Paul de Kock
Chipolata
Paul de Kock

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Die Logen und Galerien

Wir haben das Parterre eines Theaters skizzirt, in welchem wir uns nur kurze Zeit aufgehalten haben; wir hätten dort noch eine weit größere Zahl von Personen finden können, die unserer Aufmerksamkeit werth gewesen wäre, denn im Ganzen fehlt es nicht an Originalen, es handelt sich nur darum, sie aufzusuchen. Wir sind schnell über die Streitigkeiten, die Klagen, die Stürme hinweggegangen, von denen das Parterre häufig heimgesucht wird, aber wir haben auch nur Skizzen und keine Gemälde angekündigt, und dann wißt ihr, daß eine mit wenig Pinselstrichen entworfene Skizze oft ähnlicher ist als ein Portrait, zu welchem man mehrere Sitzungen verwendet hat.

Steigen wir auf die erste Galerie. Hier finden wir Frauen; das wird schon interessanter. Die Frauen haben das glückliche Privilegium, alle Orte, an denen sie sich befinden, zu verschönern. Die Schönen unter ihnen dürfen sich nur zeigen: Diejenigen, die es nicht sind, ersetzen gewöhnlich durch eine elegante Toilette, guten Geschmack, zuweilen durch eine graziöse Haltung, was ihnen an Schönheit abgeht; Andere, denen es nicht vergönnt ist, elegant zu erscheinen, finden doch noch das Mittel, artig zu sein, durch die pikante Weise, mit der sie die einfachste Haube oder den bescheidensten Hut aufsetzen; wieder Andere verführen durch ein geistreiches Aussehen, oder durch einen muthwilligen Ausdruck im Auge, oder durch ihre Art zu lachen, die sogleich die Aufmerksamkeit auf sich zieht ... ich würde nicht fertig werden, wollte ich Alles herzählen, was die Damen besitzen, um die Blicke zu fesseln.

Hat einmal ein Theater die Gunst der Frauen gewonnen, so ziehen die Männer von selbst nach. Das ist zu natürlich, um einer Erklärung zu bedürfen.

In der That, wie viele Bekanntschaften, Verbindungen, Intriguen haben sich nicht schon im Theater gebildet! Und glaubet nicht, daß diese Verbindungen immer nur vorübergehend seien; daß diese Intriguen, zu denen vielleicht nur ein Blick Anlaß gegeben, sich eben so schnell abwickeln als sie angeknüpft worden sind; nein wahrhaftig! der Zufall führt euch zuweilen im Theater mit einer Person zusammen, an die ihr euch für das ganze Leben fesselt, oder deren Bekanntschaft wenigstens einen großen Einfluß auf eure ganze Existenz ausüben wird. Aber hat das wirklich auch nur der Zufall gethan? Hängt in der That die ganze Zukunft zweier Personen öfters nur von der Caprice einer Logenschließerin ... oder von dem guten Willen eines Billetabnehmers ab? müssen wir nicht eher annehmen, daß das Schicksal dieser beiden Personen vorgezeichnet war, und daß es nicht einzig deßhalb ist, weil man an jenem Tag die Schwestern von Prag oder den Raub der Sabinerinnen gab, daß der und der Herr die Bekanntschaft einer reizenden Frau gemacht hat, für die er sich total ruinirt, oder jenes junge Mädchen einen Gatten gefunden hat, der ihr Glück macht?

Auf einer Galerie befinden sich in der Regel mehr Frauen als Männer und doch geht von da nie das Geräusch aus, wenn in einem Theater eines entsteht; lassen wir im Vorbeigehen den Damen Gerechtigkeit widerfahren; man hat sie in einen Ruf von Schwatzhaftigkeit gebracht, den sie häufig ganz und gar nicht verdienen. In einem Theater werdet ihr bemerken, daß es stets die Männer sind, die Geräusch machen, die ohne Unterlaß und sehr laut sprechen, die in jedem Zwischenakt hinauslaufen, die durch ihre abgeschmackten Bemerkungen zuweilen die Vorstellung eines Stückes stören: es gibt sogar solche, die das so weit treiben, die so laut schreien, und trotz dem wiederholten Stillegebieten ihrer Nachbarn nicht schweigen wollen, daß man genöthigt ist, ihnen die Thüre zu weisen.

Betrachtet dagegen jene Damen, wie vernünftig ... wie ruhig sie sind. Wenn sie mit einander sprechen, so geschieht es ganz leise, so daß sie Niemand hört; wenn sie etwas laut gelacht und dadurch einige Blicke auf sich gezogen haben, seht, wie sie erröthen, sich in ihre Loge zurückbiegen oder ihren Kopf senken, damit ihre Verlegenheit durch den Schirm ihres Hutes verdeckt werde.

Habt ihr je gesehen, daß man ein Frauenzimmer im Theater zur Thüre hinausgeworfen hat? o! pfui! gewiß nicht! ... ihr Herren solltet entschieden ein Beispiel an diesen Damen nehmen.

Es gibt jedoch auch Männer auf den Galerien. Die einen haben Damen begleitet; andere sind allein gekommen und zwar mit dem Wunsche, eine kurze ... oder auch eine längere Bekanntschaft zu machen. Diese werden keine häßliche oder alte Frau zu ihrer Nachbarin wählen, sie werden beständig suchen, in die Nähe eines hübschen Gesichtchens, eines lockenden und koketten Figürchens zu kommen: darin legen sie einen Beweis von gutem Geschmack ab, und wir können sie deßhalb nicht tadeln.

Allons, meine Herren, spielt die Angenehmen, die Löwen, die Don Juans, schießt Blicke so verführerisch als möglich, trillert, wenn ihr eine hübsche Stimme habt, macht über das Stück einige geistreiche Bemerkungen; seid galant, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, sucht ein Gespräch einzuleiten, wenn man euch gerne antwortet, und seid liebenswürdig wenn ihr könnt. All' das ist euch erlaubt, und so lange ihr nicht die Gränzen der Schicklichkeit und Höflichkeit überschreitet, kann man es euch nicht übel nehmen, wenn ihr euch für alle hübschen Frauen entflammt, denen ihr im Theater begegnet.

Aber mit Gunst, ahmt nicht jene Herren nach, die sich hinter oder an der Seite einer Dame niederlassen, ihr mit Knieedrücken zusetzen, sich erlauben, ihre Hand im Dunkeln herumirren zu lassen, und sie, gleichviel wo, einzuschieben, oder sich, gleichviel an was, zu halten.

Eine solche Art einer Dame den Hof zu machen, ist eben so schamlos für den, der sie anwendet, als beschimpfend für die Person, bei der sie angewendet wird. Wo kommt ihr denn her, ihr Herren? wo haltet ihr euch gewöhnlich auf? wenn ihr euch so gegen ein Geschlecht benehmt, das ihr zu vertheidigen und zu beschützen berufen seid, so begreift ihr demnach das ganze Schmähliche eures Betragens nicht; ihr seht nicht ein, daß ihr euch mit dem Vieh auf eine Stufe stellt und daß ihr in diesem Augenblick vollkommen jenen Hunden gleicht, welche wir in den Straßen einer armen kleinen Windhündin nachlaufen sehen, um eine Conversation mit ihr anzuspinnen ... man weiß schon welche!

Und jene armen Frauen, die in das Schauspiel in der Hoffnung gekommen waren, sich dort zu unterhalten, was für einen angenehmen Abend werden sie verbringen! seht ihr, wie sie empört, aber zitternd, nicht wissen, wie sie Angriffe zurückweisen sollen, ob denen sie erröthen? wenn sie entweder keinen Mann bei sich haben, der sie gegen die Unverschämtheit dieser Herren schützen kann, oder wenn sie mit ihrem Gatten, ihrem Vater da sind, aber die Furcht, einen Streit zu verursachen, ihnen den Mund schließt und sie verhindert, sich zu beklagen.

Einige Damen zeigen jedoch mehr Muth und Geistesgegenwart. Eines Abends wurde eine hübsche Frau, die mit einer ihrer Freundinnen in der vordern Loge eines Theaters saß, von einem Herrn gedrängt, der hinter ihr saß und ohne Zweifel glaubte, seine beiden Kniee müßten einen sehr angenehmen Fauteuil abgeben.

Die hübsche Frau wartete, bis das Stück angefangen hatte, dann stand sie rasch auf und sprach so laut, daß sie von einem großen Theil des Publikums gehört werden konnte, indem sie die beiden Kniee dieses Herrn ergriff und sehr lebhaft zurückschob:

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, mein Herr; aber ich will mich Ihrer nicht als Fauteuil bedienen, ich ziehe meinen Stuhl ohne Lehne Ihren Knieen vor.«

Man kann sich denken, wie verdutzt und fassungslos er dasaß; denn Jedermann beklatschte den Einfall der hübschen Dame, und der Herr mußte die Blicke des ganzen Saales und die Bonmots der um ihn herum befindlichen Personen aushalten, die sie über diese neue Art, gesperrte Sitze zu formiren, losließen.

Sobald der Akt zu Ende war, verschwand dieser Herr beschämt und verwirrt; ich weiß nicht, ob er schwur, daß man ihn nicht mehr daran kriegen würde, aber er kam nicht mehr auf seinen Platz.

Ein andermal empfing, eine Dame ebenfalls eine mit Handgriffen begleitete Liebeserklärung, und war um so mehr zu beklagen, als sie, da ihr Mann ihr zur Seite war, nicht zu zeigen wagte, was sie litt; denn sie kannte ihren Gatten von der Seite, daß er, sobald er gewußt, wie sich sein Herr Nachbar aufführe, ihn zur Einleitung mit ein Paar Ohrfeigen regalirt hätte. Endlich brachte der Unwille diese Dame zu einem Entschluß ... Sie verließ plötzlich die Loge, indem sie zu ihrem Manne sagte:

»Bleibe da ... ich komme im Augenblicke wieder, ich bedarf Deiner nicht.« Dann stieg sie ins Controlebureau hinab, verlangte den Polizeicommissär und erzählte ihm, welcher Unverschämtheit sie ausgesetzt sei. Man beeilte sich, mit dieser Dame hinaufzugehen, der Polizeicommissär bat sie, ehe sie an ihren Platz zurückkehre, ihm den Menschen zu bezeichnen, über den sie sich zu beklagen habe, sie that es und setzte sich neben ihrem Mann nieder, ohne etwas merken zu lassen.

Nach einigen Augenblicken bat man den Herrn sehr artig, herauszukommen, und ließ ihn nicht mehr hereintreten.

Das sind zwei gute Beispiele, meine Damen, lassen Sie sich solche dienen. Seien Sie nicht zu streng, nicht zu abstoßend gegen Männer, die Ihnen zu gefallen suchen; aber seien Sie ohne Mitleid gegen Solche, die die Achtung gegen Sie aus den Augen setzen.

Und nun wollen wir unsere Bemerkungen bei Seite lassen und sehen, was auf dieser ersten Galerie vorgeht.

Drei Damen sitzen beisammen, eine Mutter mit zwei Töchtern. Junge Personen von sechzehn bis achtzehn Jahren. Alle beide reizend, alle beide mit jenen Profilen, die man nur bei den heiligen Jungfrauen Raphaels findet, aber von denen man zuweilen träumt.

Die Jüngere hat nur Augen und Ohren für das, was auf der Bühne vorgeht, sie ist so glücklich, im Theater zu sein! ... sie verliert kein Wort vom Stück; wenn die Lage traurig wird, so könnt ihr es schon am Ausdruck ihres Gesichtes wahrnehmen, zuweilen füllen sich sogar ihre Augen mit Thränen, so sehr identifizirt sie sich mit den Personen.

Die Augen der Aeltern sind hingegen ganz trocken, aber außerordentlich strahlend; sie kann nicht zwei Minuten sein, ohne den Kopf zu drehen, ins Parterre oder in die Logen zu sehen. Sie weiß, daß sie schön ist, und denkt, alle Lorgnetten müßten auf sie gerichtet sein, auch ist sie in Verlegenheit, welche Miene sie annehmen soll, um noch schöner zu erscheinen; all' das beschäftigt sie zu sehr, als daß man ihr zumuthen könnte, dem Gange des Stücks zu folgen.

Ein junger Mensch sagt zu einem seiner Freunde, indem er diese beiden Schwestern genau beobachtet:

»Wenn ich die Wahl hatte, würde ich die Jüngere zu meiner Frau und die Aeltere zu meiner Maitresse nehmen.« Fahren wir fort.

Ein Herr und eine Dame; der Herr hat vierzig Jahre, ein ziemlich hübsches Aeußeres, aber eine gelangweilte Miene. Er liest im Theaterjournal und lorgnirt von Zeit zu Zeit die Logen; alsdann unterdrückt er einen Reiz zum Gähnen, der ihm häufig kommt.

Die Dame ist sechsunddreißig Jahre alt, eines jener ausdrucklosen Gesichter, in denen nichts zu lesen ist; sie ist sehr fein gekleidet aber ohne Reiz, weder in ihrer Toilette, noch in ihrer Haltung, noch in ihrer Miene: man begreift, warum dieser Herr Lust zu gähnen hat.

Dieses Paar wechselt zwei bis drei Worte in jedem Zwischenakt und beobachtet während des Stückes das strengste Stillschweigen. Hier ist ihre Unterhaltung. Nach dem ersten Stücke: »Es ist heiß hier.« – Finden Sie? ich finde es nicht.«

Nach dem zweiten Stücke: »Auf dieser Galerie ist man nicht gut, man muß sich vorlegen, um zu sehen.« – Sie finden es nirgends gut.«

Nach dem dritten Stücke: »Es wird spät ausgehen!« – Was liegt uns daran.«

Nach dem letzten Stücke ist es etwas anderes. Man nimmt seinen Shawl, setzt seinen Hut auf, geht und spricht nichts weiter. Welch' interessantes Paar! wie müssen sich diese Leute unterhalten haben! was euch aber überraschen wird, ist, daß sie alle Abende ins Theater gehen und sich jedesmal ebenso unterhalten.

Dort sind vier Personen von einer Gesellschaft, die unter der Hand billigere Billete als an der Kasse gekauft hatten, aber gezwungen waren, nachzuzahlen, wenn sie nicht den ganzen Abend den Kronleuchter gerade vor den Augen haben wollten; dadurch kamen sie ihre Plätze theurer zu stehen, als an der Kasse. Diese Leute sind zu ärgerlich, um sich zu unterhalten, sie finden Alles schlecht und rufen jeden Augenblick aus:

»Da zahle einer seinen Platz doppelt, um so etwas zu sehen!« Fahren wir fort.

Zwei sehr artige Damen, der Haltung nach aus dem Bürgerstand, sprechen ganz leise mit vielem Feuer. Es muß von Herzensangelegenheiten die Rede sein. Die Damen sind auf dem Punkte, sich vertraute Mittheilungen zu machen. Aber der Schauspieler, der die Liebhaberrollen spielt, tritt auf, er wirft einen Blick auf den Theil der Galerie, wo diese Damen sind, und die eine stößt die andere mit den Worten:

»Er hat uns gesehen.« – Glauben Sie? – »O! gewiß ... er hat zu mir gesagt, er würde im Zwischenakte durch das Loch im Vorhange sehen, um uns im Saale zu entdecken ... sehen Sie, er schaut wieder ... er hat ein wenig gelächelt ...« – Das Kostüm kleidet ihn sehr gut. – »Mir gefällt er besser als Spanier. Aber ich möchte wissen, woher er die Nadel hat, die in seiner Halsbinde steckt ... die habe ich noch nie bei ihm gesehen.« – Die hat er sich schon selbst anschaffen können. – »O! das lasse ich mir nicht weiß machen! ich muß wissen, woher er sie hat ... Nun ... was hat er denn da immer in die Vorbühne zu gucken? will das kein Ende nehmen? ... was gibt's denn da so Schönes zu schauen? Ist es vielleicht wegen jener Dame in glatten Haaren, die sich so viele Mühe gibt, sich bemerkbar zu machen? welch' gemeine Manier! ... man sieht gleich, mit wem man es zu thun hat ...« – Aber diese Frau ist nicht übel ... schöne schwarze Augen. – »Ach! meine Liebe, sie ist abscheulich! ... wie können Sie das schöne schwarze Augen nennen! sie sind zu rund, zu weit geöffnet ... und dieser Hals ... dieser enorme beinige Hals! wie kann man sich so offen tragen, wenn man ein solches Knochengerüste zu zeigen hat! ... es gibt Frauen, die wahrhaftig toll sind. Wenn das die Dame mit der Nadel ist, so werde ich Herrn M. kein Compliment über seine Eroberung machen.«

Diese Worte wurden mit einem sehr merkbaren Aerger ausgesprochen, und während des ganzen noch übrigen Abends hörte die junge Frau nicht auf, jene Dame auf der Vorbühne zu betrachten, die sie so abscheulich fand! das hinderte übrigens viele Herren nicht, sie recht hübsch zu finden.

Sehen Sie dort eine Familie: Vater, Mutter und Kind.

Der Herr schläft halb, aber die Frau stößt ihn von Zeit zu Zeit mit den Worten. »Wie findest Du das?«

Dann wacht der Mann auf und murmelt: »was hat man gesagt? ... was spielt man? ... wo hält man?« – Du hörst also gar nicht zu; ich wette, Du hast geschlafen ... Ist es möglich, im Theater zu schlafen! ... Du bist sehr liebenswürdig! – »Ich versichere Dich, meine Liebe, ich habe nicht geschlafen ... ich habe nur an etwas Anderes gedacht.«

Der kleine Junge, der keinen Augenblick ruhig bleiben kann, neigt sich gegen seine Mutter und sagt: »Ich habe Durst.« – Du hast eben erst getrunken. – »Ich habe aber noch Durst!« – Man kann nicht in jedem Zwischenakt hinausgehen und Dir zu trinken geben. Sei ruhig, oder Du darfst nicht mehr mit in's Theater. – »Das Stück macht mir Langeweile! ... man sieht nichts als lange Säle!« – Nimm sie doppelt, wenn sie Dir zu lang sind und schweige still, sonst bekommst Du zu Hause die Pritsche.«

Der Junge schweigt zwar bei dieser Aussicht auf den ihm wohlbekannten Willkomm, wirft aber nach einigen Augenblicken seine Mütze auf den Boden, um Gelegenheit zu haben, sich unter der Bank zu schaffen zu machen, wo er zwischen den Füßen der Zuschauer hindurchkriecht. Seine Mutter erwischt ihn endlich am Kragen, zieht ihn herauf, und ist so während des ganzen Abends damit beschäftigt, einmal ihren Gatten am Einschlafen, das andere Mal ihr Söhnlein am Munterwerden zu hindern.

Etwas weiter entfernt sehen wir zwei Damen, die eine sehr hübsch, die andere sehr häßlich, beide sehr anständig gekleidet, doch mit etwas zweideutigem Benehmen. Ein junger Mann hat sich hinter diese Damen gesetzt, d. h. hinter die hübsche. Der junge Mann sucht Bekanntschaft anzuknüpfen. Er läßt zuerst seine Augen spielen. Das ist stets das Präludium. Seine Augen haben der Dame gesagt: »›Ich finde Sie sehr hübsch, Sie gefallen mir außerordentlich, ich wünschte sehr, daß Sie auch mich nach Ihrem Geschmacke fänden;‹« und so noch mehr.

Die Augen sagen dergleichen Dinge mit unendlicher Leichtigkeit, ihre Sprache ist Jedermann verständlich, vorzüglich aber verstehen sich die Damen darauf.

Die Dame, mit der die Augen des jungen Mannes gesprochen haben, hat, wie es scheint, ihre Sprache nicht übel aufgenommen. Sie hat oft ihren Kopf umgedreht, um zu sehen, ob sie noch sprechen ... da hat sie sie sogar noch gesprächiger als vorher gefunden; der junge Mann hat sich endlich ein Herz gefaßt und gewagt, den Affocié der Augen, den Mund, beizuziehen, um eine noch verständlichere Unterredung zu beginnen.

Diese Unterredungen fangen fast immer auf die gleiche Weise an, wie die auf dem Balle mit einer Dame, mit der man zum ersten Male tanzt:

»Ich fürchte, Sie zu geniren, Madame, der Zwischenraum zwischen diesen Stühlen ist so schmal.« – Sie geniren mich durchaus nicht, mein Herr. – »Und dann muß man sich ein wenig vorlegen, um etwas zu sehen.« – Das ist wahr ... man muß sich hinten nicht zum besten befinden. – »O! ich versichere Sie, Madame, daß ich mich sehr gut befinde und meinen Platz nicht um Alles in der Welt vertauschen möchte.«

Diese Worte sind von einem Blicke von unendlicher Tragweite begleitet! die Dame senkt die Augen halb nieder, indem sie mit der Zunge leicht über ihre Lippen fährt ... Man darf nun kecklich darauf wetten, daß die Bekanntschaft zu Stande kommen wird.

Werfen wir nun einen Blick in die Logen; in den ersten ist die Aristokratie; in den zweiten die Bourgeoisie; in den dritten die Grisetten und niedern Beamten. In die ersten geht man gewöhnlich, um sich sehen zu lassen; in die zweiten, um die Andern zu sehen; in die dritten, um das Stück anzusehen.

Die brillantesten Toiletten liegen in den ersten Logen offen zur Schau: hier sitzt die Gattin eines Banquiers; die für fünfzehntausend Franken Diamanten an sich hat; man sagt, ihr Gatte sei auf dem Punkte, Bankerott zu machen; wenn er seine Bilanz eingegeben, wird sie für dreißigtausend Franken Diamanten tragen. So spielen sich diese Affairen ab.

Dort sitzt die Frau eines Notars; sie ist eine der Löwinnen des Tags, und trägt nur immer das Neueste; man kommt ins Theater, um sie zu sehen; in ihrer Loge ist beständig großer Cercle; Dandys gibt es dort in beliebiger Auswahl. Man fühlt sich geschmeichelt, sagen zu können, man habe sich so eben mit einer Notabilität unterhalten.

Weiter unten sitzt eine junge, vom Publikum sehr geschätzte Schauspielerin; sie trägt keine Diamanten, ihre Toilette bietet nichts Bemerkenswerthes, aber sie glänzt durch ihr Talent, das ist viel schmeichelhafter.

Noch etwas weiter unten stehen die männlichen Löwen in citronengelben Handschuhen, sie warten, um in ihre Logen zu gehen, nur ab, bis das Stück angefangen hat. Sie werden alsdann viel Lärm machen, die Thüre mit Geräusch zuschlagen und so laut sprechen, als ob sie in ihrem Zimmer wären. All' das, nur um sich einige St, zuzuziehen. Wirklich schreien auch einige Stimmen: Stille! auch andere Aufforderungen zur Ruhe ertönen aus dem Parterre oder der Galerie. Aber die Löwen lachen verächtlich und machen nur noch etwas mehr Lärm.

Da kommt ein Herr, der in die Galerien, dann in die Loge neben der Vorbühne tritt, sich hierauf noch mehrere Logen öffnen läßt, nach allen Seiten grüßt. Jedermann kennt, stets äußerst geschäftig thut, keine fünf Minuten am nämlichen Platze bleibt und nicht weiß, was er beim Herausgehen aus dem Theater mit sich anfangen soll.

Jener Andere, der beim Eingange einer Loge spricht, findet im Gespräch beständig Anlaß, die Worte: mein Journal, einfließen zu lassen.

»Ich werde das in meinem Journal sagen.« – »Ich werde darüber in meinem Journal einen Bericht abstatten.« – »Ah! ich werde die Sache in meinem Journal schon arrangiren.« Es ist unmöglich, sich darüber zu täuschen, daß dieser Herr ein Journalist ist; aber er scheint so glücklich, daß man das von ihm wisse, daß einer seiner Freunde ihm den Rath gegeben hat, es auf seinen Hut zu schreiben, oder wenigstens seine Adreßkarte hinzupappen, damit für die Personen, die ihm im Foyer oder in den Gängen begegnen, kein Zweifel deßhalb obwalte.

Noch gibt es rings um das Parterre herum Logen, von denen wir nicht gesprochen haben, das sind die sogenannten vergitterten Badkabinette; da jedoch die Personen, die in diesen Logen sind, das Gitter zulassen, so wollen sie wahrscheinlich nicht gesehen sein; und wir denken, es wäre unbescheiden, sie durchaus sehen zu wollen; und allemal, wenn das Gitter nicht aufgezogen wird, trillern wir den Schlußvers aus einem alten Lied:

»Stören wir doch nicht die Leute!
Lasset Jedem seine Freude!«


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