Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel

In einem Sowjet-Kohlenbergwerk

Ein zweistündiger Aufenthalt in einem 700 Meter tiefen Kohlenbergwerk des Donbeckens war ein Erlebnis. Es war lehrreich, Hunderte von Meter durch 3 Fuß hohe Stollen zu kriechen, nach Schächten, in denen die Arbeiter während der ganzen Schicht auf allen Vieren lagen. Kohlenbergbau ist in keinem Lande ein Vergnügen, aber vor die Wahl einer Zuchthausstrafe oder Kohlen in dem Donbecken zu graben gestellt, würde jeder normale Mensch die Zuchthausstrafe vorziehen.

Der Chefingenieur und ich saßen in dem Schachtbüro und warteten auf unsere Bergmannskleider. Die Schicht war gerade zu Ende, und ein Strom von Menschen, die Gesichter schwarz von Kohlenstaub, strömte mit herabhängenden Schultern aus dem Stollen.

»Dies ist unser bester Schacht«, sagte der Ingenieur. »Mit der besten mechanischen Ausrüstung. Mit einer Belegschaft von 250 Arbeitern fördern wir 120 000 Tonnen pro Jahr. Die Schicht beträgt nur 6 Stunden.«

 

Bergarbeiter verlassen ihren Posten

Ein jüngerer Ingenieur, der Leiter des Bergwerks, platzte mit einem Fluch in das Zimmer:

»Sie sind ausgekniffen.«

»Wer ist ausgekniffen?«

»Diese verdammten Burschen vom Lande. Kamen vorige Woche hierher, arbeiteten fünf Tage, und jetzt ist die Hälfte fort.«

»Weshalb?«,tönte es im Chor von dem Direktor und den übrigen im Zimmer Anwesenden.

»Sind noch feucht hinter den Ohren«, schrie der Leiter des Bergwerks und warf die Tür ins Schloß.

Unsere Kleider wurden gebracht. Derbe Leinwandjacken und Hosen und hohe Lederstiefel. Wir machten uns auf den Weg.

»Wo ist der Fahrstuhl«, fragte ich, als wir den Schacht betraten.

»Einen Fahrstuhl gibt es nicht«, entgegnete der Ingenieur. »Wir haben eine mechanische Kohlenförderung, aber keine Förderungskörbe für die Leute. So steht es fast im ganzen Donbecken.«

Um in eine Tiefe von 700 Meter hinunterzugelangen, muß man gut anderthalb Meilen in Serpentinen heruntersteigen. Die erste halbe Meile führte durch einen Tunnel, dessen Decke etwa in Kinnhöhe lag. Es war stockdunkel und die Lichter unserer Bergwerkslampen genügten kaum, den Weg zu erhellen, den wir stolpernd und kriechend hinuntergingen. Der Fußbelag aus nassen und teilweise vermoderten Planken war unsicher. Alle hundert Meter gelangten wir an Doppeltüren.

 

Kriechen wie ein Krebs

Eine halbe Meile in gebeugter Haltung gehen, ist selbst über der Erde ermüdend. Nach 15 Minuten würde man viel dafür geben, sich wieder aufrichten zu können. Nach 15 Minuten rief der Ingenieur: »Jetzt machen wir es so.« Er legte sich auf Hände und Knie und entschwand seitlings unter der Schieferdecke, die hier nur 3 Fuß über dem Boden lag. Der Abstieg war zu steil, um mit dem Kopf voran zu kriechen. Es blieb nichts anderes übrig, als seitlich, wie eine Krabbe, die Lampe um den Hals gebunden und von erstickendem Kohlenstaub eingehüllt, halb zu kriechen, halb zu gleiten.

»He«, rief ich, nachdem wir 200 Meter uns auf diese Weise fortbewegt hatten, »Sie wollen doch nicht behaupten, daß die Bergleute auf diese Weise an ihre Arbeitsstätten gelangen.«

»Selbstverständlich«, entgegnete der Ingenieur. »Das macht den Leuten nichts aus.«

Ich dachte an die Bauernburschen, die 5 Tage gearbeitet hatten und dann fortgelaufen waren.

Der Stollen erweiterte sich zu einem größeren Raum. Die Höhe blieb die gleiche, sie entsprach genau der Mächtigkeit des Anthrazitflözes. Nach einer Wanderung von 30 Minuten hatten wir etwa zwei Drittel des Abstieges überwunden. Mit jeden 100 Metern, die wir in die Tiefe kamen, stieg die Temperatur merklich, und hier herrschte unerträgliche Hitze. Der Schweiß floß in Bächen durch den Schmutz auf unseren Gesichtern.

»Hier steht unsere elektrische Schrämmaschine«, sagte der Ingenieur, auf eine amerikanische Sullivan-Schrämmaschine deutend. Sie wurde von 5 Leuten bedient. Sie saßen zusammengekauert wie Affen. Als wir hereingekrochen kamen, unterbrachen sie ihre Arbeit, jetzt setzten sie die Maschine wieder in Gang. In dichten Wolken erfüllte der Kohlenstaub den Raum, trotzdem die Ventilatoren für stetigen und starken Luftzug sorgten. Irgendwo tief unten im Bergwerk ertönte eine Explosion. Der Boden erzitterte. »Sprengschuß«, bemerkte der Ingenieur. Im gleichen Augenblick erreichte uns der beißende Dampf.

»Müssen diese Leute während der ganzen Schicht in dieser unnatürlichen Stellung arbeiten?« fragte ich. »Weshalb führen Sie die Decke nicht höher, daß die Leute stehen können?«

»Zu kostspielig«, sagte der Ingenieur. »Sie arbeiten auch so ganz ordentlich. Das ist hier gar nicht so schlimm. Sie sollten einige unserer wirklich tief gelegenen Stollen sehen, acht- bis neunhundert Meter unter dem Boden, wo den Leuten keine Maschinen zur Verfügung stehen und sie nackt bis zum Gürtel auf der Seite liegend ihre Pickel führen müssen. Hundertfünfzig Meter weiter unten ist es wirklich heiß. Da fließt der Schweiß.«

Wir krochen weiter. Von diesem Schacht führte ein System von geneigten Rinnen die Kohle nach dem Boden des Bergwerks, von wo sie von einem elektrischen Konveyor aufgenommen und durch einen anderen Stollen zutage geschafft wurde.

Die Rinne nahm fast die ganze Breite des Tunnels ein. Man konnte sich daher nur mit der Kohle zusammen heruntergleiten lassen. Auf diese Weise erreichten wir den Boden des Schachts.

»Weshalb können die Arbeiter nicht mit dem Kohlenkonveyor zutage fahren«, fragte ich.

»Zu gefährlich«, erwiderte der Ingenieur.

»Weshalb installieren Sie nicht einen Aufzug für die Leute?«

»Zu kostspielig«, entgegnete er.

»Aber ist es nicht äußerst kostspielig, soviel Zeit und Kraft für den Weg von und zu der Arbeitsstätte zu verschwenden?«

»Gewiß, die Schicht beginnt oben. Die Arbeiter brauchen eine halbe Stunde, um herunter und eine halbe Stunde, um heraufzugelangen, bei einer sechsstündigen Schicht arbeiten sie also tatsächlich nur fünf Stunden.«

 

Riesiger Arbeiterwechsel

Der Aufstieg dauerte endlos. Als wir die Schachtöffnung erreichten, war es bereits finster. Die in dem Büro versammelten Bergarbeiter und Ingenieure befragten mich um meine Ansicht. Ich sagte, der Abstieg wäre so anstrengend, daß einem wenig Kraft übrigbleiben könnte, um Kohlen zu hauen. »Sie haben recht«, rief ein Bergmann, »man braucht sich nichts vorzumachen. Wenn man unten anlangt, hat man den schwersten Teil der Arbeit hinter sich.«

Es war klar, daß diese außergewöhnlichen Zustände ein wichtiger Grund waren, weshalb in diesem Jahre in dem Donbecken 178 000 Leute die Bergwerke verließen, weshalb überhaupt nur 177 000 Mann arbeiteten, obgleich 231 000 benötigt wurden. Vor dem Fünfjahresplan konnten sie aus den Bergwerken nicht fort, weil sie keine andere Arbeit fanden. Vor dem Plan gab es in der Sowjetunion mehrere Millionen Arbeitslose. Heute, wo die Nachfrage nach Arbeitern in der ganzen Union groß ist, hat sich der Auszug der Arbeiter aus dem Donbecken in eine Massenflucht verwandelt. Es wurde der Versuch gemacht, arbeitslose deutsche Bergmänner von der Ruhr herzuschaffen. Fast tausend kamen, blieben ein paar Wochen, und jetzt sind viele wieder nach Hause zurückgekehrt, da sie die Arbeitslosigkeit in Deutschland einer Tätigkeit im Donbecken vorziehen.

Nur die Sowjetjugend, die Mitglieder der kommunistischen Jugendinternationale, gehen ohne Überredungskünste selbst in die Kohlenbergwerke. Von allen menschlichen Aktivposten bedeutet die Jugend für die Gegenwart und für die Zukunft den wichtigsten.

 

Der Eindruck des Systems auf die Sowjetjugend

Dies gilt für die überwiegende Mehrheit aller Personen unter 25 Jahren in der Sowjetunion. Heute ist die Revolution 13 Jahre alt. Es gibt schätzungsweise 25 000 000 im Alter von 15 bis 25 Jahren, die von einem Lebensalter von 2 bis 12 Jahren an nur den Sowjetstaat gekannt und absolut keine Berührung mit der Welt der Bourgeoisie gehabt haben. Die ältesten dieser jungen Leute erinnern sich nur dunkel an das zaristische Rußland während des Krieges. Kein einziger kennt das Vorkriegsregime.

Es ist schwer für einen Außenseiter, sich die Macht klarzumachen, die ein derartiges System über eine solche von der Welt isolierte jugendliche Schar ausübt, ein System, bei dem jedes öffentlich gesprochene oder gedruckte Wort, jede Unterweisung und Aufklärung, jede Vorlesung, jedes Buch, jede Zeitung und Zeitschrift, jede Schule und jeder Klub, jede Radioansprache, jedes Theater und jedes Kino Propagandawerkzeug einer unerbittlichen politischen Maschine ist. Die Mehrheit der Jugend ist überzeugt, daß die Sowjetunion, trotzdem sie offensichtlich noch nicht ganz vollkommen ist, mit Vollendung des Fünfjahresplans zur Vollkommenheit gelangen und gleichzeitig zur mächtigsten Nation auf Erden werden wird.

Bourgeoisen Leuten gegenüber, seien es Russen oder Ausländer, schwankt ihr Empfinden zwischen hochmütiger Verachtung und Haß; nach ihrer Überzeugung steht die Bourgeoisie den Tieren näher als der Menschheit. Diese jungen Leute sind die heranwachsenden Herrscher der Sowjetunion und heute die zuverlässigste Stütze der Regierung. Freiwillig halten sie sich zur Verfügung der Behörden und verlangen nach jedem gefährdeten Punkt an der Front des Fünfjahresplans kommandiert zu werden, wo sie mit der ganzen Opferfreudigkeit religiösen Fanatismus schuften.

 

Die Produktion bleibt hinter dem Plan zurück

Brigaden dieser jungen Sturmtruppen sind in das Donbecken entsandt worden. Sie wurden von Molotoff, der rechten Hand Stalins, dorthin beordert. Molotoffs Besuch in dem Donbecken veranschaulichte gut die Methoden, die benutzt werden, um einen rückständigen Industriezweig produktiv zu gestalten. Obwohl die Industrie 1930: 46 651 000 Tonnen Kohle gegenüber 39 658 300 Tonnen im Jahre 1929 erzeugte, genügt die Steigerung nicht, um den Brennstoffbedarf des Landes zu decken. Molotoff kam nach Stalina, und innerhalb einer Woche wurde sein Dekret, ein äußerst instruktives Dokument, veröffentlicht.

Sämtliche Direktoren des Union-Kohlentrusts wurden entlassen, die G. P. U. erhielt den Befehl, ihre Kraft einzusetzen, um Trägheit auszumerzen; die Hälfte der im 3. und 4. Studienjahr stehenden Studenten der Bergbau-Akademie wurde für ein Jahr in das Donbecken beordert; die ukrainische kommunistische Jugendinternationale erhielt den Befehl, ihre besten Sturmbrigaden in das Donbecken zu senden; die Sowjetregierung, der Rat der Volkskommissare erhielt Anweisung, innerhalb von 5 Tagen bestimmte Pläne auszuarbeiten, und es wurden Blankovollmachten erteilt zur Hebung der Löhne, zur Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung, zur Steigerung der Prämien. Das Donbecken ist heute der einzige Ort in der Sowjetunion, an dem die Arbeiter ohne Einschränkung Zigaretten kaufen können, täglich Fleisch und im Monat 8 Meter Tuch erhalten.

Der interessanteste Zug an Molotoffs im Namen des Ukrainischen Zentralkomitees erlassenen Dekrets liegt jedoch in der Tatsache, daß das Komitee »beschließt, es sei notwendig, den Rat der Volkskommissare der Sowjetkommission anzuweisen, innerhalb von 10 Tagen Pläne auszuarbeiten, usw.« Die kommunistische Partei verschweigt also nicht länger die Tatsache, daß sie die wahre Regierung in Händen hält und daß sie sich nicht die Mühe zu geben braucht, ihre Befehle in die Form von Vorschlägen einzukleiden.

Stalin kommandiert Molotoff, Molotoff kommandiert das Ukrainische Zentralkomitee, das Ukrainische Zentralkomitee kommandiert die Sowjetregierung, die Regierung ist das Vollzugsorgan.


 << zurück weiter >>