Wolfgang Kirchbach
Der Leiermann von Berlin
Wolfgang Kirchbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Leiermann von Berlin

I.

Vor einem großen Häusereck mit Spitzbogenfenstern und Toren von hohen Spitzbögen gotischen Stiles stand im Hofe ein Leiermann. Er hatte den ziemlich großen und schweren Leierkasten auf den Schemel gestellt und, halb übergebeugt über den tonbrodelnden Musikkasten, drehte er eifrig die Drehkurbel. Er hatte einen flotten Spitzhut auf dem Kopfe, der ihn von weitem als einen Italiener aussehen ließ. Aber ein etwas gewellter, blonder Bart und kluge, unternehmungslustige, blaue Augen zerstörten bei näherer Betrachtung jenen Eindruck. Auch sah man, daß es noch ein ziemlich junger Gesell sein mußte, wenn er sich auch künstlich älter zu halten schien und den linken Fuß etwas emporgezogen vorsetzte wie einer, der irgend einen Schaden am Fuß genommen hat oder mit einem zu kurzen Bein auf die Welt gekommen ist. Beim Drehen der Kurbel schaute er aber sehr munter und zuversichtlich nach den Fenstern des großen Gebäudes hinauf, an welche er da und 2 dort sehr schmucke, junge Mädchen treten sah, die wohlwollend vom Erdgeschoß und den oberen Stockwerken her auf ihn herabblickten. Sie hatten alle sehr saubere weiße und bunte Schürzen um mit zierlich aufgestecktem Latze, auch waren die Haare sehr hübsch gemacht, und manche hatten auch nette, weiße Häubchen auf. Nach dem, was man vom Standpunkte des Leiermanns aus sehen konnte, schien das ganze Haus von oben bis unten mit solchen sauberen Mädchen vollgestopft zu sein. Einige, die oben ans Fenster traten, ließen sogar unter den Schürzenschultern schöne, nackte, runde Arme sehen, die gar nicht etwa frostrot waren, sondern von so einer zarten Hautfarbe wie bei den vornehmsten Damen von Stande. Und das alles war kein Wunder, auch für den Leiermann nicht, denn über dem großen Haupttor des Gebäudehofes stand in weitleuchtender Schrift zu lesen: »Groß-Dampfwasch-Anstalt und Dampfplätterei Borussia zu Berlin«.

Anfangs hatte der Leiermann das schöne Intermezzo aus der »Cavalleria rusticana« abgedreht, dann war die Santa Lucia drangekommen. Er wollte sich aber nun auch den vielen hübschen Mädchen, den Plätterinnen und Wäschelegerinnen angenehm machen und ließ daher »Ach, wie ist's möglich dann« ertönen, indem er seinen Armmuskel kräftig an der Drehorgel herumführte. Diese war nicht tadellos, an einigen Stellen fauchte und pustete sie etwas, an anderen klang es, als wollte 3 sie den Ton langsam herausniesen, und manchmal schien es, als litte sie an heimlicher Verstopfung. War das aber überwunden, so kamen wieder zusammenhängende schöne Tonfolgen, die das Herz der ganzen Nachbarschaft erfreuten. Im Hofe um den Leiermann herum standen die eben eingetroffenen Wagen der Waschanstalt; der Kutscher und der Verlader holten aus dem Innern der Wagen die großen Säcke und Körbe heraus, die ganz vollgestopft waren mit der gebrauchten Wäsche der Berliner Familien und anderer Kunden, als da waren Hotels und Gasthäuser, Bankinstitute und große Fabriken sowie Postämter der Reichshauptstadt, die ihre Postbeutel waschen lassen. Sie schafften die Körbe und Säcke in eine große Halle, in die Sortierräume, wo sie von älteren Weibern ausgeschüttet und sortiert, auch mit Familienzeichen versehen wurden, um durch einen großen Schacht nach den verschiedenen Waschabteilungen geschafft zu werden. Unterdessen luden andere Wagen in sauber geordneten Körben die reine Wäsche ein, welche die Wäschelegerinnen in einem anderen großen Saale artig zusammengefaltet hatten, Damenhemden und Herrenhemden, Kinderstrümpfchen und Nachthauben, spitzenbesetzte Damenhosen und steife Herrenkragen, Manschetten und Vorhemdchen, Tischtücher und Servietten, Bettlaken und Handtücher: alles sah man in reinlichen, bunten Farben wohlgeordnet in den Körben liegen, welche die Mädchen mit nach dem Haupttorweg 4 trugen und die Fahrer dann in die Wagen verluden. Die Pferde, gerührt und elektrisiert durch die Töne des Leierkastens, spitzten die Ohren, wiegten ihren Schwanz behaglich und stampften den Boden; die korbtragenden Mädchen schwenkten die Arme im Takte, und selbst die alten Weiber in der Sortierhalle warfen die gebrauchten Wäschestücke mit einem gewissen künstlerischen Griff auf die einzelnen Haufen, musikalisch durch die Drehorgel begeistert.

»Na, Fritze, heute hast de aber schlecht geölt,« rief ein Kutscher dem Leiermann zu. »Wenn ick solche Wagenschmiere zu meinen Rädern nehme, denn jeben die ooch nur noch unnatürliche Töne von sich.«

»Na, öle du man erst deinen Verstand,« rief der Orgler überlegen hinüber. »Für solche Leute wie du, die nicht mal 'nen Sechser für unsereins haben und gratis zuhören, werde ick mir wohl in die Unkosten stürzen, mein hohet Cis mit Provenceröl zu schmieren!«

Der Kutscher war auf seinen Bock gestiegen, sein Begleiter schloß hinten die Wagentüren ab und sprang mit auf den Bock, die Pferde zogen an, und, stolz auf seine Ladung mit frischer Wäsche, rief der Kutscher dem Orgler zu:

»Na, ick werde mir hüten, dir einen Sechser zu spendieren. So'n junger Tagedieb! Der die ollen Veteranen und Orgelkrüppel sogenannte illoyale 5 Konkurrenz macht mit seiner ausjedienten Knarre! Da kann man ja die Krähen mit verscheuchen.«

Damit knallte er mit der Peitsche und fuhr zum Hoftore hinaus, so dicht an dem Orgler vorbei, daß dieser Orgel und Schemel rasch umkippen mußte, um Platz vor den fortgaloppierenden Pferden zu machen, denn beinahe waren dem Leiermann die Räder über die Füße gegangen. Wütend rief der Orgler dem Kutscher zu:

»Wat? So'n Pferdebediensteter, der seine Gäule alle Morgens die Haare kämmen muß, so'n Pferdefriseur will mir verachten? Ick bin auch 'n Veteran! Ick habe mir im chinesischen Feldzuge die Achillesverse verstaucht, und besitze daher auch die musikalische Jerechtigkeit! Ick werde wohl leiern können, wo mir der Geist hinreißt! Ick werde wohl meine Kunst zeigen dürfen, wo mir det Schenie erfaßt, meine anjeborene Kammervirtuosität zu offenbaren. Denn ick war mal 'n musikalisches Schenie und habe mir aus künstlerischer Neigung diesem Verdienstzweig in die Arme geworfen.«

Damit griff er mit fester Faust von neuem an die Kurbel seines Kastens und warf den Mädchen oben ein wahres Raketenfeuer von verschmitzten und liebäugelnden Blicken zu.

Sein Bemühen sollte nicht unbelohnt bleiben. Eine sehr hübsche Blondine, ein schlankes Mädchen, die eine saubere, spitzenbesetzte Schürze über einer rosafarbigen Bluse trug, kam aus einem Seitentor auf den Hof geschritten und näherte sich dem 6 jungen Orgler. Als dieser sie kommen sah, fuhr er mit verdoppelter Gewalt an seinem Leierkasten und drehte mit so fabelhafter Geschwindigkeit, daß die Melodie: »Wenn ich ein Vöglein wär'« mit der Geschwindigkeit einer Tanzmusik aus dem Kasten herausgestürzt kam. Das Mädchen trat vor den Kasten und hielt ihre rechte Hand, die sie zur Faust zusammengeschlossen hatte, in die Höhe, indem sie über den Lärm des Leierkastens weg frug:

»Na, Hinkefritze, wat haben wir denn da mang die Fingerkens?!«

»Na, wat wird et denn wohl sind, schöne Helena?!« frug er dagegen, wobei er mit einem verführerischen Lächeln seinen Hut abnahm und diesen im Drehen über den Kasten hielt.

»Richtig jeraten!« sagte sie, indem sie in den Hut schaute. »Hutfutter is et! Neues Hutfutter!«

Dabei tat sie die Hand auf und ließ einen kleinen Regen von Geldstücken in den Hut fallen. Zwar waren es meistens nur Zweipfenniger, doch auch Fünfer und mehr darunter, sodaß es eine gar reiche Ernte für den Orgler ergab. Sie sagte:

»Det haben wir Mächens alle durch eine freiwillige Kollation unter uns zusammengebracht, ick sagte, wenn jede in Anerkennung für die musikalische Sauree nur zwei Pfennige Entree zahlt, denn können wir bis auf zwei Mark kommen, denn wir sind wohl an hundert Mächens hier in's große Reinlichkeitsetablissement. Und alle haben sich zwei 7 Pfennige abgedreht, einige sogar mehr, nur die Liese Langer hat nischt gegeben, die sagte, sie könne selber schön singen und habe früher mal als Stubenmädchen ins musikalische Konservatorium gedient und sei sie zu sehr verwöhnt.«

Der Hinkefritze ließ seinen Kasten still stehen, um die Geldstücke aus dem Hut herauszufischen. Nachdem er alles wohlüberzählt auf den Kasten gelegt hatte, machte er mit seinem Hute, ehe er ihn aufsetzte, eine dankbar galante Bewegung nach den Fenstern hinauf, als wolle er allen gesehenen und ungesehenen Mädchen eine Gesamthuldigung darbieten. Dann aber sagte er sehr trocken zu der hübschen Überbringerin:

»Ick kann ja nicht jeder einzelnen mit einem Kuß auf die linke Backe für 'nen Dreier mir revanchieren, obwohl ich det mit's jrößte Vergnügen verüben würde, aber wenn jede 'nen Sechser spendiert hätte, denn hätte ick für meine Person noch mehr davon.«

»Na, wie denn,« sagte die hübsche Blondine sehr verwundert über diese augenscheinliche Undankbarkeit. »Wenn Sie überall so verdienten, so könnten Sie ja sogar 'ne Partie für unsereine sein – und Sie wollen noch höher hinaus?!«

Der Orgler drehte den Kopf herum und sah sie auf einmal ganz verschmitzt und verliebt an, daß sie beinahe rot geworden wäre, denn er war doch ein sehr schöner Kerl. Er frug schlau:

»Na, erst sagen Sie mir mal, schönes 8 Mächen, wie Ihr Vorname mit Zubehör ist, damit ich Ihnen auch mit gebührendem Respekt antworten kann. Am Ende heißen Sie ooch nur Jule!«

»Jule! Nein so wat! Wie werde ick Jule heißen! Jule kann jede heißen! Ick bin aber die Wilhelmine Löffler, wenn Sie meine Visitenkarte noch nicht jesehen haben! Aber Jule! Wo werd' ick!«

»Na, wenn Sie Mine heißen, denn is et etwas andres! Denn bitte ick um Verzeihung, daß ick Ihnen auf Jule taxierte. Aber Minchen, Minchen, vermessen Sie Ihnen nicht zu hoch, von wegen der Partie mit mir, denn sonst nehme ick Sie beim Wort und heirate Ihnen dennoch!«

»Sie mir?!« sagte die Mine höhnisch, indem sie beide Hände in die Hüften stemmte, »Sie mit Ihre Pfennigsorgelei? Und dabei sind Sie nicht mal zufrieden?«

»Na, erlauben Sie, schönes Minchen, wenn Sie mir pro Mä'chen 'n Sechser bringen würden, ist das nicht eine klare Rechnung? Bringen Sie mir jedesmal, wenn ick hier vorspreche, soviel, so bleibt doch auch für mich mehr übrig, sodaß ich davon was sparen kann. Habe ick mir denn soviel gespart, daß ick mir davon einen eigenen Leierkasten kaufen kann, dann kann ich noch mehr zurücklegen und kaufe mir denn einen zweiten Leierkasten, den ick vermiete und so fort, bis ick Groß-Leierkastenunternehmer bin. Na, und denn kann man schon 9 von seinen Renten leben und ick würde jar nicht abjeneigt sein, Ihnen meine Hand zu überlassen, wenn Sie was in die Ehe mitzubringen hätten. Aber so'n Wäschermä'chen von heute! Schwarze Strümpfe, weiße Schürze und Schuchens für 'n Taler, wo die Rosetten gleich abreißen, wenn man ihr mal zum Spaß auf die große Zehe treten will – ick werde mir hüten.«

Damit wollte er wieder an die Kurbel greifen, um sein Abschiedsstück vorzuführen; Fräulein Minchen indessen tippte ihn mit der Hand am Oberarm und sagte neugierig:

»Nee, lassen Sie mal det Gequietsche da! Is det denn nich Ihr eigener Leierkasten –?«

»I wo wird er,« meinte der Orgler. »Soweit bin ich eben noch nicht in der Kultur fortgeschritten. Den Leierkasten habe ich nur jemietet, um mir wirtschaftlich in die Höhe zu bringen. Der gehört dem Leierkastenvermieter Pullrich von de Fürstenwalder Chaussee, der hat in seinem Schuppen dreißig Stück. Montags und Freitags, wenn in Berlin Musiktag ist, hole ick mir den Kasten ab, an andern Tagen bin ick in de Provinz. Na, und nu muß ich doch von meine Einnahme pro Tag 'n schönet Stück Jeld an den Besitzer abgeben, der Rest ist dann mein. Also, Mä'chen, wenn Sie mir det nächste Mal wieder wat bringen, denn knöpfen Sie den Fräulein immer lieber 'n Sechser ab, denn stehe ick mir besser, und unsere Heiratsaussichten verbessern sich auch.« 10

»Na, wat man auch in dem Berlin allens erlebt!« sagte das Mädchen im höchsten Erstaunen über den neuen Lebenseinblick, den sie da in Verhältnisse tat, von denen sie keine Ahnung gehabt hatte. Um sich aber in Anbetracht solcher Verhältnisse des kühnen Burschen etwas wichtig zu machen, fühlte sie sich gedrungen, auch etwas von ihren Verhältnissen einfließen zu lassen und ihm klarzumachen, daß sie sich denn doch etwas herabbegeben würde, wenn sie sich einen Leiermann nehme, der nicht einmal einen eigenen Kasten hat. Sie sagte:

»Ob Sie nun jrade der Mann wären, in so'ne Dampfgroßwäscherei hinein zu heiraten, det müßten wir uns doch noch mal überlegen! Hübsche Figur mit regelmäßige Züge tut's nicht allein! Bei uns haben wir allein achtmalhunderttausend Bettlaken in't Jeschäft, die wir waschen und vermieten an die feinen Hotels und Gasthöfe, und die Fremden schlafen darin und denken, sie schliefen im Wirt seine eigenen Betten. Unsere große Dampfmangel macht jede zweiundzwanzigtausend Handtücher an einem Tage, und Postbeutel werden bei uns jährlich für zweiundneunzigtausend Mark gewaschen. Na, und wenn Sie erst unsere Zentrifugen zum Trocknen gesehen hätten! Die drehen sich so schnell um sich selbst, als machten sie in einer Minute einen Weg von siebenundzwanzig Kilometern, und wenn man die Wäsche naß in die Drehkessel gesteckt hat, ist sie in drei Minuten trocken! Für Sie wäre wohl 11 mehr so'n jewöhnliches Wäschemä'chen, die noch in der Waschküche stehen muß und die Wäsche auf die Wiese bleichen gehen muß – für Sie!«

Der Hinkefritze sah mit nicht geringem Erstaunen auf diese Rede das saubere Minchen von oben bis unten an. Die wollte sich also rar machen! Aber daß sie eben diese Absicht hatte, daß sie auf dem leibhaftigen Hintergrunde der Großartigkeit ihrer Waschanstalt sich ihm selbst sozusagen als höheres Wesen darzustellen suchte, ergriff sein Gemüt stärker von innen, als alles vorangegangene Gerede vermuten ließ. Zuletzt sah es doch so aus, als wenn diese saubere Großstadtwäscherin trotz des Hinkfußes nicht abgeneigt sein könnte, ihm ihr Herz vorkommenden Falles für eine dauernde Verbindung zur Verfügung zu halten. Er sagte daher ziemlich gelassen und kaltherzig:

»Rar machen kann sich eine jede! Aber det höhere Musikgenie, det kann man sich nicht jeben, wenn man ihm nicht von Natur hat! Und ick möchte wohl wissen, ob es eine feinere Tätigkeit fürs Menschenkind is, wenn's mit seine Greiffingers in die alte Wäsche von allerhand Leute herummanscht, oder ob's gebildeter is, wenn man in alle Höfe und uf alle Jassen einen höheren Kunstjenuß verbreitet, wo man hinkommt, daß alle bessern Stubenmächen gleich die Fenster weit aufreißen, daß nur ja kein Ton verloren jeht! Also, wovor halten Sie Ihnen gewissermaßen, mein Fräulein?«

»Aber ick kann doch nicht –« sagte die Mine 12 etwas betroffen und verlegen zugleich, da für ihr höher gebildetes Köpfchen etwas Richtiges in den Ausführungen des jungen Mannes gelegen hatte. »So vom Fleck weg?! Und mit Ihrer Musikknarre dazu!?« Sie stemmte beide Hände über die Hüften: »Jotte doch!«

Jetzt wußte der Hinkefritze genug. Er sagte:

»Na, Mä'chen, wenn ick det nächstemal auf Freitag herkomme, schmeichle ich mir die jroße Ehre, daß jedes Mä'chen in diesem großartigen Kloster fürs weibliche Wäscherinnengeschlecht mir 'nen Sechser spendiert. 'n Sechser kriegt ja jeder Bettelmann! Aber det weibliche Geschlecht, det dreht immer noch die Pfennige in die Finger herum! Wenn Sie gut sammeln, schöne Minka, denn flutscht et schon! Und wenn et flutscht, denn flutscht et ooch! Denn es jibt Leute, die sich auf die Weise herausgemausert haben! In Amerika, da werden aus Stiefelputzern Millionäre! Und ick habe so eine Art von Millionär im Leibe! – Sie werden mir ja wohl verstehen, Fräulein Minchen!« Dabei zwinkerte er sie mit seinen blauen Augen so schlau und hoffnungsfreudig zugleich an, daß sie fühlte, wie es ihr geradezu einen jähen Stich ins Herze gab. Sie sah sich um und blickte unwillkürlich an den fensterreichen Wänden der Waschanstalt hinauf, ob man nicht etwa aus den Fenstern etwas von dem gesehen habe, was in ihrem Innern vorgegangen sei. Der Hinkefritze aber zog seinen Hut, lüftete ihn leicht, etwa wie ein Fürst, der durch 13 solche Hutlüftung einen untergebenen Minister entlassen will, und sagte mit Gelassenheit:

»Na, adjüs, Wilhelmine Löffler!«

Darauf erfaßte er den Drehgriff seines Leierkastens mit mächtiger Faust, und ließ, indem er sich im Drehen beeilte, das Liedchen: »Wenn ich ein Vöglein wär'« rasch ertönen. Das hübsche Wäscherfräulein stand noch einen Augenblick verdutzt vor dem Kasten, dann aber machte sie rasch kehrt und rannte, so schnell sie vermochte, in den hohen, spitzwölbigen Hausflur zurück, wobei ihre Röcke höchst ungeduldig um ihre Fußknöchel einherschlenkerten. Da brach der Hinkefritze mitten im Spiel ab, zählte nochmals rasch das eingenommene Geld, schmunzelte und steckte es in seine Hosentasche. Darauf lud er am Lederriemen den Leierkasten auf seine Schultern, nahm den Schemel in die Hand, stemmte sich auf seinen Stock und hinkte langsam aus dem Gehöfte auf die menschenreiche Asphaltstraße hinaus.

 


 << zurück weiter >>