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Der Vetter

»Schon wieder eine um Ruhe und Frieden!« mag der liebe Gott bei sich gedacht haben, da er die Afra Holzinger also aus dem Koglerhof zu Würfling rufen hörte. »Ja, meine gute Afra, weißt denn du noch immer nicht, daß Ruhe und Frieden meiner Erde ohnehin zu eigen sind wie Sonnenluft und Waldesschatten, und jeder Mensch sich nehmen kann, so viel davon sein sehnendes Herz begehrt? Ja, daß diese Seelengüter nirgends lieber weilten und blieben als in der Menschenbrust, wenn die sich ihnen nur nicht gar so selten erschlösse? Nun, weil du bei deinen fünfundsechzig Lebensjahren noch nicht zu dieser erlösenden Erkenntnis dich durchgerungen hast, Afra Holzinger, würdest du sie auch mit siebzig nicht erlangen, und so will ich dir wenigstens weiteres Leid ...«

In dem Apfelbaum vor Afras Fenster erscholl jetzt munterer Finkenschlag, und ein Sonnenstrahl erreichte von der Seite her und am Baum vorbei so glücklich das Fenster, daß er sich mit breitem Gold, gehoben durch den unbesonnten, dämmerigen Teil der Kammer zu einer Art von Himmelsgruß, auf Afras Bett und Hände legte.

»Kunnt ja sein« dachte da, unter diesen guten Dingen, die Afra, »daß 's doch wieder recht wird mit mir. Nachher schau i mir aber so gwiß wie was den Platz an, wo der Franz nach der Priminz sei Anstellung kriagt.« Doch sogleich gemahnte sie auch schon heftiges Stechen in der Brust an die Vermessenheit ihrer Hoffnung. »Nix is 's. Aus wird's. In Gottsnam.« Und sie sinnierte wieder vor sich hin.

Da klopft es, und weil niemand zum Eintreten auffordert, klopft es noch einmal. Aber die Afra hört nichts, und so wird leise die Tür geöffnet und ein grauhaariger Mannsbilderkopf hereingestreckt. »Afra!« sagt der Kopf recht freundlich und nachdrücklich zugleich. Darob fährt die Afra aus ihrem halbwachen Hinbrüten auf und schaut nach der Tür: »Du bist da!«

Der Mesner Zistel ist es und einen großen, roten, rechteckigen Pappendeckel, von dem es goldig herglänzt, hat er unterm Arm. »Grüaß Gott, Afra!« sagt er, indem er ans Krankenbett herantritt. »Nur bloß ein bisserl nachschauen, wie 's mit dir steht, damit daß 's nöt etwa hoaßt: iatz is der Zistel Gschwisterkind mit der Afra, bekümmern tuat er si aber nöt drum.«

»A geh, dös sagt doch neamad.«

»D' Leut san oamal z' bös, Afra.«

»Und nachher hätt i mir a denkt, du kaamst wegen meiner und nöt wegen dö Leut.«

»Freili, freili wegen deiner – ma redt nur bloß. Und es freut mi, daß 's nöt so schlecht um di steht, als wia s' sagen.«

»Z' guat nöt, Zistel. Da wern s' scho recht hamm.«

»Hat di scho öfter ghabt. Hast di no alleweil rausgrissen.«

»Dösmal reißt 's mi nei. I woaß 's.«

»Drum möcht i dir zuvor noch gern die Tafel zoagen, dö wo auf'n Franzen sein Triumphbogen naufkimmt. Grad bin i fertig worn damit.« Und schon hält er der Kranken die Vorderseite des mitgebrachten Pappendeckels hin: »Han? Was sagst?« und liest von dem roten Grund die in Goldbuchstaben aufgeklebte Inschrift ab: »›Gottgesandter, kehre ein, – Geisteskraft uns zu verleihn!‹ Und alls aus mir selber ganz alloa – der Spruch aa.«

Indes, die Afra fragt: »Und auf der andern Seiten?«

»Da steht nix drauf«, sagt der Mesner etwas enttäuscht und kehrt die graue, nüchterne und unfestliche Pappdeckelseite nach vorn. »Mögst du da aa was droben haben?«

»Dös is gwiß. Da ghört doch a was drauf.«

Der Mesner jedoch hält diese Meinung für anspruchsvoll und anmaßend und in seinem Ärger läßt er sich zu der Entgegnung hinreißen: »Du moanst, scheint mir, weil dein Franzi Primiziant is, iatz siehgt er auf oamal hinten aa. So weit is 's aber nachher doch noch nöt und es braucht 's a nöt.« Und in seinem Eifer demonstriert er nunmehr die Durchfahrt des Primizianten durch den am Dorfeingang bereits aufgerichteten Triumphbogen. »A so, nöt wahr, von vorn und mei Tafi vor Augen, kimmt er auf'n Triumphbogen zua. Is er durch, hat er s' gsehgn und siehgt s' nimmer a. Und iatz glei werd i s' droben haben.«

»Schad.«

»Was schad? Han?«

»Daß hinten nix drauf steht.«

»Du muaßt doch scho bis zu deiner letzten Stund recht haben! Z' Münzing, beim Semmelbauern-Jackl seiner Priminz, hamm s' überhaupts nöt amal a Tafi droben ghabt, sondern nur bloß an Kranz!«

»Taat mir schier besser gfallen.«

»Du hast in dö langen Jahr von dein Bauern z'viel angnommen, Afra. Dem is a nur bloß wohl, wann er dö Leut was Unguats hinsagen kann.«

»O mei Zistel!«

»Jawohl. A so is er. Und woaßt, was drum iatz d' Leut sagen?«

»Wer so nahet an der Ewigkeit dran is wia i, der hat nimmer Zeit, daß er auf d' Leut aufpaßt.«

»Drum sag i dir 's. Es is a Wunder, sagen s', daß aus an solchen Haus a Herr fürakimmt.«

»Sagen s'?« meint gleichgültig die Afra.

»Aus an Haus, sagen s', wo der Ehbruch dahoam is.«

»Gwesen is, Zistel. Vielleicht. Amal.«

»Vielleicht? Dös wissen mir scho gwiß, warum der Kogler und der Zwerger a so an teuflischen Haß aufanander hamm.«

»No gwisser, Zistel, wird aber inser Herrgott wissen, warum er an Franzen trotzdem hat Geistlich wern lassen. Red eahm nöt so viel drein!«

»I red eahm nix drein. Ma sagt nur bloß, daß 's so was gibt; denn dös sell mit der Zwergerin, no dazua in Zwerger sein eignen Haus, dös wird wohl a Trumm Ehbruch gwen sei, daß man a nach zwanzg Jahr noch reden derf davo.«

»I bitt di aber, Zistel, sei stad! Dö Sach hat scho meiner Bäurin 's Leben kost und d' Zwergerin is ja a schon längst im Grab. Was bedeut da 's Reden?«

»I hab ja nöt anghebt davo. Anghebt hast ja du. Indem daß dir mei Tafi nöt paßt.« Und ganz leise sagt die Afra: »Sie paßt mir scho.«

Ruhe hat der Arzt für die Kranke anbefohlen. Ruhe und Stille. Leicht gesagt, wenn die Stimme des Bauernmenschen von den Hemmnissen und Widerständen seines Lebens nicht zu einem ständigen Fortissimo erzogen würde: vom brausenden Wald, den der Holzer überschreien muß, wenn sein Kamerad ihn noch verstehen soll, so gut wie vom störrischen Ochsen, der am Ackerende nicht wenden will.

Und so stürzt denn jetzt die Nelly besorgt herein, weil der Zistel so schreit, und schreit selber wieder ihn an: »Was machst denn da für a Metten, Mesner! D' Afra soll doch ihr Ruah haben und du schreist ja wie a Bsuffener.«

»I schrein? Ma redt ja doch nur bloß. Und i sag und sag's noch amal, wia dös hat sein kinna, daß aus so einem sündhaften Haus a Herr fürakimmt.«

Es wäre auch kaum geschehen, sagt die Afra und glaubt, damit den Zistel endlich zufriedenzustellen, wenn die Bäuerin noch lebte; »denn«, sagt sie, »die Bäurin hätt was anders liaber gsehgn.«

»Soo?« fragt aber der Zistel höchst verwundert, denn er ist einer von denen, die nie zufriedengestellt werden können. »Soo? Dös a no! Also nicht einmal dankbar sein für dö groß Gnad! Dös is ja no dös Allerschöner. Was hätt denn nachher gar dö Bäurin liaber gsehgn?«

»Laß mir jetzt mei Ruah und mach endlich dei Tafi nauf!«

»Was für a Tafi?« möchte die Nelly wissen, und nichts ist dem Zistel lieber, als auch ihr sein Werk zu zeigen und sie dabei von dessen Zweck und von Afras merkwürdiger Auffassung hinsichtlich der Rückseite der Tafel zu unterrichten. »Kannst da überhaupts no reden?« fragt er.

Nein, antwortet die Nelly, und sie sagt es diesmal flüsternd, da könne sie höchstens sagen, daß eben die Afra es nicht besser verstehe; denn die Tafel wäre gerade so, wie sie eben sei, eine Pracht und Herrlichkeit, daran man sich nicht satt sähe.

»Siehgst, a so sagst du mit deine zwanzg Jahr, und: gar koa Tafi gfallet ihr besser, sagt sie mit ihre sechzg. Was doch dös ausmacht, ob der Mensch an Verstand hat oder ob er koan hat! An solchen hilft 's Altwern a nix.«

»Wahr is 's,« bestätigt die Nelly, »und i sag nur bloß: schad ...«

»Was schad? Han?« fällt ihr der Zistel dazwischen, der schon wieder eine absprechende Kritik oder doch eine Einschränkung des vorausgegangenen Lobes befürchtet.

»... wenn's nöt heut no d' Leut sehgn; denn morgen, fürcht i, da hamm s' vor lauter Primizianten z' wenig Zeit dafür, und so was Schöns muaß ma langsam betrachten.«

»Aber i mach's ja so heut no nauf. Auf der Stell mach i 's nauf. Natürlich, langsam müassen sie 's betrachten kinna. Wahr is 's und recht hast. Pfüat enk Gott!« und damit ist er draußen.

»Gott sei Dank!« sagt die Afra. »Guat hast 'n nausbracht.«

»Afra, iatz muaßt du mir aber dafür sagen, was denn die Bäurin liaber gsehgn hätt als an Franz sei – sei – Geistlichkeit.«

»Dös hab i nur bloß a so gsagt.«

»Afra, – d' Wahrheit!«

»Und außerdem woaß i 's a gar nöt gwiß. Es is nur bloß a so a Glauben von mir.«

»Und was is dös für a Glauben, Afra?«

»So laß mir doch mei Ruah! Zerst scho der damische Mesner und iatz du a no!«

»Geh, Afra! Nöt bös wern!« und gar zärtlich streichelt sie dazu der Kranken die Wange.

»Bist alleweil scho so a Plaggeist gwen, du«, sagt die Afra. »Aber es is ja gar nöt der Red wert, weil doch alles anders kommen is. – Do Bäurin hat sich halt denkt, der Franzl wird amal heiraten.«

»Da hat sich die Bäurin nix Gscheits denkt«, meint aber die Nelly in aufspringender Gereiztheit, so daß die Afra eine besänftigende Erläuterung für geboten erachtet.

»No woaßt,« sagt sie, »dö Bäurin hat halt die Feindschaft von dö zwoa Hügelhöf gar so viel druckt. Und auf dö Weis, hat sie gmoant, kunnt am gschwindesten a Frieden wern. Und nur grab um dös hat s' bet't.«

Doch da bricht die Nelly in ein wildes, schier unmenschliches Gelächter aus. »Ha, ha, ha, ha! Dö Zwerger Mariann! Ja, an Dreck! Ha, ha, ha, ha! Soweit ja gar not gschleckig! Sonst nix mehr!« Und ihre Augen funkeln und leuchten und ihr Gesicht glüht. »Da hat mei Gebet scho mehr Gwalt ghabt als deiner saudummen Bäurin dös ihr. Ha, ha, ha ha!«

»Ja, Dirndl, i kenn di ja nimmer! Was hast denn? Und um was hast denn bet't?«

»Daß er Geistlich wird, der Franz, um dös hab i bet't«, schreit sie. »Ha, ha, ha, ha, ha! Ausgrutscht, Mariann!« Wieder fällt die Haustür zu mit dumpfem, entferntem Hall. »Für Zeit und Ewigkeit ausgrutscht!« Und wie verrückt rennt sie aus der Kammer und noch bis von der Stiege her gellt ihr wildes Lachen: »Ha, ha, ha, ha, ha!«

Die Afra aber bekreuzt sich und zieht den Rosenkranz hervor und legt seine Perlen um die gefalteten Hände und aus den aufgerissenen, starren Augen schaut eine Bauernseele weit über die Welt hinaus. Erst nach einer Weile flüstert sie mit bebenden Lippen: »Der Bäurin ihr Gebet – an Dirndl sei Gebet – iatz dös mei no dazua – – Himmlischer Vater, klaub dir's halt ausanander, indem daß mir Menschen oamal z' dumm san für dös, was is, und für dös, was werden soll aus uns und aus der ganzen Welt durch Jesum Christum insern Herrn Amen.«


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