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V. Der Ehemann, wie er seine Frau spazieren führt

Es ist drei Uhr; man hätte um ein Uhr ausgehen sollen, aber der Herr wußte nicht, ob er sich rasiren, ob er einen Frack oder einen Ueberrock anziehen, ob er eine Shawl- oder eine gerade geschnittene Weste anlegen sollte: diese Unschlüssigkeit verzögerte das Vorhaben zwei Stunden über die Gebühr.

Jetzt ist der Herr fertig; er steigt zuerst die Treppe hinab, sich zierend und beäugelnd, mit großer Zufriedenheit über seine Toilette.

Da Madame nicht zugleich mit dem Herrn in der Hausflur unten ist, so wendet er sich um, geberdet sich ungeduldig, hebt den Kopf und schreit auf der Treppe: »Nun, wird's heute noch?«

– Gleich, gleich, mein Freund! Ich suche nur noch meine Handschuhe. – »Ah! schön, diesmal sind's die Handschuhe ... ein andermal das Taschentuch ... ich würde sehr erstaunt sein, wenn man einmal beim Ausgehen nicht auch den Kopf vergäße.«

Die Frau langt endlich an; sie nimmt den Arm ihres Mannes, während sie die Handschuhe anzieht. Der Herr sagt halblaut: »Sonderbar, wenn Jemand seine Handschuhe auf der Straße anzieht.« – Mein Gott! Du drängst mich ja so sehr! – »Wie! ich dränge Dich? Du wolltest ja schon vor zwei Stunden ausgehen und murrtest, daß ich nicht angezogen war. Und jetzt soll ich Dich drängen! Wohin gehen wir?« – Mir einerlei. – »Und mir auch.« – Ich folge Dir, wohin Du willst. – »Man sollte doch geschwind einen Entschluß fassen und nicht wie zwei Blödsinnige in der Straße stehen bleiben ... für mich gibt es nichts Unausstehlicheres als eine Frau, die immer nur antwortet: Mir einerlei.« – Nun gut, mein Freund, gehen wir in die Tuilerien!«

*

Man setzt sich in Bewegung. Der Herr betrachtet die vorübergehenden Damen oder denkt an seine Geschäfte. Man wechselt kein Wort.

Zuweilen, wenn man an einem Modemagazin vorüberging, rief die Frau laut: »Ei! der schöne Shawl! ... Ach! der schöne neue Kleiderschnitt! ... O! welch' gottvoller Hut!«

Der Herr aber hat nichts gehört, oder sich wenigstens so gestellt, oder statt aller Antwort seiner Frau mit einem dumpfen Murmeln geantwortet: »Hm ... um ... hm! ... so ... so ... j–a! ja! ...« aber nicht entfernt daran gedacht, vor dem Magazin stehen zu bleiben. Man gelangt in die Tuilerien, läuft hin und her, der Länge und Breite nach, und wechselt kein Wort dabei, nur daß der Herr von Zeit zu Zeit gähnt oder schnauft, als ob er am Ersticken wäre. Mitten in einer einsamen Allee ruft der Herr plötzlich aus: »Hol mich der und jener! ... Das ist mir ein ergötzlicher Spaziergang hier!« – Aber mußte man denn nicht irgendwo hingehen? – »Aber warum gerade in die Tuilerien.« – Du wolltest ja nicht sagen, wohin es Dir beliebte ... – »Ich weiß schon: Du wähltest diesen Platz, weil Du weißt, daß es für mich keinen langweiligeren Spaziergang gibt.« – O! mit mir langweilt Dich jeder Spaziergang ... darum wäre es einerlei gewesen, ob ich diesen oder einen andern Ort gewählt hätte. – »Aha, schön! ... da haben wir die Vorwürfe ... schon gut! ... Aber in der That, findest Du denn hier irgend eine Ergötzlichkeit, wenn man sich mitten unter aller Welt ergeht ... unter diesen Kindern, die Einem Bälle oder Reife zwischen die Beine werfen, außerdem, daß man Staub schlucken muß! ... Und das kann Dich amüsiren?« – Wenn Du Dich mit mir unterhieltest, so würde ich mich nicht langweilen ... aber Du weißt mir nie etwas zu sagen. – »Liebe Freundin, wenn man stets beisammen ist, so kann man sich nicht immer Etwas zu sagen haben.« – In Gesellschaft einer andern Frau würdest Du den liebenswürdigen, den Artigen spielen! – »Sie würde mir auch keine bitteren, bissigen Sachen sagen, würde nie stets Etwas an mir auszusetzen haben!« – Das heißen die Herren bissig sein, wenn man ihnen vorwirft, daß sie sich zu langweilen scheinen! – »Nun, bist Du zu Ende?« – Glaubst Du vielleicht mir Stillschweigen auferlegen zu können? – »So schreie doch noch etwas lauter, damit die Vorübergehenden stehen bleiben und uns betrachten ... das fehlte noch!« – Wenn mir zu schreien einfällt, was geht das andere Leute an? Ueberdies beschäftigt sich Niemand mit uns. Du glaubst immer, die ganze Welt sehe auf Dich! – »Wenn Du so fortmachst, so lasse ich Dich stehen!« – »Thue das ... es ist mir gleichgültig!«

Der Herr hält einen Augenblick still; aber besinnt sich und läßt den Arm der Frau nicht fahren.

Und der Spaziergang läuft zu Ende, ohne daß man noch ein Sterbenswörtchen mit einander gesprochen hätte.


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