Egon Erwin Kisch
China geheim
Egon Erwin Kisch

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Pyrenäisches Zwischenspiel

I. Die kleinen Riesen: Die Portugiesen

Auch sie kommen herein, um – ist's doch nun mal Ehrensache der Seeleute – an der Bar einen Brandy zu trinken. Auch ihr Schiff hat – ist's doch nun mal Ehrensache der Seemächte – vor dem Bund von Shanghai Anker geworfen.

Aber sie fallen nicht ins Gewicht. Es sind ihrer wenige und sie sind so klein von Statur, daß jeder amerikanische Matrose sie auf den Arm nehmen könnte, wenn sie sich in irgendeiner Weise mit ihm messen wollten. Ihr Schiff ist unmodern und unbeträchtlich, kaum 1700 Tonnen, was ist das gegen seine englischen und amerikanischen Nachbarn, die »Houston« oder die »Kent« oder die französische »Waldeck-Rousseau« oder die italienische »Espero«? Portugal ist nur ein stummer Gast an der internationalen Bar, die Shanghai heißt.

Auf den Mützenschildern und auf der Fassade ihres schwimmenden Hauses steht »N. R. P. Adamastor«. Wer lächelt da? Der lächelt da, der in seiner Jugendzeit die »Lusiaden« des Camoëns gelesen, die ferne Welt und das Abenteuer miterlebt hat. Damals, als Knaben, waren wir kühne Seefahrer, unser Führer war der große Vasco da 112 Gama, und wir suchten den Weg nach Indien. Damals sahen wir Knaben an der Südspitze Afrikas, dem Kap der Guten Hoffnung, das wir im übrigen wegen der dreieckigen Briefmarken liebten, den tückischen Adamastor hocken, halb Berg, halb Riese. Damals haßliebten wir den Adamastor. Er sandte die ihm ringsumher untertanen Elemente gegen alle los, die seinen Machtbezirk zu betreten sich vermaßen. Wir, die Mannschaft Vasco da Gamas, wir kämpften damals einen furchtbaren Kampf gegen die Stürme und Wogen Adamastors, aber wir blieben Sieger.

Da steht nun der Name unseres Feindes von einst auf dem Bug des Schiffchens und auf dem Mützenschild der Männchen. Schiff und Matrosen sind in Shanghai nur zu Gaste. Sonst schaukelt der »N. R. P. Adamastor« an der Reede von Macao. Diese kleine Insel mit Opium-Monopol ist alles, was den Portugiesen von der Macht und Herrlichkeit geblieben ist, die sie sich errungen durch wagemutiges Konquistadorentum und christkatholisches Gottvertrauen im Kampf gegen den Riesen Adamastor und später gegen die aufständischen Hak-Kar-Leute, die »Piraten« von der Bias-Bucht. England hat den Portugiesen alles weggenommen. England ist reich und ein gefährlicherer Feind als Adamastor und Piraten unter Anführungsstrichen, Geld ist stärker als Konquistadorentum und Christus zusammen.

Es gibt noch heute ungefähr soviel Portugiesen in Shanghai wie Engländer, aber die Engländer beherrschen die Banken und die Großfirmen, die Portugiesen hingegen führen nur die Bücher, insbesondere die Schuldkonten. Sie sind unangenehme Mahner und werden 113 deshalb nicht gern gesehen, obgleich sie hochtönende Adelsnamen tragen und allwöchentlich zur Beichte gehen und in ihrem Club de Recreo mindestens so exklusiv sind wie die Anglosachsen im Shanghai-Klub.

Ihre Töchter sind Verkäuferinnen bei »Withaway, Laidlaw & Co.« oder Büromädchen in den Hotels und Restaurants, und durch ihre Beziehungen untereinander finden sie die Adresse jeden Gastes heraus, der statt bar zu zahlen, nur »chits« auszustellen pflegte und sie einzulösen vergaß.

Ist dir dieser Beruf der Portugiesinnen bekannt, so kann dir das üble Erfahrungen ersparen. Du sitzt zum Beispiel mit einem neuen Bekannten, der liebenswürdig und gefällig ist und offenkundig in geordneten Verhältnissen lebt, in einem Restaurant beisammen. Das Geschäft, von dem er dir erzählt, ist eine todsichere Sache und du bist durchaus geneigt . . . Da erscheint ein Mädchen an der Theke, und obwohl sie ausgesprochen hübsch ist, wendet sich dein Freund mit einem jähen Ruck zur Seite. Hättest du mein Buch nicht gelesen, würdest du dieser Gebärde keine Bedeutung beilegen oder eine Liebessache vermuten. So aber weißt du, warum der scheinbar so solide Herr das Licht der Portugiesinnen scheut, und was es mit seinen geordneten Verhältnissen und seinen Geschäften auf sich hat.

Nach dem Kriege versuchten die auf das Debet beschränkten Portugiesen sich mit den im Kredit stehenden Deutschen zu verbünden. Aber alle deutsch-portugiesischen Firmen lösten sich bald auf wegen eines Skandals, der sich an eines dieser Geschäfte knüpfte. Es war ein Skandal, der mit Gerichtsverhandlungen und 114 Verurteilungen in China und Deutschland endete, wiewohl sich gerade diesmal der Shanghaiportugiese einen besonders dicken Shanghaideutschen und eine hamburgische Firma als Partner ausgesucht hatte.

Importgeschäfte werden hierzulande mit Hilfe von Bankvorschüssen getätigt. Die europäische Bank des Lieferanten schickt die Faktura an eine Bank in Shanghai zum Inkasso, und die Shanghaier Bank teilt dem Besteller mit, »daß die Conossements (Frachtbrief, Faktura, Versicherung usw.) auf soundsoviel Stücke dieser und dieser Ware in solchem und solchem Wert, gesendet auf dem Schiff X an Ihre Adresse, in unserem Inward Bill Department eingetroffen sind«. Nach Erhalt dieses Briefes läßt sich der Besteller den Kaufpreis von der Bank bevorschussen, die den Vorschuß selbst an den Lieferanten im Ausland überweist und weiter kein Risiko hat, denn sie behält die Ware solange in ihrem Speicher, bis der Empfänger sie verkauft und den Vorschuß zurückbezahlt. Findet sich kein Käufer, so wird die Ware verauktioniert.

Bei diesen Versteigerungen kommt der Vorschuß immer herein, – wenn die Ware richtig deklariert war. Nun, bei jenem deutsch-portugiesischen Einführungsgeschäft war das eben nicht der Fall, der Hamburger Absender hatte mit dem Shanghaier Adressaten unter einer Decke gesteckt, und Kunstseide als Inhalt der Kisten angegeben, in denen sich hernach nur billige Gläser, Spucknäpfe und andere Emailtöpfe fanden. Die Partner dieses Unternehmens wurden eingesperrt, die Portugiesen kehrten von ihrem Ausflug in den Großhandel zur Buchhaltung und Schuldeneintreibung zurück. 115

Strenggenommen sind sie gar keine Portugiesen. Portugal haben sie zuletzt im 13. Jahrhundert gesehen und würden es, wenn sie heute hinkämen, schwerlich wiedererkennen. Ihre Heimat ist seit langem nicht mehr die Pyrenäenhalbinsel, ihre Heimat ist die Macaohalbinsel, die früher eine Insel war, aber jetzt durch einen Damm mit dem Festland verbunden ist, Macao, das Monte Carlo des Stillen Ozeans, die Insel, wo Spiel und Opium fließen. Nicht Portugiesen sind sie, sie sind Makanesen.

»Makanesen« – eine Kombination der Worte »Macao« und »Chinesen«. So stimmt es auch. Von alters her heiraten die Portugiesen aus Macao Chinesenmädchen und zeugen wunderschöne Töchter in diesen Ehen. (Keine Eurasierin hört es gern, wenn man sie »halfcast«, Halbblut, nennt; in China nennt sie sich Portugiesin.) Eine Malcanesentochter heiratet nur einen Portugiesen, niemals einen Chinesen, einen Landsmann der Mutter. Solches liefe dem Stolz der Ex-Portugiesen durchaus zuwider, ihrem Ahnenstolz, ihrem Adelsstolz, ihrem Glaubensstolz.

Der kleine, prononciert chinesisch aussehende Herr in der Bank sagt mir, er werde sich um meine Geldüberweisung kümmern, ich möge morgen wiederkommen und ihn rufen lassen. Zu diesem Behufe überreicht er mir seine Visitenkarte: 116

 
JESUS-MARIA MARQUÈS DE SILVA-PEREIRA
 
Lisboa
 
Shanghai
 

Ich lese den heiligen und markgräflichen Namen über der Stadt Lissabon, und verneige mich respektvoll, er aber dankt mit kühler Grandezza, als hätte er persönlich den Riesen Adamastor besiegt. 117

 

II. Li Hu-Chi wettet auf Leocardo Urquidi

Es ist merkwürdig, die Basken und ihr Spiel ausgerechnet in China kennenzulernen. Sie sind Vettern der Etrusker, die einzigen übriggebliebenen Urbewohner Europas; als unsere Ahnen noch auf Bäumen kletterten und einander mit Tannenzapfen bewarfen, saßen die Basken schon in Biarritz. Ein altes Volk, hohe Gestalten mit scharfgeschnittenen, dunklen Gesichtern und edlen Bewegungen.

Ihr Nationalspiel heißt Hai-Alai, hell und hoch schleudert man den Ball, Hai-Alai, hell und hoch fängt man ihn auf, Hai-Alai, um ihn von neuem hell und hoch zu schleudern. Die Spieler führen Namen wie: Tiburcio Irigoyen, Jacinthe Erdoza, Leocardo Urquidi, Rafael Arancibia und so weiter.

Wenn sie daheim, in den Pyrenäen, den Ball an die Steinwand schmettern, so umstehen ihre Väter und Söhne den Spielplatz, Fachmänner allesamt, Spieler allesamt, sie kennen und können Hai-Alai.

Hier liegen aber zwischen Spieler und Tradition viele tausend Kilometer, die Strecke Barcelona–Shanghai. Chinesen füllen die Tribüne und rufen anfeuernd die Namen Iligoyen, Eldoza, Ulquidi und Alancibia, – was ist den Chinesen der Buchstabe »r«, was ist ihnen Hai-Alai, was ist ihnen ein Meisterschlag?

Der allabendliche Wettkampf geht in einem Prisma vor sich. Sechzig Meter lang, zehn Meter breit, zehn Meter hoch sind die Betonwände, nur gegen den Zuschauerraum ist die Wand ein sechzig Meter langes und zehn Meter hohes Drahtnetz. Im Käfig produzieren sich die 118 Europäer, vor dem Käfig sitzen die Asiaten auf das Lebhafteste angeregt. Die Spieler haben die Cistera, einen hellgelben, einem großen Maiskolben gleichenden Korb über die rechte Hand gezogen und am Handgelenk festgeschnallt. Er stellt eine Vergrößerung der hohlen Hand dar, so etwa wie ein Boxhandschuh die Vergrößerung der Faust, ein Tennisschläger die Vergrößerung der flachen Hand oder ein Florett die Verlängerung des Armes ist.

Aus der Korbschaufel schlägt der Spieler den Ball an das Frontone, die vierzig, fünfzig Meter entfernte Querwand, daß er abprallt, vierzig, fünfzig Meter, ja sechzig Meter, also an die gegenüberliegende Wand schnellt und nochmals zurücksaust. Nicht größer als ein Tennisball ist die Pelota, aber sie ist aus massivem Kautschuk, lederumhüllt und wiegt 125 Gramm. Abwechselnd fangen ihn die Spieler in dem engen Korb ein und hauen ihn in der gleichen Sekunde wuchtig an die Wand. Welche Schnelligkeit des Blicks, welche Sicherheit des Auges und welche Kraft des Armes Fang und Wurf erfordern, – an der Bucht von Biscaya vermag man das zu ermessen.

An der Bucht von Biscaya versteht jedermann dieses Spiel und nicht jeder wettet. Am Gelben Meer versteht nicht jedermann dieses Spiel und jeder wettet. Die Totalisatoren haben alle Hände voll zu tun, Einsätze anzunehmen und Gewinne auszuzahlen.

Sung Tsu-Wen hat auf Maurico Ichaso Sieg und Platz gewettet. Wang Hai-Ting bekommt achtfaches Geld für Miquel Escarzaga. Li Hu-Chi hat zum fünftenmal je zwei silberne Dollar auf Leocardo Urquidi gesetzt, jetzt hat Li Hu-Chi kein Geld mehr und geht aus der 119 Französischen Konzession nach Hause in die Chinesenstadt. Wenn er noch einen Sachwert besitzt, für den ihm einer der hundert Pfandleiher in seiner Straße zehn silberne Dollar gibt, dann wird Li Hu-Chi morgen Abend wiederkommen, um auf Leocardo Urquidi fünfmal zwei silberne Dollar zu setzen, Hai-Alai.

In der Chinesenstadt kann man nicht auf ballspielende Enkel der Iberer setzen und nicht auf Windhunde, die einem elektrisch bewegten Hasen nachjagen, in der Chinesenstadt rennen keine Pferde, wandern keine Baccarat-Schlitten, sausen keine Rouletts. In der Chinesenstadt kann man bei Mah-Jong sein Glück durch Überlegung lenken, sonst gibt es höchstens Hasardspiele, die klägliche Kopien der europäischen sind, und bei denen man nicht so raffiniert-restlos um sein Geld kommt.

In der Chinesenstadt ist das Opium verboten, in der Franzosenstadt zählt man dreihundert Opiumhöhlen und mindestens ebenso viele Spielklubs wie im Internationalen Settlement. Spielklubs für alle Gesellschaftsklassen. Geldmänner und Hintermänner sind Ausländer. Bei Ausübung von Hehlerei und Kuppelei und Gelegenheitsmacherei und Handel mit Rauschgiften und Verleitung zum Hasardspiel unterstehen sie der Gerichtsbarkeit ihrer Rasse und Klasse. Nach deren Rechts- und Moralbegriffen gelten diese Verbrechen, sofern sie in China begangen werden, nicht als Verbrechen, sie sind Kolonialgeschäfte, es kommt nur darauf an, wieviel man verdient.

Leichengeruch schwelt in Tschapei und Wusung, die Trümmer der mit Bomben belegten oder in Brand gesteckten Wohnhäuser, Universitäten, Bibliotheken und Druckereien rauchen, Verwundete stöhnen in den 120 Spitälern von Shanghai, japanische Offiziere schlagen dem Chinesen, der ihnen auf den Straßen nicht ehrerbietig Platz macht, mit der Reitpeitsche ins Gesicht, neue Schützengräben werden aufgeworfen, – aber nach wie vor locken die Ausländer mit täglich neuen, großmächtigen Plakaten zum Spiel der baskischen Männer und rufen zum Rennen der australischen Windspiele im Canidrom. Chinesen, geht vor die Hunde! 121

 


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