Paul de Kock
Chipolata
Paul de Kock

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Eine Probe auf dem Theater

In Paris liebt man Alles, was zum Theater gehört, Alles, was irgend welche Beziehung zur dramatischen Kunst hat; auch ist man sehr begierig, zu erfahren, was hinter den Coulissen oder auf der Bühne vorgeht, wenn der Vorhang für das Publikum noch nicht aufgezogen ist.

Man hat sehr Unrecht, in diese Mysterien eingeweiht sein zu wollen: es sind Täuschungen und man verliert also dadurch Vergnügen. Allein die menschliche Gattung ist einmal so; man kann sie nicht von ihrer Neugierde heilen, und thut also besser daran, ihr Genüge zu leisten.

Wohnen wir einmal einer Probe bei Tage bei, denn die, welche manchmal bei Nacht stattfinden, zeigen das Innerste des Theaters schon weniger, da sind die Lampen angezündet, und es werden bereits Zuschauer zugelassen; mit Ausnahme der Kostüme kann eine solche Probe für eine Aufführung gelten.

Um die Leute genau kennen zu lernen, muß man sie in ihrem ganzen Régligé sehen. Morgens ist das Theater durchaus nicht beleuchtet; aber der Vorhang ist aufgezogen, und so empfängt es Licht durch den Saal, der es seinerseits von den kleinen Logenvierecken erhält, welche es wieder von den Corridoren empfangen, die aber selbst größtentheils sehr finster sind. Ihr könnt euch nun denken, wie hell es sein mag.

Deßhalb seid ihr auch, wenn ihr vom Freien hereinkommt und den Fuß in ein Theater setzet, einige Minuten lang wie ein Blinder, der seinen Stock verloren hat; ihr geht nur mit Vorsicht vorwärts, und dennoch stoßt ihr manchmal gegen eine Coulisse oder sonst einen Gegenstand.

Aber allmählig hat man sich daran gewöhnt, und nach einiger Zeit steht man fast eben so gut wie auf einer Straße, auf der Abends noch keine Lampe brennt.

Schauspieler, Schauspielerinnen, Schriftsteller gehen auf der Bühne spazieren und plaudern, bis die Probe angeht, und manchmal selbst während sie stattfindet, obgleich der Regisseur ihnen oft zuruft: »Meine Herren und Damen, entfernen Sie sich doch, bleiben Sie nicht länger, das ist nicht zum Aushalten; man hat Sie schon hundertmal gebeten, nicht während der Proben auf dem Theater zu bleiben, es genirt, zerstreut! ... Ist ja doch ein Foyer da; gehen Sie dorthin, wenn Sie plaudern wollen.«

Die Schwätzer zerstreuen sich einen Augenblick, aber bald kommen sie wieder, nähern sich, plaudern abermals, leise zwar, aber fast immer munter, denn jeden Augenblick hört man den Ausbruch eines Lachens. Der Regisseur stampft mit dem Fuße auf den Boden, daß man schweigen soll, und eine der Damen ruft ihm nun stracks zu: »Wir können nicht im Foyer bleiben: der Musiklehrer läßt Fräulein K. singen, und die grölt, daß es nicht zum Aushalten ist.«

Man lacht auf's Neue; der Regisseur allein macht ein verdrießliches Gesicht und murmelt: »Sie müssen Strafe bezahlen.«

Auf dem Vordertheil der Bühne sitzt der Souffleur, statt in seinem Loche auf einem Sessel vor einem kleinen Tische, auf dem eine Lampe brennt.

Neben ihm sitzen gleicher Weise der Verfasser des Stücks und der Hauptregisseur, wenn nicht der Direktor selbst der Probe anwohnt. Wenn er da ist, setzt er sich gewöhnlich neben den Verfasser, um seine Meinung zu hören und zu verkünden.

Ein Herr von mittleren Jahren, mit dem Gesichte eines vollkommen ehrlichen Mannes hat so eben seinen Monolog als edler Vater gesprochen, indem er dabei seine rechte Hand ausstreckte, um aus der Dose des Souffleurs eine Prise zu nehmen.

Der Verfasser stößt ungeduldig mit dem Fuße auf den Boden und ruft: »Madame D ..., Madame D ..., das ist grausam ... man hört nie das Stichwort.«

Madame D. ist eine ziemlich hübsche Frau, welche die Rollen der jungen Liebhaberinnen spielt, und der die bösen Zungen auch eine Menge Liebhaber beilegen. Ihre Toilette ist immer vom besten Geschmack und ausgesuchter Eleganz; sie tritt vor und sagt: »Ich kann nichts dafür, ich habe mein Stichwort nicht gehört. Hat er schon gesagt: »›O! meine Tochter, Dein Glück allein will ich ja nur!‹«

»Freilich,« entgegnet der edle Vater, seine Prise schnupfend, »ich habe es sogar schon dreimal gesagt.«

»O! dann bitte ich um Entschuldigung, mein Lieber, ich hatte es nicht gehört, aber B. ist Schuld daran: er versicherte uns, daß er gestern in der Loge gegenüber von der Bühne auf der zweiten Galerie einen kleinen Hund gesehen habe, der während eines ganzen Aktes auf den Hinterbeinen stand, sich mit den beiden vordern gegen die Einfassung der Loge stützte und so dem Stücke aufmerksam zuhörte. Ah, ah! wie würde ich gelacht haben, wenn ich das gesehen hätte.«

»Nun, fahrt fort in der Probe,« sagt der Hauptregisseur; »M. wiederholen Sie gefälligst das Stichwort der Madame.«

Der edle Vater deklamirt: »›O, meine Tochter, Dein Glück allein will ich ja nur‹«

Die junge Liebhaberin kommt auf das Stichwort hervor, versucht ihr Lachen zurückzudrängen, sieht aber, statt den Schauspieler, der ihren Vater spielt, anzusehen, nach der Loge, die den Abend zuvor von dem Hunde besetzt gewesen sein sollte. Indessen spricht sie ihre Rolle; »›Da bin ich, Vater, ich habe Ihre geliebten Töne gehört und ...‹« Sie fängt an zu lachen: »Ah, ah! Mein Gott, mein Gott! wie gerne hätte ich doch den kleinen Hund gesehen.«

»Madame, das steht nicht in Ihrer Rolle,« sagt der Verfasser.

»Bitte um Entschuldigung, sogleich ... »›Ja, mein Vater, ich habe Ihre geliebten Töne gehört!‹« hat er auch gebellt?«

»Warum nicht gar,« antwortet der Schauspieler B. » es wurde ja nicht gesungen

»So ist es unmöglich, Probe zu halten,« ruft der Regisseur, der mit der Inscenesetzung beauftragt ist. »Wir verlieren unsere Zeit und doch soll das Stück nächsten Samstag aufgeführt werden, der Direktor hat es erst gestern wieder gesagt.«

»Am Samstag?« ruft die Schauspielerin. »Ach, woran denken Sie? das ist unmöglich! Weiß man das?«

»So viel ist ausgemacht, daß wenn Sie sich immer mit dem Hunde statt mit Ihrer Rolle beschäftigen. Sie solche nicht lernen können.« »Ach, mein Gott, weil man einmal zufällig lacht, wollen Sie Händel anfangen! ... Lacht nicht Jedermann bei der Probe? Hindert das vielleicht, seine Rolle zu lernen? ... Und wenn man vollends eine so hübsche hat wie ich; Sie dürfen nicht glauben, daß ich oft solche Rollen wie diese annehme.«

Hier hustet der Verfasser, oder thut, wie wenn er nießen müßte.

Der edle Vater ruft aus: »Laßt es einmal gut sein ... denn wenn es so fortgeht, so sind wir um vier Uhr noch nicht fertig, dann kommt man nicht mehr rechtzeitig zum Mittagessen, und das meine ich, werde auch Ihnen sehr fatal sein? Also noch einmal: »›O meine Tochter, Dein Glück allein will ich ja nur.‹«

»Zum Kuckuk! macht einmal weiter!«

Die Probe ist im Gange, als der Direktor ankommt: es ist ein Herr, der immer außerordentlich geschäftig aussieht; er hat wohl Zeit, zu sprechen, aber nie Zeit, Jemand anzuhören.

Er tritt vor, gibt dem Schriftsteller die Hand und ruft: »Nun, Kinderchens, wo sind wir stehen geblieben? Laßt einmal sehen, geht es? O, das muß wohl gehen; ach ja, wir wollen sorgfältig probiren, nicht wahr? ... Munter ... familiär ... denn ich betrachte euch Alle als meine Kinder! ... Wie, wo sind wir? Ich sage euch zum Voraus, daß ich euch nichts hingehen lassen werde, ich werde sehr strenge sein! ... Ha, was sagt der da?«

»Herr Direktor, könnte ich für heute Abend zwei Freibillete haben?«

»Ja, laß sie auf dem Bureau vormerken! ... Ach, wegen der Anzüge; sind wir einverstanden wegen der Anzüge? Ihr habt Husaren von mir verlangt, ich will euch Dragoner geben, das ist ganz gleich, man darf nur ein oder zwei Worte verändern! ... Was? man fragt nach mir? Ich bin nicht da. Wer ist es denn?«

»Ein Herr.«

»Wie sieht er aus? ... Probier nur zu, Kinderchens, ich höre schon. Gut! ... Briefe! jetzt? ...«

»Man wartet auf Antwort.«

»Man hätte sagen sollen, daß ich auf acht Tage abwesend sei! ... Keinen Augenblick hat man für sich ... das ist nicht zum Aushalten! ... Macht nur zu, Kinderchens! ... Was gibt es wieder? Man erwartet mich in meinem Cabinete? Gut, ich komme! ... Fahrt nur fort, meine Lieben, ich bin sogleich wieder da.«

Der Direktor geht ab, man probirt ohne ihn.

Die erste Liebhaberin und die Soubrette streiten sich wegen der Inscenesetzung.

Die Erste behauptet, man stelle sie immer in den Winkel, hinter ihre Freundin, und sie habe zu viel Talent, um immer hinter der Andern zu sein.

Die Soubrette bestreitet der ersten Liebhaberin ihr Talent nicht, allein sie will nicht, daß man an der Inscenesetzung etwas abändere.

Der Verfasser ist in großer Verlegenheit; dem Regisseur gelingt es, den Zwist auszugleichen, indem er die Scene streicht.

Die Probe geht weiter.

Der Verfasser hält den Liebhaber in einer Stelle seiner Rolle auf, indem er mit aller möglichen Vorsicht, um seine Eigenliebe nicht zu verletzen, zu ihm sagt: »Lieber Freund, ich verstehe diese Stelle etwas anders; Sie legen Kraft hinein, ich dagegen möchte Feinheit hinein gelegt wissen! die Person, die Sie vorstellen, ist ein gewandter und verschlagener Mann. Statt auszurufen: »›Ich hoffe, Sie sollen mich in Kürze kennen lernen‹« würde ich lächeln und mit einschmeichelnder Miene sagen, »›ich hoffe, Sie sollen mich in Kürze kennen lernen‹«

Der Schauspieler, an den diese Bemerkung gemacht wird, runzelt die Stirne und entgegnet: »Wie Sie wollen; aber ich habe die Rolle nicht so aufgefaßt.« – O! ich versichere Sie, daß es so einen bessern Eindruck machen wird. – »Ich glaube nicht; übrigens will ich sie hersagen, wie Sie verlangen; allein der Ausgang wird dann verfehlt sein.« – O ! nein, Sie werden sehen!«

Der Liebhaber fängt wieder an und wiederholt die Stelle gerade eben so wie vor der Bemerkung des Verfassers; dieser sieht nun ein, daß es eben so gut sein wird, wenn er nichts mehr sagt.

Ein Herr von etwa fünfzig Jahren, der die jungen komischen Rollen spielt, kommt mit einer aprikosenfarbenen Weste und einem Hütchen fast ohne Rand herein: es ist die Hälfte seines Komödienanzugs, den er am Leibe hat, und er will die Meinung des Verfassers hören.

»Wie finden Sie mich?« – Sie werden sehr drollig sein. – »Nicht wahr, die Weste steht gut? es ist meine eigene Erfindung, ebenso das Hütchen.« – Was für eine Perrücke setzen Sie dazu auf? – Was für eine Perrücke? Bestehen Sie darauf, daß ich eine Perrücke aufsetze?« – Ich meine fast, es sei unumgänglich nöthig, bedenken Sie doch, daß Sie einen jungen Verlobten vorstellen.«

Der Verfasser setzt zwar nicht bei: »Und daß Sie graue Haare haben!« aber er beharrt auf der Perrücke, und der Komiker entschließt sich endlich, eine blonde zu nehmen, indem er mit außerordentlichem Nachdruck sagt: »Weil Sie es durchaus haben wollen, so will ich eine Perrücke aufsetzen; aber das wird mich älter machen, denn in meinen eigenen Haaren sehe ich viel jünger aus.«

»Gut! Wo ist denn Fräulein Bibi, um unsere Scene zu probiren?«

Fräulein Bibi tritt, Waffeln essend, auf die Bühne.

Sie sagt ihre Rolle mit vollem Munde her; da sie aber ein junges, naschhaftes Mädchen spielt, so behauptet sie, das sei im Geiste ihrer Rolle.

Der Verfasser hält sie mitten in einer Rede an und sagt zu ihr: »Das gehört nicht mehr dazu, ich habe es gestrichen.« – Wie, Sie haben mir die Worte gestrichen: »›Ich will keinen Liebhaber, ich will lieber ein Hündchen, das immer mit dem Schwanze wedelt!‹« – »Ja, das thut sich nicht wohl.« – Wie? im Gegentheil, das thut sich ganz gut. Sie werden doch nicht behaupten wollen, es sei leichtsinnig, wenn man sagt: »›Ich will keinen Liebhaber, ich will lieber ein Hündchen, das mit dem Schwanze wedelt!‹« Was sehen Sie denn Gefährliches darin? – »Es paßt nicht.« – Das heißt, es war das hübscheste Wort meiner Rolle.«

Und Fräulein Bibi sagt halblaut zu einer ihrer Freundinnen: »Er mag es streichen so lange er will, das Hündchen muß doch mit dem Schwanze wedeln ... Ah! ah! sieh' mir einmal den da! Nimmt sich der heraus, den Anstand besser zu verstehen, als wir!«

Der Regisseur schreit, mit dem Fuße stampfend: »Vorwärts, meine Damen! an den zweiten Akt, es wird spät! ... Wie, wo ist die Dekoration zum zweiten Akt? Nicht diesen Saal da: er ist zu reich; den kleinen gelben Salon sollten wir haben, mit einem Fenster links. Brauchen Sie einen Kamin?« – Freilich!« ruft der Verfasser. »O! der Kamin ist unumgänglich nothwendig, denn der Brief, den man in's Feuer wirft ... – »Man könnte ihn an einem Lichte verbrennen!« – Nein, in einem Kamine macht es mehr Eindruck.«

Der zweite Akt beginnt; aber der edle Vater gibt nicht mehr Acht auf seine Rolle, weil er gerne zu Mittag essen möchte.

Die erste Liebhaberin hat die ihrige nicht einstudirt.

Der Liebhaber ist übler Laune, weil man ihm eine Bemerkung gemacht hat.

Und der Komiker ist ganz und gar nicht bei seiner Rolle, weil er nur an seinen Anzug und seine Perrücke denkt.

Die Probe ist aus und der Verfasser, der sieht, daß man sein Stück nicht auswendig weiß, ruft aus: »Es ist unmöglich, daß das Stück bis nächsten Samstag aufgeführt werden kann!«

In diesem Augenblick erscheint der Direktor, den man seither nicht mehr gesehen hatte, wieder und sagt: »Nun, Kinderchen, es geht; einige langweilige Stellen, nicht wahr? Nun, ich werde einige Striche anbringen.« – Es kann am Samstag nicht aufgeführt werden,« sagt der Verfasser.

»Doch, doch! sei doch ruhig, lieber Freund; zudem würden sie, wenn sie noch zwei Monate probirten, ihre Rollen doch nicht besser im Gedächtniß haben; es wird sehr gut gehen.« – Sie sind ja nicht bei der Probe zugegen gewesen! – »Macht nichts; ich kenne Dein Stück und zum Beweise dafür will ich Dir eine für den Erfolg der Arbeit sehr wichtige Bemerkung machen: empfehle Deinem Liebhaber ... Ah! guten Morgen, mein Freund, ich bin zu Deinen Diensten, im Augenblick ... empfehle Deinem Liebhaber ... was gibt's da? Ein Loge für den Redacteur eines kleinen Blattes! Gottlob, sie werden bald meinen ganzen Saal verlangen ... höre Du da unten: gehe nicht fort, ich habe mit Dir zu sprechen ... empfehle Deinem Liebhaber ... es ist ohnedies das allgemeine Urtheil ... ah! zum Kuckuk, drei Uhr, und ich muß in's Ministerium, ich werde Niemand mehr treffen.«

Mit diesen Worten verläßt der Direktor eilends den Verfasser, der immer auf die wichtige Bemerkung wartete, die dieser ihm machen wollte, und sich nun ebenfalls zum Fortgehen anschickt.

Die Schauspieler und Schauspielerinnen sind schon lange fort.

Das Ganze heißt man eine Probe.


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