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Der Primiziant

Es gibt nur zwei Begriffs denen der Bauer das Prädikat »Herr« selbst dann gönnt, wenn er nur von ihnen spricht: der Herr Mo', d. i. der Herr Mond, und der Herr Pfarrer. Ersterer für den Bauern so etwas wie eine Respektsperson, der er einen großen Einfluß auf das Wetter zuschreibt, und das Wetter, man weiß ja, Mißwachs und Wohlstand bedeutet es für die Bauernschaft. Und letzterer für das Landvolk der Repräsentant des einzigen studierten oder, wie die Städter sagen, akademischen Berufes, den der Bauer von alters her gelten läßt und für den allein er, wenn die Umstände sonst es erlauben, einen Sohn studieren, »auf die Geistlichkeit hinarbeiten« ließe.

Mag schon solch diesseitige Einstellung zum Priesterstand seine außerordentliche Wertschätzung in ländlicher Umwelt bedingen, so kommt noch als besondere Steigerung der dem Priestertum an sich innewohnende Jenseitseinschlag hinzu, der gerade im Neomysten zu solcher Gnadenfülle sich verdichtet, daß man heute noch von alten Bauern hören kann: um den Segen eines neugeweihten Priesters nicht zu versäumen, soll einer sogar sein Roß zuschanden fahren. Daher denn auch die Freude und der Stolz der Familie, in die nach langen Jahren des Hoffens und Ringens der Sohn als Neugeweihter zurückkehrt, um in der Heimat seine Primiz, d. i. sein erstes Meßopfer, zu feiern. Und daher auch die helle Teilnahme des Dorfes, vom Großbauern angefangen bis herunter zum letzten Häuselmann, an des Primizianten Ehrentag, der ja auch die Freude und der Stolz der Heimat ist.

Da fährt zum Beispiel – so wenigstens war es vor sechs Jahren in Würfling, beim Glöckner Toni, dem einzigen Sohn der Schusterswitwe Glöckner, – schon gleich zum Empfang des Primizianten auf der Bahnstation Samkirchen der Herr Pfarrer Lambert mit der Glöckner-Mutter im offenen, bekränzten Landauer nach Samkirchen hinüber; fährt mit ihr unter dem Würflinger Triumphbogen durch, daß die alte Glöcknerin in ihrer Bescheidenheit gar nicht weiß, wo hinschauen; redet der Herr Pfarrer zu ihr so gut und launig, daß es schier ein leichtes Antworten wär', wären nur die Umstände nicht gar so feierlich; fährt der Herr Pfarrer mit ihr auch unter dem Samkirchner Triumphbogen durch, daß die Glöckner-Mutter in ihrer Bescheidenheit schon wieder nicht weiß, wohin mit den Augen, und empfängt mit ihr den dem Bahnzug entsteigenden Primizianten, dem die Glöcknerin ganz schüchtern, als wär' er gar nicht ihr Sohn, die Hand zum Gruß hinstreckt. Und heimzu sitzt gar der Glöckner Toni von ehedem als der Zufeiernde rechts vom Herrn Pfarrer Lambert und die Glöckner-Mutter den beiden Herrn gegenüber auf dem Rücksitz und nimmt das für eine besondere Aufmerksamkeit, weil sie solcherweise von Samkirchen bis Würfling, d. i. zwei geschlagene Stunden lang, ihren hochwürdigen Sohn in einem fort vor Augen haben darf. Und wie sie nach Würfling kommen, krachen, haargenau so wie damals bei der Durchfahrt des Prinzregenten, auf der Strunzenleiten droben die Böller, daß es die Glöckner-Mutter nur so hebt auf ihrem Ehrensitz, und der Widerhall weit um den See kreist und allen Seedörflern zu wissen tut: »jetzt grad ist der Primiziant nach Würfling kommen.« Und neben den Würflinger Triumphbogen hat sich jetzt, bei der Rückkehr, sogar eine Blechmusik postiert und bläst mit ihren zugkräftigsten Weisen, man weiß nicht, ob den Primizianten oder seine Mutter an; aber jedenfalls weiß die alte Glöcknerin schon wieder nicht, wo sie nur grad hinschauen soll vor lauter Ehrung und Bescheidenheit. Und im Schritt geht es nunmehr durch das Dorf, und vor jedem Haus stehen Freunde und Bekannte im Sonntagsgewand, mit feierlichernsten Gesichtern, und da und dort hängt eine weiß-blaue Fahne zum Fenster heraus. Vor der Kirche aber, wo endlich der Wagen hält, wartet schon der vollzählige Gemeinderat, die Schule mit dem Lehrer an der Spitze, die Beamtenschaft, dargestellt durch den Gendarmeriewachtmeister und den Gemeindeschreiber, sowie eine dichtgedrängte und immer noch sich mehrende Menschenmenge. Kaum ist der Primiziant dem Wagen entstiegen, so tritt ein weißgekleidetes Mädchen aus den Reihen der Schulkinder vor, sagt ein wunderschönes und sehr langes Gedicht auf, das den Priesterstand verherrlicht und den Neupriester in der Heimat willkommen heißt, und bleibt auch nicht ein einziges Mal stecken. Hierauf betritt der Primiziant, gefolgt von jung und alt, die Dorfkirche und hält, bewegt und befangen, seine erste Ansprache von der Kanzel und erteilt zum erstenmal dem Volk seinen Segen. Der Glöckner-Mutter aber rinnen die blanken Tränen nur so über die gefurchten Wangen, auch dann noch, als sie schon wieder in der Kutsche ihren vermeintlichen Ehrenplatz einnimmt, um mit ihrem wieder vom Herrn Pfarrer geleiteten Sohn zu ihrem Häusel gefahren zu werden. Bis an ihr Ende wird sie behaupten: dieser Tag mit der Fahrt im bekränzten Ehrenwagen, hinüber neben dem Herrn Pfarrer und herüber mit dem Toni in einem fort vor Augen, sei sogar schöner gewesen als ihr Hochzeitstag und nur ewig schad, daß ihn ihr Mann, der Glöckner, nicht habe erleben dürfen. O mei, der Hochzeitstag! Da sei es schön brav zu Fuß angegangen, mit Sparen und Hausen aller Ecken und Enden, und schon am nächsten Tag in der Früh, weil doch das Häusel auf lauter Schulden aufgebaut gewesen, mit dem Gerichtsvollzieher, aber nicht als Gratulanten.

Ja, so großartig hebt eine Primiz nur schon an, und kein Zweifel: beim Kogler Franz wird es noch viel höher hergehen. Dafür ist schon er da, der Koglerbauer. –

In derselben Stunde nun, da der Koglerbauer auf dem Rettenbacher Gericht seine Überraschung erlebte, fiel eine zweite blitzblank, sozusagen vom Himmel herunter, daheim in seinen Hof. Und so vollkommen war auch dieses Würflinger Ungefähr, daß die Nelly mit einer Mischung von Aufschrei und Juchezer an der Haustür wie ein Kreisel sich um und um drehte und auf und davon stob, die Stiege hinauf und zur Afra hinein.

»Afra,« schreit sie, »verschrick nöt!« Als ob es für ein Krankes nicht schon Schreckens genug wäre, wenn jemand wie eine irre Hummel hereinbummst. »Afra, wer glaubst, daß kommen is?«

Die Afra riet auf den Herrn Pfarrer.

»Noch nöt ganz,« lachte die Nelly; »aber hast hübsch nah hingraten.«

Da klopft es auch schon. Und das Mädel springt zur Tür und riegelt zu und ruft durch die Tür durch: »Nur a bißl Geduld! D' Afra is noch nöt so weit.« Und so hell leuchtet ihr die Freude aus den Augen, daß davon sogar auf die Kranke noch der Widerschein eines Lächelns überspringt, und sie sagt: »Bist doch alleweil der gleiche Triebauf. Jatz sag aber: wer is denn da?«

»Dös sollst ja doch mir schon ankennen, wer 's is!«

»Weilst du vielleicht nöt alleweil gleich narrisch bist.«

»Afra – der Franz!« Und damit hat sie die Tür sperrangelweit aufgetan, und in der Tür steht lächelnd, groß und schlank, die Wildschützennase, wie einmal ein Maler sie getauft hat, scharf heraus aus seinem Koglergesicht, der Franz und sagt lächelnd: »Grüß Gott, beinander!«

»Franz! Du! Heut scho! Is 'leicht was passiert?« fragt die Afra so laut, als sie kann.

Und schon ist der Franz neben ihrem Bett und reicht ihr die Hand: »Grüß Gott, Afra! Woher was passiert. Mich hat 's einfach nicht mehr g'litten bis morgen. Heut früh sind wir frei geworden und da hab ich her müssen und schaun, wie 's dir geht. Und jetzt noch amal grüß Gott!«

»Aber Franz!« und aus Afras Freude klingt unverkennbar ein Unterton von Besorgnis heraus.

Franz überhört ihn, reicht freundlich auch der Nelly die Hand: »Nelly, grüß dich Gott!«

»Grüaß Gott!« sagt Nelly, freudigst berührt, hängt aber noch fremd und zaghaft an: – Hochwürden Herr Franz.«

Da muß er lächeln: »So, so. So genau nimmst es du!«

Doch die Afra kommt von ihrer Besorgtheit nicht weg: »Aber heut schon, Franz! Heut schon. Hättst denn gar nimmer warten können?«

»Können – ich hab dir 's ja schon gsagt: g'litten hat 's mich nimmer. Her hab ich müssen.«

»Aber, Franz, schau, du bist ja erst auf morgen angsagt. Mir is 's ja nur bloß wegen dein Einzug.«

»Und mir wegen deinem Kranksein. Heut noch hab ich wissen wollen, wie 's steht. Gott sei Dank: d' Nelly hat mich umsonst erschreckt.«

Die Afra verneint mit Handbewegung und Kopfschütteln. »Und der Vater!« sagt sie. »Grad der Vater hat si so auf dein Einzug gfreut. Heut erst hat er 's noch gsagt, bevor er fort is.«

Franz sinnt nach. »Der Vater macht halt gern etwas daraus, was nicht dazu gehört. Kann mir 's schon denken. Aber, Afra, in die Pfarrkirche ziehen wir morgen von hier aus. Da kommt der Vater schon noch zu seinem Recht.«

»I woaß 's nöt, Bua, i woaß 's nöt. Und nachher is 's a wegen dö Leut. Dö möchten dein Einzug durch 'n Triumphbogen sehgn. Hat der Mesner eigens a Tafel mit goldner Inschrift gmacht.«

»Die Würflinger werden mich hier noch lang genug zum Anschauen und Feiern haben.«

Die Afra aber kann sich nun einmal nicht darein finden in diese unzeremonielle Ankunft eines Primizianten und kehrt immer wieder zu ihr zurück. »Z' Fuaß daherkommen! A Primiziant! Und muatterseelenalloa – so was is no nöt dagwen.«

»Tröst dich, Afra! Gar so verlassen war mein Weg von Samkirchen her nicht. Die Zwerger Mariann ist mit mir herüber.«

»Wer?« fragt die Afra. »D' Mariann? Ja, is denn heut alls verkehrt?« Und die Nelly kommt jetzt, den Franz mit den Augen verschlingend, ebenfalls ans Bett heran.

»Es war sicher verkehrt gewesen, Afra, wenn ich mich, nachdem einmal die Mariann mit dem gleichen Zug angekommen ist, scheu vorbeigedrückt hätt. Im Gegenteil, in diesem Zusammentreffen hab ich ein besonderes Zeichen gesehn: – als Priester sollt' ich auch in dieses Haus den Frieden bringen. Und es reut mich, daß ich nicht schon früher den Weg dazu eingeschlagen hab.«

»Als Priester –« wiederholt die Afra in tiefem Sinnen. »Freilich, freilich – a alter Mensch siehcht nur nöt alleweil glei den kürzesten Weg.«

»Und, Afra, der Weg zu Fuß von der Eisenbahn herüber, durch 'n Wald und die Sulzer Au und alleweil näher an die Berg her und unserm Kirchturm zu – mich hat er noch gar nie so gfreut wie heut. Und dabei im Diskurrieren mit der Mariann immer weiter in unsre Kinderzeit hinein, wie wir noch miteinander in die Schul gangen sind, – Afra, ein schlechter Einzug war das auch nicht.

Da geht die Nelly so ungut aus der Kammer und haut fast die Tür hinter sich zu, daß der Franz sagt: »Was hat denn jetzt die auf einmal?«

»Is überhaupts oft recht launisch«, erklärt die Afra. »Hat an Durchanander im Kopf und gspaßige Reden auf der Zung. Kunnt i auf und meiner Arbet nach, waar 's wohl a besser mit ihr.«

»Sorg dich um d' Arbeit nöt, Afra! Die lauft dir nicht davon.«

»Wann i s' no amal derwisch, scho.«

»Und bleib mir schön ruhig liegen! – Habts mir meine Kammer wieder hergricht?«

»Hab scho gmoant die schön Stuben, Franz. Aber d' Nelly hat gsagt na, dös magst du durchaus gar nöt.«

»Recht hat s'.«

»Und so hast du halt wieder bei alte Buaben- und Studentenkammer.«

»Brav! Und gleich such ich sie aus. Hab dich so schon hübsch lang um deine Ruh bracht. Weiß schon, daß der Doktor dir vor allem Ruhe anbefohlen hat. Und ich komm schon wieder und schau nach dir.« Und er gibt ihr die Hand und geht in seine alte Bubenkammer. Und zeitweis werden die stummen Dinge beredt.

Was sie in solcher Stunde dann alles daherreden, wäre wahrscheinlich so bunt wie die Welt und so tief wie das Leben, wenn es aufgezeichnet würde. Aber wo ist die Urkundsperson dazu? Die Schreibersleute, gewiß, sie wären zahlreich genug und auch dankbar für jedes aufgefangene Wort, aber, ach, sie hören ja diese Zwischenstimmen der Umwelt nicht, und ein Dichter, der das Ohr dafür hätte, ist leider nicht immer gleich zur Hand.

Beim Kogler Franz aber lag die Sache anders. Der hat ja selber Verse gemacht, schon als Gymnasiast, und hat sie dann der armen Nelly diktiert oder von ihr abschreiben lassen. Und die Nelly, meinend, was Wunder sie daran hätte, tat noch ein übriges und lernte das Zeug auswendig. Darum aber – sein einziger Lohn für solche Bemühung – hatte der Franz das Ohr für die stummen Dinge und hörte jetzt, da er in seiner alten Kammer sich umsah, dies und das.

Da hing zum Beispiel gleich an der Wand vorne, neben dem Fenster, wie all die Jahre her und einem ausdrücklichen Wunsche des Franz zufolge, immer noch sein Schulranzen aus der Kinderzeit, und gleich fing der an: »Ha, Franzl, endlich wieder mal hiesig! Ich geh noch drauf vor Langweil da herin, sag ich dir. Schenk mich doch einem armen Buben, wenn du schon selber mich nimmer magst!«

»Bsssst!« macht der Franz. »Was hast denn? Ich mag dich ja. Siehst ja, daß ich mich nicht trennen kann von dir. Und die Schulbüchl sind ja sowieso alle miteinander noch in dir drin.«

»Die Schulbüchl! Damit wenn du mir nicht gehst! Aber das lustige den Berg Hinuntersausen auf dem Rodelschlitten, hinter der Zwerger Mariann drein, und das miteinander wieder Hinaufsteigen nach der Schul, du und die Mariann, eure Rodel nachziehend; und das Schneeballenschmeißen unten im Dorf, Buben und Mädel durcheinander, ja, das ist was andres und das war noch eine Zeit. Bis dann der alte Zwerger der Mariann verboten hat, mit dir zu gehn, der ausgedörrte Griesgram, und ihr zwei daraufhin die letzte Wegstrecke heimzu und die erste ins Dorf hinunter getrennt, im übrigen aber doch immer wieder vereint dahinmarschiert seid, oft genug sogar Hand in Hand, grad extra, weil eure Väter das so gar nicht leiden konnten. Pfui Teufel, Kindern sich so in den Weg zu stellen!«

Darüber ist dann der Franz ins Sinnieren und Spintisieren hineingeraten, mit allerhand neckischen Aspekten, denn dagegen ist auch ein Ausgeweihter und ein Neupriester nicht gefeit, ja, wie so manche Legende ausweist, wagt der Böse sogar an ausgesprochene Heiligen-Karrieren sich heran, weil natürlich der größeren Mühewaltung, wenn schon wirklich die Praxis der Fallstricke obsiegt, auch ein größerer Triumph entspricht. Und so zogen also an dem Kogler Franz in dieser stillen Stunde mancherlei Erinnerungsbilder vorbei.

Zunächst: wie das kleine, rotwangige Schulmädel mit den starren, blonden Zöpfen in kindlicher Unbewußtheit ihm so zugetan war, daß es eines Tages sagte: »Aber Franzl, wenn du a Herr (Geistlicher) wirft, nacher können mir zwoa ja nia zammheiraten, sagt unser Dirn«, und wie er darauf nach bockiger Bubenart nichts Freundlicheres zu erwidern gewußt hat als: »Du wirst doch nöt glauben, daß i di mögen hätt.«

Dann: wie sie, weil ihr Vater an Bildungsaufwand hinter dem Kogler nicht zurückstehen wollte, zwecks »höherer Ausbildung« zu den Salesianerinnen nach Kloster Beuerberg gebracht wurde, und er, der Franz, auf eine beträchtliche Entfernung allerdings und mittelst des väterlichen Jagdfeldstechers, von der dichtbelaubten Krone eines Birnbaumes aus, der Abfahrtszene beiwohnte und, den Atem verhaltend, genau beobachtete, wie die Mariann von allem Lebendigen ihres Hofes, vom Pfannamichl angefangen bis herunter zum Kettenhund, einen gar innigen Abschied nahm.

Und drittens: wie sie erst nach vier oder fünf Jahren sich wieder sahen und beide so fremd und steif taten, als hätten sie sich nie gekannt, – sie, die Mariann, mit der ganzen Zurückhaltung weltferner Erziehung, die sogar über ihr ehedem so frisches Gesicht Gewalt bekommen zu haben schien, denn die Wangen waren jetzt bleich, und den Blick drückte leise Schwermut, und er, der Franz, dank Seminar und Jünglingsunreife, von jenen hölzern-läppischen Umgangsformen, die um so unkleidsamer wirken, je wohlgefälliger an sich so ein junger Stengel geraten ist.

Und viertens: wie sie dann, wiederum nach einem Zwischenraum von Jahren, heute miteinander ... Doch da entnahm der junge Priester seiner Reisetasche das Brevierbuch, und – der Teufel entwich. Labiliter ist das Brevier zu beten, d. h. nicht bloß gedanklich, sondern mit emsig bewegten Lippen, und lange betete also der Kogler Franz. Hierauf aber kam es doch in der drückenden Schwüle so, daß die Lippen langsamer und zager sich regten und endlich stillhielten, wie denn auch automatisch die Augen zufielen.

Es saßen aber unterdessen, denn es ging doch allmählich dem Abend und das Tagwerk allenthalben seinem Ende zu, im Würslinger Psarrhos gewichtige Männer um den Herrn Pfarrer Lambert, auf daß noch einmal das Empfangszeremoniell für den morgigen Tag durchberaten und klipp und klar festgesetzt werde, wer daran aktiv beteiligt sei. Und alles ging nach Wunsch und Vorbesprechung. Lediglich die Meinung des Kirchenpflegers, schon die Fahrt nach Samkirchen hätte in einem zweiten Wagen eine Abordnung des Gemeinderats mitzumachen, stieß auf den Widerspruch eines Neidhammels, weil beim Glöckner Toni ein derartiger Fuhrkostenaufwand auch nicht getrieben worden sei, und überdies der Koglerbauer, der eigentlich als Gemeinderat der gegenwärtigen Besprechung hätte anwohnen müssen, durch sein Wegbleiben wieder einmal auf seine hinlänglich bekannte Manier seine mißachtende Gleichgültigkeit zum Ausdruck gebracht habe. Quod non fiel indes da der Pfarrherr ein, und im Gegenteil: nur durch eine gerichtliche Vorladung auf den heutigen Nachmittag in einer Erbschaftsangelegenheit, die sich doch noch zu seinen Gunsten gewendet habe, sei der Kogler an der Teilnahme verhindert; aber gerade mit Rücksicht auf diese günstige Wendung und voll Freude über die bevorstehende Ankunft seines Primizianten habe ihm der Kogler heute einen nagelneuen Hunderter für die Gemeindekasse behändigt, damit davon schon in den nächsten Tagen die Gemeindearmen ausgespeist würden. »Bravo!«– »Respekt!« – »Hochachtung!« riefen da die Männer durcheinander, und selbst der Neidhammel erklärte, unter solchen Umständen bekämpfe er nicht länger mehr die Beteiligung des Gemeinderats an der Fahrt nach Samkirchen. Der Bürgermeister aber stand sogar auf und sprach: »Ich erhebe mich zum Zeichen der Anerkennung von den Sitzen.« Darauf setzte er sich wieder nieder.

Und wenn einer an diesem Spätnachmittag durchs Dorf spaziert wäre, hätte er vor und in den Häusern und Höfen eine auffallende Rührigkeit wahrgenommen: ein Schruppen und Putzen, ein Riegeln und Striegeln, ein Jäten und Fegen an Tür und Fenster, aus Treppe und Flur, in Garten und Stube, ein Hin und Her von Mägden und Frauen, und hätte aus dem Gehaste da und dort eine Weiberstimme herausgehört, etwa: »Für 'n alten Kogler, na, pfüat di Gott, koan Finger taat i rühren; aber für 'n jungen – ja, gern a no. Denn der wird a richtiger Herr: es is eahm koaner z' gring und is eahm koaner z' hoch, und schaut er di o', so woaßt genau: dem is 's not gleich, ob 's dir guat geht oder miserabi.«


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