Paul Keller
Stille Straßen
Paul Keller

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Einleitung.

Stille Straßen.

Das Leben ist mit dem Lärm verwechselt worden, und so wurde der Lärm international. Wo er sich am wildesten gebärdet, vermutet man die höchste Lebensentfaltung, die beste Kultur. Was Wunder, daß sie alle: die Staaten, die Gemeinschaften, die Einzelmenschen sich zu überbieten suchen an geräuschvollem Getu, daß sie tagtäglich ihre Kraft und ihren Wert ausschreien und darauf rechnen, daß selbst alle feinsichtigeren Augen und alle hellhörigeren Ohren zu stumpf geworden sind, um die traurige Lüge zu erkennen.

Alle lärmvollen Straßen münden ins Elend. Am Ende steht der Fahrstuhl für die Gelähmten. In den steigen alle Lärmer mit dem bitteren Schlußgedanken, daß das ganze Hasten keinen eigentlichen Zweck und Sinn hatte. Und so fahren sie das letzte Endlein Weges den Cypressen zu. – Wer gut sein will, wird sich nicht verurteilen, sondern bedauern, als die Betrogenen der Welt. Denn sie haben sich Wohl oft »amüsiert«, aber sie haben sich noch viel öfter geängstigt, sie waren nie von tiefstem Herzen glücklich und tranken hundert gallbittere Kelche aus. Welch eine Abrechnung am Schluß! – – –

Würde ein großer Befreier vom Himmel geschickt, er müßte unsere großstädtische und alle andere Hyperkultur zertrümmern, auslöschen die funkelnde, giftige Lüge der Zeit, die taumelnde Menschheit wieder zurückführen zu den stillen Gesundheitsbronnen der Natur, damit nicht gar so viel Herzleid und Herzöde wäre auf Erden.

Bin ich einer, dem der wilde Lärm nicht ans Ohr reichte? Wie könnte ich so hoffärtig sein, das zu behaupten! Dem letzten Bauern meines Heimatsdorfes schrie die wilde Gegenwart übers Hoftor, zog ihm die alte Tracht mit den Silberknöpfen aus und kleidete ihn nach Art der Lumpenmagazine. Und ich bin nicht besser daran als alle; ich bin ein Kind meiner Zeit.

Nur manchmal, in Stunden himmlischer Gnade, wenn ich am Dichterwerk bin, ist mir unsere Zeit ganz fern. Da gehe ich auf stillen Straßen, die in blauen Traumlichtern liegen und weiß auch nur noch vom Lachen und Weinen einsamer Leute, deren Glück und Schmerz aus den urewigen Bronnen der Menschheit fließen, die von keiner glitzernden oder schmutzigen Welle der neuesten Zeit berührt sind. Kleine, simple Menschen sind es, die ich auf diesen Wegen finde, aber was um sie und was über ihnen ist, das sind große Dinge: der Himmel und die lebendige Natur. An diese zwei reicht kein Firlefanz moderner Welt, gegen sie ist alles von der »Kultur« Erzeugte klein und blaß.

Wenn ich solch stille Straßen in meinem Leben suche, führt mich der Weg oft wieder in meine Kindheit, denn damals war ich auf meiner Bahn dem Himmel und der Natur am nächsten.

Aus dem, was ich in den letzten Jahren schrieb, habe ich einiges ausgesucht und zu einem Buch vereinigt: Geschichten von Kindern, Träumern, schnurrigen Käuzen und armen Beladenen, sowie von Flüssen, Wiesen und andern Leuten, wie ich sie eben antraf auf stillen Straßen.

Paul Keller.


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