Egon Erwin Kisch
China geheim
Egon Erwin Kisch

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Waffen sind das große Geschäft

»Hören Sie mir nur auf mit Völkerbund und Politik und Staatsrecht und so, damit kann mich keiner doof machen. Und die ganze Geographie, die ist auch nichts weiter als ein großer Quatsch!«

Nanu, Herr Zunder?

»Sagen Sie mal ehrlich, was heißt denn das: England, Amerika, Frankreich und Deutschland und so? Das sind doch alles nur leere Versprechungen! In Wirklichkeit ist die Welt eingeteilt in die Interessengebiete der Waffenfabriken. Man müßte auf der Landkarte sehen: das gehört Schneider-Creuzot, das gehört Krupp-Essen – will sagen Bofors-Schweden, das gehört Dupont-Nemours, das gehört Vickers-Armstrong. Dann würde jeder verstehen, was überall gespielt wird.«

Und Shanghai, Herr Zunder? Wohin gehört Shanghai nach Ihrer Erdkunde?

»Shanghai ist ein Sauhaufen. Wenn hier nur eine Waffenfabrik vertreten wäre statt hundert, dann wäre es kein Sauhaufen.«

Welche Fabrik würden Sie vorschlagen, Herr Zunder?

»Na, erlauben Sie mal – selbstverständlich den 144 Konzern, für den ich arbeite. Ein anderer kommt ja hier gar nicht in Frage.«

*

Wundert man sich darüber, daß Herr Zunder für einen Rüstungskonzern arbeitet? In Shanghai ist jeder Ex- und Importeur mit Waffenhandel beschäftigt oder – um nicht zu übertreiben – jeder möchte im Waffenhandel beschäftigt sein. Waffenhandel ist politisch und wirtschaftlich die entscheidende Angelegenheit, wenngleich man vergeblich die ganze China-Literatur durchstöbern würde, um auch nur ein einziges Wörtchen darüber zu finden. Ebensowenig wird darüber gesprochen, außer wenn die Beteiligten ganz unter sich oder mit jemandem beisammen sind, von dem sie voraussetzen, er habe Lieferungen zu vergeben.

Diejenigen, die sich als die Erbeingesessenen, als »Old Chinahands« aufspielen, seufzen über die unbestreitbare Tatsache, daß die vergangenen Zeiten vergangen sind. Außerdem beschweren sie sich über die unseriösen Außenseiter: »Sehen Sie, früher hat der Exporteur seine Transporte schön selbst begleitet bis zur Übernahme. Da konnte er natürlich den Inspektionen, den Zollbeamten und den Behörden ganz anders gegenübertreten als irgendein Schiffsangestellter. Erinnern Sie sich zum Beispiel an den alten Holfeld? Der ist während des russisch-japanischen Krieges durch jede Blockade durchgekommen. Einmal haben sie ihm die Fracht doch weggenommen, da ist er bis zum Schiedsgerichtshof im Haag gegangen und hat seine Sache gewonnen. Aber heute? Was hat denn das Schiffspersonal 145 für ein Interesse daran, mit der Ware durchzurutschen?«

Manche tun so, als würde heutzutage nicht genug verdient, obwohl wahrhaftig noch genug verdient wird; sie tun so, als ob sich die Usancen gegen ehedem geändert hätten, obwohl sich die Usancen wahrhaftig gar nicht geändert haben.

»Ja damals, damals wurde die Bestellung im voraus bezahlt, und dann ließ man das Schiff an einer vereinbarten Stelle notlanden, wo es vom Feind des Käufers ›überfallen‹ werden konnte. Der Feind nahm die Waffen an sich und bezahlte sie – so wie es vorher ausgemacht war. Heute wollen die Chinesen alles c. i. f. geliefert haben, die Kerle sind ganz verdorben, es ist höchste Eisenbahn, daß hier Ordnung gemacht wird.«

Herr Zunder behauptet, die fremden Agitatoren hätten den Kantonesen Waffen gegeben. »Das haben sie nur gemacht, um die Revolution zu stärken, glauben Sie mir. Niemanden haben sie daran verdienen lassen und selbst nichts daran verdient. Hat das schon jemand gehört, daß man Waffen hergibt, ohne was zu verdienen . . .?«

Nee, das hat noch niemand gehört.

*

Wie gesagt, Waffen sind auf dem Shanghaier Markt seit langem ein ausgesprochen gängiger Artikel. Schon die seligen Portugiesen kamen eigentlich her, um Silber zu verkaufen, jedoch die Chinesen wollten lieber Pulver und Blei, weil man sich mit Pulver und Blei immer wieder alles Silber zurückholen kann. Die frommkatholischen Portugiesen verlangten für einen guten Mörser 146 außer den entsprechenden Quanten von Tee, Seide und Porzellan nicht weniger als 1200 Stück Heiden zwecks Taufe. Im Kriegsmuseum, auf dem Hügel Kudan in Tokio, sieht man die alten christlichen Kanonen mit Kruzifixen und frommem lateinischen Spruch und Datierung »fecit a. d. 1550« – von den Japanern und Chinesen, die dafür zum Christentum übergetreten wurden, gibt es heute in keinem Museum eine Spur mehr. Dennoch blieb Taufe als Zahlungsmittel für Waffen jahrhundertelang wertbeständig. Während des Taiping-Aufstands trat der Marschall Lin-A-Fu mit 3000 Mann gegen Lieferung von Kanonen zum Katholizismus über, und zwei andere Führer der Aufständischen, Li-Je-U und Tsen-A-Lin, proklamierten eine Art von christlichem Glauben, wofür ihnen die Missionare Gewehre verschafften. Später allerdings wurden diese Neu-Christen von den Europäern verraten und durch eine Bande englischer und amerikanischer Sträflinge (»the ever victorious army«) zugunsten der heidnischen Mandschu-Dynastie niedergerungen.

*

Die Anwälte der Fremdherrschaft über China weisen auf Shanghai hin: Wir sind es, die einen sumpfigen Winkel am Whangpoo zur stolzen Großstadt gemacht haben, und es beweist die Minderwertigkeit der Chinesen, daß sie diese Tatsache nicht dankbar anerkennen.

Als ob ohne die Diktatur der Fremden die Erfindung des Dampfschiffs und der Eisenbahn nicht nach China gedrungen wäre! Als ob sich nur in China keine Industrie entfaltet hätte! Als ob der Imperialismus von 147 seinen Segnungen nur den chinesischen Markt ausgeschlossen hätte! Als ob sich nur die japanischen Küstenstädte ohne fremde Mächte zu Emporen des Handels entwickeln konnten, nicht aber die des Weltreichs China! Als ob der einst angeblich sumpfige Winkel nicht das Mündungsgebiet des »Kaisers der Ströme« wäre, des 1000 Meilen lang schiffbaren einzigen Weges zu einem Zehntel der Menschheit! Als ob hier nicht in der Zeit der Dampfschiffahrt unter allen Umständen ein Welthafen entstehen mußte!

Soll etwa das Chinesenvolk für die Wolkenkratzer und Villen dankbar sein, die sich die Fremden von seinem Geld und mit seinem Blut erbaut haben, und in deren Schatten Chinesen Hungers leben und Hungers sterben? Sollen sie die Bankgebäude preisen, in denen sie die Boxer-Indemnität und die andern Tribute abliefern? Verlangt von einem Delinquenten, daß er die Solidität des Galgens lobe, an den er geknüpft wird. Führt den letzten Manhattan-Indianer, den Letzten seines von den Fremden gejagten, getöteten, ausgerotteten Volkes vor die Stadt New York und heischt seine bewundernde Anerkennung für das, was die Mörder seiner Heimat aus seiner Heimat gemacht haben.

Die amerikanischen Yankees haben die Urbevölkerung Amerikas nur gejagt, getötet und ausgerottet. Die asiatischen Yankees haben die Urbevölkerung Chinas am Leben gelassen, um aus ihr Konzessionen und Kontributionen, Indemnitäten und Realitäten herauszupressen, aus ihr einträgliche Objekte für Opium und Morphium, Korruption und Prostitution zu formen, aus ihr Zugtiere und Haustiere und Arbeitstiere zu machen, ihre 148 Kinder an Kinder-Spinnmaschinen zu stellen und ihren Boden zu besetzen. In den inneren Kämpfen, den Bürgerkriegen, haben die Fremden stets die Partei der einheimischen Unterdrücker genommen, nachdem sie beiden Seiten für gutes Geld Waffen geliefert hatten.

Mit den Waffen und an den Waffen wurde verdient. Die Muse Klio hat, wenn sie die Geschichte der Shanghaier Fremdenbezirke schreibt, nur Ordres zu buchen.

Am ersten Tag seines Aufenthaltes im neuen Vertragshafen Shanghai erledigt der Erste Konsul Frankreichs sein erstes Konsulargeschäft: der französische Kaufmann J. Aroné in Firma »Bac, Aroné et Cie.« wollte im Dezember 1848 seine Ware in einem Hotel Shanghais deponieren – 200 Kisten mit Gewehrpatronen und Pulver für Kriegszwecke, und da der Hotelier das nicht zuließ, wurde die Intervention des eben eingetroffenen Monsieur de Montigny, Konsuls von Frankreich, notwendig.

Dieses ereignete sich noch im Britischen Settlement, aber bald wurde durch einen Grundstückskauf des Franzosen D. Rémi die Französische Konzession geschaffen. Monsieur Rémi, solchermaßen der Gründer der Französischen Konzession, schob Waffen und konnte dieses Geschäft um so großzügiger fortsetzen, als er Schwiegersohn des Konsuls wurde und sich de Rémi-Montigny nannte. In der gleichen Branche waren die amerikanischen Konsuln tätig. Mister Griswold, Konsul Amerikas, betreibe Waffenschmuggel, klagt der Schwiegervater des Waffenschmugglers Rémi in heftigen Worten am Quai d'Orsay. Daraufhin wendet sich Frankreich an Amerika, Griswold muß gehen, sein Nachfolger wird 149 Mister Cunningham, der in seiner Eigenschaft als amerikanischer Konsul in den Taiping-Kriegen dem Vertreter des Kaisers mit Rat und Tat beisteht, jedoch in seiner Eigenschaft als Chef des Handelshauses »Russel & Cie,« den Aufständischen Waffen und ganze Kriegsschiffe verkauft.

Ein solches Doppelspiel sei unerhört, sagt Monsieur Edan, Stellvertreter von Montigny, in seinem Bericht nach Paris, indes nebenan Monsieur Rémi-Montigny Kanonen in Partien zu 500 Stück sowohl an den kaiserlichen Tao-Tai als auch an die Rebellenführer liefert.

Überhaupt sind die Taiping-Kriege die Zeit, da sich die Weißen vom Opium-Export nach China auf den Waffenexport nach China umstellen. Als Shanghai belagert wird (September 1853), sausen die von Monsieur Rémi-Montigny den Taipings verkauften Geschosse in den Garten des Monsieur Rémi-Montigny, platzen vor dem Portal des Konsulats und beschädigen die Kathedrale. Ebenso reell werden die Belagerten von den Waffenhändlern bedient, – besser ist's mit zwei Gegnern ein Geschäft zu machen als mit gar keinem.

An der Reede von Shanghai ankern Schiffe mit vier Sorten von Ladung: »Bibel-Kassetten«, »Pianos«, »Regenschirme« und »Glaswaren«. Die Bibel-Kassetten sind Revolver, die Pianos Kanonen, die Regenschirme Gewehre und die Glaswaren Patronen.

Conte de Salaberry hat ein merkwürdiges Unternehmen gegründet: er rüstet Convoys, bewaffnete Begleitschiffe für Flußtransporte chinesischer Kaufleute, aus. Er selbst fährt mit Waffenladungen für die 150 Taipings nach Ningpo und nimmt soviel Geld ein, daß er eines schönen Junitages 1861 von seinen beiden italienischen Matrosen an Bord ermordet und beraubt wird.

Ein Jahr später, als sich die Fremden daran beteiligen, dem Kaiser von China Stadt und Festung Ningpo wiederzugewinnen, werden sie in Massen niedergemetzelt, und General Staveley macht hierbei die Feststellung, die man im Weltkrieg gemacht hat und noch in manchem Krieg machen wird: »Wenn die europäischen Verbündeten so empfindliche Verluste erlitten haben, so ist dies darauf zurückzuführen, daß die Taipings mit europäischen Waffen glänzend ausgerüstet waren.«

»Die Leute müssen damals ganz schön verdient haben.«

Das glaub' ich auch, Herr Zunder.

*

Die Staaten, in die Herr Zunder den Globus eingeteilt wissen will, haben ihre Vertretungen in Shanghai, in Peking, in Nanking, überall. Denn überall sind Generalskriege im Gange, überall Waffen vonnöten.

Vickers-Armstrong hat die Führung, weil England überhaupt die Führung hat. Es hat sie mit den Opiumkriegen errungen und dadurch befestigt, daß es seinerzeit die Leitung des Zollamts übernahm, die Landungsbewilligung »to pass« für englische Waren leichter erhältlich war als für andere.

Aber der Großstaat Schneider-Creuzot (auf seinem 151 Täfelchen im Gebäude der Great Northern fehlt das verräterische Wort »Creuzot«) macht den Engländern Konkurrenz; sein Gesandter, Monsieur Marchand, lenkt den Gesandten des Vasallenstaates Skoda, Pan Hora, der auf Shanghais Kaistraße, dem Bund, amtiert und seinerseits den in Peking residierenden Konsul der Brünner Waffenfabrik, Herrn Laurent, dirigiert. Diese Rüstungsvertreter sind mit der offiziellen Diplomatie eng verbunden.

Als Graf Martel – Nachfahr Karls des Großen! – noch Gesandter Frankreichs in Peking war, ließ er die Waffenlieferungen für die ihm genehmen Chinesengenerale von seinem gegenüber, also gleichfalls im Gesandtschaftsviertel amtierenden Schwager Bardacque, Direktor der Banque de l'Industrie, bevorschussen. Am Tag nach dem Waffenstillstand von 1918 plünderte Comtesse de Martel, die Gattin des Gesandten und Schwester des Bankdirektors, an der Spitze einer Abteilung betrunkener französischer Matrosen das Gebäude der Deutsch-Asiatischen Bank, die ihrem Bruder schon lange unangenehme Konkurrenz gemacht hatte. So viehisch, erzählen unparteiische Zeugen, so viehisch wie sich Ihre Exzellenz damals benommen hat, soll man selten Frauen sich benehmen gesehen haben. Graf Martel ist jetzt Botschafter in Tokio, sein Schwager noch immer Waffengeschäftsträger im Pekinger Gesandtschaftsviertel.

So oft auch China ausländische Anleihen aufgenommen hat, so selten hat es dabei Geld bekommen. Man kann doch den Chinesen kein Geld in die Hand geben, nicht wahr? Wenn sie statt dessen zum Beispiel 152 Waffen haben wollen, – bitte. Zwei Wiener Großbanken, die Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft und die Österreichische Boden-Kreditanstalt, schlossen vor dem Weltkrieg drei Anleihen mit China ab unter der Bedingung, daß vom Anleihebetrag bei der Cantiere Navala Triestino Schlachtkreuzer bestellt und bei den Skodawerken in Pilsen armiert werden.

Englische Exportfirmen in Shanghai liefern Tanks und Panzerplatten, französische liefern Geschütze, tschechoslowakische liefern Maschinengewehre, norwegische liefern Sprengstoffe, belgische liefern Revolver, schwedische liefern Scheinwerfer, deutsche liefern Giftgase, amerikanische liefern Schießbaumwolle und Nitrate – all das offiziell.

Das inoffizielle Geschäft ist mindestens ebenso groß, es hat nicht zu unterschätzende Vorteile. Man kann billiger einkaufen, insbesondere alte Heeresbestände, in die keine Herstellungskosten einkalkuliert werden müssen, und die Käufe bleiben geheim.

»Mehr oder minder natürlich.«

Ich verstehe, Herr Zunder.

*

Nach dem Weltkrieg wurde dessen Inventar auf den Markt geworfen, die Angebote unterboten einander, die Vertreter der Rüstungskonzerne waren in ihrer geschäftlichen Existenz bedroht, politische und kaufmännische Konflikte häuften sich. Und da jede Waffenfracht, ob sie nun einem nordchinesischen oder einem südchinesischen Kriegsherrn geliefert wurde, schließlich doch immer wieder bei den Revolutionären 153 landete, zu denen die Soldaten überliefen, begannen sich die Vertretungen der Mächte unbehaglich zu fühlen. Wer konnte gewährleisten, daß die Kantonesen sich damit begnügen würden, gegen die konationale Bourgeoisie, gegen die Armeen der chinesischen Bankiers und Generale zu kämpfen, wer konnte gewährleisten, daß der Bürgerkrieg nicht eines Tages auch die Fremdherrschaft bedrohen werde mitsamt ihren selbstgeschaffenen heiligen Rechten der Unantastbarkeit . . .? Jedes Gewehr, jede Patrone in Chinesenhand vergrößerte die Gefahr.

1919 unterzeichneten auf Anregung des amerikanischen Gesandten in Peking die Großstaaten eine Vereinbarung, derzufolge ihren Staatsbürgern »bis zur Einsetzung einer stabilen Regierung für ganz China die Einfuhr von Waffen, Munition und Herstellungsmaterial in dieses Land verboten wird«. Dem »Arms-Embargo-Agreement« wurden später Italien, die Niederlande, Dänemark und Belgien beigezogen – ausgeschlossen blieb Deutschland, das damals noch als Vaterland der Hunnen galt und deshalb nicht vertragsberechtigt sein durfte.

Aber die verschobenen und unverschobenen Restbestände des Weltkrieges konnten nirgends fröhlichere Urständ feiern, als auf dem großen Bürgerkriegsschauplatz China. War eine solche günstige Verwendung durch diese Vereinbarung über den Nichtwaffenhandel nicht gestört? Gestört? Wieso? Gentlemen wissen ein Gentlemen-Agreement auszulegen. So zum Beispiel: als die Truppen von Wu-Pei-Fu mit britischen Stahlhelmen ausgerüstet wurden, erklärten die Engländer seelenruhig, diese Helme seien den Chinesen nur zu dekorativen Zwecken, nur für die Parade verkauft worden. 154

Vickers-Armstrong lieferte 140 Flugzeuge nach Peking, er lieferte sie zu Zivilzwecken, was konnte die ahnungslose Firma Vickers-Armstrong dafür, daß die Armee die Aeroplane übernahm?

Die Japaner versorgten Tschangsolin mit Schützengrabenkanonen, Mörsern und Artilleriemunition. Bei einem Prozeß in Shanghai wurde festgestellt, daß der höchste Funktionär des Internationalen Settlements, der Amerikaner Fessenden, als Agent für die Waffenkäufe Tschangsolins tätig gewesen war.

Natürlich war es nicht angenehm, wenn Sachen ruchbar wurden, die der Laie, d. h. der Nicht-Waffenhändler für einen Bruch der Vereinbarung halten konnte. Um solche Mißverständnisse zu vermeiden, schob man die Deutschen vor. Hatten sie doch an dem Waffenverweigerungsvertrag nicht teilgehabt. Sie lieferten zumeist über Tsingtao und verkauften in Tsinanfu. Die Zollausweise für 1924 zeigen, daß 32 Prozent des offiziellen Waffenhandels durch deutsche Staatsangehörige getätigt wurden, über den inoffiziellen gibt es keine Statistik.

»Sie verstehen? Die, die man von der Vereinbarung über den Waffenhandel ausgeschlossen hat, übernehmen die Führung des Waffenhandels.«

Sehen Sie, Herr Zunder, so ist es doch gut, daß Shanghai ein Sauhaufen ist.

»Na ja, Pröstchen!«

*

Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß sich die ausgeschalteten Händler anderer Nationen die deutsche Konkurrenz ohne weiteres gefallen lassen. Deutschland ist 155 ja das Recht zur Erzeugung und zum Verkauf von Waffen in Spaa und Genf abgesprochen worden.

Man geht also gegen Deutschland vor. Zuerst mit leichter Waffe. Eine leichte Waffe ist zum Beispiel die amerikanische Telegrafenagentur United Press. Sie meldet am 3. Januar 1928, in Tsingtao seien Eisenbahnwagen requiriert worden, um die von Deutschland für General Sun-Tschuan-Fang gelieferten Waffen auf dem Landweg weiterzuleiten. Dazu erfolgt in Deutschland der Kommentar:

»Eine derartige Nachricht einer ernstzunehmendem Agentur muß befremden. Die Vereinigung der deutschen Chinafirmen in Hamburg hat bekanntlich unmißverständlich erklärt, daß ihre den ganzen deutschen Chinahandel umfassenden Mitglieder sich nicht mit Waffenhandel in China beschäftigen. Es ist auch ausgeschlossen, daß die gleichen Firmen, die auf das Ende der Unruhen für die weitere Entwicklung des Handels angewiesen sind, ihre Fortdauer durch Lieferung von Waffen unterstützen.«

Acht Tage später wird der zweite Schuß abgegeben, schon aus schwererem Kaliber. Reuter, die offiziöse britische Telegrafenagentur berichtet aus Tsingtao, dort sei ein norwegischer Dampfer aus Hamburg eingetroffen mit 7000 deutschen Gewehren, 10 Thompson-Maschinengewehren und der entsprechenden Munition an Bord; außerdem habe kurz vorher ein deutscher Dampfer Maschinengewehre und Grabengeschütze in Tsingtao gelöscht. Beide Schiffsladungen seien für die Nordarmee bestimmt. Antwort Deutschlands:

»Diese Meldung ist mit größter Vorsicht aufzunehmen, zumal angesichts der bekannten Erklärung 156 der deutschen Reeder, daß sie keine Waffen an Bord ihrer Schiffe nach China befördern.«

Nun schießt eine ganz große Kanone, der Außenminister der Nankingregierung, Dr. Wu. Er fordert die Beschlagnahme des norwegischen Dampfers »Skule«, der einen der letzten deutschen Waffentransporte nach China brachte, und kündigt an, daß er, nachdem die Untersuchung die Richtigkeit der Angaben über die deutschen Waffensendungen an Tschangsolin und andere Generale bestätigt hat, alle beteiligten deutschen Firmen in China bestrafen werde. Die Nankingregierung habe in Erfahrung gebracht, daß die Pekinger Regierung mehreren deutschen Firmen in Tientsin, Tsinanfu und Tsingtao den Auftrag erteile, in Deutschland für fünf Millionen Dollar Waffen und Munition anzukaufen und nach Nordchina zu schaffen. Die Ladung des norwegischen Dampfers »Skule« sei bereits infolge dieses Auftrags durch eine der deutschen Chinesenfirmen vermittelt und durch ihre Agenten den Vertretern Tschangsolins zugeführt worden.

Im Reichstags-Ausschuß für den Reichshaushalt verliest am 24. Januar 1928 im Laufe einer Rede der kommunistische Abgeordnete Stöcker die Kundgebung Dr. Wus. Reichsminister des Auswärtigen, Dr. Stresemann, beantwortet einen Teil der Stöckerschen Ausführungen, auf die den deutschen Ostasienhandel berührende Erklärung seines chinesischen Amtsbruders reagiert Stresemann mit keinem Wort. Er glaubt einfach den Vorfall nicht, liegt doch die ausdrückliche Erklärung des Ostasiatischen Vereins in Hamburg vor, daß dessen Mitgliedsfirmen keinen wie immer gearteten 157 Handel mit Waffen betreiben. Wäre es möglich, Millionengeschäfte glatt in Abrede zu stellen?

»Hat der eine Ahnung, was hier alles möglich ist!«

Nee, der hat keine Ahnung, Herr Zunder.

»Na, zum Wohle.«

*

Im selben Monat, jenem Januar 1928, haben sich auf dem Gebiet der deutsch-chinesischen Waffenkunde weitere Vorfälle begeben, die nach und nach sogar den Glauben des deutschen Außenministeriums an die Glaubwürdigkeit der Ostasienfirmen erschüttern. Mit einem Zeitungstelegramm beginnt es:

»Kiel, 11. Januar. Im Freihafen von Holtenau hat der norwegische Dampfer »Aker« festgemacht, um Teilladung zu nehmen; eine weitere Teilladung mit Sprengstoffen für Bergbau war nach Wladiwostok bestimmt. Vorgestern trafen aus Halle als Zwischenstation 17 Güterwagen ein, deren Fracht als Maschinen und Maschinenteile deklariert war und vom Dampfer übernommen werden sollte. Als etwa die Hälfte der Ladung an Bord genommen war, wurde bei einer Stichprobe Gewehrmunition festgestellt, worauf die Zollbehörde die weitere Verladung untersagte und den Inhalt der Eisenbahnwaggons beschlagnahmte. Die Munitionskisten waren nach Oslo deklariert, doch ohne Zweifel für China bestimmt. Der Ursprungsort der Munition ist unbekannt, man kann aber wohl annehmen, daß es sich um ausländische Munition handelt – etwa aus der Tschechoslowakei – und daß Halle nur als Übergangsort in Frage kommt. Der norwegische Dampfer hat den Kieler Hafen wieder verlassen. Die beschlagnahmte Munition soll in Kiel vernichtet werden.« 158

Anlaß zur Vornahme der Stichprobe war eine Anzeige. Der Mann hatte die offiziellen Dementis über die Waffensendungen in Tsingtao gelesen und schreibt den Behörden: »Ihr irrt euch, meine Herren, wenn ihr glaubt, aus Deutschland gehen keine Waffen nach China. Schaut zum Beispiel nach, was für Maschinen das sind, die der ›Aker‹ ladet.« Daraufhin müssen die Behörden nachsehen und finden, daß es Maschinen zur Erzeugung von Leichen aus lebendigen Menschen sind. Aber selbstverständlich: ausländische! Offiziös wird ausgegeben:

»Die deutschen Zollbehörden sind offenbar bei der Einfuhr durch die falsche Deklaration getäuscht worden. Munition darf nur dann durch Deutschland durchgeführt werden, wenn sie als solche deklariert ist. Wie wir hören, hält man es für ausgeschlossen, daß deutsche Kaufleute an der Angelegenheit interessiert sein könnten. Denn die deutsche Reichsregierung hat mit dem Verband der deutschen Reedereien und dem Ostasiatischen Verein in Hamburg ein Abkommen geschlossen, das den Mitgliedern dieser beiden dominierenden Vereine die Verpflichtung auferlegt, keine Kriegswaffen und Kriegsmunition in deutschen Häfen zu verschiffen oder auf deutschen Schiffen zu verfrachten. Diese Verpflichtungen sind bisher beobachtet worden, so daß nur ein Außenseiter oder ein Ausländer sich über sie hinweggesetzt haben könnte.«

Ob es nun die Zollbehörde ist, die wegen des Vorwurfs getäuscht worden zu sein bekanntgibt, daß die Ware nicht ausländischen, sondern deutschen Ursprungs ist und von einer Verschrottungsfirma in Sübtitz bei Torgau stammt, oder ob ein Konkurrent hinter der 159 Veröffentlichung steht, wer weiß das? Jedenfalls rückt das Wolffsche Telegrafen-Bureau schnell mit der Dementierspritze heran:

»Kiel, 17. Januar 1928 (W. T. B.). In Sachen der Munitionsbeschlagnahme im Kieler Hafen führt, dem Vernehmen nach, die Staatsanwaltschaft in Verbindung mit der Kriminalpolizei in Halle gegenwärtig die Untersuchung in Halle und Torgau. Absender und Empfänger der Sendung waren bis jetzt nicht in Erfahrung zu bringen.«

Wie? Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei sollen nicht imstande sein, Absender und Empfänger eines siebzehnwaggonigen Eisenbahnzugs und einer Schiffsladung von 300 Tonnen festzustellen? Die Presse hilft den Behörden, sie teilt mit, daß die Firma Daug & Co., Berlin, Potsdamerstraße, Absenderin, und die Speditionsfirma Schenker & Co. Versenderin ist, die Lieferung unter dem Namen der Metall- und Schrottfirma Max Heymann, Berlin, Budapesterstraße ging. »Diese Firma soll mit der Abwicklung solcher Geschäfte vertraut sein und in einflußreichen Kreisen die in Betracht kommenden Beziehungen haben.« Gemeint sind, wie das »Berliner Tageblatt« am 20. Januar sagt, gewisse Stellen der Seetransportabteilung in der Marineleitung, die kurz vorher durch einen Korruptionsskandal, die Phöbus-Affäre, die Öffentlichkeit beschäftigt hat; beteiligt an der Kieler Waffenschiebung seien Oberregierungsrat Beuster von der Seetransportabteilung und Leutnant Protze.

Reichsaußenminister Dr. Stresemann erwidert auf Anfrage des Abgeordneten Stöcker, er habe eine vom 160 Admiral Zenker unterfertigte Erklärung erhalten, daß keine Reichsmarinestelle etwas mit der Waffenlieferung an China zu tun habe.

Abgeordneter Stöcker (K. P.): »Wenn der Reichsaußenminister glaubt, mit dieser Erklärung die Sache aus der Welt geschafft zu haben, dann ist er im Irrtum. Die Erklärung ist nur die Bestätigung dessen, was ich vorher erklärt hatte. Niemand hat behauptet, daß eine Marinestelle als solche dabei beteiligt sei, vielmehr ist gesagt worden, daß führende Herren der Marine daran beteiligt seien. Zu dieser Behauptung aber schweigt der Admiral Zenker. Das ist die Bestätigung meiner Anklage. Weshalb schweigt Zenker zu der konkreten Behauptung, daß führende Herren der Marineleitung beteiligt seien?«

Reichsminister des Auswärtigen, Dr. Stresemann: »Ich muß doch erklären, wenn mir als Minister gesagt würde, Mitglieder meines Amtes seien in einer solchen Weise tätig gewesen, und ich gebe die Erklärung ab, daß keine meiner Abteilungen beteiligt sei, dann bezieht sich das auch auf die betreffenden Persönlichkeiten. Ich halte es für ausgeschlossen, die Erklärung des Herrn Admirals Zenker so zu interpretieren, daß hier nur die Abteilungen gemeint seien.«

So gläubig wie Dr. Stresemann würde kein Außenminister sein, der aus dem diplomatischen Korps hervorgegangen ist. Er glaubt der Erklärung des Admirals, wie er den Redereien der Reedereien glaubt. Der Reichswehrminister ist auch nicht viel schlauer.

»Wenn gegen das ›Berliner Tageblatt‹ von der Marineleitung Strafantrag gestellt worden ist,« erklärt der Wehrminister Gröner am 10. Februar, »so billige ich das vollkommen, weil das die einzige Möglichkeit 161 zur schnellen Aufklärung ist, um die beiden beschuldigten Offiziere, die versichern, nicht daran beteiligt zu sein, vor dem Gericht zum Eid zu bringen. Das Verfahren vor dem Staatsanwalt dauert zu lange.«

Fünf Tage später sagt Gröner, er habe nach der von ihm persönlich angestellten Untersuchung den Eindruck, »daß eine der beteiligten Firmen unter Bruch ihrer Verpflichtungen die ihr zur Verschrottung übergebene Munition nach dem Ausland verschieben wollte. Diese Firma hat einer durchaus vertrauenswürdigen Speditionsfirma vorgetäuscht, daß alles in Ordnung ginge. Die Herren Oberregierungsrat Beuster und Leutnant Protze haben eidesstattlich erklärt, daß sie daran nicht beteiligt seien.«

Eine sehr merkwürdige Untersuchung muß das gewesen sein, diese vom Herrn Reichswehrminister persönlich angestellte Untersuchung. Weder war jemals Verschrottung beabsichtigt, noch kann von einem Bruch der Verpflichtungen die Rede sein, noch ist die Speditionsfirma von der Absenderfirma getäuscht worden. Die beteiligten Firmen antworten öffentlich, sie haben im Reichswehrministerium, Marineleitung, wegen des Transportes angefragt und von Major Danneel die Auskunft erhalten, im Wehrministerium sei von dem Transport nichts bekannt. Leutnant Protze, der mit dem Vertreter der Käuferfirma in Kiel gewesen war, um dort alles für den Transport vorzubereiten, wurde bei seiner Rückkehr nach Berlin von dieser Auskunft in Kenntnis gesetzt. Protze rief bei dem Oberregierungsrat Beuster von der Seetransportabteilung an, und dieser erklärte den beteiligten Firmen, die negative Auskunft sei von einer 162 nichtinformierten Stelle gegeben worden. In einem weiteren Telefongespräch zwischen der Firma Schenker & Co. und dem Oberregierungsrat Beuster wurde der Speditionsfirma von Beuster bestätigt, daß der Transport in Ordnung gehe.

Aus einer Interpellation im Reichstag wird bekannt, daß es sich um Reichswehrmunition handelt. Die gerichtliche Untersuchung geht weiter. Sie dauert anderthalb Jahre. Vom 12. bis 18. Dezember 1929 stehen wegen Vergehens gegen das Kriegsrüstungsgesetz der Major a. D. Seemann, Leutnant Protze von der Spionageabwehrstelle der Marine und die Berliner Kaufleute Schwarz, Taub, Daug, Veltjens und Liening vor dem Erweiterten Schöffengericht in Kiel. Selbstverständlich wird der Prozeß im geheimen Verfahren durchgeführt. Selbstverständlich werden sämtliche Angeklagten freigesprochen. Selbstverständlich werden die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt. Selbstverständlich bleiben sogar bei der Urteilsbegründung Öffentlichkeit und Presse ausgeschlossen.

Der Staatsanwalt legt Berufung ein, und am 12. Juni 1930 beginnt in Kiel die Berufungsverhandlung. Auch diesmal Freispruch sämtlicher Angeklagten nach streng geheimer Verhandlung.

»Na, was denn haben Sie geglaubt?«

Ich hab' gar nichts geglaubt, Herr Zunder.

*

Gleichzeitig mit dem norwegischen Schiff und seinen deutschen Waffen in Tsingtao, und gleichzeitig mit dem norwegischen Dampfer und seinen deutschen Waffen in 163 Kiel, segelt ein drittes Waffenschiff in die Öffentlichkeit, eine weit romantischere Fahrt.

Held der Geschichte ist die ganze tschechoslowakische Hochseeflotte, denn wohl läßt Shakespeare in seinem »Wintermärchen« Böhmen am Meer liegen, aber da die gegenwärtige Geographie hierin mit Shakespeare nicht übereinstimmt, hat bisher noch kein anderes tschechoslowakisches Schiff so kriegerische Gefahren auf hoher See bestanden.

In Manila begann es, nicht im Prager Moldauhafen Manina, sondern im Hafen Manila auf der Philippineninsel Luzon. Dort ankerte anfangs Januar 1928 ein 2000-Tonnen-Dampfer, auf dessen Bug in funkelnagelneuen Goldlettern der Name »Praga« prangte, und auf dessen Topp eine weißrote Flagge mit blauer Gösch wehte. Es hatte deutsche Besatzung, einen deutschen Kapitän, 90.000 Gewehre mitsamt entsprechender Munition und ein Panzerauto an Bord. In Manila wollte es weiter nichts, als Kohle nehmen, und dann friedlich nach China weiterfahren.

Aber wie das schon so geht im Hafenleben, zwei Mann der Besatzung betranken sich in einer Seemannskneipe und erzählten, was für eine interessante Fracht in ihren Ladeluken geborgen sei.

Dieses Gespräch, so ist das nun einmal mit den Gesprächen in den Hafenkneipen, erfuhr der politische Agent der Nankinger Regierung und verlangte vom philippinischen Zollkontrolleur und vom Gouverneur, man möge diese für Tschangsolin bestimmten Waffen mit Beschlag belegen. Das wurde verweigert, und so depeschierte er seiner Regierung, die ein Kanonenboot, den 164 »Tiger« entsandte, um die »Praga« auf hoher See zu kapern. Tschangsolin, von dem Pekinger Gesandten der Brünner Waffenfabrik, Herrn Laurent, benachrichtigt, schickte seinerseits ein Schlachtschiff zur Sicherung des Transportes aus, und eine Seeschlacht im Pazifik stand unmittelbar bevor.

Ehe das Schutzschiff herangekommen war, lichtete die »Praga« bei Nacht und Nebel Anker. Sie jagte davon, der »Tiger« zähnefletschend hinter ihr her. 600 Meilen vor Shantung erhielt die »Praga« von ihrem Verfolger durch Funkspruch die Aufforderung, sofort zu stoppen, widrigenfalls sie beschossen werde. Die »Praga« stoppte nicht, und der Feuerüberfall begann. Mit knapper Not, heiler Haut und ohne Atem lief die »Praga« in Tsingtao ein.

Die englischen Blätter, schon damals auf Seite Tschangkaischeks, sowie die Kuomintang-Presse entfesselten eine antideutsche Kampagne. Die »Praga« sei ein deutsches Schiff namens »Hedwig«, deutsch sei die Bemannung, in Hamburg sei es verladen worden und in Hamburg ausgelaufen. Nur durch eine Erklärung der tschechoslowakischen Waffenwerke in Brünn wurden die deutschen Geschäfte in China vor der angedrohten Schließung bewahrt. Denn aus dieser Erklärung ergab sich, daß wenigstens die Ladung kein deutsches Fabrikat war. Ende September waren die Gewehre in 30 Waggons aus Brünn nach Hamburg befördert, mit einer Million Dollar versichert und von der Reederei Schröder, Hoelten & Fischer übernommen worden, der Weitertransport wurde von der Firma Petz in Hamburg besorgt. Da das Bestimmungsschiff noch nicht eingetroffen war, blieb die 165 Waffensendung länger als 14 Tage in Hamburg eingelagert. »Um Unfälle zu vermeiden,« wurden die Waffen von einem Polizeiaufgebot überwacht. Nach Einlaufen des Schiffes »Hedwig«, das der Reederei Schröder, Hoelten & Fischer gehörte, wurde die Waffensendung verladen und der Dampfer ging in den Besitz eines Prager Kaufmanns, Ing. Vestak, über; unter dem Namen »Praga« wurde er in das tschechoslowakische Schiffsregister eingetragen, so daß er vom Hamburger Hafen bereits mit tschechoslowakischer Flagge ausfahren konnte.

Es kam noch zu einem kurzen Nachspiel zwischen Großbritannien und der Tschechoslowakei. In Beantwortung einer Anfrage erklärte Sir Austen Chamberlain im Unterhaus, der britische Gesandte in Prag habe bei der tschechoslowakischen Regierung Vorstellungen erhoben, sie möge keine Bewilligung für Waffenausfuhr nach China erteilen. Minister Dr. Benesch habe daraufhin mitgeteilt, die Tschechoslowakei könne keiner Vereinbarung, die die Waffenausfuhr nach China verbietet, beitreten, es sei denn, daß ein solches Abkommen für alle Staaten in gleicher Weise verbindlich sei.

So können die Tschechoslowaken antworten, sie sind außerhalb des Gentlemen-Agreements geblieben, nicht weil man ihnen etwa absprach Gentlemen zu sein, sondern weil man ihnen absprach eine seefahrende Nation zu sein. Gut, sie kaufen von den Deutschen, die umgekehrt eingeschätzt wurden, ein Schiff zum Transport der aus ihren von Frankreich kontrollierten Rüstungsfabriken stammenden Ware. Und wenn sie England zur Rede stellt, so können sie antworten, wie sie lustig sind. 166 Das kann Deutschland nicht, es ist vertraglich verpflichtet, entwaffnet zu sein.

Aber sein Auswärtiges Amt kann langsam zu ahnen beginnen, daß die deutschen Firmen doch nicht so ganz unbeteiligt am chinesischen Waffengeschäft sind, wie sie vorgeben. Deshalb schreibt Dr. Schubert, Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, einen Brief an den Ostasiatischen Verein in Hamburg, darin er wörtlich sagt, er »erkenne an, daß die Mitgliedsfirmen des Ostasiatischen Vereines in Erfüllung ihrer im April vorigen Jahres dem Auswärtigen Amt gegenüber übernommenen Verpflichtung, Verschiffungen von Kriegswaffen nach China von deutschen Häfen aus und auf deutschen Schiffen unterlassen haben. Im Hinblick auf die politischen Verhältnisse in China sehe ich mich aber veranlaßt, die deutschen Chinafirmen vor der Beteiligung an Waffenlieferungen nach China, auch auf andern Wegen, nachdrücklich zu warnen.«

Und damit war wohl der deutsche Waffenhandel in China zu Ende, Herr Zunder, nicht wahr?

»Hahaha, hahaha, hahaha, ha . . .«

*

Hausse! Hausse! Krieg in der Mandschurei, Krieg in Shanghai! Hausse! Vor hundert Jahren haben sich in Europa immerhin Stimmen erhoben, um aus Gründen der Menschlichkeit zu protestieren gegen die von den Europäern erzwungene Einfuhr von Opium nach China. Gegen den Waffenhandel wird, wie wir eben gelernt haben, teils aus Konkurrenzgründen, teils deshalb eingeschritten, weil man handelspolitische Folgen 167 unliebsamer Art befürchtet. Wo sich aber ein entsprechender Profit ohne politischen Schaden erwarten läßt, wird die zur Verschrottung der Mitmenschen bestimmte Sendung der Verschrottungsfirmen zu einem ordnungsgemäßen Geschäft, wird die norwegisch-tschechoslowakisch getarnte Schiebung zu einer deutschen patriotischen Tat, werden die Organe des Kriegsministeriums zu Handelsagenten, wird die Gesetzesverletzung mit solennem Freispruch quittiert.

Nur der Freispruch wird öffentlich verkündet, sonst ist bei diesem Geschäft alles geheim, alles getarnt, vernebelt, vergast, falsche Erklärungen werden abgegeben, mit falscher Deklarierung, mit falscher Angabe des Absenders, mit falscher Angabe des Bestimmungsortes und unter falscher Flagge wird das Handwerkszeug des Mordens auf seinen Platz geschickt.

Alles geht zu den Feinden des chinesischen Volkes. Haben wir nicht die 19. Armee in Nanking wiedergesehen, sechs Wochen nach ihrem Abzug aus Shanghai, und sie nicht wiedererkannt?! Waren sie zu Shanghai mit vorsintflutlichen Stockflinten nach Wildererart und in Lumpen gehüllt dem japanischen Imperialismus gegenübergestanden, so marschierten sie jetzt in der schönen, in der neuen, in der grauen Felduniform mit Thermosflaschen, Lederkoppel und funkelnagelneuen Gewehren und Revolvern und Kanonen gegen – gegen wen? Gegen den inneren Feind.

Wir verdanken den Arbeiterkorrespondenten die Mitteilung, wohin die Ware geht: nach Hongkong, in die britische Kron-Kolonie, nach Tsingtao, wo die Nordgenerale hausen, nach Dairen, wo Japans Flottenbasis 168 ist, und nach Shanghai, wo am Ufer und auf dem Fluß alles bis auf die Zähne bewaffnet ist, mit Ausnahme des chinesischen Volkes.

*

Sagen Sie, Herr Zunder, werden denn an die chinesischen Sowjetgebiete keine Waffen aus Europa geliefert?

»Nein, das geht ja gar nicht. Die Roten haben keinen einzigen Hafen. Die sind vollständig zerniert.«

Wenn sie einen Hafen hätten, dann wären sie wohl sehr im Vorteil?

»Im Gegenteil. Wo die europäischen und amerikanischen Kanonenboote hinkommen könnten, würden sie Truppen landen oder die Roten mit Schiffsgeschützen zusammenschießen.«

Aber woher nehmen die Roten Waffen?

»Sehn Sie, das ist so. Wenn einer von den Regierungstruppen überläuft, so machen das die Roten ganz schlau mit ihm. Sie stecken ihn mit ihren Soldaten zusammen und die reden auf ihn ein, von Kapitalismus und so, – na, man kann sich schon denken, was sie ihm da vorerzählen. Dann kriegt der Mann fünf Dollar für das Gewehr und wird zurückgeschickt.«

Zurückgeschickt?

»Das ist es ja. Am nächsten Tag kommt der Kerl natürlich wieder zu ihnen und schleppt so viele Gewehre mit, wie er tragen kann. Außerdem bringt er womöglich einige Kameraden mit.«

Traurige Verhältnisse, Herr Zunder, traurige Verhältnisse! 169

»Wie man's nimmt. Je mehr Gewehre die Weißen so verlieren, desto mehr können wir nachliefern.«

*

Die amerikanischen Arbeiterkorrespondenten haben im New-Yorker »Daily Worker« (Juni bis August 1932) geschildert, wem und wie die auf Rüstungsindustrie umgestellte Nähmaschinenfabrik Singer-Plant in New Jersey liefert, wie im New-Yorker Hafen japanische »Zivilisten« die Einlagerung der für hundert Millionen Dollar »für China« gekauften Bombenaeroplane überwachen.

Was an der Unterelbe, im Pulverhafen bei Brunshausen verladen wird, schreiben die Arbeiterkorrespondenten der »Hamburger Volkszeitung«: Jeder nach China segelnde Dampfer nimmt 400–700 Tonnen hochwertiger Sprengstoffe, Sprenggelatine, Sprengkapseln, Nitroglyzerin, Schwarzpulver, rauchloses Pulver, Gewehr-, Revolver- und M.-G.-Patronen. Die Dynamitfabrik Krümmel bei Geesthacht (ehemals Besitz Alfred Nobels, jetzt I. G. Farben) bringt die Fracht mit Kähnen und Leichterschuten an die Ostasiendampfer heran. Aus England kommt Sprengstoff auf Dampfern, die an den deutschen Überseeschiffen längsseits gehen und überladen.

Auf der Wasserumschlagstelle Hamburg-Hamm werden Waffen und Munitionskisten von Skoda aus plombierten tschechoslowakischen Waggons auf Mietschuten abgesetzt und zu den Ostasiendampfern geschafft; auf den Begleitzetteln der Munitionskisten steht: »Für die Kommission durchgeführt von der Wirtschaftsliquidation R. L. in Prag II., Am Florenz 5.« (R. L. bedeutet 170 Ruski Legie, d. h. die tschechoslowakischen Legionen, die in Rußland unter Koltschak gekämpft haben.)

Zoll- und Polizeibehörden sind dauernd an Bord, unter ihrer Aufsicht werden die Dampfer der Rickmerslinie Tag und Nacht mit Munition verladen, in solcher Hast, daß die Schauerleute sieben Schichten hintereinander machen müssen, je vier Stunden Arbeitszeit und eine halbe Stunde Pause, und oft mit der Munitionskiste in der Hand vor Müdigkeit umsinken.

Werden nun diese »legalen Handelswaren«, diese »lediglich für ostasiatische Bergwerke bestimmten Sprengstofflieferungen« in China auch legal gelöscht? Nach der Schilderung eines Rickmers-Matrosen spielt sich der Vorgang auf dem Pazifischen, aber gar nicht pazifistischen Ozean so ab:

»Von der See aus unsichtbar zwischen unbewohnten Inseln wurde vor Anker gegangen. Wir alle waren erstaunt, wußten nicht, was dieses zu bedeuten habe. Ein Flaggensignal wurde gesetzt und stand ungefähr fünf Minuten, dann wurde es wieder eingezogen. Es war totenstill um uns her. Nach ungefähr einer Stunde kam ein in ein Kriegsschiff umgewandeltes Kauffahrteischiff mit der Kriegsflagge Chinas in Sicht, dieses machte nach längerem Manövrieren längsseits von der ›R. C. Rickmers‹ fest. Ein europäisch gekleideter Chinese, begleitet von Matrosen, kam bei uns an Bord und unterhandelte mit dem Kapitän. Wir sollten nun auch bald erfahren, was gespielt wurde. Der zweite Steuermann Böhmer kam zu den Matrosen, wir sollen die Kisten von Luke 1 löschen, wir bekämen von dem europäischen Chinesen pro Mann sieben mexikanische Dollar. Die Arbeit dauerte ungefähr drei Stunden. Mit diesem Teil der Ladung 171 waren die Waffen und Munition noch nicht alle. Bevor wir Shanghai anliefen, wurde der Rest der Konterbande in der Nähe von Wusung in Leichter gelöscht.«

Es war eine große Zeit des Waffenschmuggels, dieser Winter 1931/32, in dem in der Mandschurei und in Shanghai der unerklärte Krieg vonstatten ging. Da brach, nachdem die 19. chinesische Armee wider den Willen der Nankingregierung dem japanischen Vorstoß Halt geboten hatte und es zum Waffenstillstand gekommen war, die Völkerbundspolitik aus: Japan und China mögen sich vertragen und wenigstens formal ein Abkommen über die Mandschurei treffen, damit der Völkerbund nicht das Gesicht verliere, und Japan bald den Vorstoß gegen die Sowjetunion führen könne.

Alles schön und gut, aber was fängt man mit den Waffen an, die bestellt wurden und über den Pazifik nach China rollen? Wer schafft den Waffensegen vom Hals?

In einer Ecke des Cathay-Hotels sitzt Monsieur Marchand, der bei Tag den großen französischen Waffenkonzern vertritt und bei Nacht im »Casanova« Champagner trinkt, mit Herrn Kornwalzer, der bei Tag den großen deutschen Maschinenkonzern vertritt und bei Nacht für sich Waffengeschäfte macht. Viel haben die beiden Erbfeinde miteinander zu flüstern und zu rechnen.

Am Abend desselben Tages trifft sich Herr Kornwalzer im oberen Zimmer des deutschen Restaurants in Bubbling Well Road mit deutschen Exporteuren und dem trinkfesten und seetüchtigen Kapitän Moser.

Die kleinen Schwertfische bekommen Lieferungsaufträge, deren Besteller sie nicht kennen. »Verfrachtet 172 die Ware und führt sie aus, oder wenn sie noch nicht da ist, dirigiert sie unterwegs um.«

»Wohin?«

»Nach Wladiwostok.«

»Wie? Den Sowjetrussen?«

»Fragt nicht so viel!«

Das geht nur die großen Shanghaifische etwas an. Die Waffen, die China gekauft hat, gehen »nach Wladiwostok«. Gingen sie nach Japan, dann würden die radikalen Zeitungen Zeter und Mordio schreien, daß man Kriegsmaterial aus dem Lande ziehe und dem Feind liefere. Also schwimmt es eben »nach Wladiwostok«. Kapitän Moser weiß schon. Niemand kann dafür, wenn unterwegs in einem japanischen Hafen eine plötzliche Notlandung vorgenommen werden muß, niemand kann dafür, wenn die Japaner Schiff und Ladung kapern, Krieg ist Krieg, was wollt ihr denn? Glaubt ihr, wir tun das den Japanern zu Gefallen? Braucht Japan unsere Waffen? Wißt ihr denn nicht, daß die japanische Firma Mitsui (49, Szechuen Road) noch vor Jahresfrist Waffen an China verkauft hat? Nun also! (Daß Japan jetzt ein Interesse daran hat, Waffen aus China herauszuziehen, braucht man doch nicht jedem Kuli auf die Nase zu binden.)

So kommt es wieder zu Ehren, das alte, ehrliche Prinzip der Shanghaier Waffenschieber: niemals hat der Adressat die Ware zu erhalten, sondern immer sein Gegner.

Ist doch alles allright, Herr Zunder, ich weiß gar nicht, warum Sie eigentlich Shanghai einen Sauhaufen nennen?

»Na, zum Wohle.« 173

 


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