Wolfgang Kirchbach
Der Leiermann von Berlin
Wolfgang Kirchbach

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Zweites Kapitel.

Die wiederholte Betonung, welche Frau Laura in die Behauptung des Umstandes gelegt hatte, daß im Grunde sie die Besitzerin des gemeinsamen Hausstandes sei, hatte einen tiefen Stachel in dem Herzen des Oberlehrers hinterlassen. Laura bemerkte, daß er sich seit einigen Tagen in seinem Arbeitszimmer einschloß, wenn er aus der Schule kam, und auch des Nachts auf einmal lange aufblieb.

Sie benutzte daher seine Abwesenheit, um sich zu überzeugen, was er eigentlich trieb. Sie fand gelehrte Litteraturwerke um seinen Schreibtisch aufgestapelt und einzelne Papierblätter ganz mit Notizen bedeckt. Auch ein angefangenes Manuskript, betitelt: »Die Frau in der Litteratur. Vortrag.«

Sie versuchte zu lesen. Aber es war ziemlich schwer, weiter zu kommen, denn fast jedes dritte Wort war ausgestrichen und durch ein anderes ersetzt, das auch wiederum durchgestrichen war. Dann war gleich der ganze, erste Satz überhaupt gelöscht und der Vortrag begann mit einer anderen Einkleidung des Gedankens. Auch dieser Satz war durchstrichen, aber durch einen ganzen Sternenhimmel von Punkten in roter Tinte als wiederhergestellt zu erachten.

Es war äußerst schwer, unter diesen Umständen auch nur den Zusammenhang der ersten Sätze zu 274 finden, aber Lauras Wangen röteten sich doch aufgeregt dabei. Er begann also doch sich seines höheren Berufes zu erinnern. Er arbeitete an einem Vortrage. Und das Thema war gewiß verheißungsvoll. Die Frau in der Litteratur! Sie durchblätterte die ersten Seiten, die freilich meistens aus lauter blauen Strichen und dazwischen leuchtenden roten Tintenpunkten bestanden. Auch waren die Seiten meistens umnumeriert, was erst Seite sieben betitelt war, trug jetzt eine sechs und eine Seite war fast unkenntlich durch einen großen Flecken schwarzer Tinte, der von einer Anzahl von anderen, kleineren Flecken umgeben war, nicht unähnlich einer Muttersau, die von ihrem Wurf umgeben ist.

Laura erhob sich sehr aufgeregt. Die Gründlichkeit, mit der augenscheinlich ihr Gatte arbeitete, versprach vieles von diesem Vortrage. Wenn sie gewußt hatte, wo er gehalten werden würde! Aber sicher mußte er Aufsehen erregen. Man würde ihren Mann auffordern, ihn drucken zu lassen. Die Zeitungen würden darüber schreiben. Er würde berühmt werden.

Sie überlegte sich sogleich, daß sie eine große Gesellschaft geben müsse, wo bedeutende Leute der Presse und Litteratur eingeladen würden und wo man schon vorher das Gespräch auf die litterarische Tätigkeit ihres Mannes bringen könne. Sie berechnete im Augenblicke, daß das aber weitere Folgen haben würde, und daß daher ihr Vater ein übriges tun müsse. 275

Sie klingelte dem Dienstmädchen, machte sich zum Ausgehen fertig, steckte den Vortrag des Mannes, soweit er beisammen war, in ihre Kleidertasche und eilte zur Vorortbahn. Aufgeregt saß sie in ihrem Wagenabteil neben zwei anderen Damen, die mit ihren Einkaufstäschchen zur Stadt fuhren. Nach einer viertel Stunde war sie in Berlin, sprang in eine Droschke und fuhr zu ihrem verwitweten Vater ins Geschäft.

Und als der gütige Alte seine blonde Tochter empfing, wickelte sie mit einer gewissen Feierlichkeit das Vortragsmanuskript aus ihrer Tasche. Sie hatte zwar nur wenige Zeilen entziffert, aber sie pries mit solchem Sachverständnis und solchem fiebernden Ehrgeiz das unvollendete Werk, daß sie nach kurzem mit strahlendem Gesicht das väterliche Haus wieder verlassen konnte. Denn der gute Vater hatte alles bewilligt, was die Tochter finanziell für nötig hielt, um durch Gesellschaften den beginnenden Ruhm des Oberlehrers zu heben und zu fördern.

Die Droschke wurde wieder bestiegen, der Zehnminutenzug gerade erreicht und nicht ein und eine halbe Stunde war vergangen, so stand Laura wieder im Arbeitszimmer ihres Mannes, legte das Manuskript an seinen Platz, als wäre nichts geschehen, und bestellte bei der blonden Elise für das Mittagsgericht Hamburger Kücken, zum Nachtisch Windbeutel mit Schlagsahne und aus dem Keller eine 276 Flasche vom besten Rheinwein. Denn das waren Alfreds Lieblingsgenüsse.

Als der Oberlehrer aus der Schule nach Hause kam, war er fast verwundert, wie feurig seine Frau ihn küßte. Denn sie hatte ihn in der Haustür erwartet und mit zwei Schülerinnen bis zum Gartentore kommen sehen. Die kleinen Mädchen hatten sich mit einem zierlichen Knix verabschiedet von ihrem Lehrer, und kaum betrat dieser seinen Hausflur, so fühlte er sich feurig von dem großen, blonden Wesen umschlungen, welches seine Frau war. Er fühlte in diesem Augenblicke, daß er etwas an sich haben müsse, was ihn bei dem weiblichen Geschlecht sehr beliebt machte.

Das erfuhr er auch bei Tische. Laura verriet zwar kein Wort, daß sie von seiner stillen ruhmwürdigen Tätigkeit wußte. Aber um so eifriger legte sie ihm die saftigen Hamburger Kücken vor und schien es vollständig darauf anzulegen, ihn zu mästen mit Schlagsahne und guten Bissen sonstiger Art. Er ließ sich das recht gern gefallen, zumal Laura alle ihre Grillen plötzlich abgetan zu haben schien.

Als er nach einer behaglichen Mittagssiesta erklärte, er habe noch etwas in seinem Schreibzimmer zu arbeiten, begleitete ihn Laura selbst bis an die Tür dieses Gemachs und zog sich dann achtungsvoll zurück. Aber es dauerte nicht lange, so klopfte es an der Tür und Laura trat leise ein, setzte eine Kiste mit dicken, großen Zigarren in rotgoldigen 277 Strumpfbändern à eine Mark an die Stelle der alten Zigarrenkiste und da er Kaffee wünschte, sah er sehr bald eine kostbare Meißner Tasse, die noch nie in Gebrauch gewesen war, mit einem äußerst würzigen Kaffee auf seinem Schreibtisch stehen.

Dann aber zog Laura sich zurück und der Elise wurde strengster Befehl erteilt, jede Störung des schaffenden Eheherrn zu verhindern. Besuch sollte zuerst der Hausfrau gemeldet werden, damit sie entscheide, ob er empfangen werden könnte.

Unterdessen zündete Alfred sich seine köstliche Havannah an, lehnte sich im Schreibstuhle zurück und rauchte. Er blies den bläulichen Dampf von sich und dachte an seine Mädchenklasse. Das Röschen, das Linchen, das Gretchen und Gustchen erschienen seinem freundlich-väterlichen Nachdenken. Die kleine, schwarze Hummel, die Anna, die zimperliche Friederike und die gescheite Lisbet mit der großen Stirn und den braunen Locken, die ihn so oft durch ihre klugen Fragen verblüffte. Die Anna hatte die Angewohnheit, beim Antwortgeben immer die rechte Achsel in die Höhe zu ziehen. Er sann nach, wie er ihr das wohl am launigsten und einfachsten abgewöhnen könnte. Und als ihm einfiel, daß er das junge Blut am besten kurieren würde, wenn er sie jedesmal ermahnte, lieber die linke Achsel in die Höhe zu ziehen und immer nur sagte: »Anna, die falsche Achsel!« tat er einen ganz tiefen behaglichen Zug an der Havannah. Die Lisbet schien ihm etwas frühreif; er sann nach, wie er diesem 278 Kinde die Unschuld des Herzens sichern könnte gegenüber den Verfolgungen, die sie auf dem Heimwege schon oft von den jungen Gymnasiasten zu erdulden hatte. Er nahm sich vor, nächstens einmal einen von diesen vorwitzigen Burschen abzufassen und die Lisbet dadurch sicher zu stellen, daß er sie – neben anderen Ermahnungen – als ein äußerst gescheites Mädchen schildern wollte, das an Wissen und Gelehrsamkeit den Herren Sekundanern weit überlegen sei und nächstens die Anfangsgründe des Griechischen lernen werde. Hiervon versprach er sich den Effekt, daß diese sie als einen »Blaustrumpf« sehr bald meiden und unbehelligt lassen würden.

Er war sehr erfinderisch in solchen Erziehermaßnahmen und fühlte sich äußerst glücklich in dieser Tätigkeit. Denn jedes Mädchen war ihm wie ein Gedicht, das er in gute Reime zu bringen berufen war; im stillen verglich er sich oft mit einem Bildhauer, der lauter schöne, gemeißelte Marmorfigürchen aus seiner Werkstatt hervorgehen läßt. Auch verglich er seine Mädchenklassen gern mit einem Glasschrank, in dem er allerhand Porzellanenes und Majolikafigürchen aufbewahrte in bunten Flügelkleidern, deren Staubwedelung und sonstige Unzerbrochenheit seiner Fürsorge anvertraut war. Und mit einem neuen Raucherzuge freute er sich schon auf den nächsten Tag, wo er den Schulgarten betreten würde und sich sogleich fünf, sechs von diesen zukünftigen Jungfrauen, Bräuten, 279 Müttern an seine Arme hängen würden. Denn er konnte die Schule nicht betreten, ohne daß die kleinen Mädchen sich an ihn hingen, während die großen sich um ihn versammelten und ihn beglückt ansahen und begrüßten. Davon, daß die Selektanerinnen heimlich Liebesgedichte auf ihn schmiedeten und sich dieselben errötend zusteckten, ahnte er nicht einmal etwas.

Mehr als eine Stunde hatte er schon den Gedanken an seine Schutzbefohlenen nachgehangen. Die Zigarre hatte vorzüglich geschmeckt. – Mit einem Seufzer wendete er sich jetzt seinem Manuskripte zu. Der leidige Vortrag! Und doch wollte er sich nicht sagen lassen von seiner Frau, daß sein Horizont nicht weiter ginge, als bis zur Verhütung von Backfischunarten und zur Heranbildung neuer Berlinerinnen zu den vielen schon vorhandenen.

Man sah ihn nun viele Bücher aufwälzen und wieder zuklappen, eine halbe Stunde lesen, dann drei Worte schreiben. Dann wurde schnell aufgesprungen, wieder eine halbe Stunde gelesen aus einem Buche, das ganz hinten in der Bibliothek gesteckt hatte. Und darauf wurden die jüngst geschriebenen Worte wieder ausgestrichen. Eine neue Zigarre wurde angezündet, aber die Frau in der Litteratur kam nicht vorwärts.

Abends schlüpfte Frau Laura verstohlen ins Schreibgemach und schielte auf das Manuskript und da sie so wenig dazu geschrieben fand, schloß sie 280 auf ganz besonders umfassende Vorstudien ihres Mannes, der nun täglich mit besonderen Leckerbissen bewirtet wurde und eine Pflege genoß, die sichtlich eine gewisse Wohlgenährtheit an ihm bewirkte.

Etwa vierzehn Tage später war große Gesellschaft. Der Frühling stand in voller Blüte, in den Obstgärten war alles weiß von blühenden Kirschen, auf der Eisenbahn fuhren in dichtgefüllten Zügen Tausende von Menschen nach Werder zur Baumblüte, und in Lauras Garten war eine fröhliche Gesellschaft von Schriftstellern, Künstlern und sonst namhaften Leuten mit ihren Damen versammelt, die sich an Maitrank labten, viel lachten und scherzten und recht gut unterhielten. Mit Hilfe einiger verheirateten Schulfreundinnen und deren Beziehungen war es gelungen, aus den Villen der umliegenden Nachbarschaft mehrere Philosophen, Romanschreiber, einen Possenfabrikanten, Bildhauer zu versammeln. Auch ein Kadettenkorpsprofessor von Lichterfelde und ein Offizier von dieser Anstalt, sowie zwei Vorstände von Berliner litterarischen Vereinen waren erschienen.

Und kaum waren die Gäste nur einigermaßen warm geworden, so wurde durch Frau Laura und zwei sehr resolute Freundinnen das Gerücht verbreitet, daß der Herr des Hauses in seinen Mußestunden auch litterarisch tätig sei, vorzügliche Übersetzungen aus den nordischen Schriftstellern liefere und nächstens Beziehungen mit Ibsen und 281 Björnson anknüpfen werde. Auch sei er selbst ein bedeutender Dichter, der nur bisher verschmäht habe, an die Öffentlichkeit zu treten, gegenwärtig arbeite er indessen an einem wissenschaftlichen Vortrage, der jedenfalls sehr viel Aufsehen machen werde.

Dies Gerücht pflanzte sich sehr bald im Garten von einer Gesellschaftsgruppe bis zur anderen fort und so war es nicht verwunderlich, daß sehr bald Herr Doktor Lehmann, zur Zeit Vorstand des litterarischen Vereins »Pallas«, sich der Hausfrau näherte mit der Anfrage, ob es nicht möglich sein würde, daß dieser Vortrag in seinem Verein zu Gehör käme. Sein Verein sei nicht zu verwechseln mit dem anderen Verein »Alt-Pallas«, aus dem derjenige sich abgesondert habe, den zu vertreten er die Ehre besitze. Auch sei er nicht mit dem Verein »Urania« zu verwechseln. Laura erfuhr, daß es mindestens noch sechs bis sieben andere solche Vereine litterarischer Art gab in ihrem geliebten Berlin, wovon immer der eine erst wieder aus einem anderen entstanden war durch Austritt verschiedener Mitglieder. Doktor Lehmann versicherte, daß sein Verein am meisten die geistige Aristokratie der Reichshauptstadt vertrete, alle namhaften Berliner Schriftsteller hatten schon da gesprochen, und wenn jener Verein allerdings vierhundert Mitglieder zähle, so seien sie dafür immerhin hundertfünfzig aus den besten Kreisen, und einen Eintritt Frau Lauras mit ihrem Gemahl in diesen Verein würde 282 er sich zu einer ganz besonders schätzenswerten Bereicherung rechnen.

Sehr aufgeregt hatte Laura diese Eröffnungen angehört, da war ja mit einem Schlage die Rennbahn zum Ruhme ihres Mannes eröffnet.

Wenn er erst hier Erfolg und Anerkennung fand, so müßte sich ihm ja bald auch die ganze andere Welt auftun. Sie entgegnete also dem Vorsitzenden, daß ihr Mann selbstverständlich seinen Vortrag in seinem litterarischen Verein halten werde. Gleichzeitig meldete sie sich zum Eintritt mit ihrem Manne an.

Herr Alfred war sehr erstaunt und verlegen, als der Vorstand mit seiner Frau ihm die Eröffnung machte, man rechne in vierzehn Tagen darauf, seinen Vortrag in der »Pallas« zu hören. Indessen fühlte er sich doch einigermaßen geschmeichelt, daß man ihm so ganz von selbst entgegenkam. Demgemäß wurde zugesagt, und als die Gäste sich verabschiedet hatten und die Gatten allein waren, setzte sich Laura zärtlich auf den Schoß ihres Mannes, fuhr ihm mit ihren Fingern liebkosend über die Stirn und in die Haare, nannte ihn ihre geistvolle »Männe« und versprach ihm für den nächsten Mittag einen feingebratenen Kapaun.

Die Folge war, daß Alfred in den nächsten Tagen äußerst fleißig an seinem Vortrage schrieb. Da aber allzu vieles ausgestrichen und das Manuskript äußerst unhandlich war, so bot sich Laura von selbst an, ob sie ihm nicht zum Abschreiben behilflich sein 283 könnte. Denn sie hatte schon erfahren, daß viele von den Schriftstellerfrauen ihre Männer durch Abschreiben unterstützten. Mit einem gewissen Stolz saß sie nun selbst an ihrem Damenschreibtische und ließ die Feder über das Papier fahren, um den ersten Teil der Ansichten ihres Mannes über die Frau in der Litteratur zu vervielfältigen. Sie hatte hierbei schon selbst ein Gefühl, als wäre sie eine berühmte Litteraturprofessorin und sie schrieb kein Wort ab, ohne sich die Wirkung zu vergegenwärtigen, die es unter den Zuhörern tun mußte.

Eines Abends, als ihre Abschrift fertig war, las sie das Bruchstück ihrem Manne vor. Alfred machte ein immer nachdenklicheres Gesicht, blickte immer gedrückter drein, und als sie fertig war, sprang er auf und rief verzweifelt: »Unmöglich! Unmöglich! Ich kann doch nicht solchen Unsinn geschrieben haben! Da fehlen ja alle Mittelglieder!«

»Aber ich habe ganz genau abgeschrieben! Es ist nicht ein Wort ausgelassen.«

»Es liegt an mir! Nur an mir!« rief er bekümmert. »Aber so ist der Vortrag nicht zu gebrauchen! Wenn man das so vorgelesen hört, da sieht man ja erst, daß das alles nicht Hand und Fuß hat! Ich muß wieder ganz von vorn anfangen, alles umarbeiten! Denn bedenke, was auf dem Spiele steht!«

Er ging aufgeregt im Zimmer auf und ab, nahm beide Handschriften zur Hand, verglich sie und 284 plötzlich flogen beide Arbeiten in den Ofen. Laura stieß einen leisen Schrei aus.

»Aber Alfred, am Samstag sollst du ja sprechen! Wenn du noch einmal anfängst, wirst du doch unmöglich fertig!«

»Aber wenn es sein muß!« rief Alfred mit einem Verzweiflungsblicke.

Ungeduldig, fast innerlich verbrennend vor Sorge und Ehrgeiz, sah Laura den Samstag herannahen. Alfred arbeitete wie ein Verzweifelter, aber je mehr er Bücher wälzte und ganze Berge von Frauenromanen und lyrischen Gedichten berühmter Schriftstellerinnen verschlang, um so mehr strich er wieder fast jede Zeile aus, die er geschrieben hatte. Dabei klagte er abends seiner Frau, daß keiner seiner Sätze stimme, alles, was er über den Charakter der Frau und ihres Schaffens sage, das sei immer nur im besonderen Falle richtig, aber jedes neue Werk, das er daraufhin durchblättere, stelle es wieder in Frage. »Rein gar nichts Bestimmtes und Allgemeines kann man über die Frauenlitteratur sagen und ich verstehe mich doch so gut auf meine Schulmädels!« klagte er.

Am Tage vor der Vorstellung stellte sich heraus, daß man einfach absagen mußte; der Vortrag war in der neuen Gestalt noch nicht halb fertig. Laura mußte, da sie die Sache doch einmal in die Hand genommen hatte, an den Vorstand des Vereins schreiben und um Verschiebung des Vortrags für die nächste Sitzung bitten. Als sie aber am Abend 285 allein in ihrem Bette lag, während Alfred noch in die Nacht hinein arbeitete, weinte sie wütend im stillen, biß sich in die Lippen und warf sich schlaflos und aufgeregt hin und her.

In den nächsten Tagen saß sie fast fortwährend im Arbeitszimmer ihres Mannes, trieb und suchte ihn zu ermutigen, wenn er verzagen wollte. Und endlich wurde der Vortrag wirklich fertig und nun war es an ihr, mit fieberndem Herzen ihn im ganzen abzuschreiben und in deutlichen, schönen Buchstaben den Vorgeschmack des Ruhmes ihres Mannes durchzukosten.

Endlich erschien der große Abend. Laura hatte sich eine neue Toilette machen lassen, einfach im Schnitt, aber kostbar an Stoff. Sie war auf der Leipziger Straße in Berlin gewesen und hatte eine ganze Auswahl von feinen, seidenen Halsbinden für ihren Mann in einem der großen, prächtigen Herrengeschäfte ausgesucht. Da er vielleicht beim Reden etwas transpirieren würde, denn die warme Zeit war herangerückt, so kaufte sie auch noch ein besonders feines, seidenes Taschentuch, indem sie überlegte, daß es einen guten Effekt machen würde, wenn er beim Reden oder Husten es einmal aus der Tasche ziehen würde. Ferner ein Paar neue Manschettenknöpfe mit guten Steinen darin. Denn falls er einmal die Hand mit einer Geberde der Begeisterung erheben sollte, so mußte ein solcher blitzender Manschettenknopf auf die Damen auch mitwirken. Und daß man durch die Frauen vor 286 allem emporkommen müsse in Berlin, das war ihr schon längst eine geläufige Vorstellung aus vielen anderen Erfahrungen.

Alfred ließ alles willenlos über sich ergehen. Er war selbst ziemlich aufgeregt, litt wiederholt an Lampenfieber und lernte ununterbrochen an seinem Vortrage, um beim Lesen nicht ins Stocken zu geraten, und recht frei heraussprechen zu können. Und so nahm er Lauras Geschenke und die ganze neue Ausstaffierung ziemlich gedankenlos hin. Am Vortragsabend war er herausgeputzt, er wußte nicht wie. Laura selbst hatte ihm die seidene Binde um den Kragen gelegt und die Manschettenknöpfe eingeschoben in die Wäsche.

Und bei eindämmernder Dunkelheit ging's dann mit der Eisenbahn nach Berlin und mit Taxameterdroschke nach dem Vortragssaale, der bequem, nicht weit vom Potsdamer Tor, lag. Laura fühlte sich fast geblendet, als sie den elektrisch beleuchteten Vortragssaal betrat. Da waren sicher zwischen dreihundert und vierhundert Personen, die an einzelnen Tischen, Tafeln, in Saalnischen eng gedrängt saßen. Lauter Frauen, die jungen Mädchen zum Teil in Tanzkleidern. Wie eine Oase in der Wüste wurde auch da und dort zwischen lauter Frauenröcken ein Mann sichtbar. Vorn beim Rednerpodium waren die Stühle eng bis gegen das Pult gedrängt; es machte den Eindruck eines Biwaks von Frauen, so lagerten die Röcke dicht nebeneinander, man vermißte nur noch die Beiwachtfeuer dazwischen. Es 287 war nur sehr schwer, zwischen all diesen Rockzipfeln und lockigen Blond- und Schwarzköpfen weg bis in die Nähe des Sprecherplatzes zu gelangen. Laut und aufgeregt, tischauf, tischab gingen die Gespräche der Frauen, wahre, breite Kommandeurstimmen hörte man darunter, dazwischen gleichmäßig schnurrende Uhrradstimmchen – in der Hauptsache aber allgemein den Brustton weiblicher Überzeugung.

Nachdem man den Vorsitzenden begrüßt hatte, errang das Vortragsehepaar einen Seitenplatz in einer Ecke, von dem aus Laura den ganzen Saal und die Gesichter der Damen in langen Reihen vor sich hatte. Zu ihrem Befremden bemerkte sie auf dem Programm, daß der Vortrag ihres Mannes nicht den Abend eröffnete, sondern daß ein Dichter, eine berühmte Deklamatorin und dann auch noch eine Konzertsängerin den Vorrang vor Alfred Stern hatten. Laut klopfte ihr Herz; es war ihr bald kühl, bald schwül. Alfred indessen schien gar keine Angst zu haben. Er beobachtete seine Zuhörerinnen und studierte ihre Gesichter, um zu enträtseln, welchen Ständen sie etwa angehören mochten. Es war allerlei, Lehrerinnen, Gesang- und Klavierlehrerinnen, Offiziersfrauen, Beamtentöchter, Professorenfrauen, Malerinnen, Künstlerfrauen, verheimlichte Schriftstellerinnen und tanzhungrige Backfische. Die Klingel des Präsidenten erschallte. Alfred schrak etwas aus seinen Beobachtungen auf. Laura ging es siedend übers 288 Herz, sie warf ihrem Mann einen verstohlenen Blick zu, um sich zu überzeugen, daß er vorbereitet war. Alfred aber saß ganz gelassen da; er hatte vollständig seine Ruhe; er kam sich wie in seiner Mädchenschule vor, zumal er sah, daß sehr viele alte Mädchen an den langen Tischen saßen und die meisten etwas überlesene, geschwächte Augen hatten. Selbst sehr alte Damen setzten sich wie Schülerinnen in der Lernklasse am Tische zurecht. Alfred hatte ein Gefühl, ganz unter Mädchen zu sein, und damit eben seine Ruhe gewonnen. Und als Laura diese Ruhe auf seinem Gesichte las, fühlte sie, daß er sicher einen Erfolg haben werde.

Zuerst betrat der Dichter die Tribüne. Er sprach lyrische Gedichte mit viel Verständnis und Ausdruck. Die Gedichte bedienten sich eines starken, nicht immer verständlichen Bilderreichtums. Aber der Dichter hatte einen Fehler. Er schien aus Hamburg zu stammen, denn er sprach das »St« in »Stein« und Stumpf und Stiel nicht als »Scht«, sondern lispelte es, sodaß der Stumpf und Stiel ein ganz zarter Stumpf und der Stiel der wahre Veilchenstengel wurde. Und da er eine besondere Vorliebe für Stabreime auf »St« zu haben schien, so ächzten die stämmigsten Steineichen im Sturme, als wären es säuselnde Rispengräser. Laura bemerkte, wie sehr viele Damen ihre Gesichter erhoben und sich etwas starr mit gehobenen Nasen ansahen. Der Dichter erntete nur matten Beifall. 289 Laura atmete auf. Diese Konkurrenz konnte nicht schaden.

Darauf bestieg die Konzertsängerin das Podium, nicht ohne die übliche tiefe Verbeugung. Eine andere Dame, die sehr lange Finger hatte und stark kurzsichtig war, sodaß sie ihre Nase fast auf den Noten spazieren gehen ließ, übernahm die Begleitung am Pianino. Sowohl Alfred wie Laura waren musikalisch gut gebildet und sie fuhren daher leise in sich zusammen, als die ersten Töne des Instrumentes erklangen. Es war so stark verstimmt, daß alle Töne von ihrer Höhe ein ganzes Stück heruntergerutscht schienen, wobei die Saiten noch allerhand schwirrende Nebengeräusche verübten. Die Konzertsängerin sang Lieder von Schumann, Schubert. In der Mittellage klang die Stimme recht hübsch. Aber wenn sie in die Höhe kletterte, ging ihr oben immer der Atem aus und jeder Ton klang wie entferntes Hilfegeschrei einer unbescholtenen Frau, die im Walde von Räubern überfallen wird. Da die Sängerin, die sehr schön war, gerade vorn im Munde eine Zahnlücke hatte, so pfiff sie manchmal einzelne Silben wie verirrte Mäuschen heraus. Als sie aber fertig war, verbeugte sie sich so anmutig und so selbstzufrieden über ihren Gesang, daß ein frenetisches Handeklatschen sämtlicher Damen erfolgte und sie sich nun wirklich für eine Konzertsängerin hielt, obwohl sie dies nur der Form halber aufs Programm gesetzt hatte. Denn in Wirklichkeit hatte sie 290 bisher nur zu Hause bei ihrer Gesanglehrerin Stunde gehabt. Diese war aber auch erschienen und als die Sängerin wieder vom Podium herab war, hörte Laura in ihrer Nähe ganz laut die Vortrefflichkeit ihrer Gesangsmethode durch die Gesangsmeisterin selbst gepriesen.

Nun kam Frau Hofschauspielerin Stieber-Hesse an die Reihe. Laura war sehr besorgt, daß eine solche Rednerin von Fach ihren Mann gänzlich in Schatten stellen würde. Man wußte zwar nicht, wo sie Hofschauspielerin gewesen war, aber sicher war sie bei der Bühne gewesen. Man hörte Städtenamen wie Liegnitz und Wendisch-Dobra.

Als die Künstlerin das Podium betrat, ächzte dieses dumpf und heimlich in allen Fugen. Frau Hofschauspieler Hesse war sehr groß und schwer. Man sah, daß sie ganz gelbe Haare hatte, da aber hinten im Nacken einige schwarze und weiße Schattierungen sich zeigten, konnte man nicht gut an der Ursache dieser außerordentlich jugendlichen Blondheit zweifeln. Die berühmte Künstlerin wollte augenscheinlich nicht nur einige Gedichte, sondern auch sich selbst vortragen, denn ihr Busen offenbarte das bei ihrer Verbeugung.

Und sie sprach. Da ihr Unterpanzer über dem Leib etwas herausstand, so bildete sich über den Füßen eine emporgezogene Rockwackelfalte, die jedes Zeichen der oberen Begeisterung mit einer entsprechenden, gehobenen Stimmung des Rockes begleitete. Die sorgfältig geschminkten Formen 291 verhehlten doch nicht ein bereits großmütterliches Alter. Sie öffnete den Mund und da sie etwas vorstehende Augen hatte, so traten diese krebsartig hervor, wenn sie einer düsteren Balladenstimmung mimischen Ausdruck zu geben suchte. Die Stimme war rauh, aber man fühlte, daß die Künstlerin diese Rauheit innerlich als Größe ihrer geistigen Person empfand. Laura mußte in ihren Schoß sehen. Die meisten Damen sahen gleichfalls starr in ihren Schoß. Oben auf dem Podium donnerte und wetterte es, dann wieder flüsterte es, daß die elektrischen Lampen, die nicht in Ordnung waren, beinahe auszugehen schienen vor Rührung. Plötzlich zuckten alle elektrischen Lampen rasselnd in die Höhe, das Podium dröhnte dumpf, ein Wolterschrei, markerschütternd, fuhr an die Decke und ein elektrisches Zittern in den Lampenlichtern ging wie ein Entsetzensschauer durch den Saal. Viele Damen hielten ihre Schnupftücher vor die Augen, als weinten sie; aber kein Gesicht konnte den Lachkrampf verzwicken, der aus dem Gesicht vertrieben bis in die großen Fußzehen sich hinunterrettete.

Ein wahrer Beifallssturm durchbrauste den Saal, denn zuletzt hatte die große Künstlerin etwas Komisches zum besten gegeben. Sie mochte wohl früher komische Alte recht hübsch gespielt haben, aber jetzt war sie selbst nur noch komisch. Man machte sich Luft durch ungeheures Klatschen. Die Künstlerin mußte wiederholt auf dem Podium erscheinen.

Laura hatte wie auf Kohlen gesessen. Sie hatte 292 bemerkt, wie der Vorsitzende mit einem dumpfen Angstausdruck immer auf die Uhr geblickt hatte. Sie selbst sah, daß die Zeit schon weit vorgeschritten war, denn die große Tragödin hatte nur sehr lange Dichtungen vorgetragen. Aus den Gesprächen ergab sich, daß sie, erst seit kurzem in Berlin, eine große Schauspielerschule ins Leben rufen wollte, um Damen und Herren im höheren Vortrag zu unterrichten.

Es wurde eine Pause gemacht. Der Vorsitzende näherte sich Laura, indem er sehr höflich fragte, wie lang etwa der Vortrag ihres Herrn Gemahls ausfallen würde. Ihr war es, als ob sich ein Alb auf ihre Brust legte. »Man tanzt nämlich noch,« setzte der Vorsitzende verlegen hinzu.

Laura wußte, daß der Vortrag mindestens für eine Stunde berechnet war. Aber sie nahm sich innerlich zusammen und sagte: O, höchstens zwanzig Minuten. Sie dachte, wenn er nur erst redet, so wird er schon alle so hinreißen, daß sie an gar keine Zeit mehr denken.

»Das ist gerade die rechte Länge, zwanzig Minuten,« meinte der Vorsitzende beruhigt.

Alle Damen und die spärlich vorhandenen Herren hatten sich wieder gesetzt. Der Vorsitzende mußte dreimal klingeln, ehe sich allmählich das Gerede beruhigte. Alfred stand, ein wenig erbleicht, hinter dem Rednerpult. Auch Laura erbleichte vor Aufregung. 293

Alfred suchte in seiner Rocktasche und zog ein Manuskript hervor. Laura sah, wie er fast erstarrt und unruhig die Blätter betrachtete und dann verlegen noch einmal in allen Taschen suchte. Dann zuckte er resigniert mit den Achseln. Sie sah von unten, daß lauter, rote Punkte und schwarze Striche auf dem Blatte waren. Er hatte also das falsche erwischt und ihre saubere Abschrift vergessen. Wenn er sich nun nicht zurechtfand. Ihr war es, als schwämmen lauter rote Punkte und schwarze Striche vor ihren Augen.

Alfred mußte erst eine Weile blättern, ehe er den Anfang fand, dann aber legte er los.

Anfangs war alles mäuschenstill. Zu reden war er ja gewöhnt schon von seiner Mädchenklasse. Nur schien er etwas zu leise zu sprechen, denn Laura sah, wie hinten im Saale die Leute die Hände an die Ohren legten. Sie sah, wie diese dort nach einer Weile ermüdeten, die Hände allmählich von den Ohren entsagungsvoll herabglitten und verschiedene Personen mit den Achseln zuckend und wie gelangweilt sich zurücklehnten. Die verstanden also nichts. Lauter, lauter! hätte sie ihrem Manne zurufen mögen. Aber wie konnte sie, eine Frau, das wagen.

Sie verstand kein Wort von dem, was ihr Mann sagte. Manchmal schien er Beifall zu finden, vorn lachte man sogar einmal. Mit Verzweiflung aber sah Laura, daß der Vorsitzende nach zwanzig Minuten wiederholt seine Uhr hervorzog. Allmählich 294 fühlte sie seine Blicke vorwurfsvoll auf sich gerichtet. Sie blickte weg und sah zwei junge Mädchen ganz in ihrer Nähe immer ihre Füße mit den Tanzschuhen abwechselnd übereinanderlegen. Bald lag der rechte Fuß oben, bald der linke. Einmal scharrte die eine sogar leise mit dem Fuß auf dem Boden hin und her wie ein junges, ungeduldiges Füllen. Am liebsten hätte sie ihr auf den Fuß getreten. Dann seufzte die eine. Die andere ließ die Augendeckel über ihre braunen Augensterne heruntergleiten und zog sie dann wieder in die Höhe wie einen Rollladen.

Auf einmal stockte es oben auf dem Pult. Alfred wendete gelassen seine Blätter hin und her. Man dachte, der Vortrag wäre aus. Einige begannen laut zu reden, verstummten aber sogleich wieder, als der Oberlehrer von neuem über die Frau in der Litteratur zu reden begann. Er hatte augenscheinlich jede Befangenheit verloren und fühlte sich sehr wohl da oben. Indessen allmählich klang seine Rede so, als unterhalte er sich mit sich selbst. Er setzte sich auseinander, daß der Charakter der Frauenlitteratur und die große Flüchtigkeit, die oft darin herrsche, nur gebessert werden könnte durch eine Veränderung der Mädchenerziehung. Vor allem müsse auf den deutschen Aufsatz und die Orthographie mehr Gewicht gelegt werden, denn die Redakteure verschiedener Zeitungen hätten ihm versichert, daß die Manuskripte der schreibenden Frauen meist sehr lässig hingeschrieben seien. Auch 295 müsse die Metrik schon auf der Schule gründlicher betrieben werden. Ferner machte er sich klar, daß das Abzählen der Jambentakte und Verstakte an den Fingern, welches die jungen Mädchen in der Schule immer unter dem Tische übten, im Interesse einer freiern, charakteristischeren Versbehandlung durch die im späteren Leben dichtenden Frauen schon von klein auf ausgetrieben werden müsse.

Der Vorsitzende zog immer wieder die Uhr. Laura glaubte ersticken zu müssen. Hinten im Saale unterhielten sich die Leute schon ganz laut; ein junger Mann beschnipfte eine kleine, neckische Blondine mit Papierkügelchen. Die beiden Mädchen, die das Tanzen nicht erwarten konnten, hatten ihre Füße längst nicht mehr übereinander gelegt, sondern unter den Röcken in die Höhe gezogen und pufften nun manchmal von innen mit den Fußspitzen an die Röcke. Der Mann oben am Pulte stand seelenvergnügt da, sprach gelassen und beinahe nur halblaut vor sich hin, und je mehr unten das Gerede zunahm, desto mehr unterhielt er sich auf eigene Kosten. Zuletzt, als der Vortrag vorüber war, verbeugte er sich rasch, stieg vom Podium, blieb mit dem Schuhabsatz hängen und flog schräg in den Saal hinein. Glücklicherweise kam er nicht zu Fall, lächelte vergnügt die nächsten Damen an und da einige in der Nähe ganz kurz klatschten, hatte er das Gefühl, einen schönen Erfolg erzielt zu haben. Strahlend trat er zu seiner Frau.

»Wir gehen sofort nach Hause. Ich bleibe keinen 296 Augenblick länger,« stammelte Laura mit halberstickter Stimme. »Denn das ist zu arg.«

Während Alfred sich vom Vorsitzenden verabschiedete und dieser mit begossener Miene sich für den höchst anregenden Vortrag nur ganz flüchtig bedankte, hörte Laura verschiedene Äußerungen von Leuten, die nicht wußten, daß sie die Gemahlin des Redners war.

»Gott sei Dank! – Nein, so ein Bandwurm! – Vollständiger Hereinfall, mein Fräulein?! Was?! – Die Rede tanzen wir uns jetzt aus, Lieschen, was?!«

Laura hatte nur noch eine dunkle Vorstellung, daß Tische weggerückt wurden und daß das Mädchen mit den Rollladen vor den Augen eben zu tanzen begann. Dann saß sie mit ihrem Manne im Taxameterwagen gekränkt, enttäuscht, geärgert in eine Ecke gedrückt.

»Laß mich!« sagte sie abweisend, als Alfred sie ein wenig an sich drücken wollte, um sie zu liebkosen.

»Aber, Laura, was ist mit dir! War es denn nicht ein Erfolg? Ich bin doch gleich recht hübsch durchgedrungen!«

»Gedrungen?!« sagte sie achselzuckend.

»Es war also nichts?« sagte er kleinlaut.

Sie kamen zu Hause an. Im Speisezimmer war der Tisch gedeckt. Er war sehr reich besetzt. Laura hatte zur Feier des Tages bei der Elise etwas besonders Gutes bestellt. Da war 297 Hummersalat und kalter Truthahn, kaltes Roastbeef, Sardinen und andere gute Dinge.

»Tragen Sie den Truthahn hinaus, Liese,« befahl Laura. »Ich bin nicht imstande, etwas zu essen. Auch das andere Zeug. – Du issest doch wohl auch nicht mehr?!«

Sie wandte sich mit dem letzten Wort an ihren Mann.

»Nun, eigentlich hätte ich noch Appetit,« sagte Alfred mit einem hungrig verliebten Blick auf den Truthahn.

»Nun, dann lassen Sie den Käse stehen, Elise! Aber das andere hinaus. Wir haben keinen Appetit mehr darauf.«

Verwundert setzte Elise das leckere Mahl wieder auf das Anrichtebrett. Alfred sah's mit enttäuschtem Ausdruck. Auf dem Tisch stand ein wunderschöner Blumenstrauß.

»Wo kommen die Blumen her?« fragte Laura rasch.

»Von meinem Joseph. Für den gnädigen Herrn!«

»Der Joseph soll seine Blumen für sich behalten. Werfen Sie sie in den Müllkasten. Wie können Sie wagen, als Mädchen, Ihrem Herrn fortwährend Blumen zu schenken!«

»Aber ich bitte sehr, der Joseph hat sie gebracht.«

»Nun, dann wieder in den Müll, wo sie her sind!« 298

»Gnädige Frau – die Müllräumer sind auch Leute –! Das ist zu arg!«

Die Elise begann zu weinen, wobei sie plötzlich beide Hände über das Gesicht legte. Dabei sah man an ihren Fingern einen goldenen Ring mit einem funkelnden, kleinen Stein darin.

»Wo haben Sie diesen Ring her, Liese?«

»Den – Ring?«

»Ja, den an Ihren Fingern!«

»Von meinem Joseph, gnädige Frau –!«

»So. Und wie kommt dieser Mensch zu so einem kostbaren Ring? Wo hat der denn soviel Geld her?«

»Das ist doch seine Sache.«

»Wenn Sie nicht sofort sagen, wo der Ring her ist –«

»Ich kann und werde das nicht sagen, gnädige Frau –!«

Alfred hörte diese Szene stumm mit an. Seine Frau schien ihm viel zu weit zu gehen. Aber er wollte, um ihre Autorität nicht zu kränken, da sie ohnehin schon so sonderbar aufgeregt war, sich nicht hineinmischen.

»Sagen Sie es doch, Elise,« meinte er begütigend.

»Ach, Ihnen, gnädiger Herr, würde ich es ja gewiß gleich sagen, aber wenn man mich in dieser Weise fragt –! Nach dem, was eben geschehen ist, kann ich es der gnädigen Frau niemals sagen!«

»Was soll das heißen! Wie kann das mit 299 rechten Dingen zugehen, daß Sie einen solchen Ring tragen! Sie wissen schon, warum Sie es nicht sagen wollen. Und Sie haben Ihre Kündigung, wenn Sie nicht sofort reden!« Und dabei ergriff Laura den Blumenstrauß und warf ihn dem Mädchen vor die Füße.

»Wenn Sie denken, Frau Doktor, det ick mir etwa bücken werde nach diesen Blumen, denn irren Sie sich in Ihrem Vorstellungsvermögen!« fuhr es Elise auf einmal in sehr gewöhnlichem Berlinisch heraus, nachdem sie erst immer sehr reinliches Hochdeutsch zu sprechen versucht hatte. »Wenn et denn so steht, denn kann ick ja jehn.«

»Silberne Löffel und goldene Ringe kann man überall her haben und wenn man darüber keine Auskunft geben kann, so wird man selbst mit den schönsten Blumensträußen sich keine Hehler machen. Sie haben Ihre Kündigung. Wir sind fertig miteinander.«

»Na, det muß 'n schöner Vortrag jewesen sein!« sagte plötzlich Elise, nachdem sie beide Gatten eine kurze Weile sich hin und wieder betrachtet und beide von oben bis unten angesehen hatte. Darauf drehte sie sich gelassen, achselzuckend herum und verließ das Zimmer.

»Und das muß man sich vom eigenen Dienstpersonal sagen lassen!« rief Laura empört, worauf sie sich ins Sofa zurückwarf und heftig ihre Handschuhe auszog.

»Und so soll ich mich behandeln lassen?!« brauste 300 plötzlich Alfred auf, indem er mit der Hand auf den Tisch schlug.

Er klingelte.

Die Elise erschien.

»Sie haben zwar Ihre Entlassung, Elise,« rief Alfred aufgeregt, »aber mir bringen Sie sofort wieder meinen Truthahn herein! Ich sehe denn doch nicht ein –! Heben Sie die Blumen auf und stellen Sie sie vor meinen Teller in die Vase!«

Elise setzte den Truthahn mit Ostentation auf den Tisch. Der Oberlehrer aß mit ganz besonderer Energie und steckte seine Nase wiederholt in die Blumen. In seiner Eßwut bemerkte er nicht einmal, daß Laura aus tiefster Seele aufschluchzend das Zimmer verließ.

 


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