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Neuntes Kapitel

Sträflingsarbeit

Holz ist in vielen Sprachen ein Symbol für Trägheit, aber der Anblick von 100 Flößen, von denen jedes eine Viertelmeile lang war, die hier in einem Nebenarm der Wolga lagen, war die dramatischste und instruktivste Lehre in internationaler Wirtschaft auf einer Reise, die bisher durch 6000 Meilen der Sowjetunion geführt hatte.

Es war dramatisch, hoch oben auf dem im Sonnenschein gebadeten Ufer zu stehen, den Blick über den Nebenarm schweifen zu lassen und die riesigen Flöße zu zählen, die gleich vorsintflutlichen Sauriern auf der gebräunten Oberfläche des Wassers schwankten, und dabei zu berechnen, was ihre Anwesenheit hier für die Sowjetunion und für die Welt zu bedeuten habe, die gespannt das ungeheure Experiment dieser treibhaushaften, industriellen Entwicklung unter dem Fünfjahresplan beobachtete.

Jedes dieser Flöße enthielt 10 000 Kubikmeter Holz, insgesamt also 10 Millionen Kubikmeter Holz. Alle waren für die Bandsägen der zahlreichen Schneidemühlen der Wolga-Kaspischen Holzgesellschaft bestimmt. 40 Prozent des Holzes diente dem Export.

Mit anderen Worten, man sah hier mit einem Blick soviel Holz, wie die gesamte Sowjetunion 1922 ausführte, eine Menge, die mehr als 1 Prozent des gesamten Holzes betrug, das in diesem Jahre in den Vereinigten Staaten geschnitten wurde. Es war eine einzigartige Gelegenheit, die Statistiken, deren es in der Sowjetunion eine solche Fülle gibt und die mit Skeptizismus zu betrachten, man nur allzu geneigt ist, nachzuprüfen. Hier, an einem der wichtigsten Erzeugnisse der Sowjetunion, wichtig für sie selber und für viele andere Länder, konnte man in wenigen Minuten die Produktionsziffern einer der größten Einheiten jener Industrie in dem Lande nachkontrollieren, ein Vorgang, den kein Mensch bei irgendeiner gewöhnlichen Fabrik in Jahresfrist zu bewältigen vermöchte.

 

Führend im Holzexport

Um es kurz zu sagen, der Anblick dieser Flöße, im richtigen Verhältnis in den Weltrahmen der Holzproduktion eingefügt, machte einem die wenig bekannte und verblüffende Tatsache klar, daß 1930 die Sowjetunion mit einem Sprung sich zum größten Holzexporteur der Erde aufgeschwungen hat mit einem Gesamtexport an Kubikmeter, der bis Ende des Jahres wahrscheinlich die amerikanische Ausfuhr um mindestens das Zwiefache übertreffen wird. Man hat auch noch nicht genügend begriffen, daß die Sowjetunion jährlich die doppelte Menge Holz schneidet wie die Vereinigten Staaten. Ebensowenig hat man erkannt, daß unter dem Fünfjahresplan, der auf dem Gebiet der Holzindustrie rasch und der Zeit voraus erfüllt wird, die Sowjetunion 1932 eine dreimal größere jährliche Gesamtholzproduktion wie die Vereinigten Staaten haben wird.

Die Wolga-Kaspische Holzverwertungsgesellschaft bot in vielfacher Hinsicht Interesse. Zwei Stunden verbrachten wir damit, durch die Abteilungen der 18 Schneidemühlen zu wandern und sahen doch nur flüchtig ein paar derselben. Meilen den Fluß herunter waren die Ufer mit aufgestapelten Stämmen, mit Schnittholzstapeln und den Bauten der Sägemühlen bedeckt. Wenige Menschen wissen, daß Stalingrad, neuerdings durch seine Traktorenfabrik berühmt geworden, der Sitz der größten Einzelanlage von Sägemühlen in der Sowjetunion ist, und daß seine jährliche Holzproduktion bedeutender ist als jene von irgendeiner der großen Mühlen in dem besser bekannten Archangelsker Bezirk. Archangelsk besitzt einen größeren Export, aber auch hier ist der Export nicht unbeträchtlich, die Erzeugnisse der Mühlen wandern über die kurze Eisenbahnstrecke nach Noworossisk am Schwarzen Meer und von dort zu den Häfen der Welt.

 

Holzflöße auf der Wolga

Die Stämme kommen alle die Wolga herab, aus dem Netz von Wasserstraßen, die den Ural und das nördliche Rußland durchschneiden, den Flüssen Byelaya, Kama, Vyatka, welche die reichsten, der Ausbeutung zugänglichen Waldreserven berühren. Bei der Bahnfahrt von Cheliabinsk nach Samara über Ufa sahen wir ein Dutzend solcher Flöße auf der Byelaya, und auf dem Wolgadampfer von Samara nach Stalingrad passierten wir wieder ein Dutzend derselben, die träge dahinglitten. Die aus 20 Leuten bestehende Mannschaft lebt in ihren Holzhütten so behaglich wie auf dem festen Lande.

Sobald all diese Flöße Stalingrad erreicht haben, erhöht sich die Zahl der 100, die in der Bucht liegen, wenigstens um die Hälfte, und der gesamte der Wolga-Kaspischen Holzverwertungsgesellschaft zur Verfügung stehende Bestand wird dann mindestens 15 Millionen Kubikmeter betragen. In Begleitung des Chefingenieurs der Fabrik besuchten wir die Sägemühlen und sahen zu, wie die Bandsägen die Stämme fraßen.

Die Ausrüstung ist fähig, den ungeheuren Zustrom an Material in einer Weise zu bewältigen, die auf den Laien einen sehr wirkungsvollen Eindruck macht. Allein in dieser einen Sägemühle waren 11 Sätze Bandsägen in Betrieb, und 13 weitere sollten im nächsten Jahre, sobald der jetzt im Gange befindliche Umbau vollendet ist, in Betrieb genommen werden. Sechs elektrische Konveyor schaffen die Stämme vom Wasser herauf und türmen sie mechanisch auf die Holzberge, die eine Quadratmeile des Flußufers bedecken. Das zugeschnittene Holz wird von amerikanischen Automobilen, sogenannten »Ross Carriern«, fortgeschafft, die mit einem Griff mehrere Tonnen Holz aufgreifen und weiterführen.

 

Der Boß ist ein Roter Pionier

Instruktiver als der Inspektionsgang war eine persönliche Unterredung mit Ivan Jakowlewitch Bergis, dem Präsidenten der Gesellschaft. Ivan Jakowlewitch war nach der in Rußland üblichen Bezeichnung ein »Staraya Bolschewist «, seit 1905 Parteimitglied. In dem Knopfloch trug er den Orden des Roten Banners, einen Orden, den er als Oberst eines berühmten Regiments in dem Bürgerkrieg sich errungen hatte. Mit seinem rasierten Kopf, dem zerfurchten Gesicht und den harten, grauen Augen machte Ivan Jakowlewitch den Eindruck eines Mannes, der genau so gut ein Regiment wie eine Sägemühle zu führen verstand.

Ein großes Bild Stalins blickte auf uns herab. Ehe Ivan Jakowlewitch zu reden begann, rief er einen Ingenieur herbei und befahl ihm seinen Rechenschieber bereit zu halten. »Vor dem Fünfjahresplan« im Jahre 1927/28, begann der Präsident bündig, »hatte die Gesellschaft eine Produktion von 600 000 Kubikmeter Holz. Im ersten Jahre des Plans 1928/29 betrug die Produktion 877 000 Kubikmeter. Wie hoch ist die prozentuale Zunahme?« fragte er, zu dem Ingenieur gewandt.

 

Rechenstab erzählt Geschichten

»Vierzig Prozent«, erwiderte der Operateur des Rechenschiebers.

»In dem zweiten Jahr des Planes 1929/30, das jetzt zu Ende geht, hatten wir eine Produktion von 1 140 000 Kubikmetern.«

»Neunzig Prozent Zunahme«, erklärte der Ingenieur.

»1931/32 werden wir eine Produktion von 2 172 000 Kubikmetern erreichen«, fuhr der bolschewistische Anführer fort.

»Zweihundertzweiundsechzig Prozent Zunahme«, bemerkte der Ingenieur triumphierend.

In Kubikfuß umgerechnet bedeuten diese Ziffern eine Produktion von 254 000 000 Kubikfuß 1927/28, 360 000 000 Kubikfuß 1928/29, 482 000 000 Kubikfuß 1929/30 und 918 000 000 Kubikfuß 1931/32.

»1932 werden im ganzen 104 Bandsägen im Betrieb und unser Werk das größte Werk auf der Welt sein.«

Ivan Jakowlewitch machte eine Pause, dann fuhr er fort.

»Was die Arbeiter anbetrifft, so erhalten sie eine Durchschnittslöhnung von 2 Rubel 64 Kopeken pro Tag. Das Maximum beträgt 5 bis 6 Rubel pro Tag, und wir haben keine Kulaken. Kulaken«, sagte er mit Nachdruck, »können in einer Sägemühle keine Arbeit verrichten, wenigstens nicht in dieser. Wir lehnen sie ab. Die Gefahr einer Sabotage wäre zu groß.«

Unter »Kulaken« verstand er die wohlhabenden Bauern, die, nachdem sie durch den Vorgang der Kollektivierung ihrer Güter beraubt worden sind, in großer Zahl nach anderen Teilen Rußlands deportiert wurden.

»In der Holzindustrie«, betonte Ivan Jakowlewitch, »werden die Kulaken nur zum Fällen und beim Transport der Stämme verwendet. Dazu werden sie bei Sverdlowsk im Ural benutzt. Aber mißverstehen Sie mich nicht. Es handelt sich nicht um Gefangenenarbeit. Diese Burschen werden nur dorthin geschickt, damit sie lernen, sich den Sowjets anzupassen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und den anderen Arbeitern besteht darin, daß sie dortbleiben müssen. Noch immer herrscht die Regel, daß, wer nicht arbeitet, nichts zu essen bekommt, und die Kulaken würden nicht arbeiten. Daher bringen wir ihnen arbeiten bei.«

 

Klassenkampf noch nicht vorüber!

Mit größerer Heftigkeit fuhr der Sprecher fort: »Ich möchte Sie bitten, Ihren Lesern mitzuteilen, daß darin unsere Fürsorge für die Kulaken besteht. Wir lehren sie arbeiten – zum erstenmal in ihrem Leben. Sie haben genügend Blut ausgesaugt.

»Der Klassenkampf ist noch nicht vorüber!« Er stieß die Worte einzeln heraus. »Sie dürfen nicht vergessen, daß wir einen neuen Staat schaffen. Fast alles, was über die Sowjetunion geschrieben wurde, waren Lügen. Erklären Sie Ihren Lesern, daß dies keine Lüge ist –, daß im Falle eines Angriffes auf die Sowjetunion die Arbeiter der Welt ihre Bajonette gegen unsere Feinde kehren werden.«

Damit war das Interview zu Ende. Ich erklärte ihm, daß ich gerne seine Bemerkungen wiederholen würde.

Was die Sträflingsarbeit anbetrifft, das Thema, auf dem der Präsident der Sägewerke verweilte, so bemerkt ein Reisender in den dem Besuch geöffneten Teilen der Sowjetunion wenig davon. Auf meiner ganzen Reise beobachtete ich nur eine Gruppe Strafarbeiter, eine Straßenbaumannschaft, wie man sie noch häufig in Texas oder einem der anderen südlichen Staaten antrifft, die immer noch Sträflinge beim Straßenbau verwenden. Ich traf diese Mannschaft in Cheliabinsk, sie kehrten gerade von einem Bauplatz für Mietskasernen zurück, auf dem die Gefangenen Ausschachtungsarbeiten verrichteten.

 

Politische Gefangene

Die Frage nach dem Charakter der im fernen Norden, besonders in der Holzindustrie verwendeten Arbeiter läßt sich viel weniger leicht befriedigend beantworten. Daß das fragliche Gebiet eine große Bevölkerung aus politischen und anderen Gefangenen und aus ehemaligen Kulaken besitzt, ist eine von den Sowjetbehörden nicht abgeleugnete Tatsache. Generalbevollmächtigter Krylenko erklärte seinerzeit, und diese Behauptung wurde in der Sowjetpresse zitiert, es gäbe 500 000 wohlhabende Bauern oder Kulaken, die im Verlaufe der Kollektivierung »entkulakisiert« seien. »Entkulakisierung« ist eines der zahlreichen neuen Worte, die in jüngster Zeit der bolschewistischen Sprache einverleibt worden sind und bedeutet zwangsweise Enteignung, die gewöhnlich von Strafmaßnahmen wegen eines Widerstandes gegen den Kollektivismus begleitet ist.

Andere Quellen deuten daraufhin, daß Krylenko nicht 500 000 Einzelkulaken, sondern 500 000 Familien gemeint hat. Die Gesamtzahl der Bauernfamilien auf dem Gebiet, auf dem vor März 1930 der Kollektivismus hundertprozentig durchgeführt worden ist, betrug 14 Millionen, und von diesen Familien wurden 4 bis 5 Prozent als Kulakenfamilien bezeichnet, die zu entkulakisieren seien. Dies würde rund 3 Millionen Einzelpersönlichkeiten bedeuten. Eine unbestimmbare Anzahl dieser Leute wurde verschickt, einige nach dem Süden, um an der turkestanisch-sibirischen Eisenbahn und an den Bewässerungsprojekten von Turkestan zu arbeiten, andere, wahrscheinlich die Mehrzahl der Verbannten, kam nach den Holzlagern des Nordens.

 

Zahlung regulärer Löhne

Die Sowjetbehörden versichern, diese Kulaken erhielten zwar die gleiche Bezahlung wie gewöhnliche Arbeiter, es wäre ihnen aber nicht gestattet, den ihnen zugewiesenen Distrikt zu verlassen. Die Zwangsmaßnahme in bezug auf ihren Wohnort wird nicht abgeleugnet. All dieses sind notorische Tatsachen, die keiner besonderen Untersuchung bedürfen. Doch nur eine solche Nachforschung könnte einen Nachweis über die tatsächliche Anzahl der Kulaken und der politischen und anderen Gefangenen erbringen, die in den Holzlagern oder an ihren Wohnorten arbeiten.

Dieses Sägewerk zeigt, wie schwer es wäre, genau die Quelle des geschnittenen Holzes, das aus der Sowjetunion ausgeführt wird, zu bestimmen. Ich erkundigte mich bei einem der Oberaufseher, ob er wüßte, woher das Holz stamme. Er erwiderte, er könne das angeben, so lange die Stämme zu Flößen vereint wären, aber sobald die Flöße auseinandergenommen und die Stämme von verschiedenen Flößen gleichzeitig in den Mühlenteich geflößt und von dort in die Sägewerke geschafft und geschnitten würden, ginge ihr Heimatsort verloren.

Zu wiederholten Malen versicherten die Sowjetbehörden, daß das zur Ausfuhr nach Amerika gelangende Holz nicht aus Lagern mit Zwangsarbeitern stamme. Andererseits ist das amerikanische Gesetz, das die Einfuhr von Zwangsarbeit-Erzeugnissen untersagt, seitens des amerikanischen Schatzamtes in einer Weise ausgelegt worden, daß die Beweislast, daß diese oder jene spezielle Schiffsladung Holz aus dieser oder jener Örtlichkeit, wo Zwangsarbeit Verwendung fände, stamme, den Amerikaner obläge. Falls man die Verwirrung, die in diesem Sägewerke in bezug auf die Herkunft des Holzes herrscht, als typisch annimmt, dürfte die praktische Möglichkeit, die Frage in der einen oder anderen Weise zu beantworten, in weiter Ferne liegen.

 

Dauernder Arbeiterwechsel

Bezüglich des umfassenden Themas des allgemeinen Status der Arbeit in der Sowjetunion mag gesagt werden, daß der Augenschein zu der Schlußfolgerung leitet, daß, wenn man die Holzregionen außer Betracht läßt, reine Sträflingsarbeit in keinem bemerkbaren Maße in den zugänglichen Industrien der Sowjetregierung Anwendung findet. Die Annahme, daß alle Arbeit in der Sowjetunion Zwangsarbeit sei, wird durch die Berichte über den Arbeiterwechsel in sämtlichen Industrien widerlegt, der so stark ist, daß er ernste finanzielle Verluste verursacht hat und zu einem der hauptsächlichsten internen Hindernisse für eine erfolgreiche Durchführung des Fünfjahresplans geworden ist.

Arbeiterknappheit und unmäßiger Arbeiterwechsel waren die zwei mir von V. N. Ksandroff, dem Vorsitzenden der industriellen Abteilung der staatlichen Planwirtschaftskommission, angegebenen Gründe für das Mißlingen, die Gestehungskosten dem Plan entsprechend herunterzusetzen, diesem verhängnisvollsten Fehlschlag des ganzen Planes. In dem Donbecken belief sich dieser Arbeiterwechsel im ersten halben Jahr von 1929 bis 1930 auf 178 000 Mann bei insgesamt 225 000 Bergarbeitern. Für das ganze Jahr berechnet, würde das einen Wechsel an Arbeitern von über 150 Prozent bedeuten. Nach dem Staatsstatistiker Gubelman betrug der Arbeiterwechsel in sämtlichen Industrien in diesem Jahre rund 40 Prozent. Falls sich ganz allgemein Zwangsarbeit anwenden ließe, dann würde sie doch bestimmt angewandt worden sein, um diesen beängstigend verschwenderischen Wechsel der Arbeitsstätten zu verhindern.

 

Neue Maßnahmen unterwegs

Als direkte Folge dieser Verhältnisse wurde gerade jetzt seitens des Zentralkomitees der kommunistischen Partei ein Dekret erlassen, das einen neuen Versuch darstellt, eine schärfere Arbeiterdisziplin einzuführen. Das Arbeitskommissariat soll in Verbindung mit den Gewerkschaften das Recht haben, qualifizierte Arbeiter aus weniger wichtigen Industrien nach lebenswichtigeren Betrieben, wie Kohlenbergwerken, Metallindustrien, Eisenbahnen und Baugewerbe zu versetzen. Personen, die sich weigern, einem solchen Versetzungsbefehl zu folgen oder ihre Stellung verlassen, werden aus den Listen der Arbeiterbörsen gestrichen und finden auf regulärem Wege keine weitere Anstellung. Den verschiedenen Trusts wird es untersagt, in Zukunft die bisher übliche Arbeiterwerbung durchzuführen oder höhere als die Gewerkschaftslöhne zu zahlen. Arbeiter, die mindestens zwei Jahre auf dem gleichen Posten ausharren, erhalten Belohnungen und Vorzugsbehandlung. Die Schwierigkeit, die der Durchführung dieses Dekrets entgegensteht, liegt in der Tatsache, daß der Arbeitermangel so groß ist, daß es trotz der Verbote dem Arbeiter, der von den Listen der Arbeitsämter gestrichen wird, dennoch möglich sein dürfte, auf irregulärem Wege lockende Arbeit zu erhalten. Das Dekret stellt nur einen neuen Versuch unter einer langen Reihe Versuchen von der Zeit des militärischen Kommunismus bis heute an dar, auf die gesamte Arbeiterklasse jene Disziplin auszudehnen, die in der Partei selber herrscht, deren Mitglieder verpflichtet sind, Befehle genau wie Soldaten entgegenzunehmen. Bis heute ist die einzige Klasse von Arbeitern, die sich dieser Disziplin unterworfen hat, die verhältnismäßig kleine und leicht zu beaufsichtigende Schar von Sowjet-Ingenieuren und Spezialisten, die vertraglich an ihre Tätigkeit gebunden sind und deren Verträge von den üblichen Ingenieurverträgen in den bürgerlichen Ländern in dem wichtigen Punkte abweichen, daß, falls ein Sowjet-Ingenieur seinen Vertrag bricht, er sich einer Gefängnisstrafe schuldig macht.

 

Exportzahlen steigen

Wie rasch der Holzexport sich gehoben hat, kann man aus der Tatsache ersehen, daß er in diesem Jahre schätzungsweise 8 Milliarden Kubikfuß erreichen wird, im Vergleich zu 3 337 000 000 im Jahre 1929, 2 320 000 000 im Jahre 1928, 1 779 000 000 im Jahre 1927 und 3 269 790 000 im Jahre 1913, den Teil Rußlands gerechnet, den heute die Sowjetunion einnimmt. Diese Zahlen sind offiziell und stammen aus einer Veröffentlichung der Sowjetmonopolgesellschaft für Außenhandel.

Die Schätzung für 1930 basiert auf der offiziellen Sowjeterklärung, wonach der Holzexport in der Zeit vom 1. Oktober 1929 bis 1. Juli 1930 an Wert 159 Prozent größer war als der Wert während der entsprechenden neun Monate im Jahre 1928/29. Dies würde während einer Periode der Preissenkung dem Volumen nach noch eine höhere prozentuale Steigerung bedeuten, aber die Zahl von 100 Prozent auf die gesamte jährliche Produktion von 1929 angewandt, würde bereits annähernd 8 000 000 Kubikfuß ergeben.

Was diese Zahlen für die Vereinigten Staaten und andere Rivalen der Sowjetunion bedeuten, ersieht man am besten aus der nachstehenden Tabelle, die in Millionen Kubikfuß für 1928 und 1929 den Holzexport der fünf wichtigsten holzausführenden Länder angibt. Die Zahlen für die Sowjetunion, Finnland, Schweden und Polen stammen von dem »Sowjetmonopol für Außenhandel«.

 

1928
Finnland 4183
Polen 3443
Vereinigte Staaten von Amerika 3119
Schweden 2723
Sowjetunion 2320
   
1929
Finnland 4272
Vereinigte Staaten von Amerika 8345
Sowjetunion 3337
Polen 2961
Schweden 2876

 

1928 stand die Sowjetunion an fünfter Stelle; 1929 an dritter, dicht hinter den Vereinigten Staaten. Aber 1930 wird die Sowjetunion nach ihren eigenen amtlichen Statistiken 8 000 000 000 Kubikfuß exportieren – doppelt soviel wie Finnland, mehr als doppelt soviel wie Amerika. Während der ersten beiden Jahre des Plans hat die Sowjetunion ihren Holzexport verfünffacht und hat ihren Vorkriegsexport und jeden Rivalen überholt. Holz hat den Hauptexportartikel der Sowjets, Petroleum, überflügelt.

Die gesamte Holzproduktion der Sowjetunion betrug 1927/28, im Jahre vor dem Plan, rund 60 000 000 000 Kubikfuß. 1932/33 soll die Produktion planmäßig auf 109 000 000 000 Kubikfuß getrieben werden und, nach der Wolga-Kaspischen Holz Verwertungsgesellschaft zu schließen, erscheint diese Ziffer nicht unglaublich.

Trotz dieser gewaltigen Holzausbeute versichern die Sowjetbehörden, daß sie nur 17 Prozent der Waldbestände des Landes ausforsten, die sie auf 2 000 000 000 Acre angeben. Sie betonen, daß der gesamte jährliche Schlag nicht einem Viertel des jährlichen Nachwuchses entspräche. Die Gesamtproduktion der Vereinigten Staaten wurde in diesem Jahr auf 32 000 000 000 Kubikfuß geschätzt, also nur auf die Hälfte der Produktion der Sowjetunion. Nach Durchführung des Planes im Jahre 1932/33 wird die Sowjetunion mehr als die dreifache Produktion der Vereinigten Staaten besitzen.

Der größte Teil des Sowjet-Exports wandert nach England, Deutschland, Holland und Belgien. Neuerdings fängt Rußland an, die heimischen Märkte ihrer Hauptrivalen Amerika und Finnland zu überschwemmen. Bis 1. September 1929 hatten die Vereinigten Staaten 3 000 000 Kubikfuß Holz aus der Sowjetunion eingeführt, im September 1930: 30 000 000 Kubikfuß; das letztere ist nur ein zehntel Prozent der amerikanischen Erzeugung. Amerikanische Holzfachleute betrachten jedoch Großbritanniens Handel mit der Sowjetunion als Hinweis, was eventuell den Vereinigten Staaten blüht. Großbritannien importierte 1925: 570 000 000 Kubikfuß aus der Sowjetunion, aber 1930 bereits 1 200 000 000 Kubikfuß, eine Menge, die für den Holzhandel jeder Nation eine Rolle spielt. Schaut man auf die hundert Flöße hier in Stalingrad herab, dann erhalten diese Ziffern ihre schicksalsschwere Bedeutung.


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