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Der Osterhas

Nun ist der Frühling erwacht, und lichte Bänder flattern! Auf den Garten legt sich so sanft die Nacht, auf die Seele so schwer der Traum ... Den Traum vom Osterhasen meine ich; denn wie dieses einst so liebliche Tier uns ausgewachsenen Leuten unter die Augen geht, das ist schon wirklich eine Schande. Das weiche Sammetfell, die spielenden Löffel, die freundliche Blume, das treuherzige, etwas verdutzte Auge – alles ist dahin, und er kommt auf einen zu wie eine wackelige Schnitzbank; wenn's gut geht, mit dem Federbusch eines pensionierten Generals der Republik Bolivia als Schwanz. Was hilft es uns, daß er so gewachsen ist und, meckernd, immer wieder versichert: »I' waar der Osterhas, gnä' Herr! Der Osterhas! Kennan S' mi' denn nimmer?« Wir sind fast unangenehm berührt und sagen deshalb: »Hm –«, und nach einer Pause der Sammlung fügen wir würdevoll bei: »Alles ist Wechsel und Wandel. Die Illusion verfliegt, die Erscheinungsformen ändern sich. Betrachten Sie nur sich selbst! ...« »A Kreuz is«, meckert der Osterhas, indem er traurig auf sein bolivianisches Ende zurückschaut. »Das Ortsgeschenk erhalten Sie auf der Polizeiwache! Hier wird nichts gegeben.« Damit werfen wir die Tür zu, und die Schnitzbank geht.

Wechsel und Wandel! Vor dem Tor der kleinen Stadt, längst in fremder Hand, das Elternhaus. Keine Wolke am Himmel, kein Wunsch in der Brust, und die Vögel singen im tiefen Garten. Solche Plätze liebt der Osterhas; den mit dem weichen Pelz und den flinken Beinen meine ich. Da legt er, was er nur legen kann, und sind es heute blaue Eier gewesen, so werden es morgen rote und übermorgen grüne sein. Und manchmal legt er, wie ein gefeierter Dirigent, der eins dreingibt, noch einen Mandelstern dazu oder ein Zimtherz, und auf dem Gipfel seiner Leistungsfähigkeit hinterläßt er uns sogar sein getreues kleines Ebenbild aus rotem Fruchtzucker. Hingegen ist das große Schaum-Ei mit den Heiligenbildchen rund herum von der Frau Appellrat und nicht vom Osterhasen, und das lassen wir uns nicht nehmen.

»Geschwind, Buben, geschwind!« schreit unsere gute alte Rosi, »grad springt er bei den Fichten vorn durch den Zaun!« Den heiligen drei Königen hat es auf Bethlehem hinzu nicht so pressiert wie uns nach jener Gartenecke hin. Ich überrenne meine Schwester im duftigen Frühlingskleidchen – nur gut, daß es der Osterhas nicht gesehen hat! – und werde doch nicht der erste. Lauter gelbe Eier sind es heute. Merkwürdig, was so ein Tier für Launen hat! »Buben, geschwind! Jetzt sitzt er grad unterm Nußbaum hinten!« Nein, ist das ein Gerenn, in der heiligen Osterzeit! Sein ganzes späteres Leben dürfte einer zum Ausschnaufen hernehmen. Und noch dazu umsonst, für nichts und wieder nichts, und unsere alte Rosi lacht und lacht und sagt, der Has hätte uns diesmal gefoppt. Wir haben's aber auf sie, und über den Osterhasen traut sich keiner ein Wörtchen zu sagen – ganz natürlich: er hat uns ja in der Hand und kann jeden Tag mit dem Legen aufhören. So frühzeitig gerät oft schon der Mensch in eine unwürdige Abhängigkeit.

Im strahlenden Frühlingsmantel kamen dann die Feiertage. Auf der Bank unterm Nußbaum sitzt unser Knecht im müßigen Nachmittag und bläst aus der kurzen Pfeife mit dem Königssee auf dem Porzellankopf blaue Rauchwölklein, eins hinter dem andern, und sinniert dazu. Kaum sehen wir ihn, sind wir dort. Er soll erzählen! Von was denn? Vom Krieg, vom Bauerndienst, vom Fischen und Jagen, von was er will! Uns ist es gleich und ihm auch; denn überallher weiß er Geschichten. Lange, die an einem Tag nicht aus werden, und kurze, ach so kurze, traurige und lustige. Und wie er sie erzählt! Kein Auge verwendet er von unsern Gesichtern, berechnet genau daraus den Eindruck und vertieft die Farben, deutet in Umrissen an, verweilt oder schreitet weiter, wie er's braucht. Nie stört ein Schmunzeln seine Objektivität, nie ist er ums Wort verlegen, nie um den Ausgang. Kleine Kunstpausen verdeckt er anheimelnd mit ein paar stärkeren Zügen, auf daß der Kanaster schön in Brand bleibe, und wenn er sich wirklich einmal nicht mehr hinaussieht, dann klopft er einfach ein klein wenig die Pfeife aus und hat's wieder. Er ist der geborene Fabulist.

Also vom Krieg! Der Knecht stopft auffallend lang an der Pfeife herum. Endlich beginnt er: »Es war in Frankreich, in Schartreß (Chartres) hinten.« Er kapriziert sich darauf, alle geographischen Namen seiner Kriegsgeschichten durch das bescheidene Umstandswort den Zuhörern näher zu bringen; möglicherweise ist's aber auch nur eine unbewußte Nachwirkung seiner Zugehörigkeit zum Train. »In Schartreß hinten. Dort reden alle Leute französisch, ein jeder Hausknecht und ein jeder Schusterbub. Aus diesem Grund hat auch der Mosié Sorel schon in aller Früh auf Französisch zu seiner Nachbarin, der Madam Egl (Aigle), hinüberg'schrien: ›Sie Beißzang! Sie Hausdrach! Sie Trud!‹, und hat die Madam Egl französisch wieder herüberg'schrien: ›Alter Esel!‹ und sonst nix. Es hat aber grad g'langt für den alten Franzosen; denn er hat einen brennroten Kopf 'kriegt und hat weiterg'schrien: ›Geben Sie mir zuerst das Ei wieder, das Sie gestern von meinem Grund und Boden weg und durch den Zaun durch in Ihren Garten hinübergekratzt haben, dann können Sie mich einen alten Esel nennen und früher nicht, Sie alte Hex'!‹ Da hat die Madam Egl das allergrößte Ei aus ihrer Kammer daher'bracht und hat's dem Mosié Sorel 'nüberg'schmissen, daß die gelbe Soß über den grünen Fensterladen 'runterg'laufen ist, und hat dazu wieder nur g'schrien: ›Sie alter Esel!‹ und weiter nix. ›Egl! Egl! Egl! Egl! Bluategl! Bluategl!‹ hat da der alte Franzos fünf Minuten lang 'bimbbert und 'bebbert, weil ihm in seinem Zorn sonst rein nix eing'fallen ist, und ist gesprungen dazu wie ein wilder Gockl. Dann aber hat er den Fensterladen abg'waschen, versteht sich, weil die Ostertäg vor der Tür waren, und seine Händ' hab'n noch immer 'zittert bei der Verrichtung vor lauter Gift und inwendiger Aufregung. Auf diese Weis' und Gehässigkeit hab'n aber die zwei Leutln schon die ganzen Jahr' her nebeneinander g'haust, und es ist nicht zum glauben, was sie einander alles an'tan hab'n, garaus auf so heilige Zeiten hin. Und einen Geiz hab'n s' g'habt – so was kann kein Mensch beschreiben; i a nöt. Denkt's euch nur: Am Karsamstag auf den Abend um fünfe, g'rad vor der Auferstehung, kommt der Madam Egl ihr Sohn daher, zum Besuch für die Feiertag. Er war Reitknecht auf einem G'schloß, und seine Herrschaft hat sich über die Ostertäg verreist. Da hätt' einer das Gesicht der Madam Egl photographieren sollen: ein Aug' hat sie ganz zug'macht und das andre nur halb auf und kaum daß sie das ›Grüß Gott‹ raus'bracht hat. Es ist ihr nämlich gleich ganz heiß durch und durch g'fahren, um wie viel jetzt mehr aufgehen wird, bis der Bub glücklich wieder dahin ist. Und genau zur selbigen Stund ist beim Mosié Sorel drüben seine Tochter ein'troffen; denn die war auch auf einem G'schloß, und zwar Kammerjungfer. Und auch dem Mosé Sorel ist die Überraschung wie ein Dachziegel auf den Kopf g'fallen und hat ihm das Gesicht entstellt, und auch er hat auf der Stell einen Überschlag g'macht über den feiertäglichen Mehraufwand. Dann aber sind sie in die Auferstehung, die Madam Egl und der alte Franzos, wie sich's für gute Christen gehört. In der Kirch drin, wie sie auf dem Chor droben so schön g'sungen haben: ›Christus ist erstanden!‹, da ist die Madam Egl mit sich eins worden, daß auch für die Feiertag und für den Gast als Frühstück a Wassersuppen gut genug ist, und der alte Franzos hat den ganz gleichen Beschluß sogar für das Mittagessen g'faßt. Kinder! a Wassersuppen am Ostertag! zum Fruahstuck und als Mittagessen! Bald drauf ist's Nacht worden, stockfinstre Nacht; denn Tag und Nacht sind in Frankreich hinten akkrat wie bei uns.«

Die Pfeife zieht nicht mehr. Ein paar kräftige Züge sind ergebnislos. Der Knecht klopft daher den Königssee mit dem Weichselrohr aus und tut frischen Tabak hinein. Noch unter dieser Arbeit fährt er fort: »Bei uns, das wißt ihr ja selber, geht der Osterhas am hellichten Tag um; in Frankreich aber bei der Nacht. Und das ist der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich. Wie nun der Mosié Sorel bacherlwarm in seinem Bett liegt, d' Nasen schier zwischen die Knie drin, da spürt er auf einmal einen malefizischen Druck auf der Brust. Er legt sich, halb im Schlaf, halb munter, auf'n Buckel, aber es wird nicht besser, im Gegenteil, bald ist's nimmer zum aushalten, und der Franzos fangt zum jammern an. Die Sach liegt aber einfach so: der Osterhas, der ja die Freigebigkeit selber ist und drum die geizigen Leut absolut nicht verputzen kann, hat sich dem Franzosen aufs Oberbett naufg'setzt und macht sich so schwer, daß der alte Lump glaubt, d' Seel druckt's ihm raus. ›Au weh! au weh!‹ achezt er, ›aus is's! Dahin geht's!‹ – ›Druckt di' 'leicht was?‹ fragt der Osterhas in der Finsternis, ›du Geizhammel!‹, und der Franzos glaubt, der Teufel holt ihn, und bittet herzzerreißend um Aufschub. ›Was willst du morgen, das ist am hochheiligen Ostertag, deinem einzigen Kind, das so weit aus der Fremd' her'kommen ist, als Mittagsmahl vorsetzen?‹ fragt der Osterhas streng, wie der Landrichter. – ›A Wassersuppen hab' i' mir denkt, weil's gleich is‹, sagt recht duckmausig der Mosié. – ›A Schweinsbratl muaß her!‹ schreit der Osterhas, ›verstehst mi', mit an Krautsalat!‹ – ›Jess', Maria und Josef!‹ woiselt der Franzos, ›taat 's denn nöt der Krautsalat alloa aa?‹ – ›A Schweinsbratl muaß her!‹ brüllt der Osterhas, ›willst oder willst nöt?‹ – ›I' will‹, sagt der Mosié. – ›Guat,‹ sagt der Has, ›nacher geh' i' für heut.‹ Und er ist auch 'gangen. Aber was er auf dem Franzosen seinem Oberbett zrucklassen hat, das war kein Osterei nicht, sondern ein bei weitem ganz andrer Gegenstand. Und vom Mosié Sorel weg ist er direkt zur Madam Egl 'nüber und hat der auf die ganz gleiche Weis' bei'bracht, daß sich für den Ostertag als Frühstück a Schal'n Kaffee und a Guglhopf g'hört und niemals nicht a Wassersuppen. Die Madam Egl hätt' sich mit ein paar Vaterunser für die armen Seelen abfinden wollen, aber der Has ist auf der Schal'n Kaffee und auf dem Guglhopf bestanden, wie der Rentamtsbot auf der Steuerzahlung. ›Kreuzschlapperament!‹ hat er zum Schluß noch g'sagt, ›glei morgen bin i' wieder da, wenn 's nöt so ausfallt.‹ Dann ist er fort und hat den Franzosenkindern die prachtvollsten Eier vor die Fenster g'legt. Und jetzt kommt das Schönste. Währenddem daß am andern Tag alle Franzosen beim Hochamt beten, was s' nur 'rausbringen, legt der Osterhas ganz stad in der Madam Egl ihr Schlafhauben gewiß ein Dutzend Eier hinein, eins schöner als das andre, blaue, rote, grüne, gelbe und eins gar mit zwei flammenden Herzen. Aber, Kinder, glaubt's ja fein nicht, daß sich der Osterhas für die Madam Egl so viel Müh' 'geben hätt'! Keine Idee! Er hat's nur wegen dem Reitknecht 'tan. Der nicht faul, nimmt auch gleich die Schlafhauben mitsamt den Eiern und rennt damit zum Mosié Sorel 'nüber. Aber, Kinder, glaubt's fein ja nicht, daß er wegen dem alten Franzosen so g'rennt ist! Keine Idee! Er hat bloß dem alten Franzosen seiner Tochter die Eier bringen wollen, und weil die grad so dag'standen ist, mitten im Weg, und auch nicht weg'gangen ist, so ist er ihr halt mitsamt der Madam Egl ihrer Schlafhauben um den Hals g'fallen, und der Mosié Sorel hat wieder seinen Dachziegel droben g'habt. Vor dem Häusl draußen haben die Vögel g'sungen, grad wie bei uns da, und ein Vierteljahr drauf haben s' Hochzeit g'macht.«

»Wer?« fragt der Jüngste von uns.

»Ist der dumm!« schreit der Älteste, »der Reitknecht und die Kammerjungfer!«

»Ja,« sagt der Knecht, »und auf die Weis' ist endlich Frieden worden. Das alles kann der Osterhas. Mir hat die G'schicht mein Quartierherr in Schartreß hinten, ein armer Siebmacher, beim Kindstaufschmaus erzählt. Und weil ich nöt Französisch und der Franzos kein Wörtl Deutsch verstanden hat, so ist die gegenseitige Verständigung schier ein Geschäft g'wesen, wie das Eierlegen für den Osterhasen.«

Er schweigt. Wir sagen auch nichts, und weil keines von uns das Gras wachsen hört, ist alles still, unter Knospengerank und Sonnenglanz. Es ruht die Welt in einem köstlichen Augenblick. Dann aber kräht unser Hahn (nie hat ein Hahn schöner als unsrer gekräht), der Frühlingswind spielt von der Halde her, daß die Blumen erzittern bis in die Wurzeln hinein, und säuselnd klingt es im Feld: muß wandern! muß wandern!

Etliche dreißig Jahre sind seitdem vergangen. Da erhebt sich auf einmal wieder das Geschrei um jenes Tier. »Geschwind, Papa, geschwind! Der Osterhas!«

»Wo?« frag' ich ganz verwirrt, »wo denn?«

»Unterm Eichbaum! geschwind nur! geschwind!« Den möcht' ich sehen, der da nicht Beine kriegt!

Der Has selber ist ja, wie einstens, schon wieder fort, aber viele Eier, bunt wie die Freude, weisen seine anmutige Spur. »Dort,« rufe ich, »dort läuft er!«

»Wo? Wo?«

»Grad ist er hinterm Hügel verschwunden!«

Hinter dem Hügel mit dem sprießenden Grün, der so freundlich den Blick auf das Leben hemmt. Die Kinder jubeln, ein Haushahn kräht in der Nachbarschaft, – bis ans Ende der Welt muß man's hören. Nun ist der Frühling erwacht, und lichte Bänder flattern, und die Bäche schwellen und vergehn im Strom.


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