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Zehntes Kapitel

Die größte Weizenfarm der Welt

Der Direktor des größten Gutes der Welt, Jakob F. Bogomolkin, saß in seinem Büro in Gigant im nördlichen Kaukasus und erzählte mir, daß er über 256 800 Hektar, rund 1000 Quadratmeilen Boden gebiete.

Seine ständige Arbeiterschaft beziffere sich auf 2800 Mann, deren Löhne durchschnittlich 100 Rubel im Monat betrügen. An Geräten und Maschinen verfüge die Farm im ganzen über 8000 Stück, und die Regierung habe ein Kapital von 27 000 000 Rubel in den Besitz investiert. In diesem Jahre wären 120 000 Hektar Land bestellt und 4 000 000 Scheffel Weizen und Roggen zu einem Preis von 54 Gent pro Scheffel erzeugt worden; das ergäbe einen solchen Gewinn, fügte er mit Nachdruck hinzu, daß Gigant der Regierung aus den Einnahmen dieses und des vorigen Jahres bereits 20 000 000 Rubel zurückgezahlt hätte. Die Gewinne des nächsten Jahres würden sich auf 10 000 000 Rubel belaufen. Gigant, so erklärte er, wäre ein enormer Erfolg.

Mr. Bogomolkin, ein nervöser und reizbarer Mann, trotz seines Rufes als kühner Kommandeur der Roten Armee, war der erste Sowjetbeamte, der mir auf dieser Reise begegnete und mir offensichtlich unzutreffende Auskünfte erteilte. Es ist richtig, daß die Farm annähernd so groß ist wie das Staatsgebiet von Rhode Island; daß es sechs Stunden beansprucht, um mit einer Eisenbahn in einem Tempo von 18 Meilen pro Stunde Gigant zu durchqueren; es ist richtig, daß es die größte Farm auf der Welt ist, aber wirtschaftlich erfolgreich arbeitet dieses Mustergut bestimmt nicht. Würden alle Unternehmen des Fünfjahresplans so geführt werden wie Gigant, dann wäre die Behauptung gerechtfertigt, daß der Fünfjahresplan statt das Grundkapital des Landes zu mehren, es verschleudere, und daß in wenigen Jahren das letzte bischen Nationalreichtum vergeudet sein würde.

 

Tatsächlicher Verlust von 750 000 Dollar

Nach Mr. Bogomolkins Behauptung erzielte Gigant in zwei Jahren einen genügend großen Gewinn, um der Regierung 20 000 000 Rubel zurückzuerstatten. Die einfachste Berechnung auf Grundlage seiner eigenen Zahlenangaben, ergänzt durch auf der Farm eingezogene Erkundigungen, ergibt einen nachweisbaren Verlust von 840 000 Dollar im Jahre 1930, von denen wenigstens 750 000 Dollar nicht in Papierrubeln, sondern in echten Dollars verloren wurden.

Die Rechnung ist interessant genug, um als Musterbeispiel, wie eine Farm nicht geführt werden soll, hier kurz wiedergegeben zu werden. Läßt man die Ergebnisse des vorigen Jahres beiseite, die sehr schlecht gewesen sein müssen, insofern als das bestellte Gebiet wesentlich geringer und die Ernte nur mittelmäßig war, läßt man ferner die angebliche Rückzahlung von 10 000 000 Rubel an die Regierung außer Betracht, so müssen sich die Aufwendungen für Gigant in diesem Jahre auf 7 000 000 Rubel oder rund 3 500 000 Dollar belaufen haben.

Diese Zahlen erreichen wir auf folgendem Wege: Nach Mr. Bogomolkins eigenen Angaben beschäftigt die Farm ständig 2800 Arbeiter zu einem Durchschnittslohn von 100 Rubel monatlich. Das ergibt einen Jahreslohn von 3 360 000 Rubel. Staatliche Farmen müssen gleich anderen wirtschaftlichen Institutionen der Sowjets mindestens 6 Prozent Zinsen an die Regierung für das vorgeschossene Geld abführen. Die Zinsen von 27 000 000 Rubel betragen bei 6 Prozent 1 620 000 Rubel. Die Kosten für Materialien, Brennstoff, Futter, Öl usw. beziffern sich auf 500 000 Rubel im Jahr. Reparaturen an Gebäuden werden mit 20 000 Rubel im Jahr angesetzt – was für drei große Dörfer sehr wenig ist. Der bedeutendste Posten, die Abschreibungen auf das Inventar, belaufen sich auf 1 500 000 Rubel im Jahr.

 

Scharfe Kritik

Nach Bogomolkins Angaben erzeugte die Farm 3 000 000 Scheffel Weizen und 1 000 000 Scheffel Roggen. Weizen mittlerer Qualität müßte nach den Liverpooler Preisen im Durchschnitt 70 Cents pro Scheffel einbringen, d. h. 2 100 000 Dollar, falls die gesamte Menge ausgeführt würde, und Roggen nach dem Hamburger Preise 90 Rubel pro Tonne, die tatsächlich in diesem Jahre für russischen Roggen bezahlt wurden, also rund 560 000 Dollar, was im ganzen eine Einnahme von 2 660 000 Dollar ergibt. Zieht man hiervon die Gesamtausgaben von 3 500 000 ab, so bleibt ein runder Verlust von 840 000 Dollar.

In bezug auf andere Sowjet-Institutionen könnte man einwenden, daß der Verlust in Papierrubel durch den Gewinn an ausländischem Wechselgeld mehr als ausgeglichen wird, aber in diesem Falle wurden 750 000 Dollar in ausländischer Währung verloren, denn so hoch beläuft sich die Entwertung des Inventars. Hier liegt der Kern für Gigants Schwierigkeiten. Das kostspielige, im Auslande mit Dollar gekaufte Inventar wird in solchem Maße abgenutzt, daß eine Wertverminderung von 50 Prozent bei Mähmaschinen von allen Sachverständigen, die genügend mit der dortigen Arbeit vertraut sind und den Zustand jeder Maschine auf der Farm kennen, als angemessen betrachtet wird.

Während der eben beendeten Erntezeit wurden 220 neue amerikanische Mähmaschinen verwendet, die mit der Hilfsausrüstung pro Stück 3300 Dollar kosteten. Nach den Angaben eines Sachverständigen, der die Arbeit überwachte, nutzten die unerfahrenen und rücksichtslosen Giganter Arbeiter, die zu größter Schnelligkeit angetrieben wurden, in den zwei Erntewochen die Maschinen in einer Weise ab, wie es bei richtigem Gebrauch sonst in fünf Saisons der Fall ist. Die normale Lebensdauer einer Mähmaschine beträgt in Amerika etwa 10 Jahre. Hier kann man sie nur auf 2 Jahre berechnen. Außer den 220 Mähmaschinen befinden sich in Gigant 230 Traktoren, in der Hauptsache Raupenschlepper von größten Dimensionen, 240 Drillmaschinen, 800 Pflüge, 200 Behäufelungspflüge, 115 Scheiben- und 5000 Zahn-Eggen und Hungerharken. Im ganzen kosten die Werkzeuge und Maschinen 2 000 000 Dollar. Selbstverständlich ist die Abnutzung bei den einfacheren Werkzeugen nicht so groß, bei den Traktoren jedoch ist die Wertverminderung nahezu so hoch wie bei den Mähmaschinen, so daß man die Abschreibung auf das Gesamtinventar nach Angabe von Leuten auf der Farm, deren Urteil maßgebend sein müßte, nicht niedriger als mit 27 Prozent ansetzen darf.

Die Leute rühmten sich in Gigant, sie hätten in 20 Arbeitstagen 4 000 000 Scheffel geerntet. Das ist in der Tat ein Schnelligkeitsrekord. Die Kosten dieses Rekords kann man aber auf Grund der angegebenen Ziffern beurteilen.

Gegen diese Berechnung ließe sich nur einwenden, daß die von Mr. Bogomolkin angegebenen Daten in bezug auf die Größe des Inventars, das investierte Kapital, die Anzahl der Arbeiter und die Höhe der Löhne unzutreffend wären. Tatsächlich ergibt vielleicht Gigant trotz dieser Berechnung einen buchmäßigen Gewinn, denn der außerordentliche Propagandawert der »größten Farm der Welt« hat deren Direktor in die Lage versetzt, seine Maschinen in diesem halsbrecherischen Tempo abzunutzen, ohne einen Wertminderungsverlust ausweisen zu müssen. Sobald Gigant seinen Maschinenpark an Mähmaschinen und Traktoren ein Jahr verwendet hat, schickt es sämtliche Mähmaschinen und eine Anzahl der Traktoren nach Norden in den Ural, wo das halbabgenutzte Inventar auf weniger bedeutenden Staatsfarmen oder Kollektiven eingeschmuggelt wird. Gigant erhält dafür von der Regierung neue Maschinen und der endgültige Verlust wird sich lediglich aus den Büchern der Uralfarmen ergeben.

Es bedeutete eine Erleichterung, nach der größten und am schlechtesten geleiteten Farm unmittelbar eine andere zu besuchen, die sich nicht in Superlativen gefällt, aber als das am wissenschaftlichsten verwaltete Gut der Sowjetunion bezeichnet zu werden verdient. Verblud, der Name bedeutet »Kamel«, grenzt unmittelbar an Gigant. Auch Verblud, mit einem Gesamtgebiet von 120 000 Hektar, rund 470 Quadratmeilen, von denen sich in diesem Jahre 22 000 Hektar unter dem Pfluge befanden, ist kein Zwerggut.

Verbluds Ernte betrug pro Acker etwa 19 Scheffel, was ungefähr dem Durchschnittsertrag einer besseren amerikanischen Weizenfarm entspricht, gegenüber 14 Scheffeln in Gigant. Verblud verwendet für 45 Acker einen Arbeiter, während in Gigant auf je 40 Acker ein Mann kommt. Verblud mit seinem verhältnismäßig bescheidenen Maschinenpark, der aus 40 Traktoren, 50 Mähmaschinen, 60 Drillmaschinen, 100 Pflügen, 40 Behäufelungspflügen und mehreren 100 Scheiben- und Zahn-Eggen besteht, wird so sorgfältig verwaltet, daß, nach den Angaben Professor E. J. Stirnimans von der Universität Kalifornien, dem wissenschaftlichen Berater der Farm, die Maschinen die gleiche Lebensdauer haben werden wie unter guter amerikanischer Leitung.

Mit anderen Worten, Verblud hat in diesem Jahr 1 000 000 Scheffel Weizen und Roggen erzeugt, ein Viertel der Giganter Ernte auf einem Fünftel des in Gigant bestellten Bodens, zu erheblich geringeren Gestehungskosten.

Gigants tatsächliche Kosten beliefen sich auf rund 87 Gent pro Scheffel, gegenüber 67 Cent in Verblud. Bei dem heutigen Weltpreis für Weizen könnte keine der beiden Farmen einen Gewinn abwerfen, aber Verbluds Verluste würden fast ausschließlich Papierrubelverluste sein, während Gigants Verluste in kostspieliger Maschinerie bestanden, die auf Grund des Fünfjahresplans alle Papierrubelverluste wettmachen sollten.

Der Unterschied liegt in der Verwaltung. Verbluds Verwalter, L. F. Margolin, ist ein Sowjetbeamter ersten Ranges, gebildet, ein Fachmann in seinem Beruf, der das unbegrenzte Vertrauen seiner Beamten besitzt. Mr. Bogomolkins Beziehungen zu seinen Angestellten kann man nach der Tatsache beurteilen, daß er bei Besprechungen mit den amerikanischen Mitgliedern der Vorarbeiterschaft einen Revolver aus seinem Schreibtisch nimmt, mit dem er bedeutungsvoll herumfuchtelt, während er die Leute an ihre Pflichten gemahnt.

Dem Getreidetrust, dem Verblud und Gigant angehören, unterstehen 130 Staatsfarmen. Falls alle so geführt würden wie Gigant, dann wäre der Getreidetrust gezwungen, seine Arbeiten einzustellen. Würden alle so geführt wie Verblud, dann hätten die Getreidezüchter anderer Nationen es schwer, den Wettbewerb auszuhalten. Denn in einer wichtigen Beziehung genießen die Sowjetstaatsgüter einen unschätzbaren Vorteil gegenüber den Farmen im Auslande: der Grund und Boden kostet nichts. In Amerika schätzt man die Zinsen des in dem Grund und Boden investierten Kapitals auf etwa 35 Prozent der gesamten Produktionskosten. Bei sonst gleichen Verhältnissen verleiht diese Tatsache den staatlichen Sowjetgütern ein 35prozentiges Übergewicht über ihre ausländischen Rivalen.

Als ich Verblud verließ, wurde gerade gesät. Es war spät am Abend. Wir fuhren in einem funkelnagelneuen amerikanischen Tourenwagen 10 Meilen weit und bogen in die Felder ein, die sich nach allen Richtungen glatt, wie ein ruhiges Meer, bis zum Horizont erstreckten und beobachteten eine Schar Arbeiter. Grenzenlos dehnte sich der dunkle Ozean der Felder. Ein Zehntonnentraktor schleppte 5 Drillmaschinen in westlicher Richtung, bis die riesige Maschine zu einem winzigen Flecken wurde, dem Blick entschwand, dann umwandte und sich wieder seitlich gegen das rosa Band des abendlichen Himmels abhob. Hier war Rußlands Unendlichkeit, hier waren der Traktor und die Drillmaschinen am Werk, das Rätsel seiner Zukunft zu entwirren.


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