Egon Erwin Kisch
Asien gründlich verändert
Egon Erwin Kisch

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Die Besiegung der Räuber

Dies ist der Bericht über Vorgänge am 23. Juni 1931. Ein raffinierter Schriftsteller würde die pointenhafte Begebenheit in der Nacht so darstellen, als ob sie sich einige Tage später abgespielt hätte. Sie würde dadurch ohne Zweifel an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Aber da es nicht auf die Wahrscheinlichkeit, sondern auf die Wahrheit ankommt, seien hier die Vorgänge vom 23. Juni so wiedergegeben, wie wir sie erlebt haben.

Gegen Mittag fuhren wir auf einem Lastauto aus Stalinabad nach Süden ab. Die über den Fluß Kafirnigan (wörtlich: die ertränkte Ungetreue) führende Brücke war vom Hochwasser weggerissen worden, einen Kilometer flußabwärts lag ihr Bretterwerk am Ufer. Rotarmisten hielten den Verkehr aufrecht: sie hatten ein sechshundert Meter langes Seil gespannt, ein daranhängendes Brett wurde mit je einem Menschen hinübergezogen. Unter uns, während wir solcherart auf der »Lulka« über den Wassern schwebten, bewegten sich Einheimische auf dem »Burdjuk«, einem Bündel aufgeblasener Därme, durch den reißenden Fluß; ihr Steuer, ein Mann im Lendenschurz, schwamm daneben, hielt sich an dem luftigen Floß fest und gab mit zappelnden Füßen die Richtung. 124

Wir kamen hinüber, und nun waren es nur noch zwei, drei Kilometer in das Dorf Koktasch. Das Wort »Kok-Tasch« konnten wir uns selbst übersetzen, denn vom »Kok-Tschaj«, dem grünen Tee, hatten wir in den letzten Wochen wahrlich Hektoliter getrunken, um den Durst zu löschen und den Staub hinabzuspülen, und die Bedeutung des Wortes »Taschkent« war uns als Stein-Siedlung bekannt. Koktasch heißt also »Grüner Stein«, aber es war rot, als wir hinkamen, die roten Wimpel wehten fröhlich, Triumphpforte und Rednerbühne waren rot drapiert.

Man feierte ein Fest und wir wollten dabei sein, hatten unsere Rundfahrt durch Tadschikistan aufgeschoben bis zu dem Tag dieses Festes. Es war ein Fest der Roten Stöcke, der Verbände, die die Bauern zur Abwehr der Banden gegründet haben.

Die Roten Stöcke kämpfen im Vorterrain auf Sowjetboden, an der Grenze der Kolonien und Halbkolonien Englands kämpfen sie für die Sowjetunion gegen die Interventionisten oder, wenn man will, sie kämpfen gegen die, die die Ernte ihrer Kollektivwirtschaft schädigen, ihre Konsumgenossenschaft plündern, ihre Herden auseinandertreiben, ihre Traktoren zerstören, ihnen alles Neue: Eisenbahn, Klubs, elektrisches Licht, Zeitungen, Bücher, wieder nehmen wollen.

60.000 Mitglieder zählen die Verbände der Roten Stöcke. Aber wir kamen zu denen von Koktasch, weil sie in mehr als einer Hinsicht wichtiger sind als die anderen.

Hier, unmittelbar südlich von Stalinabad, sind die Lokaizen zu Hause, ein unruhiges, usbekisches, halbnomadisches Volk, dessen Kriegerkaste »Sipo« und dessen Geistlichkeit der Emir zu seiner Zeit mit viel Privilegien bedachte und von denen 125 er fast keine Steuer verlangte. Er brauchte diese usbekischen Keile im Körper der Tadschiken, auch er kannte das divide et impera. Einem der Lokaizenstämme war die Herrscherfamilie entsprossen, und dieser Stamm, die Mangiten, mögen zweihundert Jahre lang stolz darauf gewesen sein, bis 1920 dieser Ruhm verdunkelt wurde von dem des Nachbarstammes Issan-Chodscha, der den neuen Führer stellte. Hier, im Ort Koktasch, Kreis Fakrabat, Wilajet Gissar, stand die Wiege Ibrahim Begs, und hier war es, wo man ihn feierlich und nach altem Brauch auf einen weißen Teppich aus Filz setzte und zum Vater aller Banden von Mittelasien ausrief.

Die Lokaizen waren im Kampfe an der Seite von Ibrahim Beg, Sohn und Vater ihres Gebietes, der Vendée von Mittelasien. Und gerade jetzt, das Sommerfest der Roten Stöcke war schon angesetzt, da tauchte Ibrahim mit den letzten Bassmatschen wieder im Bezirk Fakrabat auf, bei denen, die ihn einst zur Führerschaft berufen. Welch eine Wiederkehr! Seine früheren Kurbaschi (Reiterführer) bekleiden Funktionen in der Staatsverwaltung, in den Bezirkssowjets, in den Dorfsowjets, in den Kollektivwirtschaften, auf den Sowjetgütern und in den Kooperativen, treten für die Entschleierung der Frauen ein, sind Mitglieder der Partei und ihre Söhne Komsomolzen geworden. Welch ein Empfang! Die Dechkane zogen ihm, der zur Befreiung der Dechkane aus den Klauen des Bolschewismus herankam, mit Knüppeln und Sensen und Waffen entgegen, sie lieferten ihm Gefecht auf Gefecht, verfolgten ihn, bis fast alle seine Kurbaschi und Dschigiti davonschlichen, um sich zu ergeben.

Er selbst haust mit einer Handvoll seiner Mannen in den Bergen, traut sich bei Tag nicht hervor. Hofft er wirklich 126 auf Verstärkung? Verkündet hat er, bald werde er sich furchtbar an den von ihm Abgefallenen rächen.

Die Stammesbrüder jedenfalls beunruhigt seine Anwesenheit nicht, seine Hoffnung ist nicht ihre Befürchtung, sie halten heute, am 23. Juni 1981, ihr Fest ab. Dreigegliedert – Szene, Kulisse, Hintergrund – ist der Festplatz. Fernster Raum: ein Massiv im Osten. Berg, Berg, Fels, Fels, Grat, Grat und, wie die Beistriche zwischen diesen schroffen Worten, fallen Gletscher hinab.

Vorgelagert dem Gebirge mit weißen Kalmückenhelmen ist das Bergland zwischen den Flüssen Kafirnigan und Wachsch; dort oben weiden die Herden der Haustiere neben ihren wilden Geschwisterkindern, dort oben irgendwo halten sich versteckt die wilden Geschwisterkinder derer, die hier unten ihr Fest begehen. Vielleicht lugt auch aus einer Felsenspalte Ibrahim Beg durch einen englischen Feldstecher auf das Treiben herunter . . .

Viele hundert Pferde sind angepflockt, ihre Herren hocken in einem weitgeschwungenen Kreis. In grellen Schärpen stecken Dolch und Terzerol, die Schulter ist mit der Hüfte durch den Patronengürtel verbunden. Als Eckpfeiler jeder Gruppe recken sich zwei Äste empor, vom rechten zum linken führt ein breites rotes Band über fünfzig, sechzig Köpfe.

Die Hauptbelustigung, im Innern des Kreises vollzieht sie sich stundenlang, sind Ringkämpfe, dem Jiu-Jitsu ähnlich, Kurasch heißen sie auf usbekisch, Goschten auf tadschikisch. Zunächst knien die Partner nebeneinander ins Gras, berühren die Erde und dann das Gesicht mit beiden Händen, was vielleicht eine religiöse Vorschrift, eher aber eine Kampfregel bedeutet, dann stehen sie auf und gehen langsam, wie gelangweilt, in kurzen Kurven hintereinander her, bis sie 127 einander mit ausgespannten Armen und flatternden Händen umkreisen, jeder den Partner beim Revers des Rockes und beim leinenen Gurt zu packen versucht, jeder seinen Unterschenkel mit Fuß um den des Gegners schlingen und diesen umreißen will. Sausendes Handgemenge. Manchmal wirbelt der eine den andern horizontal in der Luft und liegt urplötzlich, von dem Rotierenden geschickt gepackt, selbst auf dem Boden.

Zum Zeichen seines Triumphes hüpft der Sieger abwechselnd auf einem Bein und bekommt ein geblümtes Tuch, wogegen der Niedergerungene nur eine Tasse grünen Tees empfängt.

Dem Europäer im Zuschauerkreis ist Verschiedenes mehr als erstaunlich. Männer, ihre schwarzen Riesenbärte verbreiten eine Atmosphäre von hausväterlichem Ernst, treten ebenso in den Ring, streifen die Sandalen ab, streicheln, wie es sich geziemt, Erde und Antlitz, und beginnen nun – Unfug zu treiben, wirbeln und zerren den würdigen, vollbärtigen Nachbar und stellen ihm ein Bein, lassen sich wirbeln und zerren und ein Bein stellen und hüpfen dann auf einem Bein umher, ist das eine Manier?

Noch verwunderlicher ist das Verhalten der Kleidung. Sie besteht aus einem rohseidenen Gehrock, unter dem sich statt einer Weste der Oberkörper nackt darbietet, einer halblangen Leinenhose und einer Schärpe. Daran wird gerissen, daran wird man gehoben, daran wird man erbarmungslos geschleudert, ohne daß das Zeug reißt, ohne daß die Hose tiefer als bis zum Nabel verrutscht, ja nicht einmal die Tjubetejka, das gestickte Käppchen, fällt vom Köpfchen. Geschieht es doch, so wird der Kampf unterbrochen, bis sie wieder aufgesetzt ist. 128

Dörfer nehmen Partei, Usbeken, die mongoloid und breitschädelig sind, treten an gegen Tadschiken, die arisch und langschädelig sind, schwarzhaarige Gesellen mit schwarzen Bärten. Ein bärtiger Golem wird immerfort, immerfort besiegt und wendet sich immerfort, immerfort protestierend an die Zuschauer ringsumher, die das mit dröhnendem Lachen aufnehmen. Wütend entschließt sich der Vierschrot, auf einem Bein zu hüpfen, als habe er gewonnen. Dadurch steigert sich das Gelächter noch mehr. Auch drei Russen, die die Kniffe und Regeln des »Goschten« während ihres Aufenthaltes in Zentralasien schon gelernt haben, wollen ein Tänzlein wagen.

Regen geht nieder. Nicht einen Augenblick stocken die Zweikämpfe, das Interesse an den Zweikämpfen. Frauen sind im Umkreis nicht zu sehen. Endlich hat der letzte Sieger das letzte Tuch als letzten Preis empfangen. Die Abteilungen formieren sich zum Abmarsch. Drüben, näher am Dorf, ist eine hölzerne Kanzel aufgebaut, um die man sich schart zur Festversammlung.

Haknasar Turdijar, obwohl er kein Wort russisch spricht, Vizepräsident der Republik, Obmann des Bezirkssowjets, führt den Vorsitz. Er ist im Jahr des Affen geboren, im siebenten der zehn Tierjahre, also 47 Jahre alt, stammt aus dem Dorf Dshaldirkapee, sechzehn Kilometer von hier gelegen, Landarbeiter. Von der russischen Revolution 1917 hatte weder er, noch sonst jemand aus seiner Gegend drei Jahre lang etwas gehört. Erst 1920 verbreitete sich das Gerücht, ein Russe namens Lenin sei nach Buchara gekommen und der Emir flüchte vor ihm nach Djuschambe, der Russe Lenin hinter ihm her. Bald darauf wurden die Männer in allen Dörfern gesammelt und mit Stöcken zum Fluß 129 Jinghikischke getrieben, weil der Emir sein Volk sehen wollte. »Viele nahmen Bittschriften mit, doch wurde niemand vorgelassen, der Emir sprengte nur vorbei auf einem golden aufgezäumten Rappen mit seinem Gefolge und vier Elefanten. Nachher ward allen kundgetan, der Emir kämpfe gegen die Christen aus Moskau und jeder müsse ein Schaf bringen für diesen heiligen Krieg, und wenn er einen Russen sehe, ihn erschießen. Dann floh der Emir nach Afghanistan, aber das Volk blieb Feind der Russen.

»Ich selbst,« erzählt Haknasar Turdijar weiter, »ging mit allen Bewohnern meines Dorfes in die Berge und wir lebten oben von Jagd und Kräutern. Nach zwei Jahren sagten uns Bauern, die wir trafen, es sei gar nicht so schlimm mit den Roten, sie wollten zwar, daß die Leute, insbesondere die Kinder, lesen lernen und zum Arzt gehen, wenn sie krank seien, aber im übrigen üben sie keinen Zwang aus, nehmen Frau und Vieh nicht weg, und wer in die Moschee gehen wolle, könne es tun. Die Roten bezahlen, was sie kaufen, bauen neue Häuser und es sei viel besser als unter dem Emir. So sagten die Bauern.

Wir konnten das nicht glauben. Eine ganze Nacht lang saßen wir um das Feuer und dachten darüber nach. Waren die Bauern vielleicht dafür bezahlt, uns solches über die Mörder weiszumachen? Wollten sie uns in die Hände des Feindes locken? Oder – hatten – sie – die Wahrheit gesagt? Im Morgengrauen kamen wir überein, fünf Leute zu wählen und in die Dörfer zu schicken, um zu erfahren, was los sei. Nach drei Tagen kamen die fünf zurück und sagten: schlecht ist es nur für die Reichen, für die Armen ist es gut. Da lösten wir unsere Bande auf, ich zog nach Koktasch und arbeitete hier mit, alles wurde neugemacht, mich freute 130 das, ich wurde Dorfältester, in den Kongreß gewählt, ich trat in die Partei ein.«

Während Haknasar Turdijar uns das erzählt, haben sich die Roten Stöcke um die Rednertribüne gruppiert, und es beginnt die Versammlung, deren Vorsitz er führt. Unter denen, denen er das Wort erteilt, ist Abdurachim Chodschibajew, der junge Regierungschef der jungen Republik. Er spricht von der Finsternis des Zarismus und des Emirats, von der Sonne der Sowjets, die sie verdrängte, und spricht von den Wolken des Bassmatschentums, vertrieben von euch, ihr frohen Stürme mit den Roten Stöcken. Nach solchen blumenreich orientalischen Wendungen zeigt er die wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge der Räuberbewegung auf.

»Groß war der Zulauf zu den Bassmatschen, als die Lügen des Kapitalismus die einzige Informationsquelle über die Sowjets bildeten. Am Anfang reizten die Banden dazu auf, jeden Ungläubigen als Fremdling im tadschikischen, im usbekischen Lande zu erschlagen. Dann aber, wenn sie einen Russen trafen, fragten sie ihn: ›Bist du seit Zar Nikolaus hier oder seit Lenin?‹ Wer ›Lenin‹ antwortete, wurde erschossen, wer seit der Zarenzeit hier ansässig war, blieb unbehelligt. Denn es geht nicht mehr gegen die Ungläubigen, sondern es geht für die Ungläubigen, freilich nur für die, die im Ausland sitzen, die europäischen Besitzer der asiatischen Kolonien.

Am anderen Ufer des Pjandsch schmachten unsere Stammesbrüder unter dem Druck der Feudalherrschaft, der Geistlichkeit und der Kolonisatoren, sie sind arm, ungebildet, sie müssen ihre Mädchen den Mächtigen überlassen, sie müssen hohe Steuern zahlen, sie leben in Unwissenheit, sie müssen 131 weiter mit hölzernen Pflügen ihr Land bebauen. Schon aber sind Nachrichten über das, was hier geschieht, zu ihnen gedrungen . . . Alle Bewohner Mittelasiens sehen, daß die Sowjets einen ungeahnten Aufschwung gebracht haben, Ibrahim Beg, dem noch vor zehn Jahren direkt oder indirekt die Mehrzahl unserer Bauern anhingen, hat keine Parteigänger mehr in seiner Heimat. Nicht um das Land militärisch zu besiegen, hat man ihn hereingeschickt, sondern er sollte den Aufbau stören. Wie vor zwei Jahren Fusail Maksum mit seinen Banden aus dem Gebiet Darvas nahe der indischen Grenze herüberkam, um die Aussaat durch Überfälle zu verzögern, so sollte Ibrahim Beg die Widerstände gegen die Kollektivisierung vergrößern, die Kulaken mit Waffengewalt unterstützen und die Einbringung der Ernte verhindern.

Jetzt ist die Kollektivisierung von Tadschikistan planmäßig erfüllt, 30 Prozent der ganzen Landwirtschaft, 60 Prozent der Baumwollkultur.

Hier in diesem Ort, in dem Ibrahim Beg geboren ist und gelebt hat, hier in diesem Ort sind neue Häuser, neue Straßen, Maschinen, Schulen, hier in diesem Ort, der Hauptstadt des Lokaizengebiets, wo er seinen stärksten Anhang hatte, seid ihr heute, die Roten Stöcke, zum Siegesfest zusammengetreten, ihr feiert die Besiegung des Bassmatschentums. Ibrahim Beg lebt zwar noch, er lebt in unserem Lande, in unserem Bezirk, kaum einen Tagesritt von unserem Felde des Festes entfernt, aber die Bauern versagen ihm den Unterschlupf, sie verfolgen ihn. Nur bei Nacht wagt er sich aus seinen Höhlen, um die Proklamationen an die Bäume zu heften, darin er die Sache des Emirs und der Kulaken vertritt und Lüge neben Lüge fügt.

Ibrahim Beg hat erklärt, er sei wie der Adler, der sich 132 ins Felsennest zurückzieht, um mit neuer Kraft auf seine Gegner niederzustoßen und sich dann wieder in unerreichbare Höhen zu schwingen. Nun, heute gibt es keine unerreichbaren Höhen mehr, unsere Flugzeuge können sich bis zum Himmel erheben, sie . . .«

In dieser Sekunde hört man das Rattern eines Motors zu unseren Häupten. Ein Aeroplan fliegt vom Süden her, kaum zweihundert Meter hoch über den Festplatz, er beschreibt eine Schlinge, als wollte er landen. Aller Augen starren empor, wie ein Zeichen des Himmels scheint es, daß in dem Augenblick, da der Begriff des Flugzeuges zur metaphorischen Widerlegung einer Metapher herangezogen ward, ein wirkliches Flugzeug herangezogen kommt.

Hat sich Abdurachim Chodschibajew, Vorsitzender der Volkskommissare von Tadschikistan, diesen Effekt bestellt, um den Vergleich zwischen Flugzeug und Adler zu verstärken? Diesen Vergleich, der uns nicht sehr glücklich gewählt dünkt, denn ein Flugzeug ist keine Waffe gegen einen Adler.

Nein, es scheint, daß dem Redner dieser Deus ex machina selbst überraschend kommt. Er unterbricht sich und schaut forschend auf das Flugzeug, das knapp über dem Kreis der Versammlung einen Kreis zieht, und dann weiterfliegt, Richtung Stalinabad.

Abdurachim Chodschibajew nimmt die Rede wieder auf, um ihr einen Schluß zu geben. »Wir dürfen nicht ruhen, bis wir Ibrahim Beg für immer über die Grenze getrieben und fremde Mächte die letzte Hoffnung verloren haben, einen der unsrigen für ihre Zwecke zu gewinnen. Unsere Zwecke verfolgen wir selbst, die Sozialistische Sowjetrepublik Tadschikistan und mit ihr die Kommunistische 133 Internationale. Sinda bod, sinda bod Todschikistoni surch, sinda bod Komintern, sinda bod rafik' Stalin.«

Noch andere Redner sprachen, unterbrochen aus den Reihen des Auditoriums durch Bekräftigungen, durch Verwünschungen gegen den Emir und gegen die Banden, durch Hochrufe auf Stalin, Nasratullah Maksum und Abdurachim Chodschibajew. Am Schluß werden denen, die sich in den Kämpfen besonders hervorgetan, Ehrengaben überreicht, Gewehre und Uhren, auch Bibitschan Mamur wird beteilt, die Vorsitzende eines Bezirkssowjets, sie kommt unverschleiert heran mit ihrem Säugling am Busen und ist unter den Tausenden von Festteilnehmern fast die einzige Frau.

Es senkt sich der Abend über die fernen Beistriche aus Schnee, über die grauen Felsen des mittleren Kreises und über die grünen Hügel im Vordergrund, wo die Pferde geweidet hatten, während ihre Herren Ringkämpfe vollführten, Tee tranken, Musik machten, Reden hielten, auf ein kreisendes Flugzeug starrten und Prämien empfingen. Jetzt ist das Fest aus.

»Willst du sehen, wo das Stammhaus von Ibrahim stand?« fragt uns Haknasar Turdijar. »Gut.« Wir jagen auf kleinen persischen Bergschimmeln über grünes Uferland, durch Schilf und Farnkraut. »Hier waren Hütten und Felder, aber der Fluß riß sie weg, viele Menschen kamen um, es war im Jahr des Panthers, zweimal kam seither das Jahr des Panthers.«

Am Ufer des Kafirnigan die Ruine eines Hauses, das heißt die Ruine einer Mauer eines Hauses. Eine Wand aus sonnengebackenem Lehm zerbrach zwar im Ansturm der Flut, aber sie blieb im Fundament. Aus zweieinhalb arabisch geschwungenen Fensterhöhlen starrt sie rachsüchtig und ohnmächtig auf den Fluß, der ihr das Leben nahm. 134

Sonst nichts. Wir wenden die Pferde. »Hier habe ich mit Ibrahim gesprochen,« sagt Haknasar Turdijar, »das ist schon zwanzig Jahre her. Ich habe Korn in die Wassermühle gefahren, die seinem Vater gehörte, und wir sprachen ein paar Worte miteinander, wie eben ein reicher Mann mit einem armen spricht. Sein Vater war der Freund und Berater eines gewissen Tuksaboj, der Steuern für die Beys eintrieb, – an den Emir führte unser Bezirk keine Steuern ab. Ibrahims Vater verriet dem Tuksaboj, wieviel Getreide die Bauern vermahlen ließen, und Tuksaboj hob die Steuer ein. Das meiste behielt er für sich und teilte es mit dem Vater von Ibrahim Beg. Der war ein reicher Mann, aber trotzdem betrieb Ibrahim Pferdediebstahl von Jugend an. Man fürchtete ihn als guten Schützen. Er ist um ein Jahr des Affen älter als ich (57 Jahre). Seit zwanzig Jahren habe ich ihn nicht mehr gesehen, obwohl in den letzten Jahren kein Tag verging, an dem man nicht von ihm redete.«

Unsere Schimmel jagen nach Koktasch zurück. Vor dem Haus der Konsumgenossenschaft hockt Abdurachim Chodschibajew auf der Schwelle, ringsum beraten Männer mit dem Regierungschef die Dinge der Felder und Ställe. Wir setzen uns zu ihnen.

Die beiden Söhne von Karschi Aksakal, dem Haupt des Stammes Karluk, erzählen uns stolz und finster die Geschichte ihres Vaters, der von Ibrahim Beg im Jahre 1921 die Aufforderung erhalten hatte, mit dem ganzen Stamm der Karluken zu den Bassmatschen zu stoßen. Karschi aber wollte zuerst die Ziele der Roten erfahren und ließ Nasratullah Maksum, dem Freund der Kommunisten sagen, er wolle sich mit ihm treffen. So wurde es vereinbart: nachts, auf einer bestimmten Wiese bei Koktasch sollten sie zu Fuß, 135 jeder von einer anderen Seite, mit vorgestreckten, waffenlosen Händen aneinander herankommen, denn damals konnte kein Führer dem anderen trauen. Nach der Unterredung wurde Karschi Aksakal ein Roter und kämpfte gegen die Bassmatschen. Den Kurbasch Baldakawkas riß er vom Pferd, überwältigte ihn mit den Armen und brachte ihn als Gefangenen nach Djuschambe.

Ibrahim Beg schwor, die grausamste aller Rachen müsse Karschi Aksakal treffen. Er besetzte den Umkreis von Pardschisaj, und Karschi flüchtete mit seiner Familie in die Berge. Seine Freunde wurden erschlagen, unter ihnen war Mullah Ali Mohammed. Drei Monate lang hielt sich Karschi mit seinen beiden Söhnen versteckt, dann gründete er eine Partisanenabteilung, tötete Bassmatschen, erbeutete 380 Gewehre, vier Maschinengewehre, viele Pistolen, Säbel und Handgranaten. Zweimal wurde ihm der Orden der Roten Fahne verliehen, 1926 wurde er zum Mitglied des Zentralexekutivkomitees gewählt und leitete ein Sowjetgut mit 12.000 Hammeln. 1931 kam Ibrahim Beg wieder aus Afghanistan herüber, und Karschi Aksakal mobilisierte seine Parteigänger. In einem Gefecht beim Dorfe Sangimusul, am 24. April 1931, mußten seine Leute zurückweichen. Als sie ihn nicht unter sich sahen, wandten sie sich von neuem gegen die Bassmatschen, die nun ihrerseits flohen. Aksakal fand man an einen Felsen gelehnt sitzend; eine Kugel war durch die Nase eingedrungen und durch den Nacken ausgetreten, auf seinem Kopf klafften drei Säbelhiebe. Er war tot und hielt das Gewehr in der Hand. »Wir brachten ihn ins Tal. An seinem Grabe schwuren wir Rache.«

Diese dunkle Geschichte aus dunkler Vorzeit, die sich vor drei Monaten ereignet hat, erzählen uns die beiden Söhne 136 Karschi Aksakals, dieweil wir auf der Schwelle der Kooperative sitzen und Reisfleisch essen.

Vor drei Monaten vollzog auch ein anderer unserer Tischnachbarn, Issai Buri, auf eine nicht minder urzeitliche Manier seinen Übertritt von den Bassmatschen. Um die Ehrlichkeit seines Gesinnungswechsels darzutun, erschlug er den Chef seiner Bande und brachte dessen Kopf in einem Sack nach Koktasch. Da kauert er nun, der auf diese bei uns ungewöhnliche Art seine Reue bewiesen hat, und fordert uns auf, mit beiden Händen zuzugreifen, solange das Reisfleisch dampft.

Von Zeit zu Zeit treten Männer und auch Frauen heran und überreichen Abdurachim Chodschibajew Zettel mit Bitten und Beschwerden. Manche wollen in höhere Schulen aufgenommen werden, manche beklagen sich über ihre Nichtzulassung zur Bedienung des Traktors. Eine Delegation überbringt feierlich ein Papier – sag' an, ist das ein mittelalterlich Pergament, auf das jeder Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seine Petschaft und sein Sigillum gesetzt hat? Mitnichten. Es ist das kollektive Gesuch eines Dorfes um Zuweisung von Kunstdünger, und die vermeintlichen Sigilla sind die Abdrücke von in violette Tinte getauchten Fingern. Ein ähnliches daktyloskopisches Dokument, von einer anderen Abordnung eindringlich überreicht, stellt die Anmeldung eines Bezirks zum Verband der Roten Stöcke dar.

Chodschibajew unterhält sich mit den Herankommenden und fordert sie auf, mitzuessen aus dem Kessel mit Hammelfleisch und Reis, die Zettel steckt er in seine hohe Mütze aus weißem Filz. Einen der Bogen reicht er uns, ein Exemplar der Proklamationen Ibrahim Begs, lateinisch gedruckt, – 137 die Gegner akzeptieren die revolutionären Neueinführungen.

»Lesen Sie,« sagt Chodschibajew, »er identifiziert den Kulaken mit dem Mittelbauer und dem Kleinbauer, indem er nur von Dechkanen (Bauern) spricht, die man mit Abgaben belegt. Die Mitgliedsbeiträge an die Organisationen nennt er Steuern. Er zählt die Staaten auf, deren Bevollmächtigter zu sein er behauptet, – nur England schließt er aus.«

»Verfaßt er das selbst?«

»Schwerlich. Er ist zwar ein sehr fähiger Mann, kann aber nicht lesen und schreiben. Sein Propagandist ist ein hoher Mullah aus Kabul. Seine Informationen hinken der Zeit nach, er fußt auf längst vergangenen Tatsachen, soweit er nicht direkt lügt. Deshalb lachen die Leute über das Dokument.«

Im Namen des Gnädigen und Barmherzigen

Appell an die Gläubigen der ganzen Welt

Nahe ist die Hilfe Gottes,
nahe ist der Sieg.
              (Ajat aus dem Koran)

Den auf dem Territorium Rußlands lebenden Völkern Turkestans, Tataristans, Kasakstans, Kirgisistans, Turkmenistans, Usbekistans und Tadschikistans: Gruß von Diwan Begi und Totscham Baschi Muchamed, von Ibrahim Beg und Seiner Hoheit Emir Olim Chan.

Mit dem Nachstehenden betonen wir, daß zur Zeit des russischen Zaren Nikolaus und des Emirs von Buchara, Olim Chan, alle Nationen ruhig und glücklich in ihrer Heimat lebten und sich frei zu ihrer Religion bekennen durften. In den Jahren 1295 und 1298 wurden Zar Nikolaus und der Emir von Buchara entthront, infolge des 138 Gewaltstreichs von Lenin, verflucht sei sein Name, welcher das Volk vom rechten Weg und von der Religion ablenkte und ihm die Revolution versprach, das heißt Freiheit und Gerechtigkeit, aber die Untertanen des Zaren Nikolaus und des Emirs von Buchara betrogen hat.

Später haben einige kluge Menschen, die sich dem Lenin, verflucht sei sein Name, nicht unterworfen haben, einen Kampf gegen die despotische neue Regierung begonnen. Da kamen die Vertreter der Regierung Lenins, verflucht sei sein Name, zu den oberwähnten klugen Kämpfern und erklärten, daß die Regierung Lenins, verflucht sei sein Name, sich gut und gerecht verhalten werde; sie machte ihnen den Vorschlag, sich entweder zu unterwerfen oder auszuwandern. Die klugen Kämpfer folgten diesem Rat; sie unterwarfen sich teils der Regierung, teils gingen sie ins Ausland. Was uns betrifft, so haben auch wir uns, den Bitten der Bevölkerung entsprechend, ins Ausland zurückgezogen.

In der ersten Zeit hat die neue Regierung dem Volk die Freiheit gegeben, seine Religion frei auszuüben, und jeder konnte sich seiner Abstammung, seinem Vermögen und seinen Fähigkeiten entsprechend beschäftigen. Die neue Regierung verhielt sich anfangs gerecht und barmherzig, aber nach zwei bis drei Jahren begann sie ihre Untertanen wie folgt zu unterdrücken:

  1. Die Bolschewiken sind die Ursache, daß man im russischen Turkestan gegen die Ehre der Frauen auftrat, die Frauen entschleierte und so in Prostituierte verwandelte.
  2. Die neue Regierung hat mit Gewalt den Boden und das Wasser der rechtmäßigen Besitzer enteignet, hat viele Dechkane gezwungen, Baumwolle anzubauen und ihnen verboten, Korn anzubauen. Infolgedessen konnte man in verschiedenen Gebieten selbst für drei Rubel per Pfund kein Brot finden.
  3. Die Regierung drängte den Dechkanen zwangsweise die wertlosen eisernen Pflüge auf und ließ sich dafür 139 100 Rubel pro Pflug bezahlen. Noch teurer und wertloser sind die Traktoren.
  4. Die Regierung schickt auf die Bauernfelder Traktoren, die, wie sie euch verschweigt, in ausländischen Fabriken erzeugt wurden, und berechnet für die Beackerung eines batman (Flächenmaß) 40 Rubel; für dieses Geld kauft die Regierung dann bei ihren Untertanen zu billigen Preisen Pferde und Rinder für die Kooperativen.
  5. Wenn durch irgendeinen Zufall die Ernte schlecht ausfiel und der Dechkan den Plan nicht erfüllen konnte, so wurde er unter dem Vorwand, daß er zu wenig Baumwolle abgeliefert habe, mit Steuern bis zu 2000 Rubel belegt und mit einer Erntesteuer von 100 bis 1000 Pud; diese Steuern wurden zwangsweise eingetrieben.
  6. Die Regierung hebt nachfolgende Steuern ein: für die wechselseitige Hilfe, für die Rote Hilfe-Organisation, für Erziehungswesen, für Spitäler, Anleihen, Kooperativ-Steuern und endlich für den Waisenfonds.
  7. In der Zeit der früheren Zaren blühten die Märkte, und jeder Arme und Bedürftige konnte alles auf dem Basar in Gissar und Djuschambe finden, zahlte für die nötigen Waren 10 bis 15 Kopeken; und jetzt, seit die Unterdrücker am Regierungssteuer stehen, können die armen Dechkane nur dann Waren bekommen, wenn sie sich erniedrigen und beleidigen lassen, obwohl sie für einen Meter Stoff 80 Kopeken bezahlen müssen.
  8. Die Regierung will die Dechkane vom rechten Weg ablenken, indem sie sie in den sogenannten Kolchosen vereinigt, sie ohne Pferde und Rinder läßt und auf diese Weise in eine ausweglose Situation bringt.
  9. Zur Zeit ist die Regierung damit beschäftigt, mit Gewalt Gutshöfe zu enteignen, die ihren angesehensten Untertanen gehören, und diese Gutshöfe dann den Neuangesiedelten aus Fergana, Taschkent und Samarkand zu geben. In den nächsten Jahren beabsichtigt diese abtrünnige Regierung und ihre Partei, und hält es sogar für ihre Pflicht, euch in andere, weit entfernte Gebiete zu übersiedeln. 140
  10. Geehrte Brüder, ihr sollt auch erfahren, was euch in der Zukunft erwartet: die Regierung plant, die Moscheen und die Gebethäuser zu liquidieren, an ihrer Stelle Klubs und andere Schulen zu gründen, verstorbene Dechkane ohne religiöse Zeremonien zu bestatten oder sie gar zu verbrennen, die junge Generation im Geiste Lenins, verflucht sei sein Name, zu erziehen, und eure Frauen und Töchter auf die Straße zu schicken und sie zu Prostituierten zu machen; sie will die besten Produkte der Dechkane beschlagnahmen und den fremden Dechkanen geben; sie will alle religiösen Bücher an einer Stelle sammeln und verbrennen, und endlich alle diejenigen vernichten, die wagen, den Namen Gottes auszusprechen.
  11. Brüder, seid nicht fahrlässig! Denn eure Frauen, für die ihr Tausende von Rubeln oder Hunderte von Hammeln bezahlt habt, nimmt die Regierung und steckt sie in die Reihen der Komsomolzen (Jungkommunisten); dann zwingt sie euch, euren Frauen die Scheidung zu geben, und das Resultat ist, daß eure Frauen dann die Frauen der Fremdlinge werden. Die Prostitution unter den Frauen und Mädchen wird sich mehr und mehr ausbreiten.
  12. Diese verräterische und scheußliche Regierung nimmt den Untertanen das Recht, die Herren ihrer Frauen, ihres Eigentums zu sein; der SAGS (Standesamt) zwingt die Frauen der Dechkane, diejenigen Körperteile (Gesicht und Hände) zu entblößen, die vor fremden Männern zu zeigen vom Schariat auf das allerstrengste verboten ist. Diese teuflische Regierung hat die Bevölkerung aller Hochzeitsbräuche und anderer traditionellen Vergnügungen beraubt. Sie verbietet die Salbungen und die Ausübung der religiösen Sitten.

In Anbetracht des Fortschreitens der oben erwähnten Erscheinungen hat die Konferenz des Völkerbundes, die am 8. Februar 1928 in Berlin stattfand, und an der die Vertreter der Emigration des russischen Turkestan teilnahmen, und die Sitzung des Völkerbundes vom Dezember 1929, an der die Vertreter Amerikas, Frankreichs, 141 Japans, Deutschlands, Persiens, der Türkei, Italiens, Afghanistans, Polens teilnahmen, beschlossen, in Übereinstimmung mit den Angaben der Vertreter der Emigration des russischen Turkestan und endlich auf Grund der politischen Informationen, die von den Genossen Trotzki und Sinowjew im Jahre 1930 gegeben wurden, die Parteiregierung in Rußland und Buchara zu liquidieren und statt dessen eine monarchistische Regierung zu bilden. Gegenwärtig hat der Staatsbevollmächtigte seiner Hoheit Emir Olim Chan entschieden und uns kundgetan:

Wir sind bevollmächtigt von den obengenannten Staaten, an allen Grenzen Armeen im nötigen Ausmaß mit fliegenden Wagen und schießenden Waffen zu schaffen. Ihr aber, begebt euch auf das Territorium von Buchara und fordert die Rote Armee, die Miliz, die Arbeitertruppen und alle Untertanen ohne Ausnahme schriftlich auf, mit allen bei ihnen befindlichen Waffen uns zu helfen. Wisset, daß ich, wenn ich dorthin komme, im Namen Gottes und seines Propheten alle begnadigen werde, die zwar der Regierung der Bolschewiken gedient, aber es rechtzeitig bereut haben.

Unser Ziel ist völlig klar.

Unterdrückte Dechkane! Wir führen den Krieg im Namen eurer Befreiung von der Unterdrückung durch die Bolschewiken.

Stempel von Ibrahim Beg

Wir lesen diesen Appell zur Teilnahme am Bandenkrieg, darin angeführt ist, daß die Banden vom Völkerbund angeführt werden, womit sie selbst angeführt wurden und die Friedlichen anführen wollen. Im dreifachen Sinn des Wortes »anführen« ist hier die Tätigkeit des Völkerbunds dargetan. Und seine Gründungsidee, eine eigene Armee des Völkerbunds, hier ist sie verwirklicht: die Banden, die aus 142 dem Hinterhalt morden und den Aufbau eines Landes stören, nennen sich seine Truppe.

Gehn wir schlafen; das Verkaufslokal der Konsumgenossenschaft ist ausgeräumt und Teppiche sind auf den Boden gebreitet, darauf legen wir uns nieder, nahe beim Fenster wirft sich Chodschibajew aufs Lager. Fliegen, Flöhe und Völkerbund umschwirren uns. Dennoch schlafen wir ein.

Um halb ein Uhr nachts fahren wir empor, geweckt vom Knarren der Tür und einem Lichtschein. Zwei schwerbewaffnete Männer treten auf Abdurachim Chodschibajew zu. Wir greifen nach dem Revolver . . .

Die beiden wecken Chodschibajew und flüstern ihm etwas ins Ohr. Er springt auf. Stellt eine Frage. Sie reichen ihm einen Zettel.

»Auf! Auf!« ruft er, »aufstehen. Ibrahim Beg ist gefangen!«

Wir lesen die Meldung:

Lokai-Tadschikischer Bezirk

Meldung

(Kopie an das Bezirkskomitee der Partei)

Am 23. 6. d. J. um 12 Uhr wurde von uns Ibrahim Beg und Sahib Kommandir sowie ein Dschigit gefangengenommen. In der Gegend rings um die Dörfer Ischkabad, Chodscha-Bulj-Bulon und Ak-Turpak erschien Ibrahim Beg mit diesen beiden Begleitern zu Fuß. Sie waren bewaffnet mit Gewehren, mit elf Patronen, einer Mauserpistole und einem Nagan (Revolver) und einem Browning. In Issanbey hat sich der Bandenführer Babandschan ergeben; ein Mauser wurde ihm abgenommen. Zur gegenwärtigen Stunde befinden sich alle gefangenen 143 Bassmatschen unter der Aufsicht des Genossen Waleschew. Die Mauserpistole Ibrahim Begs befindet sich bei mir, ich habe sie noch niemandem abgegeben.

Kommandir der Freiwilligenabteilung:

Mukkum Sultanow

Am Morgen kommt ein Auto mit drei Männern, zwei eskortieren den Stabschef Ibrahim Begs, Sahib Kommandir. Er ist ungefesselt und springt aus dem Auto. Die Dörfler schreien ihm Flüche zu, aber er geht schweigend vorbei. Wahrhaftig, er sieht aus wie ein Räuberhauptmann aus dem Bilderbuch, riesenhafter Wuchs, muskulös, langer schwarzer Bart, schwarzes Gewand und hohe Stiefel. Man sieht geradezu den fehlenden Waffengurt mit Terzerol und Stilett.

Die Waffen sind ihm abgenommen worden, ihm und seinem gefangenen Führer Ibrahim Beg, den man im Aeroplan nach Stalinabad gebracht hat.

Das Flugzeug, das gestern in dem Augenblick am Himmel erschien, da es beschworen ward, trug den gefangenen »Adler« . . .! Die Kurve zu unseren Häupten sollte aussagen, wer der Fahrgast sei. Aber wer konnte das dem Zeichen entnehmen, wer hätte das zu ahnen gewagt?

Ibrahims Pistole (»Waffenfabrik Mauser, Oberndorf«) Nr. 22.802 trägt in einem hölzernen Futteral der Rotarmist Gutfeld im Gürtel. Der Rotarmist Gutfeld spricht usbekisch mit dem Gefangenen Sahib Kommandir, tadschikisch mit Abdurachim Chodschibajew, er kennt alle mittelasiatischen Sprachen, ist ein Deutscher aus Wolsk und bittet uns, seine Schwester zu grüßen, Olga Radmann, Berlin, Warschauerstraße 55. Sie hat in Rußland einen deutschen 144 Kriegsgefangenen, Paul Radmann, geheiratet, der in Berlin 1922 als Kommunist erschossen wurde. »Es muß gefährlich sein in Berlin,« sagt Gutfeld, der heute zwischen dem Berg Barbatak und dem Ufer des Kafirnigan seinen sechshundertsten Banditen gefangennahm, den Häuptling aller, Ibrahim Beg. 145

 


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