Paul Keller
Hubertus
Paul Keller

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Drittes Kapitel.

Betrachtungen an einem Holzhalter. – Balthassars Liebeszweifel. – Von Winterschläfern und Zugvögeln.

Der alte Krügel, der jetzt bei mir Holz hackt, wäre in der Großstadt oder auch in einem Wiesendorf der Ebene unmöglich.

Um Lippen und Wangen wuchert ihm ein braungrauer Filz, die Runzeln seines Gesichtes sind so abgründig, daß das bißchen Waschwasser, das Krügel anwendet, niemals in die dunklen Tiefen dieser Faltengebirge dringt, sondern immer an ihren Gipfeln verdunstet oder an den Abhängen versickert. Vielleicht, wenn ihm einmal ein Wolkenbruch stundenlang in die Schroffen seines Gesichts hineinrauschte und dann Wind und Sonne zum Trocknen kämen, würde Krügels Antlitz ganz sauber werden. Es gehörten Urgewalten dazu, das fertig zu bringen.

Und die Hände! – Ich ging zu Krügel hinaus und sagte: »Lieber Krügel, ich möchte Ihnen ein bißchen zusehen beim Holzhacken. Nicht etwa, um Sie zu beaufsichtigen, Gott bewahre! Ich weiß schon, wie fleißig Sie sind. Aber es macht mir Spaß, Ihnen zuzusehen, und ich habe gerade nichts anderes vor.«

»Nu,« sagte Krügel in gutmütigem Knurrton, »da sähn Se sich bluß vor, daß Ihn'n da nich a Knüppel an de Wampe stiegt.«

Mit »Wampe« war in diesem Falle »Bauch« gemeint; so viel Schlesisch kann ich schon. Es war nicht höflich, wie Krügel seine Warnung vorbrachte, aber sie war ehrlich gemeint.

Ich betrachtete Krügels Hände. Ich glaube, die Grundform der Hand ist das Oval. Auch Krügels Hände waren ovalförmig, aber die Längsachse ging nicht von oben nach unten, sondern von links nach rechts. Anders ausgedrückt: Krügels Hände sind breiter als lang. Die Finger sind so, als ob ein Riese sie eingestülpt hätte. Was von der Länge weggenommen ist, ist als Knoten an den Knöcheln und am Handrücken wieder zutage gekommen. Diese Knoten sind rotblau, manche quabbelig, manche voll harten Geknöches. Über den Handrücken breitet sich dichter Haarwuchs aus, der aber abgestoßen, abgeschabt ist. Die Fingerspitzen weisen fast keine Nägel auf, dafür eine desto dickere Hornhaut. Aus einer solchen scheint auch die Handfläche zu bestehen. Ich wunderte mich, daß eine solche Hand überhaupt noch biegsam genug war, zuzufassen.

Und wie faßte sie zu! Wenn so ein klobiger, verwurzelter Eichenstock dalag, in Jahrhunderten steinhart gewachsen, daß er nicht zerweicht wäre, auch wenn man ihn tausend Jahre auf den Grund des Flusses gelegt hätte – Krügel zerhieb in ihn wenigen Minuten zu Splittern. Er stand dabei nicht wie ein Siegfried da, der den Amboß spaltet – nein, klein, zusammengekrochen, mit krummen Beinen, zerschlötertem Rücken, wie mit aus allen Gelenken gezerrten Gliedern – und er hieb doch zu wie ein Riese. Es war eine große Freude in ihm –

Die Freude, schwerste Widerstände durch eigene Kraft zu besiegen. Die Feldherrnfreude, der Jubel des ringenden und siegenden Künstlers haben vielleicht mit dem Holzhackerglück Krügels einige Verwandtschaft. Nur – wie gesagt – schattenhafter ... viel schattenhafter, und natürlich lange nicht so wichtig für das Universum ist Krügels Glück, als das Glück der andern Weltbezwinger!

Ich kam von diesem holzhackenden Krügel nicht los. Ich setzte mich auf einen Eichenstock, zündete mir eine Zigarre an und bot auch Krügel eine an. Er grinste und steckte die Zigarre in die Hosentasche. Dann fragte ich ihn, ob er vielleicht lieber ein Glas Branntwein möchte. Da wischte er sich vor lauter Dankbarkeit die Nase. Die Sturz brachte den Branntwein, machte in scheinheiligem Entsetzen »Puh!« und klapperte in ihren Holzpantinen zurück ins Haus. Krügel sah ihr nach, sagte: »Dummes Schaf!« und trank nach dieser Widmung den Branntwein aus. Dann begab er sich mit erneuten Kräften an sein Riesenwerk.

Ich dachte an die Hände meines Freundes Balduin. Es sind die schönsten Männerhände, die ich sah. Wenn Balduin im Konzert geigte, waren alle männlichen und weiblichen Manikurekünstler der Stadt da. Der Hände wegen! Des Modells wegen! Die Maler malten Balduins Hände, die Bildhauer modellierten sie; die Inhaberin eines Handschuhgeschäfts erzählte jedem Kunden, daß der »Meister« die Handschuhe für seine »göttlichen« Hände nur von ihr beziehe. Natürlich nach Maß. Kein Vorrat passe, auch der reichste nicht, für diese königlichen Formen.

Balduin brauchte seine Hände zum Geigen, wie Krügel die seinen zum Holzhacken.

Ich betrachtete meine eigenen Hände und kam dabei zu recht trübseligen Gedanken. An diesen Händen war nichts Seltsames: nichts Feines, nicht Grobes, nichts besonders Gepflegtes, natürlich auch nichts Verwahrlostes – es waren die üblichen Faulenzerpfoten, die Hände eines Mannes, der sich mit 36 Jahren als Rentier zur Ruhe gesetzt hat.

Soll einem nicht jämmerlich werden bei solchen Gedanken?

Wenn der Krügel da so zuschlug, hatte er keine Zeit zu quälenden Gedanken; abends kroch er müde und befriedigt in sein Genist, und wenn er einmal ganz Feierabend machen wird, hat er nichts nötig, als in seinem Sarg aus geschwärztem Fichtenholz die Hände auf die Brust zu legen. An diesen Händen wird der Herrgott schon erkennen, ob sich der Krügel die ewige Ruhe verdient hat.

Sitzt man bei einem armen Holzhacker und beneidet ihn!

Herr Balthassar scheuchte mich aus meinen Betrachtungen auf.

»Tag, Herr Hubertus! Wollte Ihnen bloß melden – sie ist da!«

»Wer?«

»Die Lehrerin! – Erika Isenloh!«

»So! Und wer hat sie abgeholt von der Bahn?«

»Ich natürlich! Na, das Vergnügen hätte ich mir ja nicht nehmen lassen.«

Wir gingen ins Haus.

»Also, Herr Hubertus, von Anfang an war ich ja für das Abholen der Lehrerin nicht gerade sehr begeistert.«

»Nein, Herr Balthassar, nein!«

»Wissen Sie – ich dachte mir, eine Lehrerin, das sei so'n kleines, mageres, windschiefes Gemurkse mit 'ner Stahlbrille auf der Nase und 'ner keifigen Stimme, die immer überkippt. So was holt man doch nicht gerne ab.«

»Nein, Herr Balthasar!«

»Hab' mich aber mächtig geschnitten! 'ne bildschöne junge Dame ist sie in einem ganz eleganten Kostüm und einem grauen Fehmützchen. Reizend! Frisch wie 'ne Christrose.«

»Sie schwärmen ja, Herr Balthassar!« »Sie werden auch schwärmen! Alle werden schwärmen. Ich sage Ihnen, ich war einfach erschossen. Wie ich so am Perron stehe und nach irgend einer Vogelscheuche Ausschau halte, die 'n weißes Taschentuch in der linken Hand hält, (das sollte nämlich das Erkennungszeichen sein) ist kein einziges Weibsbild mit so 'nem Taschentuch da, bis wie gesagt, auf eine bildschöne, elegante Dame. Dunnerwetter, Dunnerwetter, dachte ich, das kann sie doch nicht sein! Aber dann schoß ich auf sie zu und sagte: ›Meine Dame, ich bitte um Ihren Namen‹! Sie erschrak und sagte mir hinterher, sie hätte mich wegen meiner barschen Anrede für einen Geheimpolizisten gehalten. Wie wir uns aber vorgestellt hatten, wurde ich natürlich gleich sehr höflich und lud sie der Kälte wegen zunächst ein, mit mir im Bahnhofsrestaurant ein paar Grogs zu trinken. Das lehnte sie ab; aber sie sagte, ein Glas Portwein würde sie annehmen. Also stellen Sie sich vor, Herr Hubertus, unsere Lehrerin weiß was von Portwein. Sie hat also richtige Bildung. Ich bestellte nun sofort zwei Flaschen, was sie mit Schrecken erfüllte. Sie hat auch wirklich nur anderthalb Glas getrunken, den Rest von den zwei Flaschen mußte ich auf meine Kappe nehmen. Also, bis dahin war's sehr nett. Aber jetzt kam ein fataler Zwischenfall. Ich war mit zwei Schlitten zum Bahnhof gefahren, mit einem Jagdschlitten und mit einem Kastenschlitten für das Gepäck der Lehrerin. Wie wir nun so gemütlich beim Portwein sitzen, kommt mein Kutscher Biernowski, das Rindvieh, an und fragt, wo nu eigentlich der Kleiderschrank und der Reisekorb von dem Fräulein wären; er solle das doch aufladen! Kommt's also heraus, daß wir so 'ne Art Dienstmädelaufzug vorbereitet hatten. Fräulein Isenloh sagte verwundert, ihre Möbel und ihr Klavier hätte der Spediteur übernommen. Herr Hubertus, denken Sie sich diese Blamage! Aber das habe ich alles dem Kantor zu verdanken, diesem heimtückischen Filou, der hat mir den Blödsinn von dem Kleiderschrank und dem Reisekorb eingeredet, obwohl er genau Bescheid wußte, und hat mich mit meinem Kastenschlitten in den April geschickt. Er soll es büßen.«

»Halb so schlimm, Herr Balthasar!«

»Nein, es ist greulich! Wenn ich auch etwas verbauert sein mag, auf äußere Form halte ich. Ich hab' mich schon mächtig geärgert, daß ich nur den Jagdschlitten genommen hatte. Habe ihr in der Verlegenheit vorgeschwindelt, der gute Schlitten sei für die jetzigen Schneeverwehungen zu schwer. So einem entzückenden Wesen gegenüber –«

»O, Sie sind ja verliebt, Herr Balthassar!«

»Verliebt, nein! Das heißt, verliebt – ja! Aber es hat keinen Zweck. Denn was würde sich das junge Ding aus so einem alten Krauter, wie ich bin, machen? Und dann – ich bin nicht mehr frei.«

»So?«

»Ja, ich möchte es Ihnen anvertrauen, wenn Sie gestatten, Herr Hubertus. Es handelt sich nämlich bei mir um das Mielchen und das Malchen.«

»Ah – um die Schwestern aus der .Traube'? Um welche, wenn ich fragen darf, handelt es sich denn?«

»Ja, da fragen Sie mich zu viel! Um beide! Oder auch um gar keine. Denn welche von beiden soll ich nehmen, da sie doch beide völlig egal sind?«

»Das ist freilich ein schwieriger Fall.« »Sehr schwierig! Anfangs habe ich mich ja gefragt, ob ich als Gutsinspektor mich nicht degradiere, wenn ich in ein Gasthaus einheirate. Aber es ist eine hochachtbare Familie. Das Gasthaus ist 'ne kleine Goldgrube. Über hundert Morgen Land gehören dazu, auch kann man das Nachbargrundstück dazukaufen; und so gäbe es für mich als Landwirt ausgezeichnete Betätigung. Man schaffte für sich selbst, nicht immer für fremde Leute. Also, das wäre alles gut. Aber die fatale Ähnlichkeit. Ich kann die beiden doch bloß an dem goldenen Backenzahn unterscheiden, zumal ich ein wenig kurzsichtig bin. Nach dem Testament des Vaters sollen beide Schwestern immer in der ›Traube‹ Heimatsrecht haben. Wie soll ich's nun anfangen? Ich kann doch nicht jedesmal einer den Mund aufmachen, um zu sehen, ob sie nun meine Frau oder meine Schwägerin ist? Und wenn es da mal eine Verwechselung gäbe – denken Sie sich doch das Unglück!«

Balthassar sah bekümmert vor sich hin.

»Ich wüßte wirklich nicht, welche von beiden ich wählen sollte. Können Sie mir einen guten Rat geben, Herr Hubertus?«

»Ja, da müßten Sie doch wohl die nehmen, die die meiste Zuneigung zu Ihnen hat.«

Balthassar seufzte.

»Ach, mögen täten mich beide. Es ist schwer, Herr Hubertus!«


Heute ist Sonnabend. Da habe ich mich in meinem Hause nicht viel aufgehalten. Denn an den Sonnabenden verdoppelt die Sturz ihre Schrubbwut; auch zerrt sie an solchen Tagen Teppiche und Läufer ins Freie, hängt sie an eine Stange und schlägt in irrsinniger Weise darauf los. Staub haut sie – glaube ich – nicht viel heraus; aber die Wolle des Gewebes fliegt fleißig umher. Es ist so, als ob die Sturz sagen wollte: Ich will doch sehen, ob ich diese vermaledeiten Teppiche nicht kaput kriege! Und sie wird ihr Ziel schon erreichen.

Droben im Walde ist himmlische Stille im großen Schlafgemach des Winters. Was schläft alles unter dem weißen stockigen Bett! Wenn ich so einsam wandere, rufe ich mir das ins Gedächtnis, was ich vom Winterschlaf der Tiere weiß; denke an die Ameisen, die dicht aneinandergedrängt im alleruntersten Gemach ihres Hauses schlafen wie müde Arbeiter in ihrer engen Baracke; an die Regenwürmer und Engerlinge, die in die untersten Stollen ihres Bergwerks geflüchtet sind, wohin kein Frost reicht; an die Spinner, die sich in die Holzwolle der braunen Kiefernadeln gelegt haben. Hie und da steht an einem rissigen Baum ein Türlein aus Rinde halb offen. Dahinter schläft eine Spinne, dicht eingehüllt in einen Schleier, den sie sich selber gesponnen hat. An der Zitterpappel schwebt oben eine zierliche Wiege, ein kunstvoll gerolltes, an seidenen Bändern hängendes Blatt, darin schaukelt ein junges Schmetterlingskind dem Frühling entgegen. Die dicke Schnecke hat ihr Haus dreimal verschlossen, einmal mit einer Kalkwand und zweimal mit Häuten, und dazwischen eine kluge Luftheizung angelegt. Sie in ihrem Einzelhaus ist die vornehmste von allen.

Wir haben viele Rotkehlchen bei uns. Ich liebe die zierlichen Vögel mit den schönen Westen und den blanken Äuglein. Das Rotkehlchen gehört eigentlich zu den Zugvögeln; aber Balthassar sagt: Zugvögel gäbe es nur, weil die Menschen in Deutschland zu geizig seien, die Vögel im Winter ordentlich zu füttern. Wegen der Kälte zögen sie nicht fort, nur, weil sie nichts zu fressen hätten. Etwas Wahres mag daran sein. Balthassar hat allenthalben Futterplätze errichtet, und so sieht man bei uns viele Rotkehlchen, Edelfinken, Ammern, Stieglitze und Amseln. Die warten hier in der winterlichen Heimat auf die ausgewanderten Freunde.

Vorgestern war bei uns ein Star. Es war eine Woche lang sonniges Wetter gewesen. Da kam der schwarze Quartiermeister an als Abgesandter der im Süden harrenden Menge: Solch Vorposten ist immer ein Mann in den besten Jahren: stark, klug, erfahren. Einer, der über das Schwabenalter im Starleben hinaus, aber noch kein verbrauchter Greis ist. Dem wird das Mandat erteilt, und ich kann mir denken, daß es bei der Abstimmung lebhaft zugehen mag, da im Starenvolke die Weiber das Mitstimmrecht haben und natürlich eine jede ihren Eheliebsten als Abgeordneten gewählt sehen will, einmal, weil es eine Ehre ist und dann, weil sie ihn auf ein Weilchen los wird.

Unser Quartiermeister nahm seine Sache sehr ernst. Er blinzelte nach den Wolken und nach den Bergen, flog um die Bäume, hackte am Erdboden, schüttelte am gefrorenen Bach sein Gefieder und öffnete und schloß beständig den Schnabel, als ob er die Luft abschmecke. Lange betrachtete er einen Zitronenfalter, der – viel zu zeitig erwacht – über der vereisten Schneefläche taumelte. Der Herr Abgeordnete kämpfte jedenfalls mit sich, ob er dieses Beweisstück kommenden Lenzes lieber beobachten oder fressen sollte. Er war aber so gewissenhaft, daß er den Schmetterling nur beobachtete und ihn erst dann fraß, als er müde und halb erstarrt aufs Eis fiel.

Große Aufregung rief der Star bei Herrn und Frau Hippel hervor. Das ist ein Spatzenehepaar, das mir gegenwärtig die zweifelhafte Ehre erweist, in dem neuen Starkasten vor meinem Hause zu wohnen. Zwischen dem Star, der auf dem Kirschbaum saß, und den Sperlingsleuten, die vor ihrer Haustür hockten, gab es eine aufgeregte Unterhaltung. Es handelte sich um eine Kündigung von seiten des schwarzen Ritters, der sein Schlößlein besetzt fand, und der Weigerung der inzwischen angesiedelten Wegelagerer, das schöne Haus zu verlassen. Zuletzt, als das Weib gar zu lästerlich räsonierte, wandte sich der Ritter angeödet weg und nannte die Frau eine »Gans«. Das hielt das Sperlingsweib aber für eine große Schmeichelei, so etwa, wie wenn Frau Meyer mit »Frau Geheimrat« angeredet wird, und sie piepste nun ganz entzückt zu dem vermeintlich artigen Fremden hinüber. Dieser aber flog nach der Wetterfahne hinauf, stellte fest, daß Nordostwind sei, und wollte sich dann reisefertig machen. Das konnte ich natürlich nicht so ohne weiteres zulassen; ich kann mein Haus nicht in den bösen Ruf kommen lassen, daß es ungastlich sei. Also stellte Mathilde ein Schüsselchen mit Reis- und Getreidekörnern und einigen Stückchen roter Rüben in den Hof – eine Einladung, die unser Gast auch augenblicklich verstand. Er langte tapfer zu, während die Hippelschen oben am Starkasten eine üble neidvolle Tischmusik dazu vollführten. Sie hofften schließlich nur auf die Überreste, aber auch diese Hoffnung ward zunichte; denn plötzlich fegte Bams, der Dachshund, aus dem Hause, vertrieb den Star und leckte seine Schüssel gierig leer. Sogar die Getreidekörner fraß das futterneidische Scheusal, obwohl er solche Kost doch sonst nie anrührt.

Meine Gedanken aber folgten dem Star auf der Reise nach dem Süden. Etwa mit Schnellzugsgeschwindigkeit flog er. Gegen Abend würde er in Wien sein und im alten Prater übernachten. Dann, am zweiten Tage, konnte er Triest erreichen, und am dritten würde er bei den Seinigen eintreffen, die (so bildete ich mir ein) irgendwo an der Märchenküste Dalmatiens wohnten, wahrscheinlich beim alten Römerpalast zu Spalato. Dort wird der Star melden: Für die Heimkehr ist es noch zu früh – und alle werden ihm glauben, ausgenommen sein Weib, das den Argwohn hegen wird, der Mann wolle noch einmal gewählt werden und noch einmal ohne sie verreisen dürfen.

Dann, wenn der Tag der Heimkehr doch gekommen ist, werden alle die Flügel heben, voran die abgehärteten, erfahrenen Männer, dann die Jünglinge, zuletzt die Greise und das Weibsvolk, und alle werden mit kluger Umgehung der Alpenhöhen nach der deutschen Heimat reisen. Nur die Störche und die Kraniche ziehen über die hohen Alpenberge hinweg. Sie tun das aus Protzerei um ihre Kraft zu beweisen; sie sind auch gar keine Deutschen, sondern kommen zu uns nur in die Sommerfrische. Am schlimmsten treibt es freilich der Kuckuck, der auch ein Ausländer ist, mit seiner Gemahlin nach Deutschland nur zum Kinderkriegen kommt und, nachdem er seine Bälger heimtückisch in fremde Familien eingeschmuggelt hat, ohne jede Entschädigung mit seiner Alten verduftet. Ein Volk aus lauter Findlingen. Und lebt doch auch und macht sich mausig genug!


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