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Um den Gemeindeschäfer

Das also ist das Häusl des Gemeindeschäfers von Breitenbrunn. Das der Schafablaß, wo der Gemeindeschäfer die zottigen Schafe im klaren Mühlbach wäscht, das der Rain, auf dem er die blökenden Schafe in der guten Maienzeit schert, und das die Sonne, die ihm dabei zuschaut von früh bis spät, heute aber nur die Schafe sieht, die wartend und dichtgedrängt vor dem Schäferhäusl stehen, doch weit und breit keinen Schäfer. Ganz natürlich; denn der Schäfer liegt drinnen in der armseligen Stube, lang ausgestreckt auf seinem Bett, und stirbt. Die zwei winzigen Fenster der Stube aber schauen nach Osten, und die Sonne steht im Westen. Wie sollte sie da den Schäfer sehen?

Um das Bett des Schäfers herum stehen sein Weib, seine Söhne und Töchter, aus Fremde und Bauerndienst herbeigeeilt, damit sie den Vater noch einmal sehen, seine Schwiegersöhne und Enkelkinder, und am Fußende des Bettes steht der katholische Pfarrer. Der Schäfer aber liegt da mit seinem wetterharten, tiefgefurchten, schmalen Gesicht, die weißen Haare wirr in die Stirn herein, die langen Arme über der zerlumpten Decke und laß den Körper entlang, liegt da, so geruhig und kampflos, als wolle er nur einmal beim hellichten Tag recht ausrasten von seinem Rackerleben und habe die Leute an seinem Bett nur zu dem seltenen Schaustück eingeladen. Sie verwenden auch keinen Blick von ihm, und wie er noch einmal die Augen auftut und ein paar unverständliche Worte murmelt, da ruft der Pfarrer: »Jetzt! Jetzt!« und der älteste Sohn drückt dem Vater die Feder in die schlaffe Hand, und die Mutter unterbreitet dieser Hand einen Bogen Papier, damit der Vater mit seiner letzten Lebenskraft noch unterschreibe. Auf dem Papier aber steht von des Pfarrers Hand: »Ich habe katholisch geheiratet, habe mit den Meinen katholisch gebetet, bin immer für den katholischen Brauch gewesen und will katholisch sterben«, und unter diese Schrift macht der Schäfer, indem sie ihm die unsichere Hand stützen, ein paar Kratzer, die da heißen sollen: Andreas Blömm; denn das ist des Schäfers Name. Und kaum hat er zum letztenmal seinen Namen geschrieben, der freilich so aussieht, als schriebe er ihn zum erstenmal, da setzt auch schon am Fußende des Bettes der Pfarrer Neusiegl mit Öl und Chrisam ein, indem er dem Sterbenden noch schnell die letzte Ölung verabreicht. Der Schäfer indes, dem schon seit vierundzwanzig Stunden alles gleich ist, macht wieder die Augen zu und schlummert hinüber, so schmerzlos und unbewegt, als wär' das Sterben ein alltägliches Geschäft, mag nun Chrisam dabei sein oder nicht. Und Tränen in den Augen, doch tiefberuhigt und hochbefriedigt, eben wegen des Chrisams, schauen Frau, Kinder und Enkel dem Schäfer nach und vermeinen schier zu sehen, wie sich für ihn die Himmelstür öffnet, nicht, weil der Schäfer das Leben des Gerechten geführt hat, sondern eben wegen des Öls und wegen des Chrisams. Der Schäfer ist nämlich ein Lutherischer gewesen, zeit seines Lebens, hat zwar eine Katholische auf katholische Art geheiratet, hat seine Kinder und Enkel alle katholisch gepfercht, ist aber selber mit Herz und Verstand lutherisch geblieben.

Aus diesem Grunde schwingt sich in der benachbarten Landstadt der lutherische Pastor Röckenschuß, sowie er von dem bevorstehenden Ende des Gemeindeschäfers in Breitenbrunn erfährt, auf sein Rad und strampelt mit fliegenden Rockschößen die Landstraße dahin, als könnt' ein Gemeindeschäfer ohne ihn absolut nicht sterben. Oha, Herr Pastor! Schon die katholische Konkurrenz zur Stelle, mit letztwilliger Erklärung und Unterschrift, und übrigens der Schäfer Blömm auch soeben hinüber.

Nun ist das in unserem lieben deutschen Vaterlande so: Der Lärm der Kriege um die Auslegung der galiläischen Friedensbotschaft ist zwar verhallt, weil aber nach wie vor jedes der beiden christlichen Bekenntnisse die Menschen auf seine Art selig machen will, so räumt keines dem andern gutwillig das Feld, und gehen sie auch nicht mehr mit Hakenbüchsen und Kartaunen gegeneinander an, – mit einem ärztlichen Attest oder einer letztwilligen Erklärung läßt sich nicht weniger erpicht das konfessionelle Recht erkämpfen wie in den Tagen der Schwedenzeit mit Pallasch und Hellebarde. Und welches Recht wäre klarer als das der beiden Priester, den Gemeindeschäfer Andreas Blömm in den Formen ihres Kultus zu begraben?

Und so steht denn auch bereits der Pfarrer Neusiegl vor dem Bezirksamtmann, hält ihm den letzten Willen des Schäfers unter die Nase und verlangt den Leichnam für seine Kirche. Oha, Herr Pfarrer! Auch die lutherische Konkurrenz schon im Anmarsch; denn soeben geht die Tür auf, und herein tritt der Pastor Röckenschuß mit dem Zeugnis des Amtsarztes Schwegele, wonach der sterbende Schäfer seiner Sinne nicht mehr mächtig gewesen, und fordert den Leichnam für seine Kirche. Und während sich um den lebendigen Schäfer in seiner Armut nie jemand gerissen hat, streiten sich nunmehr um den toten gleich zwei große christliche Glaubensgesellschaften und steht darob der Bezirksamtmann da wie Pontius Pilatus vor den eifernden Juden. Am liebsten würde er in Anwendung seines Regierungsgrundsatzes, jedem etwas zu geben, den Schäfer teilen, aber jeder der beiden Seelsorger will ihn ja ganz.

In diesem Zwiespalt nun zeigte es sich, wie unrecht jene haben, die über einem ärztlichen Attest geringschätzig die Nase rümpfen; denn das Zeugnis des Amtsarztes Schwegele erwies sich als der Lichtstrahl, der aus dem Dunkel führte, als der rettende Balken, der aus den Wogen konfessionellen Haders auf das Festland aktenmäßiger Entscheidung trug, und der Bezirksamtmann ergriff ihn mit Begier und sprach den Schäfer den Lutherischen zu.

Dieses Erkenntnis erwiderten die Breitenbrunner Katholiken mit der Losung: »Recht haben sollen dö Protestantischen aber aa nöt, und wenn s' an Schäfer a lutherisch ei'graben, – mir halten eahm dafür 's Seelenamt, und dös koa schlechts!«, was wiederum die Protestanten zu den höchsten Kraftanstrengungen für eine imposante Beerdigung aufstachelte, also, daß in Breitenbrunn, wenn schon nicht geradezu der Glaubenskampf, so doch ein Glaubenstrutz entfacht wurde, der sich wechselseitig in den letzten Ehrungen für den armen Schäfer zu überbieten suchte.

Da ragte zum Beispiel vor dem Hochaltar der katholischen Dorfkirche ein mächtiger, samtbedeckter, blumengeschmückter Katafalk empor, von brennenden Kerzen und umflorten Standarten umgeben; da erbrauste die Orgel in ergreifenden Ewigkeitsakkorden, klagten die Geigen ihr Leid, zeugten Pauken und Posaunen von tiefster Empfindung, kündeten die Sänger ihren Schmerz, stimmte der Pfarrer Neusiegl, den Prunk des Rauchmantels um die Schultern, mitten in einem Schwarm von Hilfsgeistlichen und Ministranten, unter dem Geläute sämtlicher Glocken, mit schier übermenschlicher Bierstimme dem armen Schäfer das Requiem an.

Und eine Stunde später, als die Lutherischen den Schäfer zu Grabe trugen, da sah der kleine Dorfkirchhof eine Heerschau über die Anhänger der Reformation. Der Pastor Röckenschuß hielt sie ab namens und auftrags der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Dabei brachen glaubensstarke Männer, die mit Zylinder und Regenschirm von der benachbarten Landstadt gekommen waren, am offenen Grabe eine Lanze für konfessionelle Duldsamkeit, legten reine Jungfrauen kostbare Blumengewinde nieder, versicherten Leute, die den alten Blömm kaum gekannt hatten, den Verstorbenen ihres unwandelbaren Gedenkens, stellten leidtragende Schafhalter, während zwanzig Vereinsfahnen zum letzten Gruß sich senkten, gefühlvolle Erwägungen an, wer wohl jetzt am wohlfeilsten ihre Schafe hüten und scheren werde.

Kaum war der Schäfer dergestalt zur Ruhe gebettet, so zog über den Kirchhof mit schwarzem Gewölke, mit wilden Blitzen und schmetternden Schlägen das erste Gewitter herauf. Nicht lange aber, und die Verfinsterung wich, und die fröhliche Sonne säumte schon wieder die letzte Wolke. Auf dieser fuhr der Herr. In der glühenden Hand hielt er die Ewigkeit. Leise troff davon auf die Welt die Zeit und verlor sich in Blütengerank und Frühlingsduft. Die Brunnen quollen, die Ströme zogen, die Lüfte spielten, unermeßlich wogte das junge Korn, und aus der gesegneten Erde kroch sogar der Wurm dem Lichte zu. Nur die Menschen blieben ungerührt von dem Lenzessegen ewiger Liebe und redeten hart und stolz davon, wie sie es einander gezeigt und dem Schäfer doch noch trotz allem und allem zum himmlischen Frieden verholfen hätten.


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