich Antwort,« sagt er, »jetzt unbedingt«, und hämmert noch einmal, mit langsamen Schlägen, jedes einzelne Wort in die grün-dämmerige Stille hinein: »Wie hätt 's auch anders kommen können?«

Doch die Nelly schweigt, und ihre Augen irren.

»Dann bleibt's dabei: – ausgeredet.«

Da verwünscht die Nelly insgeheim ihr Plappermaul. Hat über dieses üble Organ doch so oft schon die abschreckendsten Geschichten gehört, und jetzt erliegt sie ihm selbst! Oder nicht? Steht es denn nicht bei ihr, zu schweigen? Allerdings, steht bei ihr. Aber – vor ihr steht auch die Drohung: ausgeredet. Ausgeredet heute, morgen und alle Tage, die noch vom Himmel fallen; denn auch sie kennt die Koglerischen. Wenn ihr doch geschwind etwas Gescheites einfiele! Etwas der Lüge nicht Verdächtiges und doch Erlogenes. Indes, so ist es: wie die Mücken im lauen Sommerabend, umsumsen einen sonst die gefälligsten Unwahrheiten, braucht man aber einmal eine schnell als Notbehelf, sind sie auf und davon.

Und so fällt denn auch der Nelly in diesem kritischen Augenblick nichts Gescheiteres als die Wahrheit ein, und so sagt sie, zögernd, stockend und ruckweise zwar, aber sie sagt es: »Dei Muatter, Hochwürden – dö hätt 's halt liaber gsehgn – wenn Sie – – gheirat hätten – – – dö Zwerger Mariann.«

»Wer sagt das?« Und heiser klingt aus einmal die Stimme des Franz. Aber doch so streng und zwingend. Oh, so zwingend! »Wer –?«

»D' Afra.«

»Wann?« Und was doch der Menschenstimme für ein übersinnliches Gebieten einwohnt! Selbst wenn sie sich leise, fast flüsternd gibt. »Wann –?«

Wer kann da widerstehen? Die Nelly wollte es. Ja. Gewiß. Aber sagte dann sogar mehr, als notwendig war: »Gestern. A paar Stund vor s' gstorben is.«

Aber, gleich als wäre sie damit von einem Bann befreit und es wieder hell in ihr geworden für die Erkenntnis, was sie getan: wieder packt sie seine Hand und küßt sie und stammelt: »Hochwürden, verzeih mir's!« und wendet sich und läuft und rennt aus dem Garten.

Und der junge Geistliche schaut ihr nach und bleibt in seiner starren Haltung stehen und schaut noch und schaut, als das Mädel schon längst verschwunden ist. Er schaut ins Leere, sagt die Oberflächlichkeit von einem solchen Blick, weil sie nimmermehr verstehen kann, in was für Tiefen und Fernen ein solches Schauen geht.


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