Paul Keller
Hubertus
Paul Keller

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Erstes Kapitel.

Von altem und neuem Heimweh, dann von allerhand Hausgenossen.

Ich bin erst seit drei Tagen in diesem Hause. Rundum ist mir noch alles neu. Alle Wege muß ich erst finden lernen. Kaum vier Menschen, die mir begegnen, kenne ich mit Namen. Ich weiß nichts von diesen Waldhütten und Waldhöfen, nichts von ihren Schicksalen und ihren Bewohnern.

Es ist alles noch von mir zu erforschen. Da hätten also Geist und Herz Arbeit genug. Aber in den drei Tagen hat mich doch mehr als einmal die Langeweile angegrinst. Es beschlich mich erst gestern abend tiefe Furcht, ich würde es hier nicht aushalten, und als der Mond schon hoch am Himmel stand, trat ich ans Fenster und hatte das Heimweh.

Als ich noch jünger war, habe ich mich einmal weit über ein Jahr lang nach einem fernen Mädel gesehnt, mit dem wehen Verlangen, dessen nur die weiche Jugend fähig ist, mit sterbensbanger Traurigkeit im Herzen, mit müdem, leerem Glanz in den Augen, ja, oft mit bitterem Geschmack auf der Zunge und einem Würgen in der Kehle. So schlimm war diese Sehnsucht! Mit der Zeit wurde ich krank, und ich wußte, daß es nur ein Heilmittel geben könne – die Nähe der Geliebten. So reiste ich zu ihr, sobald es möglich war, und mit jeder Bahnstation, die ich ihr näher kam, verringerte sich das Heimweh, bis es erstarb in einer großen, aber seltsam unruhigen Freude.

Als ich bei dem Mädchen war und als die Beklommenheit des Wiedersehens überwunden, das Glück der ersten Tage ausgekostet war und wir abends allein durch die Dämmerung gingen, kam jenes Verlangen, jenes tiefe Heimweh wieder. Das Mädchen, das neben mir ging, erschien mir auf einmal fremd, und meine Sehnsucht suchte die andere, die sie immer gesucht hatte und die – meine Nachbarin nicht war.

Und jene andere kannte ich nicht!


Was habe ich mich nach der Waldeinsamkeit gesehnt in der letzten Zeit meines Großstadtlebens. Wie der Hirsch nach der Wasserquelle, wie der Verfolgte nach dem Freihafen, wie ein müdes Kind nach dem Schoß der Mutter.

Aber gestern abend, als der Mond über den Wipfeln der Tannen, die mich und mein schmuckes Waldhaus umhegen, so silbern und schön schwamm, wie nur je ein romantischer Maler ihn malte, und ich den ruhigen Atem der schlummernden Bäume hörte, so mitten im Dämmerlichte erfüllter Liebesnähe – kam das Heimweh wieder, und ich befürchte, daß es wohl auch dieser Wald nicht sein wird, was mir zum Frieden dient.

Ich als Mensch aus der großen Welt lache doch über den Weltschmerz; aber es ist schlimm, daß ich nicht weiß, wonach ich mich sehne.

Nach dem alten Leben? Gewiß nicht. Ich habe seine Freuden bezahlen müssen mit dumm verschleudertem Geld, mit elenden Gewissensskrupeln, mit dem Verlust der Gesundheit. Schlimmer als der gemeinste Wucherer hat das Leben mich betrogen, hat auf den Wert seines Tandes Millionen Prozente aufgeschlagen, und ich Tropf habe es nicht gemerkt oder nicht merken wollen, wie frech ich hintergangen wurde, sondern alles, alles gezahlt.

Oder sehne ich mich nach den Freunden? Irgend ein neuerer Dichter hat gesagt: »Es ist ein trauriges Lied, das von den guten Freunden.« Ich habe eine ganze Anzahl »Freunde« gehabt. Die meisten waren Amüsierkumpane, famose Gesellen beim Spiel, Wein und Tanz; aber wenn einer ging, hinterließ er keine Lücke; es kam leicht ein Ersatzmann. Dann waren ein paar Gesellen, die mich ausnutzten; es waren arme Schlucker, denen es verziehen sein soll. Dann war einer darunter – ein Betbruder – der mir immerfort Moral predigte. Das war der widerwärtigste von allen. Dem habe ich auf die Beine geholfen, daß er davonging und sich jetzt mit mir nur in der Weise beschäftigt, daß er mir Schande gibt. Vier Freunde habe ich gehabt: einen, dem ich alles beichten konnte und der immer ein heilendes Wort hatte – der ist gestorben – und einen zweiten, der meinte, das Wesen der Freundschaft bestehe darin, daß man sich immer die unverfälschte Wahrheit sage, und der mir deshalb täglich und stündlich widersprach und grob kam. Mit dem unterhalte ich mich jetzt lieber brieflich. Den dritten guten Freund hat das Leben in weite Ferne verschlagen, und den vierten drückt der Kampf ums Dasein in immerwährende Fron.

Geschwister habe ich nie gehabt. Die Eltern sind lange tot, schon gestorben, als ich noch ein Kind war. Der Herr Vormund, der mich aufzog, hat das reiche Erbteil an Geld, das mir meine Eltern hinterließen, gewissenhaft verwaltet; aber was sonst ein Kind für Reichtümer hat: Frohsinn, Tollerei, strahlende Laune oder gar Liebe – das hat mir der Mann alles unterschlagen. Er ist ein ärgerer Defraudant, als wenn er sich an meinen Wertpapieren vergriffen hätte.

In meine Großstadtwohnung ist einmal ein Einbrecher eingedrungen, hat eine goldene Uhr und einen Ring von ungefähr fünfhundert Mark Wert gestohlen und hat dafür zwei Jahre Zuchthaus bekommen.

Mein Vormund, der in das Paradies meiner Kindheit einbrach und mir zwar kein gemünztes Geld, aber dafür alle Schmuckstücke junger Jahre stahl, ist nicht mit einem Tag Gefängnis bestraft worden. An meinem einundzwanzigsten Geburtstage, da ich großjährig wurde, habe ich an meinen Vormund geschrieben, ich hätte von einem vereidigten Sachverständigen, Vermögensverwalter usw. mir ausrechnen lassen, daß die von ihm für mich aufgewandte Mühe etwa 2000 Mark wert gewesen sei; diese Summe hätte ich heute dem »Verein für Kinderpflege«, dessen Vorstand seine Gattin sei, überwiesen, damit ich meinerseits mit ihm quitt sei. Meine Gegenrechnung wolle ich nicht ihm, sondern dem alles genau bezahlenden Herrgott einschicken.

Es gibt viele Orden im deutschen Land. Einen Vormundsorden sollte es geben für solche Vormünder, die ihre Aufgabe, toten Vaters Stelle zu vertreten, wirklich erfüllen. Aber die Vormundsschaftsgerichte dürften diesen Orden nicht vorschlagen, die sind mit zu geringer Leistung zufrieden; auch nicht die Gemeinden und Waisenräte, denn sie empfinden ja doch mehr oder weniger die ganze Vormundschaft nur als eine Last; auch nicht die Mündelkinder selbst wären ganz kompetent, sie sind, ach, zu so großer Bescheidenheit, zu oft so unbegründeter Dankbarkeit erzogen, daß auch sie schäbige, liebearme Faulpelze dankbar dekorieren würden, weil sie es nicht besser wissen. Wenn der Herrgott selbst den Vormundsorden verleihen könnte, er, der allein alles weiß und Herz und Nieren kennt, dann wäre dieser Orden viel seltener als das Eiserne Kreuz erster Klasse für einen gemeinen Mann, aber auch dann – wie jenes – ehrlich und schwer verdient.


Februar. Es ist noch tiefer Winter in den Waldbergen. An dem Felsenblock, der neben meinem Hause ist, stehen und hängen meterlange Eiszapfen. Er sieht aus wie eine kristallene Orgel, die in den Silberdom des Waldes eingebaut ist. Den Bachweg herauf klimmen alte dicke Weiden, schwerfällig wie Bauern, die in weißen Schafspelzen zur Kirche kommen, und neben der Orgel stehen einige Birken wie zierliche Jungfrauen, die ein frommes Lied singen wollen.

Manchmal, wenn der Wind geht, singen sie wirklich, und die silberne Orgel klingt dazu mit einer zarten vox coelestis. Dann steht der ganze Wald andächtig da. Am stillsten sind die Tannenkinder, die knien an der Erde in ihren grünen Kapuzenmänteln mit dem Hermelinbesatz und regen sich nicht. Hinter ihnen steht eine große Fichte wie eine strenge Institutsvorsteherin, die aufpaßt, daß die Kinder ganz artig sind in der Kirche. Manchmal denke ich, wenn man die große Fichte umhackte, würden die kleinen Tannen Unfug treiben.

Weit hinten im Dom ragt das Kreuz mit der Ewigen Lampe auf. Ich kann es von meinem Fenster aus gut sehen. Eines reichen Herrn einziger Sohn ist vor vielen Jahren an jener Stelle erschossen aufgefunden worden. »Aus Versehen« – hat es geheißen. Da hat der reiche Herr jenes Votivkreuz setzen lassen. Es ist ein Kunstwerk: das Gebälk des Kreuzes ganz roh, wie ein Kreuz sein muß, nicht durch Beiwerke verunziert, und der Cruzifixus, ein göttlich schöner Menschenleib, hebt sich von den elenden Balken, an die seine Todesleiden geheftet sind, in erschütterndem Gegensatze ab.

Auch die Ewige Lampe ist ein gutes Werk. Da ist mal einer gewesen, der noch Eisen schmieden konnte. Das rubinrote Licht der Lampe ist überall im Tal zu sehen. Wenn die Lampe einmal ausgeht, kommt ein Unglück, sagen die Leute. Sie behält aber selbst in starken Sturmnächten ihr Licht. Nur wenn die Leute lässig wären, Öl nachzugießen, würde sie ausgehen. Und dann würde Unglück kommen. Das Öl muß immer eine Jungfrau nachfüllen. Die Gemeinde betraut ein armes Mädchen damit, und der geschieht damit große Ehre. Wenn das Mädel Hochzeit hat, kauft ihr die Gemeinde ein weißseidenes Brautkleid.


Mein Kammerdiener Timm hat mich in meine Einsamkeit begleitet. Er ist ein noch ziemlich junger Mann, eine treue Seele; nur, er hat den Vornehmheitsfimmel. Ich übernahm ihn einmal von einem gräflichen Freunde, der »in die Binsen« ging, keinen Kammerdiener mehr brauchen konnte, sondern drüben in Amerika Kellner wurde.

Timmen hat dieses gräfliche Schicksal fast das Herz gebrochen. Nicht, daß er mit so großer Liebe an seinem früheren Herrn gehangen hätte – der behandelte ihn oft schlecht – sondern daß Vornehmheit sich ins Niedrige verlieren, daß ein Hochgeborener in einen Kellnerfrack schlüpfen kann, daß so etwas überhaupt möglich ist auf dieser entarteten Erde, das erfüllt auch heute noch Timms Herz mit Schwermut.

Auch mich betrachtet Timm als einen Halbverlorenen. Als er mein Waldhaus, das mir ein befreundeter Architekt wirklich nett und auch ganz stattlich gebaut hat, betreten hatte, ging er schweigend durch die acht Zimmer, besah die Veranda, die Nebengelasse und sagte dann:

»Der gnädige Herr werden hier eine angemessene Wohnung zu vorübergehendem Landaufenthalt haben.«

Ich entgegnete ihm:

»Du täuschest dich, Timm! Ich werde hier nicht vorübergehend, sondern immer wohnen. Es wird sich mancherlei ändern. Um gleich etwas zu sagen: du wirst mich fortan nicht ›Gnädiger Herr‹, sondern einfach ›Herr Hubertus‹ nennen, und ich werde nicht mehr ›Du‹ zu dir, sondern ›Sie‹ zu Ihnen sagen. Wir demokratisieren uns. Verstehen Sie, lieber Timm?«

Er sagte kein Wort, er machte nur eine seiner tadellosen Verbeugungen; ich sah aber, daß sein glattrasiertes Gesicht plötzlich mit Kummerfalten überzogen war.

Am selben Abend noch kam Timm zu mir und sagte:

»Verzeihen der gnädige Herr, aber wenn ich zum gnädigen Herrn nicht mehr ›gnädiger Herr‹ sagen darf, so müßte ich den gnädigen Herrn bitten, mich zu entlassen; denn ich brächte es anders nicht fertig. Die Anrede ›Sie‹ werde ich aber auf mich nehmen.«

Ich ließ ihn eine Minute lang stehen, dann sagte ich:

»Timm, du bist ein merkwürdiger Kauz. Aber wenn du weiter ›gnädiger Herr‹ zu mir sagst, so werde ich dich auch weiter duzen. Das ist selbstverständlich.«

Damit war er sichtlich nur halb zufrieden; aber er fügte sich und sagte nichts mehr von Entlassung.

Timm hat mir schon dreimal die Geschichte eines alten, hochfeudalen Herrn erzählt, der durch irgend welche Schicksale nur mit wenig Dienerschaft auf ein weltverlorenes Schloß verschlagen wurde. Der alte Herr, der täglich ganz mutterseelenallein speisen mußte, machte trotzdem vor jeder Mahlzeit sorgfältig Toilette und hätte keinen Bissen hinuntergebracht, wenn er nicht beim »Diner« in Frack und tadelloser Halsbinde gesessen und wenn ihm der Diener nicht in ebenso tadelloser Livree serviert hätte.

»Er hat nicht verpauvern wollen,« setzte Timm hinzu; »er hat den Respekt gegen sich selbst nicht verloren, er hat es so in seinem Blute geerbt.«

Daraus sieht man, daß Timm ein Psychologe ist, der die geheime Hoffnung hat, mich in aller Ehrfurcht etwas erziehen zu können.

Und er hat gar nicht mal so unrecht.


Gestern abend hatte ich eine neue Unterhaltung mit Timm. Ich rief ihn zu mir und sagte:

»Timm, wir sind zu einsam. Wir müssen uns zunächst einige Tiere anschaffen.«

»Ah –,« sagte Timm, und seine Augen glänzten auf. »Pferde! Ein Reitpferd, ein paar Kutschpferde!«

»Nein, Timm! Was soll ich hier herumkutschieren? Die Waldwege eignen sich dazu nicht, und ewig die Chaussee unten nach der Kreisstadt zu fahren, fällt mir nicht ein. Ein Reitpferd kauf' ich mir vielleicht noch. Aber vorläufig handelt es sich um andere Tiere – um zwei Hunde und um etwa zehn Hühner.«

»Hu – Hunde? Hü – Hühner?«

Es war das erste Mal, daß der zungengewandte Timm stotterte. Aber er faßte sich rasch.

»Einen Windhund? Einen Barsoi? Oder wenigstens eins dänische Dogge? Jawohl, gnädiger Herr! Aber Hü – Hühner? Wer soll denn die rupfen?«

»Gar niemand. Die Hunde werden sie vielleicht rupfen. Aber dann werden sie Prügel kriegen. Und was die Hunde selbst anlangt, so werde ich zwei Stück anschaffen: einen Dackel und einen Pudel.«

Er stand so verdattert vor mir, daß er mir leid tat und ich ihn gleich beruhigte:

»Es wird natürlich weder dir noch der Köchin zugemutet werden, euch mit der Pflege der Tiere zu befassen; dafür werde ich ein besonderes Faktotum anstellen, das dann überhaupt die gröberen Arbeiten im Haushalt, die jetzt nur aushilfsweise besorgt werden, ständig übernimmt. Wir kommen hier – mein lieber Timm – mit lauter verfeinerten Kräften nicht aus; wir müssen was Robustes haben.

Er fingerte mit allen zehn Fingern aufgeregt an seinen Hosennähten herum.

»Etwas Robustes!« sagte er endlich; »jawohl, denn wir leben auf dem Lande.«


Die Hunde sind da. Den Dackel habe ich vom Förster bezogen, den Pudel habe ich mir aus einer städtischen Züchterei schicken lassen. Vorläufig machen die Tiere nicht viel Freude. Wenn sie sich sehen, beißen sie sich; wenn sie allein sind, scharren sie sich, und die Hausgenossen knurren sie an.

Oft aber schlafen auch beide, und dann ist's schön.

Auch das Faktotum ist da. Es ist eine Wittib, die dreizehn Kinder geboren hat. Zehn sind jung gestorben, die drei übriggebliebenen Jungen sind in der Lehre. So ist das Weib allein und war froh, als sie bei mir unterkam. Sie heißt Sturz. Empfohlen wurde sie mir vom Gutsinspektor Balthassar. Er gab zu ihrer Empfehlung an, sie sei ehrlich und sauber.

Die Ehrlichkeit und die Sauberkeit sind achtbare Eigenschaften; aber ich zweifle, ob sie allein hinreichend sind, einen Menschen zu einem angenehmen Hausgenossen zu machen.

Die Madame Sturz macht bei ihrer Arbeit einen Mordsspektakel. Drei Vierteile des Tages saust sie irgendwo mit einem Besen oder einem Scheuerlappen umher. Im Hausflur ist ein ewiges Klirren von Blecheimern. Was das alles für einen Zweck hat, weiß ich nicht. Den Holzstall und den Kohlenschuppen dreht Frau Sturz, nach dem Lärm zu schließen, der von dort herdröhnt, zweimal am Tage von oben bis unten. Ich finde, diese Frau ist zu eifrig.

Mit der Köchin verträgt sie sich. Es gibt auch sicherlich keinen Menschen auf Erden, der sich mit meiner guten Mathilde nicht vertragen würde. Die ist noch das einzige lebende Erbteil, das ich von meinen Eltern überkommen habe.

Timm sieht mit grenzenloser Verachtung auf die Sturz herab. Ich bin überzeugt, daß ihm die Frau in tiefster Seele zuwider ist und daß er unter ihrer Gegenwart leidet. Aber er sagt kein Wort. Er wartet nur stumm, bis ich das unästhetische Ungeheuer entlasse. Und ich muß ja zugeben, daß das kleine gedrungene Weib keine Zierde meines Hauses ist. Sie schürzt sich ihren ohnehin kurzen Rock mittels eines Lederriemens immer so hoch auf, daß man die dicken Waden sieht, die in groben Wollstrümpfen stecken. Sie gürtet sich so, als ob sie stets durch den dicksten Schlamm zu waten hätte. Ihr Gesicht glüht immer wie Kupfer, und ihre Haare sind in einem lächerlichen Knoten, der so groß wie eine Haselnuß ist, auf dem Wirbel zusammengehalten.

Daß Timm beim Anblick einer solchen Erscheinung Schüttelfröste kriegt, ist erklärlich. Er würde sicher lieber viele Arbeiten für sie tun, als ihre Gegenwart ertragen. Aber die Hühner! In schmutzigem Stroh nach Eiern zu suchen oder gar den Hühnerstall zu säubern, das brächte Timm nie über sich. Lieber ließe er Teufels Großmutter neben sich rumoren.


Ich habe beim Ankauf vergessen, nach dem Namen der Hunde zu fragen, und mich auch in den ersten Tagen um die Köter wenig gekümmert. Timm natürlich noch viel weniger. So hat die Sturz die Hunde getauft, den Pudel auf den Namen »Fips« und den Dackel auf den Namen »Box«. Als ich ihr sagte, daß das zwei ganz unpassende Namen für diese Gattung Hunde seien, meinte sie, alle Hunde im Dorf hießen entweder Fips oder Box. Ich verfügte, der Dackel hieße »Bims«, der Pudel »Bams«.

Darauf schüttelten alle Hausgenossen die Köpfe, und Timm, der in seiner Jugend eine Realschule bis zur Quarta besucht hat, sagte: »Gnädiger Herr, die Hunde werden die ähnlichen Namen, die nur den kleinen Vokalunterschied aufweisen, nicht immer auseinanderhalten können, wenn man sie ruft.«

Der Sturz stand der Mund offen, als Timm so gelehrt daherredete. Ich aber sagte:

»Lieber Timm, das hat nichts zu sagen. Ob ich nun Bims oder Bams rufe, kommen wird immer nur der eine Hund, und das ist der Pudel; denn der Dackel kommt sowieso nicht.«


Hühner haben wir zehn; neun Hennen und einen Hahn. Es sind lauter Legehühner vom vorigen Jahre. Gelegt hat aber noch keine. Ich hatte deswegen eine Beratung mit Timm, welcher sagte:

»Gnädiger Herr, ich glaube, es sind lauter Hähne. Hähne legen nicht.«

Timm glaubte wahrscheinlich, mit dieser Mitteilung mir seine Erfahrungen in landwirtschaftlichen Dingen darzutun, aber ich entgegnete ihm:

»Nein, Timm! Es kräht nur einer, also kann es nur ein Hahn sein; denn Hennen krähen nicht.«

Da war ich ihm über; denn daß Hennen nicht krähen, hatte Timm nicht gewußt. Ach, wir Landbewohner und Hühnerzüchter!

Mathilde wurde befragt. Die sagte das, was sie immer gesagt hat, wenn ich mal einen Erfolg im Leben nicht abwarten konnte:

»Ach Gott – nur Geduld! Es kommt schon noch!«

Schließlich befragte ich die Sturz, deren sämtliche Urahnen bis zum Urvater Noah hinauf sicher bei Hühnervolk auf dem Lande gelebt haben. Timm war dabei, als ich mit der Sturz sprach. Ich sagte ihr unsere Meinung über den Fall, und darauf erwiderte sie, indem sie eine Pfütze Wasser, die sie vorher ganz sinnlos über die Fliesen des Hausflurs gegossen hatte, mit einem Rutenbesen halb zur offenen Tür hinausschleuderte und zur anderen Hälfte den Kacheln der Wandbekleidung sowie Timmens und meinem Anzug mitteilte:

»Tummes Zeug! 's is halt noch zu kalt zum Legen!«

Ich bemerkte die unangenehme Dusche an meinen Beinkleidern sowie den Ausdruck »dummes Zeug« mit Mißfallen und erwiderte streng:

»Frau Sturz, ich bitte, daß Sie sich in Ihren Äußerungen gegen mich einer höflicheren Form bedienen.«

Die Sturz schrubbte schweigend weiter. Ich ließ sie stehen, hörte aber noch, wie Timm in die Küche trat und zu Mathilde mit Befriedigung sagte:

»Er wird energisch!«


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