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Dreizehntes Kapitel

Ein Winkel in Mangan

Eine halsbrecherische Fahrt auf der Schmalspurbahn führte uns in solcher Schnelligkeit an einer tiefen Bergschlucht entlang, daß die Bremsen stöhnten, als der Zugführer zum Halten pfiff. Wir waren in Chiaturi, einem georgischen Städtchen, mitten in den Bergen des Kaukasus, 6000 Meilen fern von Amerika, aber trotzdem wichtig für jeden Bürger der Vereinigten Staaten.

Es gibt kaum einen Amerikaner, der nicht zu irgendeiner Stunde des Tages ein Erzeugnis benutzt, das mit Hilfe des Mangans von Chiaturi, dieses zur Härtung von Stahl unentbehrlichen Metalls, hergestellt worden ist. Zwei der größten amerikanischen Stahlorganisationen verwenden die Erzeugnisse Chiaturis für die Mehrzahl ihrer Erfordernisse, und wahrscheinlich besteht der Stahl der wesentlichen Teile jedes zweiten Automobils in den Vereinigten Staaten zum Teil aus Chiaturier Mangan.

Es ist ein weiter Sprung von dem geglätteten Produkt in dem Rädergetriebe eines amerikanischen Automobils bis zu der rauhen Quelle in Chiaturi. Fast ebenso weit ist der Weg von irgendeinem Punkte Westeuropas bis zu dieser Bergsiedlung. Aber die Reise ist der Mühe wert, wirft sie doch im Falle eines Erzeugnisses, das ein unmittelbares Interesse für die Vereinigten Staaten besitzt, ein helles Licht auf die Ziele, Mittel und Methoden des Fünfjahresplans.

 

Exekutivbeamter, ein roter Veteran

Es war frühmorgens, aber die Beamtenschaft der Gesellschaft war bereits auf dem Posten, und ich wurde von Kalistrat Kamazadashvili, dem Vizepräsidenten, empfangen. Er sagte mir, ich wäre seit Abreise der Ingenieure der W. A. Harriman Konzession im Jahre 1928 der erste Amerikaner, der Chiaturi besuche. Kamazadashvili ist ein breitschultriger Mann mittlerer Größe, wettergebräunt, mit kohlschwarzen Haaren, die in einem wüsten Heiligenschein von seinem Kopfe abstehen, einem kohlschwarzen Bart, der nach beiden Seiten in lange Spitzen ausläuft, von einer Dichte, Länge, Borstigkeit und Schwärze, die seinem Gesicht den Ausdruck der Unbarmherzigkeit verleihen. Dabei erwies er sich als der liebenswürdigste Gastgeber.

Kamazadashvili ist ein hartgesottener Bolschewist, ein Mitglied der Partei seit Menschengedenken und ein alter persönlicher Freund Sosos, des jetzigen Joseph Stalin. Er bestand darauf, uns zuerst zum Frühstück einzuladen, einer schmackhaften georgischen Mahlzeit aus stark gewürztem Gulasch, Tomaten und Pfeffergurken mit geschnittenen Zwiebeln und in der Pfanne gebackenem georgischem Käse, der vortrefflich mundete.

Reitpferde standen bereit. Wir stiegen auf und ritten die Minen besichtigen. Reiten war das einzige Mittel, um dorthin zu gelangen. Die Minen ziehen sich in einem Radius von 20 Meilen von Chiaturi drei Täler empor. Jede Mine, mehrere hundert Fuß über der Talsohle gelegen, führt gerade in die Bergseite hinein.

In Perevisi, Schacht Nr. 7, der größten Mine des Bezirks, stiegen wir ab und besuchten, ehe wir das Bergwerk betraten, den Klubraum der Bergarbeiter. Bei unserem Eintritt saßen 50 bis 60 Mann in dem Zimmer und hörten einem jungen Mädchen zu, das laut aus einer Zeitung vorlas. Die Bergarbeiter waren alle Analphabeten, und dies war für sie das wichtigste Mittel, die Neuigkeiten des Tages kennenzulernen. An der Wand hing eine Tabelle, welche die vorgeschriebene Produktion für jeden Teil des Bergwerkes aufzeigte und daneben eine Liste mit den Namen jener, die sich bei der Erreichung ihrer Quote ausgezeichnet hatten. Wer ein Jahr lang die Norm aufrechterhielt, erhielt am Schluß des Jahres eine Prämie in Höhe von 25 bis 150 Rubel aus einem für diesen Zweck bestimmten Spezialfonds von 18 000 Rubeln aus dem Budget der Gesellschaft.

Wir betraten das Bergwerk. Den Eingangsstollen erleuchteten in bestimmten Intervallen elektrische Lampen, aber sie lagen weit auseinander, und der größte Teil des Weges lag im Dunkel. Eine Viertelmeile stolperten wir über die Geleise einer von Pferden gezogenen Förderungsbahn, bis wir an einen Zweigstollen gelangten. Daran schloß sich wieder eine Viertelmeile Wegs bis zu dem Abbaustoß. Es war gerade der Zeitpunkt des Schichtwechsels.

 

Der Boß schürft eine Zeitlang

Kamazadashvili, der Vizepräsident der georgischen Mangan-Gesellschaft, ergriff einen Pickel und begann, seine breiten Schultern hebend, zu arbeiten. Manganerz ist zäh, so ziemlich das zäheste von allen Erzen. Es bedurfte 10 oder 12 heftiger Pickelschläge, um ein kleines Bruchstück abzuspalten. Während die Schicht von 20 Mann Kamazadashvili bewundernd im Kreise umstand, bearbeitete er angestrengt die Seite des Stollens, bis ein Haufen Erz zu seinen Füßen aufgetürmt lag.

Diese Arbeit war ein Prüfstein für die Muskeln eines Athleten.

»Bravo, Bravo«, riefen die Leute. »Das ist Schnelligkeit. Aber versucht mal den ganzen Tag so fortzuarbeiten.«

»Bin ich ein ›weißer‹ Arbeiter?« fragte Kamazadashvili und ließ seine Haue fallen.

»Nein, nein, ein tüchtiger ›Schwarzer‹«, schrien die Arbeiter.

In Rußland wird die Bezeichnung »Chorny Rabotchi – gleich »schwarzer Arbeiter« – auf Leute angewandt, die sehr schwere und grobe Arbeit leisten und die »Chorny Rabotchi« sind auf ihre Kraft stolz.

»Den ganzen Tag!« rief der Vizepräsident der georgischen Mangangesellschaft zu den Leuten gewandt. »Was versteht ihr unter einem ganzen Tag? Ihr Burschen braucht ja nur sieben Stunden hintereinander zu arbeiten. Wir pflegten sechzehn Stunden, mit einer halben Stunde Mittagspause, zu schuften.«

 

14 Jahre Minenarbeiter

Während wir das Bergwerk verließen, erzählte er uns, daß er 14 Jahre in den Chiaturier Minen als Häuer gearbeitet hätte. »Wir hatten keine Wohnhäuser«, sagte er, »und pflegten im Winter in den Schächten und im Sommer draußen im Gebüsch zu schlafen. Für sechzehnstündige Arbeit erhielten wir pro Tag einen Rubel. Heute bekommen die Leute für sieben Stunden Arbeit drei Rubel fünfzig.«

Plötzlich fiel ihm etwas ein. »In den Zeitungen las ich«, sagte er, »irgend jemand in Amerika nehme an, wir verwendeten in Chiaturi Strafarbeiter. Sehen diese Burschen wie Sträflinge aus? Aber ich gebe zu, einen Sträfling haben wir. Er ist Statistiker und wurde zu einem Jahr Zwangsarbeit verurteilt. Er ist ein recht tüchtiger Statistiker, aber sehr viel Mangan fördert er nicht.«

Nicht auf Grund dieser Bemerkung, sondern aus Unterhaltungen mit weniger interessierten Kreisen und auf Grund eigener Beobachtung glaube ich, daß in den Manganwerken keine Sträflinge beschäftigt werden. Gewöhnlich hört man dafür die Erklärung, daß die regulären Industrie- und Bergarbeiter sich der Verwendung von Sträflingen widersetzen. Wahrscheinlich werden Sträflinge nur in abgesonderten Gruppen und in Bezirken verwendet, in denen sie mit regulären Arbeitern nicht in Berührung kommen.

Die früheren Ergebnisse und das künftige Programm der georgischen Mangangesellschaft sind nicht nur an sich wichtig, sondern ein instruktiver Wertmesser für die allgemeine Politik der Sowjetregierung unter dem Fünfjahresplan, die Produktion exportfähigen Rohmaterials auf die höchste Stufe zu treiben, besonders die Produktion solcher Materialien, die sich gleich Erdöl und Mangan rasch in fremde Währung umsetzen lassen und gleichzeitig diese Rohmaterialien in noch gewinnbringendere Exportwaren umzuwandeln.

 

Ungleichmäßige Produktion

Hier in Chiaturi, dieser reichsten Quelle der Welt an erstrangigem Manganerz, war die Produktion seit der Revolution ungleichmäßig, zeigt aber bis 1930 mit einer Produktion von 810 000 Tonnen reinen Erzes und 117 000 Tonnen Roherzes, womit zum erstenmal die Vorkriegsförderung von insgesamt 826 533 Tonnen überschritten wurde, eine stetige Aufwärtsbewegung. 1929 betrug die Gesamtproduktion der Sowjetunion in Chiaturi und dessen einzigem Rivalen, den Nikopol-Minen in der Ukraine, 1 200 000 Tonnen Roherz mit einem Mangangehalt von rund 50 Prozent.

Dies stellte Rußland wieder an die Spitze aller manganerzeugenden Länder der Welt, und im Jahre 1930 verlangt der Plan von Chiaturi allein eine Förderung von 900 000 Tonnen reinem und 300 000 Tonnen Roherz und 1931 von 1 000 000 Tonnen reinem und 300 000 Tonnen Roherz. Diese Aufwärtsentwicklung bereitet den Minenbesitzern in Indien, Brasilien und an der Goldküste, den Hauptmanganrivalen der Sowjets, von den amerikanischen Manganproduzenten ganz zu schweigen, die vielleicht am stärksten unter dem ausländischen Wettbewerb leiden, große Sorge. 1928 erzeugte Amerika 1 102 000 Tonnen Erz, aber nur mit einem Mangangehalt von 5 bis 10 Prozent, 92 000 Tonnen mit 10 bis 35 Prozent und nur 47 600 Tonnen mit mehr als 35 Prozent Metall.

 

Heutige Erzeugung von Eisenmangan

Amerika ist jedoch in der Welt in der Erzeugung von Eisenmangan, dem fast reinen, zur Stahl Veredlung benutzten Metall, führend. Kein manganerzeugendes Land hat bis heute an dem Orte der Erzförderung Eisenmangan hergestellt. Gegenwärtig jedoch ist die georgische Mangangesellschaft, die mit einem Kapital von 13 000 000 Rubel arbeitet, mit dem Bau eines Eisen-Manganwerkes in Chiaturi beschäftigt, das im Juni 1931 seine Arbeiten beginnen und in dem ersten Jahr 40 000 Tonnen Eisenmangan erzeugen soll. Eisenmangan bringt pro Tonne rund 100 Dollar statt des landläufigen Preises von 14,30 Dollar pro Tonne 48prozentigen Manganerzes.

Die Kapitalsinvestierung der Sowjetunion in das Eisenmanganwerk müßte sich bei einer in Aussicht genommenen Bruttoeinnahme von 4 000 000 Dollar in dem ersten Betriebsjahre glänzend verzinsen. Die amerikanischen Manganerzeuger werden den Bau dieser Fabrik mit besonderem Interesse verfolgen, denn 40 000 Tonnen Eisenmangan sind selbst neben der durchschnittlichen Gesamterzeugung der Vereinigten Staaten von rund 300 000 Tonnen pro Jahr eine sehr beachtliche Ziffer. Diese 40 000 Tonnen sind nur ein weiterer Posten auf der ständig anschwellenden Liste von Erzeugnissen, mit denen die Sowjetunion auf dem Weltmarkt erscheint oder zu erscheinen plant, der gerade gegenwärtig geneigt ist, jede neue Produktion mit Abneigung zu betrachten.

Die Dämmerung senkte sich herab, bevor wir den Besuch der Bergwerke beendet hatten. Die Nacht setzte ein, als wir zu dem Verwaltungsgebäude herabritten, und als wir auf die Veranda hinaustraten, hatte sich der Himmel auf die Erde gesenkt und sich so innig mit der Bergkette vereint, daß man die Sterne nur an ihrer größeren Helligkeit von den Lichtern des Tals unterscheiden konnte.

»Sehen Sie das Licht dort droben zur Linken?« fragte Kamazadashvili, »dort wohnte früher der Polizeichef des Zaren. Von seinem Büro aus konnte er direkt die Straße überblicken, die Sie an der Lichterreihe erkennen. Er kannte jeden Menschen in Chiaturi, und sobald er einen Fremden bemerkte, befahl er seinen Leuten, ihn ihm vorzuführen.

»Eines Tages hielt sich Stalin in der Stadt auf. Das war vor langer Zeit. Stalin war gerade aus Sibirien entflohen und hierhergekommen, um sich zu verstecken. In seiner Begleitung befanden sich drei andere entflohene Gefangene. Alle vier wollten in dem Hause eines Freundes, oben auf dem Berge, Zuflucht suchen. Stalin riet ihnen, die Straße zu meiden. Er kannte den Polizeichef. Aber seine Freunde waren starrköpfig; sie gingen die Straße hinauf und wurden ergriffen. Die Polizisten prügelten sie fast zu Tode.

»Stalin jedoch«, schloß er triumphierend, »kletterte hinten über die Zäune. Er wurde nicht gefaßt. Er erhielt keine Prügel. Stalin kann man nicht schlagen.«


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